Das Sonntagsgedicht

Geistliche Gedichte deutscher Dichterinnen
(vom 14. März 2010)

(c) Gerd Altmann Pixelio.de




Marie Ihering
(1852-1920)
 

In kleinmüthiger Stunde


Dir wollt' ich kindlich schweigen,
O Herr, mein Fels und Hort!
Demüthig mich dir neigen,
Ergeben deinem Wort:-
Doch ach! - weicht nimmer Qual und Leid,
Bleibt fern Genesung weit so weit, -
Dann um die Wimper zuckt der Schmerz
Und Kleinmuth schleicht in's bange Herz.

Mit duft'gen Blüthenschwingen
Zog Lenz um Lenz vorbei, -
Für mich nur Dulden, Ringen
Im wonnereichen Mai! -
Und wieder sprossen Berg und Thal,
Bald grünt und blüht es allzumal,
Doch, wie des Herzens Sehnsucht glüht,
Im Zimmer nur mein Frühling blüht! -

Hinaus, hinaus in's Freie
Lockt Lerchenschlag und Grün,
MIt höchster Lust auf's Neue
Will uns Natur durchglüh'n:
Beseligt jauchzt das Glück hinein
In Lenzesduft und Sonnenschein,
Und um die schmerzumwallte Gruft
Weht tröstend Auferstehungsduft.

O laß dein Frühlingsrauschen
Auch mich, o Herr, durchweh'n!
Nur einmal laß mich lauschen
Der Schöpfung Aufersteh'n!
Nur einmal die gesunk'ne Kraft
Nach langer, schwerer Zimmerhaft
Erfrischen in der Lüfte Quell
Und Labsal schlürfen rein und hell!

Gesundheit, Himmelsgabe,
Ja, mög'st nach höherm Rath,
Nur etwas, bis zum Grabe,
Du lichten meinen Pfad!
Nur etwas, etwas Sonnenschein!
Doch, Herr mein Gott, soll es nicht sein –
Dann gib im Leid das einz'ge Glück,
Gib die Ergebung mir zurück!

 

 
 


Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 386)

Bild: (c) Gerd Altmann Pixelio.de




 


 

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