Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Komm' Seele, wenn der Tag entschwand,
Nachts in der Trunkenen Pallast;
Sei, bei Bekannt und Unbekannt,
Von Nacht zu Tag ein theurer Gast!

O Joseph, reich an Schönheitsmacht,
Entschwinde Jacob's Blicken nicht!
Zur Kraftnacht* schaffe diese Nacht,
Und sei des Trauerhauses Licht!

Uns Sündern schenke Gnad' und Huld,
Uns Nackten gib ein Ehrenkleid,
Uns Schwachen Stärke und Geduld,
Uns Kranken Trost in Schmerz und Leid!

Uns Frevlern sei des Glaubens Bild,
Uns Schuld'gen zeig' dich gnadenreich,
Uns Blinde leite sanft und mild,
Ein Himmelskind, dem Risvan gleich,

Als Wächter schlage kühn und frei
Auf jenes geist'ge Trommelfell;
Um Dive zu vertreiben, sei
Ein Satan, schleudernd Sterne hell.**

Der Seele Nacht weicht deiner Macht,
Wenn hold bei uns der Vollmond wohnt;
Komm' lichte Seele dunkler Nacht,
Komm' und erglänze, heller Mond!

Schweig', o beklemmtes Herz, und sprich
Von Recht und Unrecht nimmermehr:
Verschliess' den Mund und berge dich:
Klar und verborgen ist nur Er.

* Die Nacht der Kraft (Kadr), in welcher die Koran-Blätter vom Himmel
gesendet worden, und welche besser als tausend Nächte, wie es im Koran heisst.

** Die Meteore, fallende Sterne genannt, wurden, nach den Musulmanen,
vom Himmel geschleudert, um die denselben belagernden Dive zu vertreiben.

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