Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Ghalibdede
gest. i. J. 1210 (1795)


Frühling schloß den Farbenschatz des Gartens auf,
Frühling trägt des Landes Waaren all' zum Kauf;

Glaube nicht, daß Zweige blühen, wenn sie schäumen,
Denn es raset Alles von des Frühlings Träumen.

Glaube nicht, daß Meereswogen Muscheln spalten,
Die sich gern dem Frühlingsregen offen halten;

Alles ist vom Hauch der Liebe angeblasen,
Und des Frühlings Duft bringt das Gehirn zum Rasen;

Blick des blut'gen Aug's ist Alchymie der Liebe,
Frühlingsmorgen ist der Quell der schönsten Triebe;

Wiesen schillern, grüner Stoff mit Gold umzogen,
Von den Wolken ist ihm Silber angeflogen.

Wiesenflaum will ich dem Frühling nicht verdenken,
Wenn er Samenknospe gibt zum Angedenken;

Wein und Rosen lachen und die Zeit vergeht,
Während Frühling auf der Flur vorübergeht;

Ghalib's Feder hat die Erde neu erfrischt,
Das Gedicht des Frühlings oft schon aufgetischt.
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Von Vögel- und Perienheer war Herrscher Kais,*
Als Salomon saß auf dem Thron der Liebe Kais;

Im steinigten Arabien ging er im Kreis,**
Daß er zur Kaaba war gepilgert, reut den Kais;

Gesammelt hat er sich, doch kam aus dem Geleis,
Durch Leila's lose Locken ward zerstreuet Kais;

Wenn seine Narrheit eigen sucht um jeden Preis,
Gebund'nen Hirsch von Banden zu befreyen Kais;***

Durch Wiesen fließt der Strom von seinen Thränen heiß,
Die Wüstendisteln sind die Wimpern nur von Kais;

Geboren zu Einsaugungen**** und dünn mit Fleiß,
In Nedschd erzogen, war Begeist'rung selber Kais;

Wie mißt der Neuling sich mit dem, der Alles weiß?
Es war zu seiner Zeit der Spott der Kinder Kais.

Er meint, es spricht die Stadt auf neidisches***** Geheiß,
Ob Leila's Ruf zu Mekka, ist erstaunet Kais;******

Als Meister treibt Ghalib die Raserey mit Fleiß,
Vor ihm ist Schreiber in dem ABC nur Kais;

Nicht ging als Mewlewi um's Herzenshaus******* im Kreis,
Wiewohl er närrisch sich in Wüsten drehte, Kais.

* Medschnun, der rasende Liebhaber Leila's
** Im Hidschas der Allegorie machte er Tawwaf,
d.i. den siebenmahligen Umgang um die Kaaba
*** Anspielung auf Medschnun's Abenteuer,
welcher die Gasellen den Jägern abkaufen wollte
****Dschesbe Absorption (mystische)
*****Rakiban, die Nebenbuhler
****** Als Medschnun in die Kaaba kam,
und hörte, wie seine Liebe zu Leila
im Munde aller Pilger
******* Er hielt nicht als Mewlewi den inneren
siebenmahligen Umgang an der Kaaba des Herzens;
Anspielung auf die sieben ascetischen
Kreise der Mewlewi
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Immer tanzen Liebende den Reigen,
Sonn' und Mond und Himmel tanzen Reigen;

Himmel schwindelnd sich aus Liebe neigen,
Zeit und Raum, sie tanzen beyde Reigen;

Wirbel sich im Aug', das weinet, zeigen,
Perlen wirft die Zeit aus in den Reigen.

In der Schenke tanzet man um Feigen,
Um die Kaaba tanzen Pilger Reigen;

Flötenschall beschämt die Himmelszeichen,
Und wie Tauben tanzen Engel Reigen;

Ich bin Kais*, auf dessen Kopf' mit Schweigen
Sich das Nest erkoren hat der Reigen;

Ghalib, dem sich Liebessonnen neigen,
Tanzt als Mewlewi den Liebesreigen.

* Medschnun, der in seiner Raserey die Vögel
ruhig in seinen Haaren nisten ließ.
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Deines Auges Taube sonnet
Sich im Strahl von deinem Blick,
Und es bringt den Himmeln Kunde
Als Brieftaubenpost dein Blick;

Hulagu! vor deinen Wimpern
Zieht er sich vielleicht zurück?
Weil die schwarze Augenschminke
Macht zum Nachtrab sich den Blick.

Als den Bothen der Liebkosung
Ihn zu dem Verliebten schick',
Denn es ist ein Himmelsbothe
Gabriel dein Himmelsblick;

Eingeladen zu dem Glauben
Ward der Flaum durch gut Geschick,
Ein Prophet, ein gottgesandter
Zu Ungläub'gen, ist dein Blick.

Deines Barts empörte Flaume
Trifft ein klägliches Geschick,
Wie zu Ssiffein einst Ali,
Wüthet als ein Schwert dein Blick;

Wimper! traure nicht darüber,
Daß der Flaum aufgeht mit Glück,
Denn es gibt smaragdnes Wasser,
Dolchesklingen stets dein Blick.*

Schrecken ist in Türkismienen,
Nischaburischer** erschrick!
Und es fließt der Bach des Himmels***,
Türkisblau von deinem Blick;

Hauch Ghalib's begrünt die Erde,
Gibt das Leben ihr zurück,
Wunderthät'ger Hauch des Heilands
Wird  versucht von deinem Blick;

Alchymie der Sonne schaue
Auf den Staub mit Einem Blick,
Und in Gold verwandelt Staub sich,
Wenn getroffen ihn dein Blick.

* Die zarten Haare des Bartes sind Dolche,
welche das Wasser des Blickes mit grünlichem
Glanze damascenirt.
** Die schönsten türkischen von Nischabur
*** Gökdere, das himmlische Thal, der schönste
der Bergströme, die vom Olymp zu Brusa niederströmen
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Ich schloß mich auf, wie Rosen,
Doch lacht' ich nicht,
Ich konnte ihn liebkosen,
Doch lacht' ich nicht;

Gemahlet ist die Rose,
Das dacht' ich nicht,
Ich kaufte sie für Prose,
Doch lacht' ich nicht;

Es lacht sein Mund aus Enge,
Wenn Nachts er spricht,
Mich drückte seine Enge,
Doch lacht' ich nicht;

Daß weinend Aug' ein böses,
Bedacht' ich nicht,
Ich weinte über Böses
Und lachte nicht;

Das tolle Spiel der Welten
Veracht' ich nicht,
Als Garne mich umstellten,
Da lacht' ich nicht;

Durch Rosen geh'n Blutzeugen*
So sachte nicht,
Zum Galgen mußt' ich steigen,
Ich lachte nicht;

Ich streute Thränensamen**
Und wacht' aus Pflicht,
Doch als die Früchte kamen,
Da lacht' ich nicht.

* Werdi gülsari bakub Manßur wesch
Ich sah die Rose des Rosenbeetes als Manßur
(den gemarteten Mystiker) an
** Oldüm Esaad chaili to chin efschani ischk,
wörtlich: Ich Glücklichster (oder auch Esaad)
säete viel Thränensamen.
Da Esaad im Manuscripte roth geschrieben,
so dichtete entweder Ghalib dieses Ghasel
unter diesem Dichternahmen statt unter seinem
gewöhnlichen, oder, was wahrscheinlicher,
es gehört dem Mufti Esaad an, welchem Ghalib
ein gleich darauf folgendes mit gleichem Sylbenmaße
und Reime entgegnete.
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Harem der Brust ist Hiacynthenflur
Von seinem Aug', dem blauen;
Des Himmels Farbe nimmt das Unglück nur*
Von deinem Aug', dem blauen;

Es flüchtet sich der Türkis vor der Flur,
Und von bebauten Auen;
In Wüsten, wo erstorben die Natur,
Von seinem Aug', dem blauen.

Die Schönheit ist gebunden als ein Buch,
Die Spangen sind die Brauen;
Der Flaum ist gold'ne Schrift auf Scharlachtuch
Von seinem Aug', dem blauen;

Von meinen Herzensleiden ist die Spur
Im gelben Teint zu schauen.
Die Augen tragen Ringe von Lazur,
Von seinem Aug', dem blauen;

Den Mann von Herz treibt feurige Natur
Nach Mädchen und nach Frauen**.
Die Augen gießen Thränen auf die Flur
Ob schönem Aug', dem blauen;

Es ist ein zornig Aug' im Frankenland***
Der Schönheit zuzutrauen.
Die Christen**** kommen alle vom Verstand
Ob einem Aug', dem blauen;

Es sind mit Trug und Gleisnerey umstrickt
Die Kutten all, die blauen*****.
Die Einen Rausch, die And'ren Kopfweh drückt,
Von deinem Aug', dem blauen;

Im Rosenbeet sind Blumen unterthan
Der Lotosblum', der blauen;
Die Lotos bethet nur die Schönheit an,
Von deinem Aug', dem blauen.

Die Feder ist gewohnt, des Sinnes Feld
Mit Indigo zu bauen;
So hat Ghalib den Lobpreis hergestellt
Von deinem Aug, dem blauen.

* Blau die Trauerfarbe der Perser und anderer
Morgenländer, so wie violet ehemahls die des
byzantinischen und französischen Hofes.
** Die Mädchen und Frauen sind eine euphemische
Licenz für die Knaben und Jungen, denen der Hawaji,
d.i. der sinnenlustige Türke nachstellt; Hawaji bedeutet aber
auch Luftfarbe, indem die Hawa sowohl die Lust, als die
Luft bedeutet.
*** Frengistan
**** Mesihiler, die an den Messias glauben.
***** Blau ist die Lieblingsfarbe der Ssofi, wie aus
vielen Stellen bey Hafis bekannt.
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Des Herzgeliebten Bild erscheint
Vom Herzen zum Herzen,
Und durch den Spiegel geht's als Gast
Vom Herzen zum Herzen;

Bereite deines Busens Blatt,
Das Bild zu empfangen,
Denn Salomonis Siegel geht
Vom Herzen zum Herzen;

Der Edelstein kommt aus dem Schacht'
Und leuchtet dem Sinne,
Es gehet deiner Stirne Glanz
Vom Herzen zum Herzen.

Es glänzet deiner Stirne Licht
Als griechischer Spiegel,
Mach' auf das Aug' als Fensterlein
Vom Herzen zum Herzen.

Der Spiegel gibt, wie er empfängt,
Ein treuer Vergelter,
Geheimnisse enthüllen sich
Vom Herzen zum Herzen;

Wein ist im Glas und Wein gibt auch
Die Lippe des Schenken,
Nur Kund'ge kennen diesen Rausch,
Vom Herzen zum Herzen;

Halbverse des Ghasels sind
Die Zwilling' am Himmel,
Das engste Band vereinet sie,
Vom Herzen zum Herzen.

Es zeiget als Zeigefinger an
Ghalib, den Verliebten,
Er zeiget ihnen an den Weg,
Vom Herzen zum Herzen;

Sultan Weled* hat angereiht
Die Perlen des Sinnes,
Er führte einen Rosenkranz,
Vom Herzen zum Herzen.

* Der Sohn Dschelaleddin Rumi's, der Verfasser
des Rababname.
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Geboren zu Constantinopel i. J. 1171 (1757), der Sohn des am Kloster der Mewlewi am neuen Thore als Kudumsen, d.i. Tactschläger, angestellten Mustafa Raschid Efendi. Schon in früher Jugend genoß er des Unterrichts und des Umganges so ausgezeichneter Scheiche, wie Ssafi-Allah Musadede, Scheich Ebubekr, Es-seiddede, Kutschuk Mohammeddede, Ebubekri Scherif Ahmeddede. Schon in früher Jugend dichtete er, und sammelte schon mit vier und zwanzig Jahren seinen Diwan; zwey Jahre darauf dichtete er sein schönes allegorisches Gedicht: Schönheit und Liebe. 1205 (1790) Scheich Vorsteher des Klosters von Galata. 1210 (1795) unternahm er eine Wallfahrtsreise, auf deren Rückkehr er zu Damaskus starb und dort begraben ward.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Vierter Band (von der Regierung Suleiman's II. bis auf unsere Zeit 1687 - 1838)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 391-396)