"Ach Gott, ach Gott, wie kommt der Tag so früh!"

Das Tagelied der Troubadours, der Minnesänger und anderer
 


Else Lasker-Schüler (1869-1945)
Abschied

 


Karl August Förster
(1784-1884)



Trennung am Morgen
Nach dem Provenzalischen des Bertrand d'Alamanon

Bei der Liebsten im Kämmerlein
Saß der Ritter ganz allein,
Küßte sie und sprach darein:
Süßes Lieb, was fang ich an?
Nacht will gehn und Tag bricht an!
Weh!

Wächter ruft: "frisch auf, frisch auf!
Tagesschein beginnt den Lauf,
Morgenroth vorauf."
Süßes Lieb, daß nimmermehr
In der weiten Welt umher
Tag nach Morgenröthe wär'!
Mindest, wo stillangeschmiegt
Liebster bei Feinliebchen liegt!
Weh!

Wächter ruft: "frisch auf, frisch auf!
Tagesschein beginnt den Lauf,
Morgenroth vorauf."
Süßes Lieb, was man auch spricht,
Größer Wehe gibt es nicht,
Als wenn Scheiden Herzen bricht.
Hab' es nimmer zuvor gedacht;
Ach wie kurz, wie kurz die Nacht!
Weh!

Wächter ruft: "frisch auf, frisch auf!
Tagesschein beginnt den Lauf,
Morgenroth vorauf."
Süßes Lieb, ich zieh' allein;
Wo ich bin, ich bleibe dein;
Du, um Gott, gedenke mein!
Herz, mein Herz bleibt für -
Fern und nah - es bleibt bei dir.
Weh!

Wächter ruft: "frisch auf, frisch auf!
Tagesschein beginnt den Lauf,
Morgenroth vorauf."
Süßes Lieb, und wenn's geschäh' -
Daß ich nicht so bald dich säh',
Glaub' es mir, ich stünd' in Weh.
Komm schon wieder in kleiner Frist;
Kann ja nicht leben, wo du nicht bist.
Weh!

Wächter ruft: "frisch auf, frisch auf!
Tagesschein beginnt den Lauf,
Morgenroth vorauf!"


Aus: Gedichte von Karl Förster
Herausgegeben von Ludwig Tieck
Erster und zweiter Theil
Leipzig F. A. Brockhaus 1843
(Band 1, S. 361-363)

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