Aus der Geschichte

der Osmanischen Dichtkunst

von  Joseph von Hammer-Purgstall (1836)



Sultan Diwani
gest. i. J. 936 (1529)
 

Sina's Reich ist Sclave seinem Haare,
Glaub' und Unglaub' huld'gen seinem Haare,
Betteln gehet Erde bey dem Haare,
Mensch und Dschinnen flocken nach dem Haare.

Rothe Krone gab der Herr dem Kopf,
Streute Perlenschatz dir auf den Kopf,
Flurengrün ist trunken durch den Kopf,
Hyacinthen stauben deinem Kopf.

Gottes Licht strahlt auf von deiner Stirn,
Braucht es wohl des Mond's von Kanaan Stirn?
Gottes Meisterwerk ist deine Stirn,
Alle Schahe dienen deiner Stirn.

Neumond ist Goldringel deinem Ohr,
Sonn' und Stern sind Angehäng' dem Ohr;
Vom Haus' Gottes führt der Weg zum Ohr,
Seel' und Herz sind Perlen deinem Ohr.

Wuchs gerader beugt sich deinen Locken,
Wer gäb' Seele nicht für deine Locken?
Ros' und Veilchen huld'gen deinen Locken,
Ketten Trunkener sind deine Locken.

Ambrabogen sind die Augenbrauen,
Aber ohn' Erbarmniß sind die Brauen,
Gottes Dolmetsch sind die Augenbrauen,
Was man spricht, das nicken deine Brauen.

Pfeil und Dolch sind deine Augenwimpern,
Und entseelen wollen deine Wimpern,
Welch' seltsame Feinde sind die Wimpern,
Heil'ger Schriften kundig sind die Wimpern?

Augenunheil sind uns deine Augen,
Hoher Kenntniß kundig sind die Augen,
Pfade Gottes leiten deine Augen,
Alles gilt mir gleich, doch nicht die Augen.

In ein Dschim
* verlängert ist die Nase,
Buchstab' von der Einheit ist die Nase,
Hai! Hui! widertönt die Nase,
Elemente vier sind deine Nase.

Frischer Rosenzucker sind die Lippen,
Lebensquelles Wasser sind die Lippen,
Ein Rubinengürtel sind die Lippen,
Land und Meer der Seele sind die Lippen.

Zwey und dreyßig Perlen sind die Zähne,
Heil'ge Schrift
** erklären deine Zähne,
In Juwelen sind gefaßt die Zähne,
Gott weiß, daß Erbarmung sind die Zähne.

Sprechende sind Opfer deiner Zunge,
Die Korallen huld'gen deiner Zunge.
Nachtigallen staunen deiner Zunge,
Wissenschaft ist Hüther deiner Zunge.

A B C der Schönheit ist dein Kinn,
Eins und dreyfach ist zugleich dein Kinn,
Herr von Stolz und Grollen ist dein Kinn,
Schah der Schahe bleibet stets dein Kinn.

Silberleiber dienen deinem Wuchs,
Edens Spikenarden weichen deinem Wuchs,
Arm der Hand der Allmacht ist dein Wuchs,
Und das Kleid der Wahrheit ist dein Wuchs.

Beide Welten steh'n in deiner Hand,
Hoch und nieder schaltet deine Hand,
Gramesheilung liegt in deiner Hand,
Grotte Mustafa's ist deine Hand,

Einen Beutel stellet vor die Faust,
Gold und Silber streuet deine Faust,
Siebenmeer entströmet deiner Faust,
Seel' und Leib sind unterthan der Faust.

Sinai erschien mir deine Brust,
Gott erkläret sich in deiner Brust,
Fand als Anka ich den Kaf der Brust,
O so zeig' der Welt die blanke Brust!

Moschusband und Götze ist dein Nabel,
Bescher Dschem's gefüllet ist dein Nabel,
Gläubig und ungläubig ist dein Nabel,
Formen und Gebräuche lehrt dein Nabel.

Edens Genien küssen deinen Fuß,
Himmel sind die Stufen deinem Fuß,
Auf der großen Wallfahrt geht dein Fuß,
Meere gießen Perlen deinem Fuß.

Uns'res Reigens Kreise Schling' in Schling'
Bilden ab den ew'gen Zeitenring,
Denn das Erste, Letzte Gott aufhing,
Mustafa und Ahmed ist Ein Ding.

* Der Buchstabe Dschim
** Die vier Bücher, nämlich: Pentateuch, Psalter,
Evangelium und Koran
 

Der Sohn des Scheich Abapusch, welcher denselben dem Scheiche Fenajidede zum Dienste beygab; schon in seiner Jugend war er in alle Zweige der inneren Wissenschaften und der Vierziger, d.i. derer, die sich vierzigtätige Fasten auferlegen, eingeweiht; eines Tages brachte man dem Vater die Nachricht, daß Sultan Diwani mit allen seinen Brüdern an der Pest gestorben sey; der Vater nahte dem Lager, wo der Sohn für todt lag, mit den Worten: "Stehe auf!" und derselbe gehorchte dem väterlichen Rufe; er schloß sich vierzig Tage mit den Derwischen ein, und ging nach dieser geistigen Quarantaine frisch und gesund hervor. Nach dem Tode seines Vaters, desselben Nachfolger als Sechziger, unternahm er eine Reise nach Persien, um den Diwan Dschelaleddin Rumi's, welcher in die Hände Schah Ismail's gefallen, aus denselben zu befreyen.  Nachdem er seinen Zweck erreicht, wallfahrtete er zu den Gräbern von Mesched Ali und Musa Er-risa in Chorasan, zu denen von Bagdad, ging nach Haleb und von da nach Konia als Vorsteher der Mewlewi am Grabe ihres Stifters Dschelaleddin Rums, wo er den Nahmen Diwani annahm. Er reiste nach Ägypten, um den Scheich Gülscheni aus dem Kerker zu befreyen. Er starb im Rufe wunderthätiger Heiligkeit und als einer der größten Dichter der Mewlewi, welche seine Strophen bey ihren Reigen absingen.

Zu dem obigen Gedicht: der immer vierfach wiederkehrende Reim erhält die Eintönigkeit des heiligen Walzers, in welchem sich die Derwische Mewlewi unter der Begleitung der Flöte langsam fortdrehen. In der Geschichte der persischen Redekünste ist über die symbolische Bedeutung des heiligen Walzers, welcher den Reigen der Gestirne vorstellt, schon das Gehörige gesagt worden; im Schlusse dieses Hymnus aber, der rein mystisch zu verstehen, wird der Reigen in einem sehr erhabenen Bilde als der ewige Zeitenweg vorgestellt, als der Ring der Schöpfung, in welchem überall Gott der Erste und Letzte, und in welchem der Nahme des Propheten Ahmed und Mustafa alles eins.

 

zurück

Literatur:
Geschichte der Osmanischen Dichtkunst
bis auf unsere Zeit
Mit einer Blüthenlese aus zweytausend, zweyhundert Dichtern
von Hammer-Purgstall
Zweiter Band (von der Regierung Sultan Suleiman's des Gesetzgebers
bis zu der Sultan Murad's III. 1521-1574)
Pesth, 1837
Conrad Adolph Hartleben's Verlag