Emma Reichel (Ps. Edela Rüst) (1857-1931) - Liebesgedichte




Emma Reichel (Ps. Edela Rüst)
(1857-1931)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Dein Handkuß

Du hast mich geküßt mit einem Kuß –
er traf nur meine Hand
verstohlen in schwül feuchter Sommernacht,
als mein Herz sich zu Deinem fand.

Es hat geküßt wohl so mancher Mund
mir die Lippen in wilder Begier;
doch keiner that so seine Qualen kund
wie jener Handkuß von Dir.

Und such ich mein einsames Lager auf
und denke der Not, die uns trennt –
dann drück ich die Lippen auf meine Hand,
wo das Flammenmal ewig brennt.
(S. 197)
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Ich sehne mich nach Dir!

Ich sehne mich nach Dir, nach Deiner Nähe,
Nach Deinem Blick, der lächelnd mich umfängt,
nach Deiner Stimme, die mich lind umschmeichelt,
nach Deinem Mund, der stumm zu meinem drängt -
ich sehne mich nach Dir!

Ich sehne mich nach Dir, nach Deiner Nähe,
nach letzter Wonne, zu der Liebe drängt,
bis Leib und Seele, leidenschaftumschmeichelt,
von Dir den stolzen Werde-Kuß empfängt - -
ich sehne mich nach Dir!
(S. 197-198)
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Wie trocknen Augs. . .

Wie trocknen Augs den Tag durchweint ich hab,
wälz ich des Nachts mich schluchzend in den Kissen
und übersinn, was mir das Leben gab
an herben Qualen und an Bitternissen.

Ich schau dem Wahnsinn in sein wüst Gesicht,
er wühlt in meinen blutenden Geweiden – –
und dann bist Du es, doch Du kennst mich nicht
und sprichst zu mir von Deinen tiefen Leiden.

Du sprichst zu mir von einer schwarzen Schuld,
wie sie Dich endlich in den Tod getrieben.
Du sprichst zu mir von eines Weibes Huld
und ihrem treuen, sonnig-heißen Lieben.

Und Deine Finger krallen zuckend sich
in meine blassen todeswunden Brüste,
und Deine Lippen küssen brennend mich –
es rast durch Deinen Leib ein wild Gelüste. – –

Ich leg aufs Haar Dir segnend meine Hand
und weine still ins Ohr Dir: ich verzeihe . . . .
Da bist Du fort – es stöhnt nur durch die Wand
ein bangverhallend, ächzend Wehgeschreie.
(S. 198-199)
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Sturm

Daß ich nicht durch die Wände
bohre in lohender Wut!
Daß nicht die zuckenden Hände
zerfleischen mich bis auf's Blut!

Daß ich die Fäuste nicht rege,
mir zu zerschmettern das Haupt,
seh ich verschüttet die Stege,
wo ich zu wandeln geglaubt.

Daß ich ihn lachend ertrage
jeden neugähnenden Tag –
wehrlos allnächtlich mich frage,
was wohl noch kommen mag?

Daß ich nicht krallend es packe
ganz dieses ekele All
und es in Stücke hacke
türmend vor mir den Wall!

Harrend der letzten Posaune,
die dem Vandalen flucht – – –
die Hölle erschloß sich in Laune,
den Himmel hab ich gesucht!
(S. 199-200)
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Der Flecken auf der Ehr

"Sie hat'n Flecken auf ihrer Ehr!"
Betrog sie? Hat sie gemordet in Wehr?
Münzte sie falsch, hat sie Meineid geschworen
Und Schafe fremder Herden geschoren?
Hat sie gesengt, gebrandschatzt, gehetzt
oder vor Gläub'gen den Heiland zerfetzt?
Nahm sie den Ärmsten der Armen das Brot,
trieb sie Hohn mit sozialer Not?
Hat sie gehehlt oder erbgeschlichen?
War sie, das Land zu verraten, entwichen?
Zielte sie nach gekröntem Haupt?
Hat sie dem Papst die Kirche geraubt?
Sie hat – wofür es Pardon nicht giebt –
sie hat es verbrochen: sie hat geliebt!
(S. 200)
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Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt Berlin Hermann Costenoble 1902

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Emma_Reichel



 

 


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