Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Nesib II.
gest. i. J. 1204 (1789)


Des Herzens Seufzer trägt
Der Leitung Fackel leuchtend vor für mich;
Das Maal des Herzens schließt
Des Rosenbeetes Fenster auf für mich.

Verdienstes baares Geld
Ist gang und gäb' im Land' der Gnaden nicht;
Des Herzens Schwäche ist
Das wahre Capital der Huld für mich;

Im Weingenusse trifft
Der Weise, was ihm Herzenswunsch verspricht.
Das umgekehrte Glas
Ist nun des höchsten Glückes Kron' für mich;

Als Glas der Lieb' halt ich
Dein schönes Aug' an meines fest gepicht;
Ein jedes Stäubchen ward
Alsdann zur klaren Wahrheitssonn' für mich.

Da zur Genusses-Stadt
Der Pfad den schwachen Körper führet nicht,
So ist in diesem Thal
Die Rettung nur des Maales Brand für mich;

O Schah! die Armuth ist
Die einz'ge Pracht, die meinen Wunsch anspricht;
Denn jeder Edelstein
Von deiner Adelskron ist Schmach für mich.

Im Sonnenwiderschein
Erzittert Woge, die im Meer sich bricht,
Und mein Erstaunen ist
Der Spiegel des Beschauungslichts für mich.

O Nachtigall, die schweigt,
Nesib ist unter Liebenden ein Wicht,
Es sind Medschnun, Ferhad,
Die Unterthanen meines Reichs für mich.
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Mach' meinen Herzensspiegel rosten nicht, o Herr!
Zieh' meinen Hoffnungen den Flor nicht ab, o Herr!

Schmück meinen Wunschpallast mit deinen Gnaden aus,
Stütz' Himmel nicht auf meine Seufzersäul', o Herr!

Berausch' das Herz mit Wein der Armuth und Vernichtung,
Und stürz' im Kopfe nicht das Weinglas um, o Herr!

Aus meinen Wimpern mach' den Kamm des Wahrheitshaares,
Und wegen Lockenhaars laß' mich nicht klagen, Herr!

Da du ein kundig Herz hast dem Nesib gegeben,
So trüb' nicht mit Nachlässigkeit mein Inn'res, Herr!
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Nicht meine Seel' ist nur in das Gesicht verliebt,
Die Engel und die Dschinnen sind in dich verliebt;

Welch' eine Ros' bist du, welch' ein Gestirn bist du?
Welch' eine Sonn', in die die ganze Welt verliebt?

Der Lärm von deiner Schönheit füllt den Horizont,
Die Erde staunt, der Himmel ist in dich verliebt;

Der Knospen Waare geht für Nichts im Rosenbeet,
Seit Nachtigall in dich, o frische Ros', verliebt.

Die Liebe hat so sehr mein ganzes Seyn durchdrungen,
Daß in dem Leibe jegliches Gebein verliebt.

O Morgenwind, der jener Palme kosend naht,
Sag' ihr: es grüßet dich, der in die Welt verliebt;

Verzeih' die Schuld Nesib's, gewähr' Verzeihung ihm,
Nicht immer findest, wer so ist in dich verliebt.
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Blumen stehen auf den Fluren froh und dicht,
Doch die Sehnsucht nur gibt ihnen Glanz und Licht.

Sieh genau, was auf der Blume Stirne steht!
Nur durch Gottes Huld wird sie vom Grund erhöht.

Schlägt der Ostwind diese Blätter auf,
Findet er las Fal* die Sure Licht darauf.

O Herz! wenn dein Bestreben nach der Wahrheit steht,
So lies Geheimniß aus dem Blumenbeet.

Der Wiesen Knabenwuchs steht hoch auf schlankem Stängel,
Doch keiner prangt für mich, wie mein geliebter Engel.

Nicht jede Tulpe brenne dir in's Herz ein Maal,
Denn Blumen gibt's in Blumenbeeten ohne Zahl.

Willst öffnen du im Rosenbeet das rohe Herz,
So reichen Blumen dir den Schlüssel dar abwärts.

* Fal, das bekannte Losen mittels der aufgestochenen
Blätter eines Buches.
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Ist der Sohn Seid Mohammed Nesib Efendi's, geboren 1153 (1740). Er begleitete den Statthalter von Haleb in der Eigenschaft des Siegelbewahrers, später einer der Secretäre des Diwans.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Vierter Band (von der Regierung Suleiman's II. bis auf unsere Zeit 1687 - 1838)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 363-366)