Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Musulmane, hört es, hört! Ich habe
Einen Räuber aus dem Türkenland,
Der durch seines selt'nen Muthes Gabe
Eine Schaar von Löwen überwand.

Wenn er kräftig seinen Bogen spannet,
Bebt des Herzens stilles Paradies,
Und es stürzt, von Schrecken übermannet,
Mond und Sohre von des Himmels Fries.

Was ich fühle, heisst den Menschen Liebe:
Doch mir heisst es harte Seelenpein;
Süsse Schmerzen, sind es, Wundertriebe,
Die allein doch Ruh' und Trost verleih'n.

Lässt er mir die schöne Wange sehen,
Weicht das Dunkel und die finst're Nacht;
Lässt er seine duft'gen Haare wehen,
Schwindet Christenthum und Glaubensmacht.

Eifersucht spricht immer: »Sei gelassen,
Ist die Seele theuer dir und werth:«
Doch die eig'ne Seele könnt' ich hassen,
Hätt' ich solchen Gleichmuth je genährt.

Wen zum Wahnsinn Liebe hat getrieben,
Nagt verzweifelnd an der Kette Rand;
Gleiche Freiheit ist auch dir geblieben,
Und du nagst mit Recht am Kettenband.

O Medschnun! Sprich vom geheimsten Glücke;
Fürchtest du die Feinde des Gelags?
Himmel, reisse dein Gewand in Stücke!
Harrst du etwa erst des jüngsten Tags?

Deine Triebe, wenn sie Raum nicht fänden
Aufzufliegen in der ird'schen Burg,
Mögst du auf den Caf der Nähe senden,
Denn du bist ja Anca und Simurg.

Willst du dass ich Wahrheit dir vertraue?
Reiche mir der Mannheit Becher dar;
Willst du dass den rechten Pfad ich schaue?
O so komme, helles Augenpaar!

Leben musst du immerdar im Feuer,
Wie der Mond, ist seine Scheibe voll,
Wenn der Sonnen Sonne lieb und theuer,
Wenn sie hold und werth dich finden soll.

Sieh' die Gierigkeit der Leidenschaften,
Sieh' die Leidenschaft der Gierigkeit;
Keine dürfe jemals an dir haften,
Trägst du je mit uns dasselbe Kleid.

Lob sei Gott! Als Sclave hält gefangen
Mich ein Türke, der dem Monde gleicht,
Der der Himmelsmädchen zarten Wangen
Gaben seiner Schönheitsfülle reicht.

Sieh' den Mund der Liebe mich verhöhnen
Sage ich, er sei aus türk'scher Flur.
Nur sein Odem heisst die Flöte tönen,
Und ich bin die stumme Flöte nur.

Kann die arme Flöte anders klagen
Als des Flötenspielers Odem weht?
Sieh' zerstückt die Flöten und zerschlagen,
Wenn dein Fuss am finstern Grabe steht.

Wenn des Flötenspielers Hauche schwinden,
Muss der Flöte Sprach' und Seele flieh'n;
Beide scheinen schweigend zu verkünden:
»Unser Ich und unser Wir ist hin!«
___________
 

 

zurück zum Verzeichnis