Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Chalili

Aus dem Buche der Trennung


Ich sprach: o hochbeglückter Liebesbrief,
Du bist Humai, welcher Ambra duftet,
Dein Äußeres der Sehnsucht Strahlenpunct,
Dein Inneres Geheimniß der Verliebten.
Du sprichst so wohlbered't und hast nicht Zunge,
Du trägst die Worte ohne Dolmetsch vor.
Wer immer dir vertrauen will ein Pfand,
Erhält es ohne Trug aus deiner Hand,
Doch ist's gefehlt, Geheimnisse zu schreiben,
Und sicher ist's, beym Wort allein zu bleiben.
Denn Briefe geh'n nicht nur von Hand zu Hand,
Sie gehen durch die Welt von Land zu Land.
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Als deiner Schönheit Herzensräuber,
Imam in der Moschee geseh'n,
Dreht' er dem Hochaltar den Rücken,
Um einzig dich nur anzuseh'n.

Du bist der Seel' und Herzen Kibla,
Sie wenden sich nach dir allein,
Die Bäume sind der Hochaltar,
Darum laß du den and'ren seyn,

Als ich geseh'n den hohen Wuchs,
Fiel ich anbethend zu dem Grund,
Und sagt' im Herzen: Lob sey Gott,
Dem Höchsten auf dem Weltengrund!

Das Auge, das Gehorsam brach,
Das Auge ist kein Musulman,
Dem Scheine nach, doch in der That
Ist es der Reinheit unterthan.

Wenn du nur an der Mauer stehst,
Beth' ich, mich niederwerfend, an,
Mein inneres und äußeres
Gebeth bist du, du mein Koran!

Im Herzen wiederhohl' ich still,
Was du gesprochen und gefragt,
Wenn gleich im Äußeren der Mund
Gebeth' und Litaneyen sagt,

Es will an Freundes Schwelle nur
Chalil, dich anbethend fleh'n,
Die Heuchler mögen zur Moschee
Und zu dem dumpfen Kloster geh'n.
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Ich sprach: Was hast, o Herz! gethan? -
Ich bin verliebt, was geht's dich an.

Ich sprach: Zeig' mir, was Liebe sey.
Es sprach: Kam ich nicht ins Geschrey?

Ich sprach: Ist's möglich dir, zu schlafen?
Es sprach: Mir widerstrebt's zu schlafen.

Ich sprach: Kannst du vom Bild dich trennen?
Es sprach: Nicht möglich ist's zu nennen.

Ich sprach: Hat dieses Leid ein Ende?
Es sprach: Nicht vor des Lebens Ende.

Ich sprach: O Kranker, wie ist dir?
Es sprach: Dieß Loos bestimmt ist mir.

Ich sprach: Was gäbst du, ihn zu sehen?
Es sprach: Du würd'st erstaunt es sehen.

Ich sprach: Komm zu Vernunft, Derwisch.
Es sprach: Was schiltst du mich so risch.

Ich sprach: O Herz, du bist ein Narr!
Es sprach: Du siehest recht, fürwahr!

Ich sprach: Du redest ohne Sinn.
Es sprach: Weil ich verbrennet bin.
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Aus Diarbekr, kam zur Zeit Mohammed's II. nach Nicäa, wo er verliebt, das Buch der Trennung schrieb, worin er erzählt, wie er nach Brusa gekommen, dort statt den Geschäften obzuliegen, in Liebe verfallen.

 

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Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Erster Band
von der Regierung Sultan Osman's I. bis zu der Sultan Suleiman's
1300 - 1521
Pesth, 1836
Conrad Adolph Hartleben's Verlag

(Seite 225-227)