Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Du o Freund der eig'nen Wahl, wie find' ich dich?
Herz, das mir das meine stahl, wie find' ich dich?
Immer suchst du meinen Werken zu entflieh'n:
In den Werken sonder Zahl, wie find' ich dich?

Du versprachst mir Manches ach, und Nichts geschah;
O mein Götze, dieses Mal wie find' ich dich?
Wird sie lange währen noch der Fremden Pein?
Ohne Fremde in dem Saal wie find' ich dich?

Der du der Verliebten Hülle hast zerstückt!
Du verhüllst dich mir zur Qual: wie find' ich dich?
Du, vor dessen Wange sich die Rose schämt!
In dem duft'gen Rosenthal, wie find' ich dich?

Bosheitsaugen gibt's, o Herz, wohl wen'ge nicht;
Sprich so viel nicht, Ideal! wie find' ich dich?
Der dein Antlitz nicht geschaut im süssen Schlaf,
Wachet seltsam allzumal; wie find' ich dich?

Tebris' Sonne fand fürwahr dein Strahlenlicht:
Doch in jenes Lichtes Strahl wie find' ich dich?
Mein Herz, ich warf es hin auf meines Freundes Bahn,
Und füllte diese Welt mit meinen Klagen an.

Das Ordenskleid, den Teppich und den Rosenkranz,
Ich weihte sie nunmehr der Schenke gar und ganz.
In's thränenvolle Herz warf ich den Feuerbrand,
Und schleuderte den Streit in der Verliebten Land.

Vom Armuthsbogen riss den Kenntnisspfeil ich los,
Und warf ihn schwirrend dann in seines Zieles Schoos.
Ich wählte mir das Mark des Koran's zum Gewinn,
Und warf die leere Haut dem nieder'n Pöbel hin.

Die Güter dieser Welt sind nichts als ekles Aas:
Diess ekle Aas, ich warf's den Hunden vor zum Frass.
Kleid, Turban, Wissenschaft, der Meinung streitend' Wort,
In's Wasser warf ich sie, die Welle spült sie fort.

Tebrisens Sonne sprach diess Wort mit klugem Sinn:
Dem Seelen-Molla warf ich schlau ein Räthsel hin.
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