Das Sonntagsgedicht 2015 (Archiv)

Dichter und Dichterinnen des 20. Jahrhunderts - andächtig, besinnlich, im Gebet ...
   


Wassily Kandinsky (1866-1944) - Fragile (1931)





 



Elisabeth Janstein (1893-1944)


Aus der Tiefe

Gott, ich hab verlernt zu beten,
Alle Sterne sind erloschen,
Aus ersehnten Morgenröten
Steigt mir keine Sonne mehr.

Gott, die Brücke ist zerfallen,
Von dem Fluß hinweggetragen
Und in allen meinen Tagen
Trägt mich keine Brücke mehr.

Meine Worte sind wie Blumen
Von den Wurzeln fortgerissen
Meine Worte werden Steine
Die mich tief und tiefer ziehn.

Aus den braunen Finsternissen
Lockt und tröstet mich das Eine -
Aufgegangen in das Dunkel,
Werd ich meinem Selbst entfliehn.

Noch kann ich die Stimme senden,
Meiner Sehnsucht Last zu tragen,
Wie verweht hör ich die Klagen -
Trägt sie mich zu dir, dem Herrn?

Das Geheimnis deiner Güte
Ahn ich wie den Duft der Blüte.
Kommen deine Hände trösten,
Oder schickst du einen Stern?


Aus: Elisabeth Janstein Die Landung Gedichte
München 1921 Drei Masken Verlag (S. 73-74)

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Camill Hoffmann (1878-1944)


Spruch vom Abend

Du musst die Wolken wandern sehn
Und an Gottes Hände denken
Und wie sie von goldenen Gnadengeschenken
Überfliessen im Stillestehn.

Doch auch von ihrem starken Zorn
Und all ihren Finsternissen
Musst Du ahnend wissen:
Darum sprach Gott aus dem Dorn.

So trink' den Wein und brich das Brot,
Das Herz voll schauersüsser
Wonne, - denn sieh, ein Büsser
Bist Du nur zum nächsten Morgenrot.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 93)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Gebet

Mein Gott, gewähr mir Eines,
ich bitte sonst um nichts:
im Glanz des ewgen Lichts
flackert verstört mein kleines.

So fleh ich tausendmal:
Erhalt mir meine Qual,
laß mich in meiner Pein
vor Liebe selig sein!


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 264)

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Anna Ritter (1865-1921)


Andacht

Aus der blauen Einsamkeit der Wälder
Tönt verspätet eines Vöglein Lied,
Heimlich flüstert noch das Schilf im Ried,
Und der Wind geht grüßend durch die Felder.
Duftend blüht der Thymian an den Wegen,
Rosen hangen purpurroth am Dorn,
Heimchen zirpen, und das goldne Korn
Neigt die Ähren, schwer vom Erntesegen.

Feierlich ertönt der Bäume Rauschen,
Von des Abends sanftem Hauch geweckt,
Schwanke, weiße Blüthenzweige tauschen
Küsse aus, die sie dem Tag versteckt.
Silberner erklingen nun die Quellen
In der großen, märchentiefen Ruh,
Und der Strom trägt seine breiten Wellen
Träumerisch dem Land der Sehnsucht zu.

Prüfend hebt die Nacht die weichen Schwingen,
Allen, die ein jähes Unheil traf,
Allen Müden nun den heilgen Schlaf,
Des Vergessens süßen Trost zu bringen. -
Meine Seele lauscht dem sanften Walten,
Das geheimnisvoll sich rings entspinnt,
Und die müd von Tagesarbeit sind,
Meine Hände, wollen still sich falten.

Um mich her erklingts von leisen Schritten,
Und an mir vorüber wallt der Zug
Derer, die gelebt, geliebt, gelitten,
Bis der Tod sie zur Vollendung trug,
Auf den Stirnen noch die Spur der Leiden,
In den Augen schon des Sieges Licht,
Seh ich sie an mir vorüber gleiten,
Gottesglanz im irdischen Gesicht.

Aus dem Thal, in dem die Schatten dunkeln,
Heb auch ich den bangen Blick empor
Zu den Höhen, wo in selgem Chor,
Schmerzentrückt des Himmels Sterne funkeln.
Und im Anblick jener ewgen Größe
Sinkt, was mich gebunden hielt, zurück,
Bis ich ganz von Erdenleid und Glück
Meine andachtsvolle Seele löse.


Aus: Befreiung Neue Gedichte von Anna Ritter
Zweite Auflage Stuttgart 1900
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger G.m.b.H. (S. 261-262)

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Johanna Wolff (1858-1943)


Choral

Ich singe dir, o Ewigkeit,
mein Lied im Tal der Schmerzen,
du strahlst durch alle Dunkelheit
mit abertausend Kerzen,
dein großes wundervolles Licht
berührt mein trostlos Angesicht
und geht mir tief zu Herzen.

Da löst sich aller Widerstreit
der dunklen Erdendinge,
Es sind die Lichter dieser Zeit
an Glanz viel zu geringe.
Du Meer voll Sonne, Ewigkeit,
rinnst leuchtend nieder, daß mein Leid
an deinem Schein zerginge.

Du quillst gleichwie ein breiter Strom
durch's irdische Gelände;
du baust dich, ein kristallner Dom,
gen Himmel, ohne Wände.
O Ewigkeit, du schöner Glanz,
dich fassen schon wie einen Kranz
die erdenmüden Hände!

Aus: Von Mensch zu Mensch Gedichte von Johanna Wolff
Literarische Anstalt Rütten & Loening
Frankfurt am Main 1917 (S. 119)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Nur die Liebe

Nur die Liebe, die im Herzen lebt
und sich unerschöpflich draus ergießt,
also daß es bebend überfließt
und im Spiegel ihres Stromes schwebt,

nur die Liebe, die sich nie erfüllt
und vergebens Ewigkeit ersehnt,
ist das Band, das sich hinüberdehnt,
wo sich einmal aller Sinn enthüllt.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 244)

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Anna Ritter (1865-1921)


Gottheit

Betende Hände hebe ich auf
Zu dir, von dem mir die Wolken erzählen
Und Sonne und Sturm und das eigene Herz.
Es sah dich Keiner . . es hörte dich Keiner,
Und dennoch ziehst du leuchtende Spuren
Durch dieses Lebens brausende See,
Und winkst Verirrten
Ans sichere Ufer
Und bietest Heimath
Ewig Verlornen
Und Frieden denen,
Die friedlos sind!
Seit Ewigkeiten rauschen die Wasser
Und tragen der Menschen schwankende Schifflein,
Ihr Zagen und Hoffen zu dir zurück.
Und du empfängst sie mit Liedern der Heimath,
Die tönen Ruhe, Trost und Erfüllung
Und schläfern die müden, weinenden Seelen
Gleich Wiegenliedern der Mutter ein.

Aus: Befreiung Neue Gedichte von Anna Ritter
Zweite Auflage Stuttgart 1900
J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger G.m.b.H. (S. 269)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Und es ist doch Liebe ...

Was die Menschen sagen,
weiß ich alles schon,
aber was sie tragen,
flüstert kaum ein Ton.

Und es ist doch Liebe,
was zusammenhält,
die sonst sinnlos bliebe,
diese wirre Welt.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 226)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Zu Gott

I.
Viele kleine Schritte
macht der Mensch umher,
in die eigne Mitte
findet er nicht mehr.

Gott ist ausgegangen
und die Seele friert,
bis Er durch Verlangen
wieder sich gebiert.


II.
Gott ist wie ein ferner Schein,
eine winzig kleine Helle,
und ich selbst an meiner Stelle
wurzle tief mein Leben ein.

Statt auf ihn hinanzugehn,
in dem Dunkel vorzudringen,
laß ich mich hinunterschlingen,
wo die trägen Füße stehn.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 176)

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Camill Hoffmann (1878-1944)


In der Irre

Wohin die Wege mich führen,
ich frag nicht mehr.
Vorbei an vermauerten Türen,
vorbei an vergitterten Fenstern,
erblindet und leer.

Die Pforten zu Gott sind mit grossen
und dunkeln Worten versperrt.
Gott hat die Menschen verstossen,
ist selbst nun einsam und stumm.
Wir gehn in der Irre herum.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 58)
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Frieda Jung (1865-1929)

Gebet

Herr, senke lind den Schlaf auf meine Lider,
Totmüde in die Kissen sinkt mein Haupt.
Was ich erstrebt, gehofft, geliebt, geglaubt,
Sie zerrten alles in den Staub hernieder.
Und in der Seele ist's so leer und still,
Als ob kein Frühling mehr mir kommen will.

Herr, senke lind den Schlaf auf mich hernieder.
Nacht ist's umher, die Erde schlummert auch.
Entblättert stehen Busch und Baum und Strauch,
Der Wind singt leise seine Klagelieder.
Und alles scheint erstorben rings und still,
Als ob kein Frühling mehr erscheinen will.

Und doch - und doch wird tausendfaches Leben
Erblühen nach der kalten Winternacht -
Wenn in dem Lenz die Erde auferwacht,
Fühlt sie der Sonne Kuß mit süßem Beben
Und hüllt ihr Angesicht und weinet still,
Als ob das Herz vor Glück ihr brechen will.

Herr, senke lind den Schlaf auf mich hernieder!
Auch mir wird kommen einst ein Morgenlicht,
Wenn diese arme Erdenhülle bricht
Und in das Vaterhaus ich kehre wieder.
Schlaf' ein, mein wundes Herz und träume still,
Daß dich die ew'ge Liebe heilen will.

Aus: Gedichte von Frieda Jung
Siebente Auflage Königsberg i. Pr. 1908
Verlag von Gräfe und Unger (S. 51-52)

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Franciska Stoecklin (1894-1931)

Der schwarze Wald

Mein Gott, ich knie vor dir auf der harten Erde.
Auf vielen Wegen hab ich dich gesucht.
Und manchmal glaubte ich dich zu fühlen,
In einer Blume, in eines Menschen lieben Augen,
In einem kleinen Tier. Dann aber verlor ich dich
In meiner eigenen Dunkelheit und Wirrnis.
In Sünden, die mich schön versuchten.
Und auch die süßen Blumen trat ich manchmal
Grausam nieder, meinen zarten Körper, meine Seele.
Nichtachtend, daß von deinem Licht in ihnen ist.
Im schwarzen Wald, die bösen Dornen haben
Meine Füße, meine Seele weh zerrissen.
Jetzt lieg ich blutend vor dir, ganz entstellt
Von Schmerz und Lieben. Wirf mich nicht von dir, Gott!
Ich bin dein Kind. Ich will dir sein, ich will . . .
Denn du hast mich gemacht, du weißt, warum ich sein muß,
Was ich bin, warum ich blutend vor dir liege.

Du kannst mich nicht verwerfen, Gott! Ich liege tief,
Aber noch glänzen ferne über mir die Sterne.
Rauschen unendlich deine heilig hohen Bäume.
Blühen voll Innigkeit die zarten weißen Blüten.
- Die Welt ist groß - Mir wird so licht, mir wird so gut,
Ich spüre, wie dein Blut in meine Wunden rinnt,
Wie wir ganz still, ganz innig ineinanderfließen.
Jetzt fühle ich dich, süßer Gott, du bist in meinem Blute.
Ich darf dein Kind sein, deiner Ewigkeit gehören.

Du bist in allen Erdendingen das Unendliche und Gute.

Aus: Francisca Stoecklin: Lyrik und Prosa.
Herausgegeben von Beatrice Mall-Grob.
Verlag Paul Haupt Bern Stuttgart Wien 1994 (S. 14)
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Richard von Schaukal (1874-1942)


Er und du

Kannst du ihn lieben, wie Er dich geliebt?
Kannst du dich schenken, wie Er sich dir schenkt?
Er, der sich sanft ganz dir zu eigen gibt,
der stumm sein Haupt für deine Sünde senkt?

Kannst du ihm opfern, was er einzig will:
die Welt, die kleine Welt, den Traum der Welt?
Sieh, Er erwartet dich, Er steht so still . . .
Du aber fliehst, daß dir dein Kleid entfällt,
nackt in die Welt!

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 145)

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Camill Hoffmann (1878-1944)


Andacht

Die Nächte sind lau und hangen voll Blüten!
Die Säfte regen sich, schwellen und fliessen, -
Nun möge Gott unsern Garten hüten
Und den Wald und das Feld, wo die Saaten spriessen.

Schon rüsten sich die ersten Gewitter,
Die Winde fliebern am fernen Gelände . . .
Da lehn' ich am goldenen Gartengitter
Und breite aus meine betenden Hände - -.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 7)

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Elisabeth Janstein (1893-1944)


Lichtgetroffen

Gott in der Unendlichkeit,
Der du mir ein Zeichen sendest
Und die Qual verhangener Zeit
Durch der Stunde Botschaft endest -

Niemals war dir noch mein Sein
Aufgetan, gleich einer Blüte.
Ungeheurer Flammenschein
Deines Auges weckt die Güte.

Ohne Furcht und ohne Zwang
Will ich mir vor dir entfalten,
Krater, Sturm und Überschwang
Sollen neuen Sinn gestalten.

Was nicht Nacht und Wind verweht
Fassen liebend deine Hände.
Groß in deinem Lichte steht
Meine Inbrunst ohne Ende.


Aus: Elisabeth Janstein Die Landung Gedichte
München 1921 Drei Masken Verlag (S. 86-87)

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Ite Liebenthal (1895-1941)


Einfache Worte gib mir zum Gebet

Einfache Worte gib mir zum Gebet
und sanfte, starke Töne für mein Lied,
daß ich nur sage, was vor dir besteht,
nur singe, was mit deinen Winden zieht

bis an dein Ohr wie lobendes Geläut.
Und lügt mein Mund vor dir, leg eine Pein
hart auf mein Herz, bis sich die Lippe scheut,
der Welt zu Dienst und dir nicht treu zu sein.


Aus: Ite Liebenthal Gedichte
Erich Lichtenstein Verlag Jena 1921 (S. 32)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Welle der Ewigkeit

Ein Vogel saß im Flieder
und bannte mich:
er sang so süße Lieder
selig für sich.

Ich stand auf meiner Stelle,
am Strande der Zeit:
und es verweilte die Welle
der Ewigkeit.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 123)

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Frieda Jung (1865-1929)


Mitleid

Ja, geht nur gut mit eurem Mitleid um,
Ihr Kühlen, Klugen! Hütet eure Münzen!
Fragt immer erst: Woher - wohin - warum?
Auf daß ihr keinen Herzschlag, keine Träne
Und keinen Seelenlaut verschwenden mögt!
Ich will behutsam, leisen, leisen Schrittes
An euch vorübergehn. Doch laßt auch mich!
Laßt mich, auf daß ich tue, wie ich tu!
Laßt mich, auf daß ich liebe, wie ich liebe!
Laßt mich! Ich weiß, wie viel ich kann und darf.

Es gibt ein Meer, das ist so tief, so tief:
Wenn Millionen draus sich Tränen schöpften
Um andrer Leid, - es ebbte nimmermehr.
Und einen Schatz gibt es aus rotem Gold:
Wenn Millionen daraus Bettlern teilten
Jahrtausende, - er bliebe unversehrt.
Und ein Geheimnis. In demant'ner Schale
Verschlossen, perlt ein heil'ger Feuerwein:
Wer daraus schöpft, der trinkt sich Sonnenkraft.
Wer aber weiß, wo jene Meerflut rauscht?
Wer kennt zum unermess'nen Schatz die Losung?
Wer fand den goldnen Schlüssel zum Gefäß?

Der Gott gefunden - und in ihm die Liebe!

Und der darf weinen, weil er Tränen hat!
Und der darf geben, weil sein Schatz unendlich!
Und der darf trösten, weil er Tröstung weiß!

Wer Gott gefunden, darf Verschwender sein.

Aus: Neue Gedichte von Frieda Jung
Fünfte Auflage Mit dem Bildnis der Dichterin
Königsberg i. Pr. Verlag von Gräfe & Unzer o. J. [1916] (S. 68-69)

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Camill Hoffmann (1878-1944)


Die Nacht

Abends wurde der Himmel klar,
Drosseln begannen ihr Silberschlagen,
Rosen, zahllos in diesem Jahr,
Träufelten Duft von Asias Sagen.

Friedlichste Nacht kam violenblau,
Keines Liebenden Hand berührte
Sanfter die Schläfe geliebter Frau.
Sternenzug glänzte, Hesperus führte. -

Gott, der du bist, o Gott dieser Nacht,
Schenke dein Lächeln, den Traum, die Stunde
Einem, der stirbt jetzt im Fieber der Schlacht!
Sieh, ich verbrenn hier an seiner Wunde.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 6)

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Maria Luise Weissmann (1899-1929)


Gebet der Kindheit

Es ist ein schwarzer Hund bei Nacht, Herr Jesus,
Der auf seinen Krallen die hölzerne Stiege abwärtsgeht.
Es ist ein weißer Schatten manchesmal, Herr Jesus,
Der früh am Wegrand an der Weide steht.
Heiland, die Blume, die ich dir gesät,
Ragt immer höher auf zu deinem Schein.
Du ziehst sie groß zu dir. Ich will ein Hirte sein,
Dann bin ich mit den Lämmern mit dir zusammen.
Die Küken sind ausgekrochen, aber dem einen fehlt ein Bein.
Die Mutter sagte vor deiner Kerze: Alle Flammen
Münden zu deiner großen Sonne ein.

Aus: Maria Luise Weissmann
Gesammelte Dichtungen Pasing: Heinrich F.S. Bachmair 1932 (S. 16)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Heiliger Geist

Ich glaube an den Heiligen Geist,
der meine arme Seele speist,
wenn sie vom Leben müde ist
und ihre Heimat gar vergißt:
er hebt und trägt mich aus der Zeit
hinauf in seine Herrlichkeit.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 170)

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Elisabeth Janstein (1893-1944)


Gebet um neues Leben

Gott - hier ist Abendhimmel, Feld und Baum
In grenzenlose Weite eingefügt.
Und ich als Einziges im weiten Raum,
Das sich verstellt und scheint und Ziele lügt.

Ich fühle der Erhabenheiten Wucht
In meiner Kleinheit hart, wie Keulenschlag.
O Dasein, so verkettet und verflucht,
Daß nicht ein Tag bewußt und rein sein mag.

Du Baum, du Feld, ich will euch Bruder sein.
Vergeßt mir, daß ich dumpf in Städten war
Und reiht mich gütig, leicht und wunderbar
In euer gottesnahes Leben ein . . .

Aus: Elisabeth Janstein Gebete um Wirklichkeit Gedichte
1919 Verlag Ed. Strache Wien Prag Leipzig (S. 21)

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Franciska Stoecklin (1894-1931)


Lebenstraum

Die Sterne überscheinen unser Leben
Und singen Silberfäden in uns ein.
Wir können Wirklichkeit wie Traum durchschweben
Und Träume wollen Sternenbrücken sein.

Gott duftet Liebe aus den roten Rosen
Und rauschet mächtig in dem dunklen Baum.
Sein Atem lebt in allem namenlosen.
Sein Dasein überewigt Zeit und Raum.

O Weltgeheimnis, das wir nie erfahren,
Mysterium, das uns Gottes Mund verschweigt.
Wir wollen dich als Schönstes unenthüllt bewahren,
Verehrend gläubig über dich geneigt.


Aus: Francisca Stoecklin: Lyrik und Prosa.
Herausgegeben von Beatrice Mall-Grob.
Verlag Paul Haupt Bern Stuttgart Wien 1994 (S. 88)
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Frieda Jung (1865-1929)


Morgenandacht

Das ist in der Morgenstunde
Ein fröhliches Wandern heut',
Die Wiese ist rings in der Runde
Mit Himmelsschlüssen bestreut.

Millionen von Silberperlen,
Sie hängen an Blüte und Halm,
Am grünen Raine die Erlen,
Sie flüstern den Morgenpsalm.

Dazu ein Rauschen und Rieseln
Gleich einem heimlichen Gruß,
Das ist zwischen Blumen und Kieseln
Der plaudernde Wiesenfluß.

Und hoch in dämmernder Ferne
Der Lerche jubelnder Laut,
Als hätt' sie dem Morgensterne
Ins strahlende Auge geschaut.

Nun wird es nicht lange mehr dauern,
Dann färbt sich im Osten das Tor,
Und bei des Frühwindes Schauern
Bricht sieghaft die Sonne hervor.

Dann wird sie ein Goldnetz ziehen
Euch Halmen und Gräsern zur Zier -
Ich aber werd' niederknieen
Und beten wie ihr!


Aus: Gedichte von Frieda Jung
Siebente Auflage Königsberg i. Pr. 1908
Verlag von Gräfe und Unger (S. 102-103)

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Franciska Stoecklin (1894-1931)


Seliges Erleben

War es im Traum,
War es im Raum,
Darin ich mich verlor.
Einging
Wie durch ein Himmelstor.
Der Körper, die Schwere
Blieben davor zurück.
Vergessen.
Es war ein Glück,
Das nur die Seele besessen.
Oder waren der Leib,
Die Hände, die Füße
Ganz Seele geworden
Und himmlische Süße?
Denn ich spürte mein Blut
In überweltlicher Glut
Gott Liebe singen.
Und um mich war ein Klingen,
Wie von Sternensang,
Wie von Engelsgang.
Und ein Leuchten,
Das nicht blendete
Und sich doch
Unendlich verschwendete.
Ein Lieben,
Das mich strahlend umfing,
Sich innig um meine Seele hing.
Christus . . .

Aus: Francisca Stoecklin: Lyrik und Prosa.
Herausgegeben von Beatrice Mall-Grob.
Verlag Paul Haupt Bern Stuttgart Wien 1994 (S. 33)

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Elisabeth Janstein (1893-1944)


An Gott

Du bist im Abend, ich fühle dich,
Vielleicht reicht mein Scheitel an deinen Saum,
Ich weiß dich so, wie ein Glück im Traum,
Er bricht herein, du kennst es kaum
Und ist in dir und segnet dich.

Du bist im Abend, ich fühle dich,
Die hellen Scheiben werden blind,
Weil sie zu nah dem Großen sind.
O Händefalten - einst als Kind
War ich in dir und nannte dich.

Du bist so groß. So fürchterlich,
Unendlich groß, daß Wort und Hirn
Zu ärmlich sind. O dunkle Stirn
Voll Scham gesenkt. Du Leuchten, Firn,
Du bist im Abend, ich fühle dich.

Aus: Elisabeth Janstein Gebete um Wirklichkeit Gedichte
1919 Verlag Ed. Strache Wien Prag Leipzig (S. 89)
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Frieda Jung (1865-1929)


Sieh, - darum!

Sieh, darum mußtest du etwas versehen,
Und darum kamest du in Leid und Reue,
Daß du es lerntest, zu verstehen
Und zu verzeihen stets aufs neue!

Daß sich der Pharisäerstolz
Erkältend nicht ins Herz dir schriebe! -
Nun sprichst du bebend: "Ach! Aus gleichem Holz!"
Und von der Wimper taut dir heiß die Liebe.

Aus: Neue Gedichte von Frieda Jung
Fünfte Auflage Mit dem Bildnis der Dichterin
Königsberg i. Pr. Verlag von Gräfe & Unzer o. J. [1916] (S. 118)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Harzsonnenduft

Harzsonnenduft am Waldeshang,
ich schlürf ihn nur sekundenlang,
doch nimmt er mich selig ein,
als wär die Kraft des Waldes sein,
als wär die Welt nur Waldesduft
in sonnenglanzerwärmter Luft,
als wäre Gott in diesem Hauch
und ich und ganz mein Leben auch.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 148)
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Johanna Wolff (1858-1943)


Gebet

Dir will ich nach den Augen sehen
mit Inbrunst trachten, dich zu verstehen,
der du ausfüllst den Himmelsraum.
Die Erde ist nur ein gewaltiger Baum,
des Wurzelgeflecht die Tiefen umspannt,
aber die Krone empor gewandt
fruchtet in deine Hand.

Du ordnest der Menschen Kommen und Gehen,
laß mich ihr Leben und Sterben verstehen
und was dahinter verborgen ist, sehen.
Meine Seele reckt sich hoch in den Raum
und schlägt doch Wurzeln wie ein Baum
in der lieben Erde Rand;
oben und unten weit gespannt -
Herr, laß mich fruchten in deine Hand!

Aus: Von Mensch zu Mensch Gedichte von Johanna Wolff
Literarische Anstalt Rütten & Loening
Frankfurt am Main 1917 (S. 141)
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Camill Hoffmann (1878-1944)


Zecher in der Sternennacht

Der Sterne diamantner Glanz
ist in mein dunkles Glas gestürzt,
nun ist mein Wein mit Ewigkeit gewürzt,
und leise tanzt mein Herz leichtesten Tanz.

Melancholie, so süss, wie Honig quillt,
durchduftet Wein und Blut mir wunderhold,
und spiegelnd malt sich in dem Kreis von Gold
das Bild der Welt, umfunkelt, rein und mild.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 18)

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Frieda Jung (1865-1929)


Blütentage

Ich kniee vor dem Zauber dieser Tage,
Vor diesem Übermaß von Glanz und Licht.
O Schönheit, neige dich! Ich lass' dich nicht,
Bis ich dein heilig Bildnis in mir trage.

Steht wartend doch in dieser Gnadenzeit
Und sehnend jeder Blume Kelch dir offen!
Ich lass' dich nicht, bis mich dein Strahl getroffen,
Und bis dein Segen meine Harfe weiht!

Aus: Neue Gedichte von Frieda Jung
Fünfte Auflage Mit dem Bildnis der Dichterin
Königsberg i. Pr. Verlag von Gräfe & Unzer o. J. [1916] (S. 71)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Und Gott wird kommen

Und Gott wird kommen, wiederkehren
wird er aus seinen Fernen,
aus der donnernden Stille der Sphären
hinter den letzten Sternen.

Du aber wirst wie ein Staubkorn im Winde,
Seele, in seinem Atem fliegen.
Doch dir wird sein wie dem schlummernden Kinde,
im Schoß der Mutter zu liegen.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 149)

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Maria Luise Weissmann (1899-1929)


Don Quichote kämpft mit Gott

Da Du mich segnen sollst, was fromm Dir dies,
Daß Deine Hand, Gewaltger, mich verstieß,
Daß Deine Kraft, Gesegneter, mich ließ,
Daß mich Dein Atem, Zürnender, verbließ?

Nun lieg ich irgendwo. Und ich bin nicht mehr
Als Staub im Staube, unerkennbar, sehr
Gering. Und schweift Dein großes Auge her
Auf meine Stätte, trübt sichs wolkig leer.

Ich aber laß Dich nicht. Da Du verneint
Mir andern Kampf, sieh, Reiner, her: ich bot
Dich auf, in Pfützen spiegelnd, kämpfe, Feind

O Einziger mit Dir: Du würgst mich wenn
Der Staub mich würgt. In jede ärmste Not
Reiß ich Dich: Du segnetest mich denn.

Aus: Maria Luise Weissmann
Gesammelte Dichtungen Pasing: Heinrich F.S. Bachmair 1932 (S. 50-51)
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Johanna Wolff (1858-1943)


Gott

Ich weiß nicht, wer du bist, geheimnisvoller Gott,
ich weiß nicht, wie du bist und wo du wohnest,
Ob du im Licht, ob du im Dunkel thronest,
und ob du strafen kannst, ob du mir lohnest -
ich weiß es nicht.

Ich bete mit in deiner Kinder Schar
und hebe meine Hände ganz im Stillen.
Hart stößt mein Wille gegen deinen Willen,
geheimnisvoller Gott, der ist und war.

Ich selbst, ich bin ein Göttliches aus dir.
Aus deiner Fülle rann mein Tröpflein Leben
in diese Endlichkeit;
Du wirst mir geben
Unendlichkeit:
Erfüllung - Lösung - Ruh.

O du!
Schließ vor mir deine Herrlichkeit nicht zu.
Aus tausend Gräbern stieg ich auf zu dir.
Nun gib du mir,
was mein und dein:
Gib mir
in dem was ist und wird,
geheimnisvoller Gott,
dir gleich zu sein!


Aus: Du schönes Leben Dichtungen von Johanna Wolff
Hamburg Berlin 1907 Verlegt bei Schuster & Loeffler  (S. 50-51)

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Frieda Jung (1865-1929)


Gebet

Herr, gib uns helle Augen,
Die Schönheit der Welt zu sehn!
Herr, gib uns feine Ohren,
Dein Rufen zu verstehn,
Und weiche, linde Hände
Für unser Brüder Leid
Und klingende Glockenworte
Für unsere wirre Zeit!
Herr, gib uns rasche Füße
Nach unserer Arbeitsstatt -
Und eine stille Seele,
Die deinen Frieden hat!


Aus: Neue Gedichte von Frieda Jung
Fünfte Auflage Mit dem Bildnis der Dichterin
Königsberg i. Pr. Verlag von Gräfe & Unzer o. J. [1916] (S. 75)

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Camill Hoffmann (1878-1944)


Wirklichkeit

Wär alles nur ein Spiel
wie loser Silben Klang,
was grämtest du dich viel,
mein Herz, die Tage lang?

Der Kuppen Silberschnee,
des Sommers schweres Tal,
die Segel auf der See,
der Städte Bacchanal

Und deine Sehnsucht gar -
das kann nicht nur ein Lied
sein, das ein Traum gebar
und das im Traum entflieht.

Du fühlst es noch verzückt
in deiner tiefsten Not:
die Welt, die dich beglückt,
ist wahr so wie der Tod.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 10)

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Richard von Schaukal (1874-1942)


Manchmal mitten in der Nacht

Manchmal mein ich es zu halten
mitten in der Nacht,
was in wechselnden Gestalten
mich so selig macht.

Und es ist mir dann am Tage
unter meinem Kleid,
daß ich etwas an mir trage,
was von Ewigkeit.

Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 103)

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Frieda Jung (1865-1929)


Gottesdienst im Walde

Das war ein Gottesdienst! Auf weichen Matten
Die Kanzel aufgebaut aus lichtem Grün,
Hoch im Geäst des Buchfinks Melodien
Und ringsum Waldesfrieden, Waldesschatten.

Weit ausgespannt der blaue Himmelsbogen,
Als blickte man in Gottes Aug' hinein.
Und gleich, als brauste eine Orgel drein,
Ein halbverwehter Klang der Meereswogen.

Das war ein Gottesdienst, ein mächtig Zwingen,
Ich faltete die Hände still und stumm,
Da fühlte ich das Evangelium
Wie Morgentau in meine Seele dringen;

Fühlt' in mir ein geheimnisvolles Regen,
Als ob der Bann des Kummers von mir wich.
"So nimm denn meine Hand und führe mich!"
Das war ein Gottesdienst, ein Morgensegen!

Aus: Gedichte von Frieda Jung
Siebente Auflage Königsberg i. Pr. 1908
Verlag von Gräfe und Unger (S. 107)

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Jochen Klepper (1903-1942)


Vorspruch zu einem Buch

Alle Grenzen meiner Tage
biege, Gott, in Deinen Kreis,
daß ich nur noch Worte sage,
die ich von Dir kommen weiß!
(S. 8)
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Bauerngebet

Nun lege ich in Gottes Hand
mein graues Haus, mein grünes Land
und was auf meinen Feldern reift.

In Gottes Hand mein Weib am Herd,
im Stall das Lamm, die Kuh, das Pferd -
das Kind, das nach dem Milchnapf greift.

In Gottes Hand den Fisch im Teich!
Und alles zähl zu Seinem Reich,
sei Stern, der seine Füße streift!
(S. 12)

Aus: Jochen Klepper Ziel der Zeit. Die gesammelten Gedichte
Luther-Verlag Bielefeld 1993
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Anna Ritter (1865-1921)


Hymne

Wie tönt dein Name, Gott,
Ein Donnerklang,
An dieses Lebens dumpfem Thal entlang,
Ein Echo weckend in den Felsenhängen,
Die dräuend sich um unsre Enge drängen,
Ja, du bist groß!
Die Sonne kündet dich, die Königin,
Der Sommer streut dir seine Rosen hin
Und seine Frucht der Herbst, die Erde liegt,
Ein blühend Kind, an deinen Fuß geschmiegt,
Und lacht dich an.
Du aber legst die Hand
Ihr auf die Stirn, zu dir empor gewandt.
Dein Bannerträger ist die Ewigkeit,
Vor deinen Schritten rollt die ems'ge Zeit
Den Teppich auf, in dessen Grund verwebt,
Sich Jahr um Jahr in buntem Wechsel hebt.
Die Weisheit fliegt, ein Adler, dir vorauf
Und Sterne flammen, Welten blühen auf,
Wenn aus der Nacht, die noch die Tiefen deckt,
Dein Schöpferwort den Keim des Lebens weckt.
Dein Hauch ist Leben und dein Blick ist Licht,
Doch wir ertragen solche Größe nicht;
Dich zu begreifen, machen wir dich klein,
Wir sperren dich in düstre Mauern ein,
Dein heil'ges Schweigen prägen wir in Worte
Der eignen Schwachheit um, und deinem Geist,
Der uns zu dir die Sonnenwege weist,
Versperren wir den Pfad mit enger Pforte.
Mit deinem Lichte, wunderbar und rein,
Vergolden spielend wir den Heil'genschein
Verstaubter Puppen -
Herr, doch du bist groß!
Selbst unsre Thorheit bindet uns nicht los
Von deiner Liebe, deine Rechte hält
In heil'gem Ernst, die du gebarst, die Welt!

Aus: Gedichte von Anna Ritter
Leipzig Verlag von A. G. Liebeskind 1898 (S. 154-155)

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Franciska Stoecklin (1894-1931)


Sternenlied

Es rauschen die Bäume,
Es golden die Sterne
Am nachtblauen Himmel.
Wir warten auf Träume.

Jetzt wagen wir leise
Die kleinen Gebete.
Gott mög uns behüten
Zur nächtlichen Reise.

Es golden die Sterne
Im einsamen Weiher.
Ein Mondvogel irrt noch
In nachtblauer Ferne.

Aus: Francisca Stoecklin: Lyrik und Prosa.
Herausgegeben von Beatrice Mall-Grob.
Verlag Paul Haupt Bern Stuttgart Wien 1994 (S. 24)

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Jochen Klepper (1903-1942)


Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,
ohne Gott ein Tropfen in der Glut,
ohne Gott bin ich ein Gras im Sand
und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.
Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,
bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft.

*
Mein Herz hat einen Schlag getan -
nur wie ein Fisch die Flosse regt,
ein Gras im Winde sich bewegt,
ein Vogel seine Schwingen hebt -
und alles Leben war gelebt,
und alle Ewigkeit brach an.

Aus: Jochen Klepper Ziel der Zeit. Die gesammelten Gedichte
Luther-Verlag Bielefeld 1993 (S. 9)

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Elisabeth Janstein (1893-1944)


Gebete in die Sonne

O daß ich plötzlich Stimme bekäme,
Die vor Kraft anschwillt, wie die Traube vor Wein.
Daß eine Macht das Eingeengtsein,
Die Grenzen aus meinem Blute nähme,
Daß alle wüßten: Ich bin groß
Und schleudere meinen Willen in Speichen
Zermalmenden Rades, daß alle bleichen
Gesichter noch tiefer erbleichten
Und fühlten: O Kraft ist grenzenlos . . .

Daß ich plötzlich alle Weisheit bekäme,
Weisheit der Blume, der Tiere, des Windes,
Daß ich unverbaut, mit eines Kindes
Augen die Dinge in mich nähme,
Nicht mehr umgürtet von harten Bezirken
In Dünsten schwelender, dunkler Erfahrung,
Sehend und wissend. Voll Offenbarung,
Durchströmt von aller Kräfte Wirken.

O daß ich plötzlich Worte fände
Von weinender Süße alter Geigen,
Worte, die sich voll Zartheit neigen,
Worte, die wie Fackeln und Brände
Dunkel zerreißen, Abend zerspalten,
Seelen aufstaunend verwandeln lassen,
Alle Geliebtheit, Trauer und Hassen
Durchscheinend wie Glas gegen Sonne halten -

O daß ich plötzlich Sinn bekäme . . . 


Aus: Elisabeth Janstein Gebete um Wirklichkeit Gedichte
1919 Verlag Ed. Strache Wien Prag Leipzig (S. 84)

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Ernst Goll (1887-1912)


Legende

Es war einmal ein großer, großer Wald,
Der war so tief, daß keines Menschen Fuß
Sein lichtes Ende fand. Nur schön Getier
Und Vögel ohne Zahl bewohnten ihn.

Durch diesen Wald ging einst der liebe Gott,
Indessen Trauer ihm das Herz beschwerte.
Er war gewandert durch der Menschen Land
Und sah die Zwietracht wohnen in den Gassen
Und sah den Neid aus ihren Fenstern späh'n.
Da ward ihm weh. Da ging er in den Wald.
Und siehe! Ihm begegnete ein Reh,
Fromm, scheu und lieblich schritt es nah einher,
Mit hellen Lichtern sah es Gott ins Antlitz,
Erkannte es und bog das schöne Haupt. - -

Da glomm ein Leuchten auf in Gottes Auge,
Erinn'rung überkam ihn an die Welt,
Die heilig war am ersten Schöpfungstag,
Die Segnerhände hob er auf und sprach:
"Die ich geformt nach meinem Ebenbilde,
Vergaßen sein. So werde du ein Mensch,
Das schönste von den Erdenkindern allen!"
Und lächelte noch einmal mild und schwand.

- - Doch siehe! Aus des Waldes Lichte tritt
Ein Menschenkind und geht den Weg zu Tal;
Fromm, scheu und lieblich ist es vor den andern,
Nicht Wunsch noch Sehnsucht wohnt in seiner Brust,
Friedvoll und selig fließen ihm die Tage.
Aus seinen großen, braunen Augen aber
Grüßt uns ein Licht. Es ist das Licht der Liebe,
Das Gottes reines Antlitz überstrahlte,
Als er die bess're Welt erschaffen wollte.

Aus: Ernst Goll Im bitteren Menschenland
Das gesammelte Werk
Herausgegeben von Christian Teissl
Igel Verlag 2012 (S. 159)

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Richard von Schaukal (1874-1942)
 

An den Herrn

Du, in den wir münden,
du, aus dem wir erwacht:
wer, wer darf dich verkünden,
der du dich selbst erdacht!

Der du über den Zeiten
thronst in Unendlichkeit:
über die Meere gleiten
Schatten von deinem Kleid.

Tage und Nächte schleichen
unten an seinem Saum.
Erblühen und Verbleichen
gabst du uns als Traum.


Aus: Richard von Schaukal Gedichte
Pierrot und Colombine oder das Lied von der Ehe
Junge Sehnsucht / Einkehr/ Herbsthöhe / An der Schwelle
Albert Langen Georg Müller München Wien 1967 (S. 101)

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Frieda Jung (1865-1929)


Im Schnee

Das ist's, was ich am liebsten seh':
Mein Heimatdorf im tiefen Schnee!

Lichtweiße Flocken auf Baum und Strauch!
Über den Dächern bläulicher Rauch!

Und in den niedern Fensterreihn
Der letzte rote Abendschein!

Dann wandl' ich über das weiße Feld
Und glaube nicht an die Sünde der Welt.
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Aus: Neue Gedichte von Frieda Jung
Fünfte Auflage Mit dem Bildnis der Dichterin
Königsberg i. Pr. Verlag von Gräfe & Unzer o. J. [1916] (S. 64)

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Jochen Klepper (1903-1942)


Trostlied am Morgen

Wenn ihr stille bliebet, so würde euch
geholfen; durch Stillesein und Hoffen
würdet ihr stark sein.
Jesaja 30, 15

Wenn ihr stille bliebet,
wo dem Herzen graut,
wo euch Angst betrübet,
daß kein Heil ihr schaut;
so wäret ihr in Sorgen,
wie sie keiner sah,
stark und fest geborgen
und der Hilfe nah.

Wenn ihr stille würdet,
nun ihr nicht ertragt,
was euch aufgebürdet,
ohne Maß euch plagt:
so würdet ihr errettet -
sei kein Weg, kein Licht, -
dem im Schoß gebettet,
dem das Herze bricht.

Seid ihr hoffend stille,
strömt die Kraft euch zu.
Stets bleibt Gottes Wille,
daß er Wunder tu.
Durch Stillesein und Hoffen
werdet stark und fest,
seht den Himmel offen,
der euch nicht verläßt.
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Aus: Jochen Klepper Ziel der Zeit. Die gesammelten Gedichte
Luther-Verlag Bielefeld 1993 (S. 26)

 

 


 

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