Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Weh ruf' ich über deine Hand,
Das trunk'ne Aug', den Lippenbrand;
Du, dem kein Herz noch widerstand!
Weh ruf' ich über deine Hand.

Tag's gräm' ich mich, denn du willst flieh'n,
Nachts muss ich stets in Feuer glüh'n,
Und schwere Trennungsbürden zieh'n;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Wie oft war Täuschung schon mein Loos,
Wenn meines Herzens Blut dir floss!
Du floh'st aus meiner Liebe Schoos:
Weh ruf' ich über deine Hand.

Stets grausam gegen mich und hart,
Hast Huld für And're du gespart:
Was zwang dich zu so schnöder Art?
Weh ruf' ich über deine Hand.

Du bist ein holdes Liebchen, traun!
Du gehst und willst mich nimmer schau'n;
Gleichgültig ist dir mein Vertrau'n;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Mein Liebesfuss steht festgebannt,
Zerstückt ist meines Herzens Wand,
Zerrissen meiner Seele Band;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Die Nacht hab' klagend ich durchwacht,
Hab' mein Geheimniss kund gemacht,
Und Streit auf Erden angefacht;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Sieh, wie mein Herzblut sich verzehrt,
Mein Schicksal jeden Trost's entbehrt,
Mein grader Wuchs sich erdwärts kehrt!
Weh ruf' ich über deine Hand.

Ich dulde, quälst du noch so viel;
Ich trinke Gift, wenn's dir gefiel;
Ich steh' dir gern als Unglücksziel;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Weil ich nur suche Schmerz und Pein,
Schlag' ich die Bahn der Treue ein;
Wohin ich gehe bin ich dein;
Weh ruf' ich über deine Hand.

Mein Geist ist Tebris' Sonnen-Aar,
Und meine Treue rein und wahr;
Du wiederhole immerdar:
»Weh ruf' ich über deine Hand.«
___________
 

 

zurück zum Verzeichnis