Das Sonntagsgedicht

Geistliche Gedichte deutscher Dichterinnen
(vom 25. Oktober 2009)

(c) Gerd Altmann Pixelio.de



 

Juliane Veillodter
(1767-1808)

Morgenlied


Wie schön aus dunk'ler Hülle
Der junge Tag sich hebt!
Wie sich die öde Stille
Allmächtig neu belebt!
Wie ist im Morgenkleide
So lieblich die Natur!
Sie athmet neue Freude,
Fühlt ihres Schöpfers Spur.

Bei dieser Morgensonne
Erquickend mildem Schein
Gedenkt mit stiller Wonne
Auch meine Seele dein.
In andachtsvoller Feier
Hebt sich der Blick zu dir;
Wie bist du mir so theuer,
So nah', mein Vater, mir!

Mir hat den süßen Schlummer,
Der still Erquickung reicht,
Kein Schmerz, kein banger Kummer
Vom Auge weggescheucht.
Von deinem Schutz umgeben,
Durch deine Huld bewacht,
Ward Stärkung mir gegeben
Im dunkeln Schooß der Nacht.

Im frohen Kreis der Liebe
Will ich mich ihrer freu'n,
Des reinsten Dankes Triebe,
Du, Ewiger, dir weih'n;
Und dann voll hohen Frieden,
Voll Zuversicht zu dir,
Das thun, was du hienieden
Zu thun bestimmest mir.

Gib Kraft, mein ganzes Leben
Treu meiner Pflicht zu weih'n;
Du hast es mir gegeben,
Dir soll es heilig sein.
Nur wer der Menschheit Würde
Durch reine Tugend ehrt,
Trägt leicht des Lebens Bürde,
Von ihrem Zweck belehrt.

Verleihest du mir heute
Gesundheit, Ruh' und Glück,
Dann dank' mit stiller Freude
Dir, Gott, mein froher Blick!
Doch hüllte auch in Nächte
Des Lebens Pfad mich ein,
Du reichst mir deine Rechte,
Dir trau' ich, ich bin dein.

Auch alle meine Brüder
Befehl' ich deiner Hand;
Blick' segnend auf sie nieder!
Durch dieses Prüfungsland
Der Thränen und der Freude,
Der Wonne und der Müh',
O, guter Vater, leite
Der Geist der Liebe sie!


 


Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o.J. [1895] (S. 333)

Bild: (c) Gerd Altmann Pixelio.de




 

 

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