Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Vinzenz von Rosenzweig 1838)



Du, der als Seele sich im Aug' mir reget,
Du wohnst im Innersten der Seele mir,
Bist die Cipresse die sich hold beweget,
Bist meines Gartens Stolz und höchste Zier.

O eile nicht! Willst ohne mich du eilen?
O Seele, eile ohne Körper nicht!
Lass' ferner noch mein Auge auf dir weilen,
O du mein glanzerfülltes Fackellicht!

Die sieben Himmel reiss' ich, traun! in Stücke,
Die sieben Meere überschreit' ich kühn,
Willst du mit deinem liebevollen Blicke
Die wonnetrunk'ne Seele mir durchglüh'n.

Seit hold dein Liebreiz mir im Arme lachte,
Fröhnt mir der Glaube wie der Ketzerwahn:
Denn sieh, ich bete, wenn ich dich betrachte,
Und glaube, seh' ich deine Züge an.

Du stürztest mich in Schmerz und bittern Jammer,
Mich ficht nun Schlaf und Speise nimmer an.
O komm' berauscht und freundlich in die Kammer,
Mein schöner Joseph du aus Canaan!

Durch deine Gnade hast du mich beseelet,
Und ich, ich hüllte vor mir selbst mich ein;
O Theurer, dessen Daseyn sich verhehlet
In meinem eigenen verhüllten Seyn!

Um dich zerreisst die Rose ihre Hülle;
Narcissen-Augen lässt du trunken seyn,
Und schwängerst Zweige mit des Segens Fülle,
O du mein unermess'ner Gartenhain!

Bald sengst und brennst du mich durch Feuermaale,
Bald führst du mich nach holden Gärten hin,
Bald schleppst du mich vor einer Fackel Strahle,
Um mir das Licht der Augen zu entzieh'n.

Vor allen Seelen du mir theure Seele,
Vor allen Schachten du mein reicher Schacht!
Du bist es, den vor Allen ich erwähle,
Du, dessen Anmuth mir so freundlich lacht!

Mein Wohnort ist nicht in des Staub's Gewimmel;
Was wär's, zerriebe auch der Leib sich hier?
Ich denke nimmer an die Lust der Himmel,
Denn liebst du mich, bist du Saturnus* mir.

Dient' auch zum Schiffe mir ein Sarg; vergebens!
Vergebens, stiess' in's Meer mich ein Orkan!
Wo ist der Tod im Quell des ew'gen Lebens?
O du mein Meer, o du mein Ocean!

Du, der mir Wohlduft auf die Bahn gesendet,
Du, der stets gleichen Weges schritt mit mir!
Dem Duft, der Farbe, die mein König spendet,
Weicht jeder Duft und jede Farbe hier.

Sieh meine Seele als ein Stäubchen schweben,
Mit keiner Bürde drückend mehr belegt.
Kann ohne dich wohl ein Warum es geben?
Du Pfeiler, der die Elemente trägt!

O Glaubenshort, o mein geliebter König!
Du siehst und kennst mein Ziel zu aller Zeit;
Doch meine Dauer kümmert dich wohl wenig,
Erhab'ner über Macht und Möglichkeit!

* Das heisst: Mich gegen jede Gefahr beschützend. Der Planet Saturn
wohnt im siebenten Himmel, in einem hohen, unbezwingbaren Schlosse,
wie bereits erwähnt.
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