Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Heute ist der Tag der Freude,
Heuer ist das Jahr der Rose;
Wohl ergeht's uns; d'rum ergeh' es
Wohl auch immerdar der Rose!

Sieh, des Freundes Rosenwange
Lieh der Rose ihre Hilfe:
Unser Auge wird nun nimmer
Schauen die Gefahr der Rose.

Trunken sind Narcissenaugen,
Und es lacht der Mund des Gartens,
Denn es zeigt die Pracht und Anmuth
Sich nun offenbar der Rose.

Liljen öffnen ihre Zungen,
Und vertrau'n Cipressen-Ohren
Jener Nachtigall Geheimniss,
Die die Freundin war der Rose.

Uns zu Liebe hat die Rose
Ihre Kleider nun zerrissen:
Gleiches thun wir bei der Hoffnung
Die die Lust gebar der Rose.

Jener Welt entspross die Rose;
Diese Welt erfasst sie nimmer;
In der Welt der Traumgebilde
Stellt kein Traum sich dar der Rose.

Eine Bothin ist die Rose,
Von der Seelenflur gesendet,
Und man wird den Brief der Schönheit
In dem Bild gewahr der Rose.

Lasst der Rose Saum uns haschen,
Lasst uns mit der Rose ziehen,
Tanzend mit dem Stamm und Zweige,
Jenem Stützenpaar der Rose:

Stamm und Zweig der Rose tränket
Mustafa's erhab'ne Gnade,
Der zum Vollmond schafft den Neumond
In dem Bilde klar der Rose.*

Leben gebt ihr ihm, und schenket
Immerdar ihm neue Schwingen,
Mögt ihr noch so oft die Schwingen
Rauben jenem Aar der Rose.

Gleich dem Doppelpaar der Vögel,
Die einst Gottes Freund belebte,**
Keimet, auf den Ruf des Lenzes,
Neu empor das Haar der Rose.

Theurer Lehrer! Schweig' und schliesse
Knospenähnlich deine Lippe:
Magst im Schatten heimlich lächeln,
Ruhend am Altar der Rose.

* Zum Vollmond der ganzen Rose, den Neumond der Rosenblätter.

** Abraham, Chalil, d.i. der Freund Gottes genannt, bildete vier Vögel
aus Thon, die er mit seinem Hauch belebte.
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