Das Sonntagsgedicht

Geistliche Gedichte deutscher Dichterinnen
(vom 24. Oktober 2010)

(c) Gerd Altmann Pixelio.de




Elisabeth Barbara Wüstemann
(?)


Vom ewigen Leben

Mel.: Gecreutzigter, mein

Immanuel, mein Seelen-Licht,
Mein holdes Lamm, mein wahres Leben!
Wann schau ich doch dein Angesicht?
Wann wilt du mir das Erbe geben,
Dort oben, wo Freude und Wonne zugleich
Uns werden ergreifen im himmlischen Reich?

Wie lang soll denn das Jammerthal
Mich noch in seine Gränzen schliefen?
Mein Geist ringt nach dem Sternen-Saal,
Wo die Christalnen Ströme fliesen.
Er dürstet nach solchen und will nur allein
In Häusern des Friedens unausgesetzt seyn.

Mein Vater-Land, dein Canaan,
Liegt mir schon immer in Gedancken;
Drum streck ich alle Kräfte dran,
Den Lauf zu enden in den Schrancken.
Das Heim-Weh ist billig, das Wallen ist schwer,
Ach! daß ich bey denen Erlöseten wär!

Jerusalem, die Mutter-Stadt,
Hat mir das Herz ganz eingenommen,
Dieweil sie lauter Schätze hat,
Die wir hierunten nicht bekommen:
Mein Salem hat Reichthum, der nimmer vergeht,
Unendliche Wollust, die ewig besteht.

Die Friedens-Burg weiß nichts von Streit,
Die Liebe kann dort triumphieren;
Denn in der stillen Ewigkeit
Sind keine Feinde mehr zu spüren:
Wir liegen dort sanfte der Weißheit im Schooß,
Die Ruhe bleibt ewig das lieblichste Looß.

Das Hochzeit-Hauß, der Freuden-Saal,
Glänzt von den schön-erwehlten Steinen,
Die Kinder Zions allzumal,
Die werden dort im Glanz erscheinen,
Mit Kronen gezieret, sehr herrlich geschmückt,
So daß mich ihr Anblick von ferne erquickt.

Der schönste Ort, das liebe Land,
Trägt lauter edle Lebens-Früchte,
Die werden uns dort recht bekannt
Vor unsers Heilands Angesichte:
Er selbsten führt solche den Schaafen zum Mund,
Die Blätter die machen die Heyden gesund.

Dort schwimmen wir im Freuden-Meer,
Die Trübsals-Wellen sind verschwunden,
Das ganze Seraphinen Heer
Bleibt ewiglich mit uns verbunden.
Wir stimmen zusammen die Harfen mit Fleiß
Und singen das Lob-Lied dem Höchsten zum Preiß.

Das Paradieß, die Lust-Revier,
Diß Eden voller Lieblichkeiten,
Der Perlen-Thore Schmuck und Zier,
Das Jubel-Jahr, die güldnen Zeiten,
Die reitzen mir stündlich Herz, Seele und Sinn,
Mich aufwärts zu schwingen zum Himmlischen hin.

Immanuel! so bitt ich dich,
Mach mich getreu, bis an das Ende,
Damit ich alsdenn seliglich
Den schönen Glaubens-Kampf vollende
Und endlich das lieblichste, herrlichste Reich
Mit deinen Genossen ererbe zugleich.




                                                    


Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 391)

Bild: (c) Gerd Altmann Pixelio.de




 

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