Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Du mein Meister, du mein Jünger,
Der mich Schmerz und Trost lässt finden,
Ja du bist - lass' mich's verkünden -
Meine Sonne und mein Gott!

Hast zum Rechte mich geleitet,
Gabst die Wahrheit mir zu eigen;
Nun will dankbar ich mich zeigen,
Meine Sonne und mein Gott!

Vor dir ward ich ganz zu Nichte,
Nimmer schaut man meine Tritte,
Doch so heischt es fromme Sitte,
Meine Sonne und mein Gott!

Kann des treuen Engels* Flügel
Jene hohe Kraft erreichen?
Doch er bringt von dir uns Zeichen,
Meine Sonne und mein Gott!

Dir, o König beider Welten,
Will ich mit Entzücken sterben,
Deinen Blick mir zu erwerben,
Meine Sonne und mein Gott!

Wenn der Blitz durch tausend Jahre
Saaten senget in die Runde,
Bringt er doch von dir nicht Kunde,
Meine Sonne und mein Gott!

Wolke, komm'! Lass' deinen Regen
Ostwärts stets und westwärts thauen;
Stosst in's Horn! Bald lässt sich schauen
Meine Sonne und mein Gott.

Fort mit Huris und Pallästen
Aus des Paradieses Hainen!
Bald wird auf dem Thron erscheinen
Meine Sonne und mein Gott.

Meine Caba, meine Kirche,
Himmelslust und Höllenplage;
Du Gefährte meiner Tage,
Meine Sonne und mein Gott!

Issa starb, wenn gleich sein Odem
Leben einst dem Tod gegeben:
Doch du bist das ew'ge Leben,
Meine Sonne und mein Gott!

Hatem Thai** o sprich, wo weilt er?
Deine Bügel soll er küssen,
Ist er noch so huldbeflissen,
Meine Sonne und mein Gott!

Meine Stimme, Rum durchtönend,
Schallt von Balch's entfernter Pforte:
Sind es doch des Meisters Worte,
Meine Sonne und mein Gott!

* D.i. Gabriel

** Ein vor dem Islam lebender Araber, dessen fürstliche Freigebigkeit
zum Sprichworte geworden.
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