Ilse von Stach (1879-1941) - Liebesgedichte

Ilse von Stach
Ilse von Stach
Quelle: Universitäts- und Landesbibliothek
Münster, Nachlass Stach 37,007
 



Ilse von Stach
(1879-1941)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


 

Wie Sturmwind fährt die Zeit

Wie Sturmwind fährt die Zeit
und reißt aus meinen Sinnen
doch nicht dein Bild von hinnen
zu mindrem Herzeleid.

Ich hab mich müd geweint;
kein Trost und süßer Frieden
ist mir bei dem beschieden,
den meine Seele meint.

Hilf, Gott, wen klag ich an,
daß niemals Lieb und Willen
aus meinem Herzen quillen
und überfließen kann.

Oh weh, wo find ich Rat?
Viel dunkle Wege führen
vor unbekannte Türen -
wer keine Heimat hat! ...

Auf, auf, mein Herz. Du bist
so blind und jung wie andre.
So irre nun und wandre,
Bis tiefer Winter ist.


Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 34)

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Verlöbnis

Du mußt mir alle Tage sagen,
nein, jede Stunde sprich zu mir:
In allen deinen Erdentagen,
so lange dich die Schritte tragen,
nie lasse ich von dir! -

Wenn dann die stillen Nächte kommen,
sprech ich dir deine Worte nach,
und Ängste, die mich sonst beklommen,
sind wunderbar hinweggenommen,
und lauter Liebe hält mich wach.

Nur muß ich tief im Grunde wissen,
was noch mein Herz so leicht vergißt,
daß mir in deinem Arm und Kissen,
wohin mich auch der Strom gerissen,
mein Bettlein zubereitet ist.

Den Glauben will ich treulich tragen,
daß er mir nicht wie Glück zerbricht. -
Du aber sollst mir ewig sagen:
In allen deinen Erdentagen
laß ich dich nicht, laß ich dich nicht.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 35)

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Deine Nähe

Wie die milde Sommernacht beglückt,
also lindert deine süße Nähe,
lange schon gereiftes Leid und Wehe,
tröstet auch in Tränen und entzückt.

Meine Seele, die gebunden ist,
hebt sich auf dem Fittich sanfter Träume
lächelnd hoch in unbegrenzte Räume,
haltlos, wenn du gegenwärtig bist.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 36)

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Frühling

Wie soll mein Herz den Frühling überstehn,
wenn sonnentrunken wieder rings auf Erden
die Knospe schwillt in ahnungsvollem Werden
und tausend Wünsche durch die Täler gehn ...
Wie soll mein Herz den Frühling überstehn!

Den Frühling, den auch du so sehr geliebt,
wenn, wo ein Herz um deines fast vergangen,
zwei Augen leuchtend groß an dir gehangen,
ein Lippenpaar, das immer gibt und gibt.
Wie hat dein Herz den Frühling dann geliebt! -

Und wieder wird's von Tal zu Tale wehn,
dieselbe liebeselge Frühlingsfeier,
dann stehn die Birken keusch im Hochzeitsschleier,
und durch die Nächte wird ein Flüstern gehn -
Wie soll mein Herz den Frühling überstehn!


Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 37)

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Meiner Seele Sehnsucht

Nun hab ich dich zum ersten Mal gesehn,
und ungerührt im Herzen, ungebunden,
als hätt' ich deinen Zauber nie empfunden,
sah ich dich von der Ferne vor mir stehn. -

O Gott, ich bitte nicht um Gunst und Glück,
das ich für bittre Stunden tauschen wollte,
gib mir, und wenn ich daran sterben sollte,
gib meiner Seele Sehnsucht mir zurück.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 38)

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Resignation

Und Tage sind, wo alle Sehnsucht schweigt.
Und ob ich ganze Nächte schlaflos lausche,
daß sie vom Herzen mir entgegenrausche,
mir klingt kein Ton, der aus der Tiefe steigt.

Komm, süße Sehnsucht, komm zu meiner Qual!
Du bist lebend'gen Lebens ew'ge Quelle.
Du drohst Vernichtung wie des Meeres Welle,
vernichte mich, so lebt' ich doch einmal.

Wer wird mir geben, was mein Herz begehrt?
Daß ich des Daseins Fülle, die ich fasse,
ohnmächtig nicht und schlaff entgleiten lasse,
noch eh' sie mich erlöst, noch eh' verzehrt.

Ach, Tage sind, wo alle Sehnsucht schweigt.
Ich weiß nicht, ob sie mir vom Sterben sagen,
noch ob sie Fluch, ob Segen in sich tragen,
nur daß mein Haupt sich stumm verzichtend neigt.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 39)

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Abend

Blaue nachtgewebte Schleier
wallen um mein stilles Haus.
Horch, des Abends holde Feier
klingt in deinen Namen aus.

Mond und Sterne, die da blinken,
heißen du und alles du.
Könnt ich so in dich versinken
wie in dieses Abends Ruh.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 40)

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Juni-Nacht

Liebes Herz, nun gib dich drein;
linde, ach, und düfteschwer
zieht die Juninacht einher,
will durchaus empfunden sein.

Dulde und gedulde dich.
Trag die sommersüße Last,
wie du viel getragen hast.
Denke, alles wandelt sich.

Wenn der Herbst im Lande ist,
spürst du minder, liebes Herz,
bis zum Frühlingskünder März,
minder, daß du einsam bist.


Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 41)

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Entfernung

Es steht ein stiller Wald am Horizont,
der schweigt, wenn ihn des Abends Schwingen decken,
und schweigt, wenn ihn der Morgen übersonnt,
und kann doch Nacht und Tages Träume wecken.

Er ist es, der den Weg zu dir verhüllt,
daß alle Sehnsucht, wahrhaft dich zu spüren,
sich gestern, heute - ewig nicht erfüllt.
Und alle Pfade tief ins Dunkel führen.

Denn finster reckt er sich zum Firmament
und scheint als Mauer schon mit ihm verbunden,
so wie die Spanne Landes, die uns trennt,
in Eins verwuchs mit ungezählten Stunden.

Wenn du nun kommst, so wird's ein Wunder sein,
daran man glauben muß aus ganzer Seele,
und glühn in mittäglichem Liebesschein,
damit es seine Segnung nicht verfehle.


Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 42)

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Für dich

Wie die Seele einst aus Gottes Schöpferhand
ungeteilt in ihrem Sein hervorgegangen,
wie ich schlummernd sie im Mutterschoß empfangen
und ihr gottgewolltes Urbild nicht gekannt,

so - nachdem des Lebens und des Leidens Macht
ihre reinen Kräfte teilte und zerstreute,
trennender Gewalten schon erles'ne Beute,
und der Kampf der Geister über ihr entfacht -

fühl ich selig, tief begnadet fühl ich nun,
die verlassne Einheit sich zusammenschließen,
alle Ströme meiner Seele sich ergießen,
um im Abgrund deiner Liebe fromm zu ruhn.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 43)

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Zeit und Weile

Alle Zeit und Weile nimmt ein Ende.
Ach, die wonnevollen Stunden gleiten
wie die bittren bald in Dunkelheiten -
so die Zeit, da deine lieben Hände
mein Geschick umspannten, ging zu Ende.

Ja, die erdenschönste Nacht von allen
unaufhaltsam ist sie doch gleich denen,
die da ziehn im Schleppgewand der Tränen,
neidisch fahlem Dämmerlicht verfallen.
Auch die erdenschönste Nacht von allen.

Nur die Nebel, die im Tale brauen,
und die Wolken, die in schwarzen Strängen
regenschwer vom Himmel niederhängen,
zögern wohl heran das Tagesgrauen,
das kein Glücklicher begehrt zu schauen.

Nebel, Wolken, lagert breit und breiter,
zieht euch um die Berge eng und enger, -
gebt um einen Kuß und Pulsschlag länger
uns die Nacht, die süße, zum Begleiter,
einen Atemzug, ein Lächeln weiter.

Zeit und Weile nimmt gewiß ein Ende,
denn die Stunden rollen. Schmerz der Schmerzen,
komm, und habe Raum in meinem Herzen.
Die mich hielten, die geliebten Hände
lösten sich und alles ging zu Ende.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 44)

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Ich und du

I.
Wenn von uns einer
die schauernden Glieder gestreckt hat, -
einer, der doch des anderen Süße
und Pracht und Schönheit in seinem stillen Menschenbildnis
als der Erde Wunder beschlossen, -
wenn von uns einer,
gottgetroffen, die Glieder gestreckt hat ...
wie dann wird der andere stehen
vor der großen, schweigenden,
ewig sich selbst nur kündenden Einsamkeit?

Denn des Entschwebten Dasein war Tröstung
dem, der geblieben.
Linde ging das Streicheln der Hände
über die Stirn, eh noch des Leidens
dunkelnde Welle abgelagert
zu des eigenen Maßes Erkenntnis.
Und es senkten sich die Wurzeln,
senkten alle sich vertrauend
in geliebtes Sein und Wesen
schlummernd ein.

Mach dich auf, der du geblieben, -
deiner eigenen Form entkleidet,
fragend, wer der Bettler sei ...
Mach dich auf, - laß deine blöden
Sinne tasten, -
laß die losgelösten Wurzeln
streben nach verborgenem Grund.


II.
Ach, du wirst an Gottes Pforten,
wirst im Dunklen stehn und lauschen, -
wirst auf Steinen knien, und deines
Schmerzes Bäche werden strömen
über dem gesenkten Haupt.
Haupt du der Verlassnen.

Bis geheimnisvolle Tröstung
rührt mit wehend lindem Streicheln
... an die Stirne nicht, die hinter
hoher Wölbung Gram umschließt. -
An des Grames Trägerin rührt Gottes lindes Streicheln.
Und das heilig Wesenhafte
strömt hinein in Wesenhaftes,
Geist in Geist.

Und ein Adler, losgebunden,
rauscht in fleischernem Gezelte,
rauscht entfesselt deine Seele,
die von Gott in letzter Treibjagd
und für immer ihm erlag.

Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 45-46)

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Drei Sonette

I.
Laß mich dein holdes Angesicht betrachten! -
Was für ein Wort! Halb zärtlich, halb vermessen,
als hätte ich der Jahre Zahl vergessen,
die aus dem holden Knaben einen Menschen machten.

Die in sein Antlitz tausend Zeichen brachten,
weil er doch wißbegierig unterdessen
als Gast und Wirt an jenem Tisch gesessen,
da man die Früchte speist aus Sphären und aus Schachten.

Ernst sein ist alles, sagt dein Angesicht.
Und schimmert doch durch Reife und durch Strenge
das Holdsein wie ein unbesiegtes Licht,

treibt Wissensforderung aus ihrer Enge, -
bis sich ein Kranz um die gelehrte Stirne flicht -
und über Thesen siegen Bilder und Gesänge.


II.
Ich aber will in jene Tiefe steigen,
in jenen Wesensgrund, darin die Treue wohnt.
Die Lebenstreue, die auf heil'ger Insel thront,
umbraust, umbrandet, angespie'n von einem Reigen

widriger Geister, die ja niemals schweigen,
wenn irgendwo ein Genius bettelt: Schont
in mir den Auftrieb, - wenn ihr auch nicht lohnt ...
nur deine Treue schonte, lohnte Sinken oder Steigen.

Als Dichterin und Mutter hab ich sie gewogen.
Welch ein Gewicht war dies. Und als Geliebte.
Hast du aus diesem ewgen Quell die Kraft gesogen,

daß täglich sie aufs Neue Wurf und Anwurf siebte,
bis sie Versuchung wiederum in Treue umgebogen ...?
O Liebster. Daß ich je genug dich liebte!


III.
An den Gestirnen hat die Flamme sich entzündet.
Gott, der allweise Lenker der Gestirne
und Herzen - lenkte die Herzen über Tal und Firne,
also daß Wassermann und Steinbock sich verbündet.

Also daß Wassermann, der stets den Morgen kündet,
Steinbock den Zögernden mitreißt in Blut und Hirne.
Dann aber ist es Steinbock, der die ewige Geisterdirne
einfängt, bis sich ihr Tanz zur Orgelfuge ründet.

So ist denn eins dem andern zugesellt.
So schlagen sie als Allieerte ihre Geistesschlachten,
stürzen durch Raum und Zeit und schöne Welt

auf ihrer Seele weit gespannten Yachten.
Nur manchmal, wenn nach Tag und Traum der Abend fällt,
will Wassermann des Steinbocks holdes Angesicht betrachten.


Aus: Ilse von Stach
"Wie Sturmwind fährt die Zeit"
Gedichte aus drei Jahrzehnten
Eingeleitet von Dr. Aloys Christof Wilsmann
Regensberg Münster 1948 (S. 47-48)

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Hast Du die Sehnsucht ...

Hast Du die Sehnsucht nur geweckt zur Qual?
Ich suche und ich fliehe Deine Nähe,
mir bangt mein Herz, wenn ich Dein Antlitz sehe,
und habe, Dich zu sehn, doch keine Wahl -
ich muß! Ganz ungewollt und ungewußt
will sich mein Weg nicht von dem Deinen wenden -
und wollt ich gehn und wollt ich enden ...
ich sänke jauchzend Dir an Deine Brust.


Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Berlin Hermann Costenoble 1902 (S. 203)

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Liebe

Das aber sind des Lebens schönste Stunden,
wenn Deine Seele zu der meinen spricht.
Dann hat ein Fremdling Heimatsstatt gefunden,
dann fühlt ein Kranker seinen Schmerz gesunden,
dann sieht zu Nacht ein Schiffer Land und Licht.

Das aber ist ein Glück, nicht auszusagen,
wenn mich Dein Arm, Dein starker Arm umfängt,
dann fühl ich Ewigkeiten in den Augenblick getragen,
ich fühle meine Liebe über mir zusammenschlagen,
wenn sich Dein Herz zu meinem Herzen drängt.

Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Berlin Hermann Costenoble 1902 (S. 203-204)

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Begegnung

Wir waren uns fremd und sind uns begegnet,
wir haben einander geliebt und gesegnet
wohl einen kurzen Augenblick.
Du hast Dir einen Traum ersonnen,
den habe ich selig weiter gesponnen,
da ward er uns Glauben und Glück.

Du wolltest uns einen Tempel bauen,
ich sollte staunend die Heimat schauen
nach meiner einsamen Wanderschaft.
Ich aber wollte Dir mit weichen
Händen über die Stirne streichen
nach Deiner einsamen Wanderschaft.

O Du! - - - In meinen Thränen
ist noch dasselbe, glückselige Sehnen,
meine Träume erzählen von Dir.
Mir ist, als ob sie mir weilte und bliebe
meine glückselige, gläubige Liebe,
so nah bist Du mir.

Ich weiß wohl, was viel Kränze und Blüten
auf einem schweigsamen Felde behüten,
- ich weiß meines Herzens Herzeleid.
Aber daß wir uns fremd und begegnet,
daß wir einander geliebt und gesegnet,
trägt sich hinein in die Ewigkeit.

Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt bei Berlin Hermann Costenoble 1902 (S. 204-205)

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Das Herz

Wie liegst Du da so märchenhaft
Und strahlst in Deiner Zauberkraft,
Du herrliche Natur!
Ach, könnte ich ergründen
Und könnte finden
Deines Zaubers Spur!
Ich seh' das Meer und hör' das mächtige Brausen,
Vernehme stumm des starken Windes Sausen,
Seh' wiederum der Sonne lieblich Licht.
Ich hör' die Vögel, hör' der Räume Rauschen,
Muß andachtsvoll des Waldes Stimme lauschen,
Doch das geheime Wirken kenn' ich nicht.

Wie bist Du sturm- und sonnenreich,
Wie bist Du klein und göttergleich,
Du Herz, wie die Natur.
Wer könnte Dich ergründen?
Wer könnte finden
Deines Zaubers Spur?
Ich fühle selbst die Folgen der Gedanken,
Den wilden Thatendrang, das bange Schwanken,
Wie ein Begriff sich schon am nächsten bricht;
Bald schmerzt der Mißerfolg im steten Kriege,
Bewund're bald des Herzens hohe Siege,
Doch das geheime Wirken kenn ich nicht.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 12)
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Sieg

Still fließt die Flut zu nächtlicher Stund',
Schauerlich gurgelt's am tiefen Grund,
Bleich scheint des Mondes Silberlicht;
Rausche nur, Woge, ich folge nicht.
Es steigt zu mir die Weise,
Die in die Fluten zieht,
Die Wellen singen leise
Ihr allberauschend Lied:
"Komme hernieder, hier nur ist Ruh,
All' Deine Leiden decken wir zu,
All' Deiner Liebe unsel'ge Glut,
Friede und Heimat birgt uns're Flut.
So neige Dich hernieder
Und teile unser Glück,
Es geben uns're Lieder
Dich selber Dir zurück."
Welle auf Welle naht sich vom Wald,
Schimmert und schmeichelt, schäumt und verhallt;
Nimmermehr folg ich! Das Leben ist mein,
Friede nicht such ich, frei will ich sein;
Ich selber im Gesange
Entfess'le meine Kraft
Und gebe Raum dem Drange
Der wilden Leidenschaft.

Ketten der Liebe fesseln mich nicht,
Da aus dem Liede Befreiung mir spricht;
Dein bin ich ewig! — Der Liebe Leid
Wird im Gesange zur Seligkeit.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 16-17)
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Momentphotographie

Du schweigest, dunkler Tannenwald,
In Deinem ernsten Grün.
Ich will von Menschen, Leid und Qual
In Deinen Schatten fliehn.

Und hier, in dieser Waldesruh,
Am friedevollen See,
Da öffnet sich des Herzens Grund
In überströmtem Weh.

* * *

In sinnbethörter Leidenschaft
War all' mein Denken Dein;
Und wie gefesselt, Göttlicher,
War ich vor Dir allein.

Noch nimmer schmiegte sich mein Geist
An einen andren an;
Du Größerer, Du Einziger,
Was hast Du mir gethan?

Ich kann Dir nicht gehören,
Ich kann nicht jauchzen: "Dein,"
Kann in geklärter Liebe
Nicht in Dir glücklich sein.

So stürzte ich verzweifelt
In andre Bahnen mich,
Und jauchze, wo ich siege:
Ich überwinde Dich!

Und reiße ab die Ketten,
Ob auch die Wunde quillt,
Ich will die andren retten
Vor dem, was ich gefühlt.

Ein neuer Geist der Liebe
Soll durch die Herzen gehn,
Und frei und ohne Fessel
Soll Aug' in Auge sehn.

* * *

Du aber, den ich liebte,
Mein Gott, mein höchstes Glück,
O schweig! und rufe nimmer
Den alten Kampf zurück.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 20-21)
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An mich

Du bist verliebt? Das läßt sich nur beklagen;
Verliebte Leute kann ich schwer ertragen;
Doch das verraucht; ich gebe Dich nicht auf. —
Du liebst ins Blaue? — Deinen Rausch zu schärfen
Verbrauchst Du Deine allerbesten Nerven?
Geh, Schwächling, häng' am nächsten Baum Dich auf.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 24)
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Gebrochenes Gelübde

Ich hab' mir gelobet zu entsagen;
Dir aber entsag' ich nicht.
Kann auch der Mensch ein Leben tragen
Ohne sein Sonnenlicht?

Ich hatte entsagt dem heißen Empfinden;
Dich aber kannt' ich nicht.
Wer kann dem Verlangen mich entbinden,
Das Eide bricht?

Entsagung der Liebe wollt' ich üben;
Dich aber liebt' ich nicht.
Nun muß meine heiße Liebe ich lieben
Für Dich, Du mein Sonnenlicht.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 29)
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Abschied vom Glück

So lernte wohl ein selig Glück ich kennen,
Wenn ich von einem Glücke scheiden soll?
Mag ich's nun Glück, mag ich's Begeistrung nennen,
Es ward mir Herz und Sinn so übervoll,
Und ach, von diesem Glücke mich zu trennen
Ist schwer, ist hart, und unerreichbar wohl;
Mir ist, als müßte ich mein ganzes Leben
Mit diesem Glück, mit dieser Wonne geben.

Ich will die Rose nur am Wege pflücken,
Sie blüht für mich so sinnbethörend schön;
Nur kurze Zeit soll mich ihr Duft beglücken,
Dann will ich ungehindert vorwärts gehn;
Gönnt mir ein kurzes, seliges Entzücken,
Laßt mich bewundernd, liebeglühend stehn —
Ach, grausam gellt der Ruf mir in die Ohren:
Hinweg, der Duft erschlafft, Du gehst verloren.

So schnell kann dieser Duft mich nicht erschlaffen,
Ich will ja nur ein kurzes Liebesglück;
Noch bleibt mir Mut und Kraft mich aufzuraffen,
Doch ach! zu lang schon war der Augenblick,
Und mitten in dem arbeitfrohen Schaffen
Hält fordernd mich mein sehnend Herz zurück,
Ich lernte nicht die roten Rosen sehen
Und unverwundet, stark vorübergehen.

So müssen denn die roten Rosen bleichen,
Sind blühend ihre Fesseln ewig neu;
Dem höhren Ziel muß zarte Liebe weichen,
Der Sinne mächtig bleibt der Mensch sich treu;
Frei muß ich sein, um Zwecke zu erreichen,
Von Liebesglück und Liebesthränen frei,
Es werden diese jetzt noch offnen Wunden
In lichter Freiheit Morgentau gesunden.


Aus: Ilse Stach von Goltzheim
Wer kann dafür, daß seines Frühlings Lüfte weh’n! Gedichte
E. Piersons's Verlag, Dresden und Leipzig, 1898 (S. 34-35)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ilse_von_Stach

 

 


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