Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)


Scheich Elwan von Schiras
 

Der Wein und die Schöne

Wein und Kerz' und die Geliebte,
Sind der Widerschein des Herrn;

Wein, Geheimniß, Kerze, Licht,
Schöne Wangen, Gottes Antlitz,

Was die Kerz', der Wein verbirgt,
Liegt im schönen Antlitz' offen.
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Die Wangen und der Bart

Muttermaal und Bartflaum geben
Kund die Schönheit eines Schahs,

Flaum ist die Diplomenschrift,
Maal das Siegel dieses Briefs;

Ein Symbol von Licht und Dunkel,
Jenes Maal und dieß der Bart.
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Die Locken

Negerland sind jene Locken,
Deren jede Heere schlägt,

Wenn sie aus die Ambra gössen,
Bliebe nicht ein Musulman,

Ein Symbol des Koranschwurs:
"Bei der Finsterniß der Nacht!"
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Aus Schiras gebürtig, ein Zeitgenosse Sultan Urchan's, war nach einigen der Nachfolger, nach einigen bloß der Freund des großen Scheichs Hadschi Beiram, welcher unter Murad I. den Orden der Derwische Beirami gestiftet. Er übersetzte das berühmte mystische Gedicht Gülscheni Ras, d.i. das Rosenbeet des Geheminisses Mahmud Schebisteri's, aus dem Persischen ins Türkische;
die oberen Verse erklären die mystischen Metaphern des Weins und der Kerze, des Muttermahls und Bartes, der Locken und des Bartes des Geliebten.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 65)