Das Sonntagsgedicht

Geistliche Gedichte deutscher Dichterinnen
(vom 11. Oktober 2009)

(c) Gerd Altmann Pixelio.de




Malwine Peisker
(um 1858-1884)
 

Ein Sonntagmorgen im Gebirge


Wie lösest du die Seele doch vom Staube
Des Weltgewühls, du gottgeweihter Tag!
Des Thaues Demant glänzt auf grünem Laube
Und Stille herrscht, wohin ich schauen mag.
Auf Aetherschwingen zieht herab der Glaube
Und neu belebet sich des Herzens Schlag. –
Vom Markt des Lebens gänzlich abgeschieden,
Zieht mit der Andacht in die Brust der Frieden.

Wie eine Urkraft nur das Weltall leitet
Und schöne Harmonie in's Ganze webt,
Wie eine Sonne Strahlen nur verbreitet
Und eine Welt erleuchtet und belebt,
Und wie ein Himmel über uns sich weitet,
Zu dem voll Sehnsucht jedes Aug' sich hebt:
So kann des Friedens Anker in dem Leben,
In Sturm und Kampf, allein der Glaube geben.

Ich wandle einsam auf der Berge Höhen
Und schau' entzückt hinab in's schöne Thal,
Voll Staunen seh' ich Bild um Bild entstehen,
Vergoldet von der Morgensonne Strahl,
Und bei der Bergeslüfte reinem Wehen
Weicht jeder Gram, der in das Herz sich stahl:
Ich seh' die Welt verklärt, den Himmel glühen,
Und nichtig dünkt mir Erdenleid und Mühen.

Weicht, ihr Gedanken, die mich niederdrücken!
Frei athm' ich auf am Busen der Natur
Und fühl', in nie empfundenem Entzücken,
Des Lebens Fülle, Lebens Freude nur.
O, könnt' ich alle Traurigen beglücken
Und leiten sie auf gleiche frohe Spur!
Ihr sucht den Trost im Weltgewühl vergebens:
Hier findet ihr die Quelle neuen Lebens!

Hinauf den Blick! es zieht ein selig Ahnen
Von dort herab, das jede Sorge bricht.
Schau klar um dich! Merkst du das leise Mahnen,
Mit dem Natur zum Menschenherzen spricht? –
Folg' ihm, es weiset dir die rechten Bahnen
Zu dem erhab'nen Ziele, schön und licht.
Nur Muth! Gott, der das große All vollendet,
Hat auch sein Vateraug' dir zugewendet.

So weih' den Menschen deines Herzens Triebe,
– Wie oft du auch getäuscht – von Neuem ganz:
Es keimt aus so selbstloser treuer Liebe
Allein des Erdenglückes Blüthenkranz.
Du wärest arm, wenn leer das Herz dir bliebe,
Wie reich du auch umstellt von ird'schem Glanz.
Wie viel du durch die Menschen immer leidest,
Du leidest mehr, wenn du von ihnen scheidest!

Hinauf den Blick und vorwärts denn zum Ziele!
Von frischem Muthe fühl' ich mich entbrannt;
Wohl giebt zum Glücke es der Wege viele,
Nur daß mein blödes Aug' sie nicht erkannt.
Pflicht sei es mir im bunten Lebensspiele
Zu gehen mit den Brüdern Hand in Hand.
Du, Herr der Allmacht, sei mit meinem Ringen
Laß siegreich aus dem Kampf zum Licht mich dringen!


 


Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 342-343)

Bild: (c) Gerd Altmann Pixelio.de




 

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