Das Sonntagsgedicht

Geistliche Gedichte deutscher Dichterinnen
(vom 17. April 2011)

(c) Gerd Altmann Pixelio.de




Betty Fischer
(1829-1907)


In der Passionszeit


Mein Gott, ich kann nicht traurig steh'n,
Selbst nicht in diesen Zeiten,
Darinnen wir Dich leiden seh'n
Und Dich zum Kreuz begleiten.
Gedenk' ich Dein, so schwillt mein Herz,
Und wächst in hoher Wonne,
Wie eine Blume himmelwärts
Im Glanz der warmen Sonne.

Dein Ruhm, der heil'ge Dornenkranz,
Hält schön Dein Haupt umfangen,
Der Blut- und Thränenperlen Glanz
Ist Zierde Deiner Wangen,
Und in den Händen, welche ließ
Die Lieb am Kreuz durchbohren,
Da liegt das neue Paradies
Der', die das Heil verloren.

Mein Gott, wie hat Dein Herz gebrannt!
Du hast Dich lassen küssen
Von Judas und ihn "Freund" genannt,
Um unsern Stolz zu büßen;
Nicht ihn, doch mich hast Du gerührt,
Und viele Weltbethörte
Mit solcher Huld zurückgeführt
Zu Deiner Hürd' und Heerde.

Ich seh' Dein Kreuz und Deinen Thron,
Auf dem Du triumphirest,
Und Deine Schmach und Deinen Lohn,
Die Schar, die Du regierest:
Du hast ein Volk, Du hast auch mich,
Du giebst auch mir das Leben,
Imanuel, so will ich Dich
Mit Deinem Volk erheben!

Sie wollten in der Oede eh'
Verhungern und erfrieren,
Als ihren König in der Höh'
Verleugnen und verlieren,
Der sie mit dem zusammenschließt,
Der einzig bleibt und währet,
Wenn Alles schwindet und zerfließt
Und stirbt und sich verzehret.

Du senkst Dich ein in ihr Gemüth
Und läßt sie Dein genießen,
Daß sie von Deiner Gnad' und Güt'
Lobsingend überfließen;
Du lebst und webst in ihrem Sinn,
Die Deine Pein erworben;
Du willst es, daß ich selig bin,
Dazu bist Du gestorben.

Du machst, daß ich mich ganz und gar,
Erbarmer, Dir ergebe,
Wie elend auch und Ruhmes bar,
In selger Hoffnung lebe,
Bis Du zu Deiner Lämmer Zahl
In Deinen Schloß gesammelt
Auch mich, die noch im Thränenthal
Dir Dank und Liebe stammelt.

Müßt' ich um meine Sünden gleich
Wie todt darniederliegen,
Ach, Deine Liebe ist so reich,
Sie muß ja überwiegen;
Dein Kreuz strahlt in die Welt hinein
Und ist Dein Thron hinieden,
Mein Gott, ich kann nicht traurig sein,
Du schenkst so süßen Frieden!

Wie schön auch Wald und Blüthenduft
Und Meere, Bach und Auen,
Wie schön durch reine Bergesluft
Weit in die Lande schauen,
Wie schön der Erde bestes Theil,
Ein treues Herz umschließen,
Ein Schatten ist's vor solchem Heil:
Der Gnade Gruß genießen.

Dir müssen jubelnd Nacht und Tag
Der Sel'gen Lieder schallen,
Ein schwaches Echo hallet nach
Von uns, die müde wallen;
Wir kennen, die uns droben blüht,
Jerusalem, die schöne,
Und mischen unser Reiselied
In ihre Jubeltöne.

Mein Gott, ich bin auf Golgatha
Zu Füßen Dir gesunken
Und sahe Dich und wurde da
Von Deiner Güte trunken.
O Liebe, die zu lieben zwingt,
Wie soll ich Dich erheben?
Nimm, bis mein Todtenglöcklein schwingt,
Gut, Blut und Leib und Leben.




                                                    


Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 298-299)

Bild: (c) Gerd Altmann Pixelio.de




 

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