Leonie Spitzer (1891-1940) - Liebesgedichte

Leonie Spitzer




Leonie Spitzer
(1891-1940)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




Meeresleuchten

Der Himmel träumte im Abendlicht
von wilden, irdischen Lüsten
daß seine Lippen das Angesicht
jungfräulichen Meeres küßten -

und wie er dunkel erglüht im Verdruß,
daß solch ein Gedanke ihm kam,
da träumte die See vom himmlischen Kuß -
und sie errötet in Scham.
(S. 8)
_____



Ich suchte dich, so wie die endlos bang
durchwachten Nächte auf mir lagen.
Ich suchte dich die vielen Stunden lang
an meinen öden, immer gleichen Tagen,
und meiner Sehnsucht müde Stimme rang
zu dir bei meiner Pulse lauten Schlagen.
Doch, wenn ihr Ruf zu deinen Ohren drang,
was zögerst du, mir Antwort nun zu sagen?
Umsonst und ungehört erklang, verklang
nicht meiner Seele Schrei in wehen Klagen.
Ich weiß, ich weiß, er ist zu dir gekommen.
Wie kann es sein, daß du ihn nicht vernommen?
Ach, all mein Denken hab ich ausgesandt,
dir nachzugehen und dich zu erreichen
in jenem fernen, traumgeschauten Land
darin du wartend stehst als meinesgleichen
um von der Ferne helfend deine Hand
als Stütze und als Rettung mir zu reichen.
Warum, ach, bin ich fern von dir gebannt
und warum suchst du stets mir auszuweichen?
Doch wenn mein lauter Schmerzensschrei dich fand,
so gib mir endlich, endlich doch ein Zeichen.
Denn, wenn mein Fühlen nochmals nach dir zöge,
es stürbe reisemüde auf dem Wege.
(S. 9)
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Die Wandlungen

Zyklus I:
Giorgio an Ippolita
(nach D'Annunzios della Morte)
"strumento di piacere e di volutta"

I.
Nah dem Gotte meiner Kinderzeit
ist der Liebe Tag mir angebrochen,
denn der Herr, der längst mir fremd geworden,
und von dem ich nun so weit,
hat an jenem Tag in den Akkorden
einer Messe Bachs zu mir gesprochen
und der Geist, den ich schon nicht mehr glaubte,
strich noch einmal leis ob meinem Haupte.
Die Kapelle war voll sanftem Licht
und als ich, noch traum- und tonbefangen
aufsah, war vor meinem aufgegangen
dein hingebend ernstes Angesicht:
(S. 12)


II.
Durchscheinendes Madonnenantlitz, welches
nicht einen Tropfen Blut zu bergen schien,
und auferstanden wie aus Särgen schien,
weißer als Weiße eines Blütenkelches,

Mysterium warst du mir und Offenbarung,
Martyrium und trunkne Siegeskrönung
wie jeden Traumes strahlende Verschönung,
und jeden Wachens höchste Lichterfahrung.
(S. 13)


III.
Wir lieben uns schon lang.
Schon zweier Jahre Runde.
Da fällt mir plötzlich ein:

Wie wird wohl, frag ich bang,
wie wird die Sterbestunde
von unsrer Liebe sein?
(S. 14)


IV.
Damals:
Ich fühlte meinen Kuß in Dir verklingen,
wo ihm kein Echo Antwort rief,
ich wußte, daß du tief
gleichgültig warst dem glühendsten Umschlingen.

Dann kam ein Tag: Ich fühlt in deinem Sein
ein Etwas plötzlich meiner Glut erwarmen,
und, wie Pygmalion, aus meinen Armen
mein Leben strömen in das Bild von Stein.
(S. 15)


V.
Denn du warst Stein, bevor ich dich umschloß.
Liebe war dir: Gewähren ohne Sinn,
und ich erst riß dein Blut, das träge floß,
zu einem reigenraschen Rhythmus hin.

Ich gab erst deinen herben Lippen ein
ihr Küssen, ihrer Liebeslaute Losung.
Ich lehrte deine Hände erst Liebkosung.
Denn eh ich dich umschlossen warst du - Stein!

Und was dir jetzt in deinen Adern brennt,
das Blut ist mein! Ich habe dirs gegeben.
Denn du warst tot: Ich weckte dich zum Leben,
du meiner Wohllust köstlich Instrument.
(S. 16)


VI.
Und jeder deren, welche gehn und kommen,
der im Vorübergehn
auch nur mit einem Blick dich angesehn,
hat dir - und damit mir - etwas genommen.

Denn ein Gefühl - ob klar, ob unbewußt -
kam doch in dir dem fremden Wunsch entgegen,
der dich betastete. Vielleicht das Regen,
die Ahnung einer nie gekannten Lust?

Oder Erinnerung an eine ferne
aus einem längstvergangnen Jahr,
da ich noch nicht an deiner Seite war? -
Oh Qual des Grübelns, das ich nicht verlerne!
(S. 17)


VII.
Ich rühre deine Stirn und kann nicht wissen,
wie der Gedanke, der dahinter geht,
ich deut nicht, was in deinen Augen steht
und ahn' nicht, was du fühlst bei meinen Küssen.

Ja, selbst die Worte, die wir beide sprechen,
bergen uns gleichen Sinn die gleichen Klänge?
Ich wollt, ich könnte deine Form zerbrechen,
daß meine Seele zu der deinen dränge.
(S. 18)


VIII.
Ich liebe dich am meisten, wenn das Leid
den Alltag dir aus deinen Zügen löscht.
Denn deine Träne wäscht
aus meinem Herzen alle Bitterkeit.

Dann bist du mir so lieb und so geweiht.
Mir ist, als ob ich es dir danken soll,
daß mich dein Schmerz von meinem Groll,
vom Hasse wider dich befreit!
(S. 19)


IX.
Du fragst mich, was mir fehle?
Ich hab dich lieb!
Vergib,
daß ich uns beide quäle!
Gib
gib Ruhe meiner Seele
und laß
in tiefster Ruh vergessen mich mein Leid;
Liebe ist Haß -
Wohllust ist Grausamkeit.
(S. 20)


X.
Wenn du in Leidenschaft dich mir vereinst,
du mein Geschöpf, das doch so tief mir fremd,
und dann im Hochzeits- wie im Sterbehemd
vor mir erscheinst,
seh ich in deinen schlafentrückten Zügen,
die wie im letzten, bleichen Schlummer liegen,
dein Bild von einst:
durchscheinendes Madonnenantlitz, welches
nicht einen Tropfen Blut zu bergen schien,
und auferstanden wie aus Särgen schien,
weißer als Weiße eines Blumenkelches!
(S. 21)


XI.
Oft ist dein Angesicht nur Seele und
Ewiges liegt auf deiner Stirne Neigen.
Du bist ein Teil der Nacht, die dich umgibt.
Dein Mund
ein Teil von ihrem Schweigen.
Was groß in mir - hab ich in dir geliebt.
So lang du lebst, behältst du das zu eigen.
(S. 22)


XII.
Du meiner Wohllust köstlich Instrument!
Ich hab mit neuen Saiten dich bespannt,
ich stimmte dich genau zu meinem Leben.
Ich habe Melodien Dir gegeben,
die keiner kennt,
voll Süße und Gewalt!
An wessen Brust wirst du nach meiner leben?
Und wessen Hand
wird über dir den Bogen heben,
wenn meine kalt?

*
Von einem Minnesänger wird gesprochen,
der sterbend seine Harfe hat zerbrochen.
Kein Stümper sollte Töne auf ihr hudeln,
die voller Sang, den seine Brust gehegt:
So mußt, Ippolita, du mit mir sterben!
Denn keiner soll in dir mein Bild verderben
und niemand darf die Liebe mir besudeln,
die ich in dich gelegt!
(S. 23)
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Tannhäusers Erwachen

Es kommt mir, halb im Schlaf, zu Sinn:
da droben geht noch - nirgendshin -
über die Heide der Wind:
indessen dir hier - beglückender Tausch! -
mein Leben in berückendem Rausch
durch deine Finger rinnt.

Der Wind! Ein vergessenes Zauberwort!
Es nimmt den drückenden Zauber fort,
der mich gefangen hält,
und beschwöret wieder vor meinen Blick
das strenge, ernste Bild zurück
meiner verlorenen Welt.

Und aus deines Schlosses dämmernder Pracht,
aus deines Bettes duftender Nacht
und dem Taumel deines Gekoses -
sehn ich mich fort - nach der Tage Not
und der Nächte Ruh und dem salzigen Brot,
nach der Armut des menschlichen Loses.
(S. 25)
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Einem Fiedler

Ich wollt ich wär die Geige
unter deinem Kinn,
daß sich dein Antlitz neige
zu mir hin,

ganz ernst und unbewußt,
voll deines Glücks und Leides,
(Oh glaube mir, für beides
ist Raum in meiner Brust.)

Ich träume nur und schweige.
Doch wär ich deine Geige,
wenn deine Hand mich riefe,
so sänge meine Tiefe
bei jedem Bogenstrich
nur dich und immer dich.
(S. 27)
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Auch das leiseste Wort
streift von des heilgen Erleben
schüchternem Flügelbeben
etwas Schimmerstaub fort.

Daß es bei keinem Schlage
von seinem Reichtum verlier,
dulde, daß schweigend zu dir
mein Herz seine Liebe trage!
(S. 28)
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Bin ich bei dem Geliebten zu Gast,
kam ich um auszuruhn,
schüttelt an seiner Tür die Last
mit dem Staub von den Schuhn.

Alles Sehnen und Wünschen schweigt
in der Erfüllung Maß,
daß ich, über sein Antlitz geneigt,
oft schon des Küssens vergaß.
(S. 29)
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Zyklus II.
In Memoriam M. V.

I.
Als du zu mir kamst im nachlässigen Kleid
derbschädelige Bauernrasse,
da schienst du mir aus einer andern Klasse
und tatst mir leid:

Ich war die Gebende, als ich dir Liebe bot.
So trat zur Zeit
der Väter wohl ein Bettler an die Schwelle,
mit staubigem Gewand und Haar.
Man gab mitleidig ihm ein Brot.

Und erst als er zum Gehen sich gewandt
hat man im frommen Schreck erkannt
an seines Angesichts strahlender Helle -
daß es Gott selber war.
(S. 32)


II.
Du schienst so alltagsgrau, so sonntagsbar.
Und nur die Stirn, die strahlend hell und breit
sich wölbte unter deinem glatten Haar,
verriet, daß in dir Sonntag war.

Die Stirn gemahnt an Heiligenlegende.
Sie war so ganz durchleuchtet und geweiht
und paßte nicht zu deinem Werktagskleid,
nicht zu der Schlichtheit deiner harten Hände.
(S. 33)


III.
Wie durft ich wähnen, daß du einsam seist,
daß es an Freundschaft dir und Neigung fehle;
und habe später erst gesehn,
(als ich gelernt, dich zu verstehn)
daß dich ein Strom von Liebe hat gespeist,
daß kaum dir je begegnete ein Geist,
welcher sich nicht geneigt vor deiner Seele.

Der aber war das irdische Maß gering.
Sie gab und gab und blieb drum doch unendlich,
bis daß es endlich
an ihren Gott sich zu verschenken ging.
(S. 34)


IV.
Ich habe dich am Schreibtisch nur gekannt,
in engen Gassen und beim Lampenschein.
Doch denk ich dein
so seh ich dich vor freien Weiten
am Ackerrand
hinter dem Pfluge schreiten!

Denn deine Hand
schickte zur ernsten, gottgeweihten
und harten Arbeit sich. Wie stand
deine Gestalt, als könne Kraft sie saugen
aus Heimatkrume.

Aber deine Augen
schienen zum Blick über weites Land
und in Gottes tiefen Himmel zu taugen.
(S. 35)


V.
Dein Weg war steil, dein Kreuz war schwer,
doch du warst stark und ohne Bangen,
und sahst Fußstapfen vor dir her
von einem, der vorausgegangen.
(S. 36)


VI.
Du bist ein Baum und deine Wurzeln gehn
Tief in die Heimatscholle. Nächtlich stehn
Sterne in deiner Zweige ernstem Ragen.
Du ankerst tief und gipfelst hoch:
Ich steh mit Schwanken;
wohin ich wachse, weiß ich kaum zu sagen.
Und doch, und doch,
sollte mich auch der Sturm zu Schanden wehn,
selbst dann nicht
dürfte an dir ich ranken -
ich kann nicht!
(S. 37)


VII.
Du bist, wie die Gott benedeit,
zu welcher Christus sprach in alter Zeit:
Dein Glaube, Weib, ist groß.

Ich bin von jenen, die auch dann mißtrauten,
als sie mit eignen Augen plötzlich schauten
wie in der Wüste sich ein Quell ergoß -
(S. 38)


VIII.
Die Krankheit saß dir damals schon im Blut,
gleich einem lauernd sprungbereiten Tier,
und hemmte deinen starken Lebensmut
und so kamst eines Abends du zu mir.

Und hast dich mählich erst in mir erkannt.
Wie ich die Augen dir entgegen hielt,
erschautest du auf ihrem Grund - dein Bild;
an deinem Bilde hast du dich ermannt.

Und daß du damals mich gewürdigt hast
auf deinem Kreuzweg, als der Mut dir sank
einen Moment zu stützen deine Last -
Hab Dank!
(S. 39)


IX.
Ich hatte dich lieb, wie man Heilige liebt.
Und als du starbst, hab ich nächtelang
gerungen um deines Glaubens Licht,
des Glaubens, den es für mich nicht gibt.
Mir war so bang
verstoßen zu sein von deinem Gesicht
in Ewigkeit.
Konnt ich, so war ich gerne bereit
mir mit eigenen Händen
die Augen zu blenden,
hätte der Weg durch Blindheit und Nacht
zu dir mich gebracht.
Aber wenn morgens das Dunkel entwich -
war das Tageslicht dennoch stets stärker als ich -
(S. 40)


X.
Wär mir die Gabe des Gebets verliehen,
du weißt,
ich würde dann zu deinen Füßen fliehn,
verklärter Geist.
Oft, wenn mich schon die Sehnsucht übermannt
und mir im Schoß
sich heimlich schon gefaltet Hand in Hand,
riß ich sie los.
Ich spür zu tief: dein Weg, er führt mich nie
zur Ruh,
und wahr will ich im Zweifel bleiben, wie
im Glauben du.
(S. 41)


XI.
Du führtest den Pflug!

Und dein Acker war menschliche Brust.
Aber hast du denn nicht gewußt,
daß ich kein Feld war, das Früchte trug?

Du streutest den Samen.

Und siehe,
da kamen
rotroter Feldmohn und Rittersporn,
Frühlingsglocken und Winden.
Blumen, nur Blumen waren zu finden
ringsum kein Korn!

*
Immer noch bin ich am Weg zu dir
immer noch bin ich auf deiner Fährte,
die ich am Ende nun doch verlier.
Denn du gingest mit Geisterschritt.
Wie käme mein Fuß, der irdisch beschwerte,
käme mein strauchelnder Fuß da mit?
(S. 42)
_____



Widmungen

1.
Wenn Sonntagskinder das Flämmchen sehn,
ob Brunnen, Weihern und einsamen Schachten,
du siehst es auf menschlichen Stirnen stehn,
wo heimlich verborgene Schätze nachten.
(S. 44)


2.
Du wandelst Stein zu Brot. Der dürre Ast
begrünt sich unter deinen Händen.
Den du ihm abgerungen hast,
du darfst den Reichtum Gottes ganz verschwenden.
(S. 45)


3.
Sei mir nicht böse,
wenn ich von meines Tags noch dunklem Rand
für dich die erste Morgenstunde löse.
Dann ist mein Mund noch nicht entweiht
von müßigen Worten, meine Hand
noch nicht entweiht von müßiger Mühe.
Ich komme aus der tiefsten Einsamkeit,
aus meines Schlafes Absolution
so unberührt, als wärs Gottes Thron
zu Dir in dieser Herrgottsfrühe.
(S. 46)


4.
Meine Gedanken, die
immer bei dir sind,
sagten oft dir heimlich Du,
wie man eben Du sagt im Gebete.
Wenn ichs immer täte,
sag mir, wärs dann nicht wie Blasphemie?
Und du sagst mir: Tu
es getrost, sowie als Kind,
eh du einen Menschen nanntest Sie.
(S. 47)


5.
(mit einer Armbanduhr)
Ist's Vermessenheit - Du mußt verzeihn:
möchte immer, immer bei Dir sein.
Enge, aber so, daß Dich's nicht stört,
wie ein Ding nur, das Dir zugehört.
Weil ich noch nicht bin, so wie ich sollte
nimm Du dies Symbol - des, was ich wollte:
Wie ein leiser Griff, der Dein Gelenk umfaßt,
mehr als bloße Sache, fast
wie ein Herz, das schlägt, weil es Dich liebt,
wie ein offnes Antlitz, das Dir Auskunft gibt.
Aber stumm, wenn Du es nicht befragst,
nicht erbittend, was Du ihm versagst.
(S. 48)
_____



Die Heilige

Sie ging. Der Weg war steil, die Landschaft leer
und wie nach einem Brand.
Der Boden war zerrissen
wie von vielen Wunden.
Ihr Fuß war schwer
und fand
mit müdem, ungewissem
mühseligem Schritt durch das versteinte Land.
Doch ihre Augen wußten von dem Ziel
und jeder Zug
in ihrem Angesicht
war kraftgespannt.
Sie trug,
ob fröstelnd, dennoch schwebend, erdentbunden
der schmalen Schultern Gleichgewicht. -
Der Weg war steil. Sie kam
zu einem Baum, der unbelaubt
und einsam stand
und lehnte müd
die Stirn an ihn.
Da ging ein Beben durch den breiten Stamm.
Sie hob das Haupt
und sah: er war erblüht.
Und sie ging weiter, unter ihren Tritten
bemoosten sich die Steine, Veilchen sproßten,
aufatmend ging ein Hauch
von Frühlingsblumen durch die Wüste.
Und wo von fern ihr Auge grüßte,
öffneten Knospen sich an jedem Strauch.
Ihr Fuß war wund, doch federnd ihre Schritte,
nach ihrem Rhythmus klang
von Busch zu Busch der Vogelsang. -

Sie gab die Schönheit ihrer Kraft
dem ganzen Weg der Wanderschaft
ohne es selbst zu wissen.
Doch, wie sie siegend hob die blasse Stirn
zerriß die Sonne jäh der Wolken Wirrn
und leuchtend lag die Weite ihr zu Füßen.

*
Wie oft, sag, hast du mit dem Gott gerungen
der in dein Leben trat und nahm und nahm?
Kam
daher die Kraft, von der du ganz durchdrungen,
der Mut, mit dem du durch die Nacht geschaut
zum Morgen hin, der endlich doch gegraut?

Wie rissest du aus ehernem Umarmen
dich immer wieder los, um hier zu sein?
Wars ein Erbarmen
mit deiner Arbeit, die nur du allein
so tun kannst? Oder hast du das gewußt:
daß du noch viele Wunder wirken mußt,
an allen denen, welche ihr Begegnen
mit dir segnen?
(S. 49-50)
_____



Das war nach der Nacht in Gethsemane.
Du hattest gerungen mit Tod und Weh
und mit Gottes furchtbar lähmender Kraft.
Am Morgen hast du dich aufgerafft
und tratst aus dem Haus, das im Schlummer noch lag
und sangest ein Lied dem erwachenden Tag.

Ich hörte die Töne, die näher kamen.
Dann gingst du durch meines Fensters Rahmen
auf einem Goldgrund von Sonnenschein,
licht, schmal und groß in den Morgen hinein.
(S. 51)
_____



Oft, wenn ich sah
wie schwer du ringst und leidest,
und wie du zahlst für deine Höh,
dann quält mich so dein königlich Verschwenden.
Ich möcht aus deinen Händen
die Arbeit winden, der du dich vergeudest.

Verzeih.

Es heißt ja:
Als Er Abschied nahm,
und von der Mutter sich schon fortgekehrt,
daß ihr der Aufschrei aus dem Herzen kam:
Erlöse nicht! Die Welt ist das nicht wert!
(S. 52)
_____



Im Einschlafen

Oft schon traf
an der schwimmenden Scheide
von Tag und Schlaf
mich mit einem Mal
Erinnern deiner Qual
und riß mich jäh
in helles, grelles Weh
auf, zu dir!
Dann aber sank ich wieder
in dämmernd unbewußte Tiefen,
(die dich nicht mehr empfangen) nieder.

(Gethsemane!
Die Jünger schliefen.)
(S. 53)
_____



Du hast mir ein für alle Mal
die Furcht vor eignem Schmerz genommen.
Weil du sie littest, sei mir jede Qual
willkommen.

Und hast mich vor dem Schweren hier
gefeit.
Denn alles Leid
wird mir Brücke zu dir.
(S. 54)
_____



Ich will nicht essen.
Es macht mich schwer.
Ich will nicht Schlaf. Denn Schlaf ist Vergessen
und ich will mein Licht
auch für Stunden nicht
von mir geben.
Ich brauche nicht mehr
als den Schmerz um dich.
Von dem kann ich leben.
(S. 55)
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Wir streben fort von hier,
hinauf ins Licht
und fühlen Gottes Maße allzu schwer
und allzu groß.
Dir sind sie dein. Du kommst von dorten her.
Nur eins erlernst du nicht:
Schwach sein wie wir.
Und das zu können, ist auch Menschenlos.
(S. 56)
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Die Nebel fallen wieder ein
und lassen mich mit mir allein.
Mein großer Schmerz wird bleiern schwer.
Und drückt nur - und erlöst nicht mehr.
Das er mich hat vergessen gemacht
in lauterer Glut, die er entfacht, -
mein Ich ist wieder aufgewacht,
und tut wie eine Wunde weh -
und wie ich erblindend nun nichts mehr seh
als mich - und alles stockt und steht, -
wird mir dein Name zum Stoßgebet.
(S. 57)
_____



Du hast mich erst gelehrt, was Leben ist!
Ich fror: jetzt stehe ich in Flammen.
Das Glück, das mir durch dich gegeben ist,
schlägt wie ein Feuer über mir zusammen.

Im Glück und Weh der allzu starken Glut
packt mich die Angst, sie könnte mich verlassen -
denn meine Hände können sie nicht fassen,
so wie mein Herz es tut.
(S. 58)
_____



Als ich dich erst erkannt,
noch ohne dich zu kennen,
hielt mich die Furcht gebannt,
ich würde dich nicht halten können.

Dann, als du zu mir kamst,
und meinem schwanken Leben
das du zu eigen nahmst,
erst Richtung und Gehalt gegeben,

vergaß ich auf die Nacht, die dich umwirbt.
Jetzt fühle ich mit Schauern
das Dunkel lauern,
wenn erst das Licht auf deiner Stirn erstirbt,
wenn mir das Licht auf deiner Stirn erstirbt.
(S. 59)
_____



Händen, die dich haben halten wollen,
hast du still gewehrt,
hast sie endlich doch gelehrt,
daß sie sich nur falten sollen.

Und jetzt weiß ich: dieses Deinsein
ist mein Schutz, mein Glück. Doch keine Gabe,
eine Last für dich! Und Reinsein
alles, was ich dir zu geben habe.
(S. 60)
_____



Meine Gedanken können stille knien
am Abgrund vor deinem Schweigen.
Nur wirf nicht Worte drüber hin.
Sie reichen nicht von Rand zu Rand und zeigen
mir nur noch mehr, daß ich dir ferne bin.
(S. 61)
_____



Alles, was ich habe ist dein.
Meine Gedanken und Handlungen tragen
deinen Stempel, die Lieder sagen
nur, was du trugest in mich hinein.
Von der Art, meine Hände zu falten
bis zur geringsten Alltäglichkeit
hab ich alles von dir erhalten,
hat dein Berühren mein Leben geweiht,
und so ist es nicht zu vermeiden
und du mußt mir gütig verzeihn,
vermag ich nicht immer zu unterscheiden
zwischen mein und dein.
(S. 62)
_____



Ich weiß, daß ich dich noch nicht richtig liebe:
Noch schloß ich mich nicht ganz dem Hasse zu
und noch verbirgt sich in mir manches Trübe
das anders ist, als du.

Verzeih und habe weiter nur Geduld
Wie deine Flamme täglich höher schlägt
in mir, so löst die Schlacken sie der Schuld
vom Herzen, das nur mehr dein Bildnis trägt.
(S. 63)
_____



Ich sah dich auf dem Weg, den keiner schritt,
keiner je schritt als Er. Da kam ich mit,
um dir und deiner Bürde nah zu sein.
Ich hielt mit einer Hand dein Kleid gefaßt
und mit der andern schüchtern deine Last.

Du sagtest: Nein.
Und hast mit einem einzigen Griff, der sanft
erschien und eisern war, die dich umkrampft
von dir gelöst: Mein Herz und meine Hände.

Und gehst seither, allein und ungestört
von keinem Griff an deinem Kleid beschwert
den Weg, den Gott dir strenge wies, zu Ende.
(S. 64)
_____



Und hättest du nie mir erlaubt, die Last
von deiner auf meine Schulter zu schieben,
so ist es für uns beide fast
besser, daß ich zurückgeblieben.

Ich kann nicht weiter neben dir gehn,
ohne ein Wort zu sagen,
und ich kann nicht, ich kann nicht, ich kann nicht sehn,
daß du trägst, was nicht mehr zu tragen.
(S. 65)
_____



Oh deiner Nächte Angst und Überschwang:
Oh Deine schmerzgepreßten Nächte -
war mir der Weg zu ihnen schon zu lang
aus meinen Engen, daß ich ihrer dächte?
Mein Drang zu Dir war zur Unendlichkeit
und die mit Dir - für Dich gelittne Qual
riß mich aus meiner angesteckten Zeit -
An deinem Tisch ward mir das Abendmahl.
Und was ist anders seit den ersten Tagen
als meines Herzens Flamme hochgeschlagen,
brannte sie nun zu leerer Schlacke aus?
Wir sind nicht im Unendlichen zu Haus.
Wir wollen allem einen Namen geben,
auch dem, was drüben keinen Namen fand,
und tragen drum aus unserm Leben
die Worte in des Ewigen Land.
Ich hab dein Schicksal ausgemessen
mit irdischem Maße und Gewicht
und hab dabei das Wort vergessen,
das man nur liest und niemals spricht -

Aber hast du es nicht verschuldet,
nahmst du mich denn in deine Reiche mit?
Hast du den Gleichklang denn geduldet
von meinem neben deinem Schritt?
Oh frag dich selbst, ob du mich nicht verwiesen,
worin ich lang ein unvergnügter Gast,
ob du nicht selber mich in diesen
so bittern Alltag erst verwiesen hast?
Du zahlst die Tränensteuer beider Welten
und bist ein Bürger dort wie hier -
Doch solche doppelten Gesetze gelten
nur dir -.
Ich hab gelernt, den Werktag zu ertragen,
die Hände, welche ihre Arbeit halten
können sich nicht zu jeder Stunde falten -
und man vergißt leicht überm Stundenschlagen
die Sternenmaße und das Sonnenjahr. -
Es bleibt nicht unser - was einst unser war -
(S. 67-68)
_____



Oft weiß ich plötzlich: nichts ist von Bestand.
Ich fühle den Boden unter mir ein Meer,
das Morgen ist noch nicht, das Gestern ist nicht mehr,
das Heute ist ein schmaler Streifen Land,

der aufsteigt aus der ungewissen Flut
und sich erst bildet unter meinem Schreiten.
Mein Herz, das sonst so sicher in dir ruht,
fühlt bebend alles schwinden und entgleiten.
(S. 69)
_____



Zu müde, um des Tages Last zu buchen,
will ich die Ruh in schwerem Schlafe suchen.

Und weiß nicht, was geheimnisvoll mich zwingt,
in mich zu lauschen: und die Seele singt.

Sie singt? Ich horche näher und mir scheint
daß ich mich nur verhört: die Seele weint.
(S. 70)
_____


Aus: Leonie Spitzer Wandlungen der Liebe
J. G. Bläschke Verlag Darmstadt 1978

 

Biographie:

Leonie Spitzer stammte aus einer angesehenen jüdisch-assimilierten Wiener Familie. Ihr Vater Franz Spitzer war Arzt und Obermedizinalrat. Der Großvater väterlicherseits war der berühmte Mathematiker Simon Spitzer. Die Mutter Charlotte, geb. Pokorny, war Tochter von Dr. Wilhelm Pokorny, Homöopath und Arzt der österreichischen Aristokratie.
Leonie Spitzer wurde zunächst von Hauslehrern unterrichtet. Später besuchte sie das Lyzeum Hanausek und legte 1912 die Lehrbefähigungsprüfung für Französisch und Englisch ab.
Nach zwei aufgelösten Verlobungen ging Leonie Spitzer 1912/13 zu Studienzwecken nach Oxford (England). Entschlossen ein Universitätsstudium aufzunehmen, trat sie nach ihrer Rückkehr in die achte Klasse eines Reform-Realgymnasiums ein, um die für das Studium erforderliche Matura nachzuholen. Anschließend studierte sie vier Jahre Altenglisch, Gotisch, Griechisch und Norwegisch an der Wiener Universität und schloß das Studium 1920 mit einer Dissertation über Rilkes Verskunst ab.
In dieser Zeit begegnete sie ihrer großen Liebe, der Naturwissenschaftlerin und Lehrerin Dr. Hede V. Die Liebesbeziehung war überschattet von der schweren Tuberkuloseerkrankung der Freundin, der sie 1929 erlag. Mit ihrem Tod endete auch Leonie Spitzers intensivste lyrische Schaffensperiode.
Von 1921 bis 1922 arbeitete sie als Lektorin im Rikola-Verlag.
Danach bis 1938 am Floridsdorfer Gymnasium. Nach der Annexion Österreichs durch die Nationalsozialisten wurde sie in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Leonie Spitzer emigrierte 1938 zunächst nach Italien, dann 1939 nach Oxford. Dort unterrichtete sie bis zu ihrem Tod 1940.




 

 


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