Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Welch' eine Werkstatt ist's,
Die du gehegt im Herzen?
Und welche Götzen sind's,
Die du gepflegt im Herzen?

Es kam der freud'ge Lenz,
Es kam die Zeit der Saaten;
Wer weiss es, welches Feld
Du hast geegt im Herzen?

Den Flor der Heiligkeit,
Der Aeusseres verhüllet,
Gelüftet hast du ihn,
Und weggelegt im Herzen.

Der Fuss des Suchers steckt
Tief in des Schlammes Gründen;
Das Haupt füllt Weindunst ihm,
Der sich geregt im Herzen.

Weit höher steht das Herz
Als selbst des Himmels Zinne;
Sonst würde nimmer dir
Der Mond bewegt im Herzen.

Es mag des Menschen Herz
Wohl eine Hauptstadt heissen:
Du bist's, der immerdar
Die Krone trägt im Herzen.

Das Herz, o Seele, ist
Ein Wunderforst zu nennen:
Du bist's, der Könige
Als Wild erschlägt im Herzen.

Das Meer des Herzens treibt
Wohl tausend hohe Wogen
Voll Perlen, wie man sie
Nur stets erfrägt im Herzen.

Es schweiget jetzt mein Mund;
Zu eng ist der Gedanke
Für jenes Herzensbild
Das du geprägt im Herzen.

Bis die Sonne nicht ihr hehres
Lichtgezelt hat aufgeschlagen,
Wird der Ring der Tagesvögel
Seinen Flug wohl nimmer wagen.

Tulpen sprossen aus der Erde
Durch der Sonne Feuerblicke;
Und wer jetzt im Hause weilet,
Fördert selbst sein Missgeschicke.

Sieh, das Blut der Morgenröthe
Ward vom Sonnenschwert vergossen:
Recht ist's, wenn das Blut von tausend
Morgenröth'gen ihm geflossen.

Liebender, erschliess' dein Auge,
Blick' empor zum Seelenreiche!
Ach, er gleicht dem vollen Monde,
Während ich dem Neumond gleiche.

Immer beut er mir den Becher,
Dem der Dauer Glück entquillet,
Und durch seines Bechers Gnade
Ward ich, Flaschen gleich, gefüllet.

Schlaferfüllten Auges sprach ich:
»König, sieh die Nacht erscheinen!«
»Nacht vor deinem Antlitz - sprach er -
Doch unmöglich vor dem meinen

Graut der Morgen, weiss noch Niemand
Was vom Tage sei zu halten;
Doch im hellen Mittagsglanze
Kann der Zweifel nimmer walten.

Blicke auf die Seelensonne,
Scharfen Auges, voll Vertrauen;
Wenn du von mir dich gewendet,
Wirst die Schönheit du erschauen.

In dem Glanze seiner Scheibe
Prangt der Glaubenssonne König;
Er, die Zier von Tebris' Fluren,
Dem das Glück ward unterthänig.

Deine glanzerfüllte Schönheit
Raubt mir den Verstand, o Herz!
Und ich nenne dich ein Kunstwerk
Aus des Schöpfers Hand, o Herz!

Tausend Sonnen, tausend Augen,
Tausend Fackeln dienen dir:
Dunkel ist vor deinem Strahle
Selbst der Seelen Land, o Herz!

Grenzen gibt es, die die Schönheit
Nicht zu überschreiten wagt;
Doch die deine hat wohl nimmer
Grenzen anerkannt, o Herz!

Sanfte Peris, wilde Dive
Harren knechtisch deines Wink's;
Engel, Sterne, Himmel biethen
Dir der Treue Pfand, o Herz!

Welchem Herzen hast du nimmer
Aufgedrückt der Liebe Maal?
Welchem Maal versagst du jemals
Heilenden Verband? o Herz!

Alle ew'gen Schätze stehen
Unter deinem Machtgeboth,
Und du wahrst auch ird'sche Schätze,
Reich an Unbestand, o Herz!

Nicht entziehe den Verbrannten
Deinen Blick; denn sieh, dein Blick
Kühlt und labt gleich Kevser's Quelle,
Heilet jeden Brand, o Herz!

»Jener Mond - so sprach ich - gleichet
Tebris' hellem Sonnenlicht.«
Doch das Herz sprach: »Nein; denn Beide
Trennt ein weiter Rand, o Herz!«
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