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      Else Lasker-Schüler 
      (1869-1945) 
      Abschied  | 
      
      
      
          
      
       
      Walther von der Vogelweide 
      (um 1170 - 1230) 
       
        
      Ein Tagelied 
       
      Ein schmucker Ritter lag 
      In trauter Zärtlichkeit 
      In seiner Herrin Armen; 
      er sah das Morgenlicht, 
      Das schon durch die Wolken 
      von fernher glänzend brach. 
      Die Frau im Leide sprach: 
      "Weh gescheh' dir, Tag, 
      Daß du mich nun beim Liebsten 
      läßt länger bleiben nicht! 
      Was man da Minne nennet, 
      ist nichts als Herzeleid!" - 
       
      "Süße Freundin mein, 
      Laß dir nicht Trauer nah'n! 
      Gut ist es für uns beide, 
      wenn ich jetzt von dir geh'. 
      Schon glänzt der Morgenstern ja 
      herein ins Zimmer licht." - 
      "Mein Freund, ach, geh' noch nicht. 
      Laß solch Reden sein, 
      Wodurch du mir das Herz nur 
      beschwerst mit bitterm Weh. 
      Was eilst du doch so balde? 
      Das ist nicht wohlgethan." - 
       
      "Herrin, mag's denn sein, 
      Ich bleibe noch bei dir. 
      Sag' nur mit kurzen Worten, 
      was noch begehrt dein Herz, 
      Daß wir die Späher täuschen 
      auch heute wie bisher." - 
      "Freund, es betrübt mich sehr: 
      Bis wieder so allein 
      Mit dir ich bin, bedrückt mich 
      ach, leider zu viel Schmerz. 
      Drum meid' mich nicht zu lange! 
      Wie lieb doch wär' das mir." 
       
      "Nein, das wird nie gescheh'n, 
      Soweit ich's nur vermag. 
      Ob fern ich von dir, Herrin, 
      einen Tag lang bin, 
      Glaub' mir, so bleibt mein Herz doch 
      nur immerfort bei dir." - 
      "Nun, Freund, dann folge mir: 
      Komm bald, um mich zu seh'n, 
      Wenn fest und ohne Wanken 
      mir zugethan dein Sinn. 
      O weh des bittern Anblicks! 
      Nun seh' ich selbst den Tag!" - 
       
      "Was glänzt ihr Blumen rot, 
      Wenn ich von hinnen soll? 
      O du vielliebe Freundin, 
      so unwert sind sie mir 
      Als wie den kleinen Vöglein 
      die winterkalte Zeit." - 
      "Freund, das ist auch mein Leid 
      Und meine stete Not. 
      Ich seh' ja gar kein Ende, 
      wie lang ich dich verlier'. 
      Ach, bleib' nur noch ein Weilchen, 
      du thatst mir nie so wohl." - 
       
      "Herrin, es ist Zeit. 
      Leb' wohl, es muß nun sein. 
      Ich thu's um deine Ehre, 
      verlangt es fort mich nun, 
      Da ja sein Lied der Wächter 
      schon laut erhoben hat." - 
      "Freund, ist dafür kein Rat, 
      So geb' ich nach im Streit. 
      Doch daß ich Urlaub gebe, 
      muß mir gar wehe thun. 
      Der mir das Leben schenkte, 
      mag seinen Schutz dir leih'n!" - 
       
      Als nun der Ritter schied, 
      Da grämte sich sein Leib. 
      Er ließ die Schöne, Gute 
      in thränenreichem Schmerz; 
      Doch lohnt' er ihr mit Treue, 
      daß sie ihm war so nah. 
      Sie sprach: "Wer künftig da 
      Nun singt ein Tagelied, 
      Der wird nur jeden Morgen 
      beschweren mir das Herz. 
      Nun bin ich ohne Liebsten 
      recht wie ein sehnend Weib." - 
       
      Nachgedichtet von Bruno Obermann 
       
      
      Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide 
      Uebersetzt und erläutert von Bruno Obermann 
      Stuttgart Berlin Leipzig 1886 (S. 23-26) 
      _______ 
        
       
       
      Tagelied 
       
      Kosend ein Ritter lag  
      In seliger Liebesnot  
      In seiner Herrin Armen  
      Und sah das Morgenrot,  
      Wie es durch Wolkenferne  
      Mit blassem Schimmer brach.  
      Die Frau bekümmert sprach:  
      "O weh dir, Morgenrot,  
      Daß du mich nicht beim Liebsten  
      Läßt länger selig sein.  
      Was sie da nennen Minne,  
      Ist eitel Herzenspein." – 
       
      "Vielsüße Freundin mein,  
      Laß alle Traurigkeit:  
      Muß ich von dir auch scheiden,  
      Uns beiden schaffts kein Leid!  
      Des Morgensternes Schimmer  
      Macht schon die Kammer licht." –  
      "O Liebster, scheide nicht,  
      So bitter klingt Ade,  
      Womit du mir bedrückest  
      Des Herzens frohen Mut.  
      Was eilest du von hinnen?  
      Wie mir das wehe tut!" –  
       
      "Herrin, du bittest mich?  
      So geb ich mich besiegt;  
      Sag denn in kurzem Worte,  
      Was dir am Herzen liegt,  
      Daß wir die Späher täuschen  
      Heut wie schon manches Mal." –  
      "O Freund, ich leide Qual!  
      Bis daß ich wieder dich  
      Umfangen darf, bedrücken  
      Viel Schmerzen meine Brust.  
      Bleibst du nicht lange ferne,  
      Bereitest du mir Lust." 
       
      "Das wird nur dann geschehn,  
      Wenns anders nicht kann sein.  
      Muß ich dich, Teure, meiden  
      Ach nur ein Stündelein,  
      So weilt doch all mein Sinnen  
      Allewiglich bei dir." –  
      "Mein Freund, versprich es mir;  
      Laß bald dich wieder sehn,  
      Falls dir es ohne Wanken  
      Zu dienen mir behagt!  
      O weh der Augenweide:  
      Nun seh ich, daß es tagt!" 
       
      "Was helfen Blümlein rot,  
      Da ich nun muß von dir,  
      Vielsüße Herzensfreundin?  
      Die sind zuwider mir  
      Gleichwie den kleinen Vögeln  
      Die kalte Winterszeit!" –  
      "Das ist auch mir ein Leid  
      Und immerneue Not:  
      Ich seh ja noch kein Ende,  
      Wie lang ich einsam blieb:  
      Ach liege noch ein Weilchen,  
      Du warst noch nie so lieb." – 
       
      "Nein, Herrin, es ist Zeit,  
      Leb wohl und laß mich fliehn,  
      Ich darf um deine Ehre  
      Nicht länger hier verziehn.  
      Sein Tagelied der Wächter  
      Schon laut erhoben hat." –  
      "Ach, Freund, weißt du nicht Rat,  
      So füg ich mich ins Leid:  
      Daß ich dich nun muß lassen,  
      Viel Herzleid schafft es mir:  
      Von dem ich hab die Seele,  
      Der Schöpfer sei mit dir!" 
       
      Der treue Ritter schied  
      In tiefbetrübtem Mut;  
      Er ließ zurück die Herrin  
      In bittrer Tränenflut.  
      Doch er vergalt mit Treuen  
      Die Gunst, die er gewann.  
      Sie sprach: "Wer nun hebt an  
      Und singt ein Tagelied,  
      Der macht mir alle Morgen  
      So schwer den frohen Mut.  
      Nun fühl ich, wie die Sehnsucht  
      Einsamem Weibe tut." 
       
      Nachgedichtet von Richard Zoozmann (1863-1934) 
       
      
      Aus: Walther von der Vogelweide 
      aus dem Mittelhochdeutschen übertragen 
      eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von 
      Richard Zoozmann 
      Herausgeber: Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss 
      Druck und Verlag von Greiner und Pfeiffer Stuttgart 1907 (S. 11-13) 
       
      _______ 
       
       
       
      Tagelied 
       
      Freundlich kosend lag 
      Ein Ritter wohlgestalt 
      In seiner Herrin Armen: 
      er sah den Morgen licht, 
      Als er durch ferne Wolken 
      mit schwachem Scheine brach. 
      Die Frau im Leide sprach: 
      "O weh gescheh' dir, Tag, 
      Daß du mich nun beim Liebsten 
      lässest länger nicht! 
      Was sie da heißen Minne, 
      erzeigt als Leid sich bald." - 
       
      "Liebe Freundin mein, 
      O laß den Trauerwahn, 
      Ich will jetzt von dir scheiden, 
      das ist uns beiden gut. 
      Des Morgensternes Leuchten 
      erhellt das Zimmer licht." - 
      "Mein Freund, nein! thu' das nicht 
      Und laß die Rede sein, 
      Damit du nicht betrübest 
      so heftig meinen Muth. 
      Was eilest du von dannen: 
      es ist nicht wohlgethan." - 
       
      "Herrin, es soll sein, 
      Ich bleibe noch bei dir. 
      Erzähl' mit schnellem Worte, 
      was dein Herz sagen will, 
      Damit wir täuschen können 
      die Späher wie bisher." - 
      "Freund, das betrübt mich schwer. 
      Bis wieder ich allein 
      Bei dir verweil', erwarten 
      mich Schmerzen, ach! so viel. 
      Nun meid' mich nicht zu lange, 
      so schaffst du Freude mir." - 
       
      "Das wird nur dann geschehen, 
      Wenn ich es nicht vermag. 
      Muß von dir, Herrin, ferne 
      ich einen Tag nur sein, 
      So bin mit meinem Sinnen 
      ich immer doch bei dir." - 
      "Mein Freund, nun folge mir: 
      Du sollst mich balde sehen, 
      Wenn du mir ohne Wanken 
      willst deine Treue weihn. 
      O weh der Augenweide! 
      nun seh' ich selbst den Tag." - 
       
      "Was helfen Blumen roth, 
      Da ich von hinnen soll? 
      Geliebte Herzensfreundin, 
      die sind zuwider mir, 
      Gleich wie den kleinen Vögeln 
      die winterkalten Tage." - 
      "Das ist auch meine Klage 
      Und immer meine Noth. 
      Ich sehe noch kein Ende, 
      wie lang' ich dich verlier'. 
      Ach liege noch ein Weilchen! 
      du thatst noch nie so wohl." - 
       
      "Herrin, es ist Zeit: 
      Leb' wohl, ich muß nun ziehn. 
      Ich thu's um deine Ehre, 
      daß ich nun von dir geh': 
      Sein Tagelied der Wächter 
      so laut erhoben hat." - 
      "Freund, ist dafür kein Rath? 
      So weich' ich dir im Streit. 
      Daß ich muß Urlaub geben, 
      thut meinem Herzen weh! 
      Vom Schöpfer meines Lebens 
      sei Schutz dir treu verliehn." - 
       
      Als da der Ritter schied, 
      Da härmte sich sein Leib; 
      Er ließ in bittern Thränen 
      zurück die Herrin gut. 
      Doch lohnt' er ihr mit Treue, 
      daß sie ihm zugethan. 
      Sie sprach: "Wer da hebt an 
      Und singt sein Tagelied, 
      Der will mir jeden Morgen 
      bekümmern Sinn und Muth. 
      Nun lieg' ich ganz vereinsamt, 
      recht wie ein sehnend Weib." 
       
      Nachgedichtet von 
      Karl 
      Pannier 
       
      Aus: Walthers von der Vogelweide 
      Sämtliche Gedichte 
      Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen 
      mit Einleitung und Anmerkungen versehen 
      von Karl Pannier 
      Zweite Auflage Leipzig 1876 (S. 18-20) 
       
      _______ 
        
       
       
      Tagelied 
       
      Ein Ritter freundlich lag 
      In Liebesseligkeit 
      Der Herrin in den Armen: 
      er sah des Morgens Schein, 
      Der schon durch ferne Wolken 
      mit schwachem Schimmer brach. 
      Die Frau im Leide sprach: 
      "O weh, gescheh dir, Tag, 
      Was läßt du mich in Liebe 
      nicht länger glücklich sein? 
      Was sie da heißen Minne 
      ist lauter Herzeleid." - 
       
      "Süße Freundin mein, 
      Nicht laß dir Trauer nahn: 
      Ich muß nun von dir scheiden, 
      das ist uns Beiden gut. 
      Die Kammer schon erhellte 
      des Morgensternes Licht." - 
      "Mein Trauter, thu das nicht, 
      Und laß die Rede sein, 
      Womit du mir beschwerest 
      das Herz und auch den Muth. 
      Was eilst du so von hinnen? 
      es ist nicht wohlgethan." - 
       
      "Herrin, du bittest mich, 
      So bleib ich noch bei dir; 
      Nun sag es in der Kürze, 
      was du mir sagen mußt, 
      Daß wir die Späher täuschen 
      Wie heut ein ander Mahl." - 
      "Ach Freund, ich dulde Qual, 
      Bis ich wieder dich 
      Umarme: weh, die Schmerzen, 
      sind groß in meiner Brust. 
      Nun meide mich nicht lange, 
      so machst du Freude mir." - 
       
      "Das fürchte nimmermehr, 
      Weil ichs ja nicht vermag; 
      Muß ich dich, Herrin, meiden 
      eines Tages Frist, 
      So läßt doch all mein Denken 
      nimmer ab von dir." - 
      "Mein Freund, nun folge mir, 
      Und komm bald wieder her, 
      Wenn du mit steter Treue 
      mir ganz ergeben bist. 
      O weh der Augenweide! 
      nun spür ich selbst den Tag." - 
       
      "Was helfen Blumen roth, 
      Wenn ich von hinnen soll? 
      O traute Herzgeliebte, 
      die sind mir jetzt so werth, 
      Als den kleinen Vögeln 
      die winterkalte Zeit." - 
      "Das ist auch mir ein Leid 
      Und eine stete Noth: 
      Ich seh ja noch kein Ende, 
      wie lang die Trennung währt: 
      Nun liege noch ein Weilchen, 
      du thatest nie so wohl." - 
       
      "Herrin, es ist Zeit, 
      Gieb du den Urlaub mir: 
      Es ist um deine Ehre, 
      daß ich nun scheiden muß: 
      Sein Tagelied der Wächter 
      schon laut erhoben hat." - 
      "Ach, ist kein andrer Rath? 
      So füg ich mich ins Leid: 
      O weh des Urlaubes, 
      den geb ich mit Verdruß: 
      Dem ich das Leben danke, 
      der Himmel sei mit dir." 
       
      Der treue Ritter schied 
      Und härmte seinen Leib, 
      In bittern Thränen ließ er 
      die schöne Herrin gut. 
      Doch lohnt' er ihr mit Treue 
      die Gunst, die er gewann. 
      Sie sprach: "Wer nun hebt an 
      Und singt ein Tagelied, 
      Der wird mir stets am Morgen 
      betrüben Herz und Muth: 
      Nun lieg ich freundberaubet, 
      recht wie ein sehnend Weib." - 
       
      Nachgedichtet von 
      Karl 
      Simrock (1802-1876) 
       
      Aus: Gedichte Walthers von der Vogelweide 
      übersetzt von Karl Simrock 
      und erläutert von Karl Simrock und Wilhelm Wackernagel 
      In der Vereinsbuchhandlung Berlin 1833 Erster Theil (S. 78-81) 
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