Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Mohammed Scherif Efendi
gest. i. J. 1204 (1789)


Wenn Kunde mir vom Freunde bringet das Papier,
Erscheinet meinem Aug' gar schelmisch das Papier;

Es kommt der grüne Flaum in das Gesichts-Revier,
Es wird die Schrift verschönt durch zuckerfarb' Papier.

Nimm doch den Brief, den Liebender geschicket dir,
Von deinen Wangen wird dann rosenfarb' Papier;

Wenn ich Gedichte schreib' auf Seines Flaumes Zier,
So wogt ein grünes Ambrameer auf dem Papier;

Allein den Mundrubin beschreibt nur Juwelier,
Denn wer hat je geseh'n ein juwelirt Papier?

Die Sehnsucht zu beschreiben ist unmöglich mir,
Den Brief der Liebe weiß auswendig das Papier.
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Des Freundes Schönheit sich im Herzen
Mit jedem Augenblicke zeigt,
Weil zweifelsohne sich im Spiegel
Das Bild des Freundes immer zeigt;

Geburt und Reichthum hocherhaben
Mit Huld sich zu dem Nied'ren neigt,
Die hohe Palme süße Datteln
Von ihrer Zweige Höhe zeigt.

Es spricht Vernunft im hohen Alter,
Der Leidenschaften Stimme schweigt,
Weil nach der Nacht am Gaue, morgen
Im Osten sich die Sonne zeigt;

Wenn Musiker auf gold'nen Saiten
Die süßen Melodien zeigt,
Sich dann erst das Talent des Künstlers
In seinem vollen Glanze zeigt;

In's Herz, das dem Husein ergeben,
Kein Nebenbuhler sich versteigt;
O glaube nicht, daß von der Rose
Des Dornes Stachel roth sich zeigt;

Der Spiegel ist, für deine Schönheit
Sich selbst zu halten, sehr geneigt,
Wenn in demselben ihre Wangen
Des Freundes hohe Schönheit zeigt.

Der Aufsatz* von dem Brief der Treue,
Durch schwarze Locken angezeigt,
Ist Haar für Haar rein abgeschrieben,
Wie dir die Schrift des Flaumes zeigt;

Es wird durch's Sieb des jungen Bartes
Der Wangen Schönheit durchgeseigt,
Die Frühlingstage sind gekommen,
Weil sich das Rosenbeet schon zeigt;

Scherif, es fließen die Gedichte,
Wo von Natur sie angezeigt,
Wie in dem Glanz der Frühlingssonne
Die Blüthe sich von selber zeigt.

* Musewwede das brouillon, Entwurf einer Schrift
und die schwarze Locke; das türkische Wortspiel
ist im Deutschen durch das deutsche Aufsatz wiedergegeben,
das sowohl den Aufsatz eines Briefes als des Haares bedeutet.
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Von seiner Schönheit nimmt die Farbe
Die Feder als ein Diamant,
Es streitet mit der Rose Farbe
An seinem Finger Diamant;

Es ist durch's Wasser des Barbierers
Die Wang' in neuem Glanz entbrannt,
Denn erst wenn selber scharf geschnitten,
Hat vollen Glanz der Diamant.

Es zieret nicht der Diamant
Den Finger seiner schönen Hand,
Es wird vielmehr von seiner Hand
An Glanz erhöht der Diamant.

Wie in der Nacht, wo der Koran
Vom Himmel ward herabgesandt,
Dem Mond gleich strahlet aus dem Zobel
Hervor des Dolches Diamant;

Die Schönheit ist als Schenk' und Trinker
Dem trunk'nen Auge nah' verwandt,
Die Lippen sind des Weins Rubinen,
Das Kinn der Kelch aus Diamant.

Die Schönheit ist auch ohne Schminke,
Scherif! als Herrscherinn bekannt;
Wenn Diamant ist ohne Farbe,
Hat Schmuck's genug der Diamant.
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Der Sohn des gelehrten Mufti Esaad Efendi (des Verfassers des großen türkisch-arabisch-persischen Wörterbuches); geboren 1136 (1723), trat mit vierzehn Jahren in die Laufbahn der Muderris. 1171 (1757) Richter von Jerusalem, dann von Brusa und Constantinopel.

 

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Vierter Band (von der Regierung Suleiman's II. bis auf unsere Zeit 1687 - 1838)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 416-417)