Umfassen
 

in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen

 









Antonie Brehmer-Gaffron
(1833-1908)



O, nenne nicht mehr meinen Namen

O, nenne nicht mehr meinen Namen,
O, sieh mich nicht so fragend an;
Du weißt nicht, welche Welt voll Wonnen
Ein einz'ger Blick
umfassen kann.

Laß uns getrennte Bahnen wandeln,
Und sei die deine frei und klar!
Kannst du ein Herz zum Glück nicht wecken,
O, laß es schlafen immerdar!

Aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 33)
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Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)


XLVIII.
Die Liebe sprengt des alten Wahnes Bande;
Sie ist Gesetz sich selber ganz allein.
Gottschall
Wir können uns nicht lassen;
Wir können uns nur ewig heiß
umfassen,
Ob frei und leicht die Seele,
Ob uns dabei ein Schuldbewußtsein quäle;
Wir sind zu unserm Lieben
Von innerer Nothwendigkeit getrieben;
Es ist uns vorgeschrieben
Von einer Macht, vor welcher die Beschlüsse
Der eignen Ichheit in die Lüfte stieben;
Wie thöricht also sind Gewissensbisse!
Wirf sie hinaus aus deines Lebens Barke,
Zu neuem Muth erstarke,
Und steuere, von aller Trübe rein,
Mit mir in's hohe Meer der Lust hinein!


Aus: Frauenbilder und Huldigungen
Von G. Fr. Daumer
Drittes Bändchen
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1853(S. 146-147)
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Jakob Julius David
(1859-1906)


Nun ruhen wir ...

Nun ruhen wir. So fühl', wie bange
Die Pulse hämmern;
In meine Hand schmieg' Deine Wange
Im Abenddämmern.

Die Sonne sinkt; und eh' im Blassen
Der letzte Schein irrt,
Laß wieder mich das Heil
umfassen,
Das niemals mein wird.

Aus: J. J. David Gesammelte Werke 1
Gedichte / Das Höferecht
München und Leipzig R. Piper & Co 1908 (S. 53)
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Ludwig Foglar
(1819-1889)


Gruß

Ich hatte nimmermehr von Dir gelassen,
Die Trennung war ein Trennen bloß der Glieder,
Die Seele fand zur Seel' auch fern sich wieder,
Einander neubelebend zu
umfassen.

Das Lied ward nun der Liebesgrußgesandte
Und so, für mich, nimm zarten Gruß der Lieder.
Wohl lieber stieg ich selbst zum Thale nieder
In das mir theure, innig anverwandte!

Doch lebt ja mein geheimstes Seyn und Werden
Mein Jetzt, mein Einst im Liede ganz allein -
Wie dieß mich zeigt, so möcht' ich Dir erscheinen,

Und zeigt es mich nicht wie von dieser Erden,
Laß mich nur Deinem Geist willkommen sein -
Und meine Grüße seien auch die Deinen!


Aus: Cypressen Dichtungen von Ludwig Foglar
Wien im Verlag des Jos. St. v. Hirschfeld 1841 (S. 231)

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Ludwig August Frankl
(1810-1894)


Liebes Wandern

O welch ein liebes Wandern
Mit einem schönen Kind,
Von einem Thal zum andern,
Durch Wälder und durch Wind.

Bald seliges
umfassen,
Dann stummes Weitergeh'n,
Gedanken schwärmen lassen,
Sich in die Augen seh'n.

Es musiciren heiter
Die Vögel im Geäst -
Die Alten denken weiter
Und bauen schon ein Nest.

Die Wolken zieh'n geschäftig
Zu langem Zug gedehnt,
Wo sich die Erde kräftig
Nach ihrem Segen sehnt.

Bach unter Laubgehange
Möcht' nicht gesehen sein,
Der Waldsee harrt schon lange
Auf's süße Stelldichein.

Die Blumen wiegen selig
Den jungfräulichen Leib,
Der Schmetterling fein wählig
Küßt manche sich zum Weib.

Laß Liebchen unter Bäumen
Uns kosend hier auch ruh'n.
Sieh', Alles hat mit Träumen,
Mit Lieb' und Lust zu thun.

Das ist ein Thun, ein Küssen
In Feld und Wald und Strauch:
Ei, Liebchen, komm', wir müssen
Ein Beispiel nehmen auch!


aus: Gesammelte poetische Werke
von Ludwig August Frankl Erster Band
Wien Pest Leipzig A. Hartleben's Verlag 1880 (S. 68-69)
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Adolf Frey
(1855-1920)


Am Scheideweg

Zerronnen war im Sonnengold ein holder
Herbsttag. Jetzt nahm sie seufzend meine Hand;
Der Späthauch sickerte durch den Maßholder,
Der schwarz und scheu am Wiesenkreuzweg stand.

"Wie gern wollt ich dich küssen und
umfassen,
Eh wir so lange auseinandergehn;
Doch immer will der Tag noch nicht erblassen -
Heimkehrend möchte uns ein Pflüger sehn!

Ich weiß, du darfst nicht harren, bis es dunkelt.
Der Zug naht bald! Fahr wohl und in dein Glück!
Doch wenn am Grat der erste Stern erfunkelt,
Küss in die Luft und denk an mich zurück!"

Aus: Stundenschläge
Letzte Gedichte von Adolf Frey
Verlag H. Haessel Leipzig 1920 (S. 39)
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Friedrich Andreas Gallisch
(1754-1783)


Fanny

Fanny sah ich hingesunken
Am Altar zur Gottheit flehn;
Ach, ich war von Liebe trunken,
Und die Heilige so schön!

"Weh mir!" rief ich, "weh mir, Armen,
Dass ich dieses Mundes Kuss,
Das
umfassen dieser Armen
Und diess Lächeln missen muss!

Ach, entreiss mich der Beschwerde!
Mache fromme Betherin
Mich zum Heiligen - oder werde
Du geschwind zur Sünderin!"

Aus: Gedichte von Friedrich Andreas Gallisch
Herausgegeben von J. F. Jünger
Leipzig bey Johann Gottlob Immanuel Breitkopf 1784 (S. 4)
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Ernst Goll
(1887-1912)


Sehnsucht

Ich sende dir Blumen vom Heimatwald,
Betaut mit heimlichen Tränen,
Die sagen dir leise: Ach, komme bald,
Ich warte deiner in Sehnen.

Ich warte deiner bei Nacht und Tag,
Bis alle Wünsche verblassen
Und noch im letzten Herzensschlag
Dein liebes Bild
umfassen.

Aus: Ernst Goll Im bitteren Menschenland
Das gesammelte Werk
Herausgegeben von Christian Teissl
Igel Verlag 2012 (S. 146)

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Theresa Gröhe (Ps. T. Resa)
(1853-1929)


Lenz im Schnee

Ich eile durch die dunklen Gassen,
Der Regen sprüht, der Wind erwacht;
Noch fühl' ich deines Arms
Umfassen,
Noch auf den Wangen, auf den blassen,
Brennt heiß die Glut, die du entfacht.

O Frühlingsglanz im Regensprühen,
O Lenz im Schnee! Wildselig Glück!
Vergessen Welt und Leid und Mühen,
Nur Mund auf Mund noch fühl' ich glühen
Und leuchten selig Blick in Blick.


Aus: Gedichte von T. Resa
Königsberg i. Pr.
Thomas & Oppermann
(Ferd. Beyers Buchhandlung) 1900 (S. 95)

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Julie von Großmann
(1790-1860)


Engelshuth

Wie glücklich bin ich, wenn ich bei dir bin!
Der Zauber deiner süßen Liebesnähe
Füllt mir das Herz, erhellt den trüben Sinn,
Daß ich nur Licht und Freude um mich sehe.

Und bist du fern - mein Auge doch dich sieht,
Und die Gedanken liebend dich
umfassen,
Und der Erinn'rung stille Blume blüht
In meinem Blick, dem sehnsuchtsthränennassen.

Dann - wie dem Kinde ist mir oft zu Muth,
Dem gläub'gen, dem die fromme Mutter lehrte:
Es steh' in eines Engels treuer Huth,
Der von dem Himmel zu ihm niederkehrte.

Und wie das Kind im stillen Kämmerlein,
Versprech ich oft im innigen Gebete
Des lieben Engels Nähe werth zu sein,
Den wohl herab der Mutter Segen fleh'te.

So wendet nimmer sich sein Angesicht;
Und kehr' ich heim, der Mutter Dank zu sagen,
Wird seiner Liebesnähe Erdenlicht
Mich auf zum Licht der ew'gen Liebe tragen!

Aus: Gedichte von Julie von Großmann
Breslau bei Urban Kern 1839 (S. 262)

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Sidonie Grünwald-Zerkowitz
(1852-1907)


Schamhaftigkeit

Du schiltst mich: kalt, ohne wahres Empfinden,
Indessen Höllenlohen sich winden
Mir durch den Leib, darin zu ringen
Mit der - Scham, die sie dämpfen möcht' und bezwingen!

Durchs Innerste wogt mir ein glühendes Drängen
In eines mit Dir mich zu vermengen, -
Mit dem ganzen Sein Dich zu
umfassen,
In jede Pore Dich einzulassen!

Wie, nur ihre Schönheit als einzige Hülle,
Die Erde sich bringt in nackter Fülle
Dem glühenden Sonnenstrahl entgegen:
So möcht' ich in Deine Arme mich legen!

... Ja, liehe ein Traum mir seine Hände,
Den Gürtel zu lösen mir von der Lende ...
Zum Werke der Liebe das Kleid mir zu schürzen ...
Den Kampf mit meiner Scham mir zu kürzen!

Und bettete mich der Traum auf das Kissen ...
Ohn' daß ich, wie's geschah ... müßt wissen!
Möcht' Traumes zauberhaftes Walten
Indessen die Seele umfangen mir halten,

Indess, bis ich auf schweigsamem Pfühle
Süß Deinen Odem wirken fühle! -
... Der Traum der Scham die Augen verbände
Und ich - im Himmel mich befände! ...

Aus: Sidonie Grünwald-Zerkovitz:
»Das Gretchen von heute«. Wien 1890 (S. 73-74)
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Hermine von Hillern-Diemer
(1859-1924)


Helgi's Liebeslied

Ich preise dich, Hohe,
Ich preise dich, Jungfrau,
Die du die Seele
Erfüllt mir mit heißer,
Mit göttlicher Liebe!
Ich sehe dich steh'n in strahlender Schöne
Und flammende Sehnsucht bewegt mir den Busen,
Dich zu
umfassen in liebendem Feuer,
Dich nimmer zu lassen und in den Gluten
Des ewigen Feuers, der göttlichen Liebe
Mit dir zu vergehen. (...)

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 189-190)
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Else Lasker-Schüler
(1869-1945)


Sehnsucht

Mein Liebster, bleibe bei mir die Nacht
Ich fürchte mich vor den dunklen Lüften.
Ich hab' so viel Schmerzliches durchgemacht
Und Erinnerung steigt aus den Totengrüften.
Ich fürchte mich vor dem Heulen der Stürme
Und dem Glockengeläute der Kirchentürme
Vor all' den Thränen, die heimlich fließen
Und sich über meine Sehnsucht ergießen.

Leg' deine Arme um meinen Leib,
Du mußt ihn wie dein Kind
umfassen; -
Ich seh' im Geiste ein junges Weib -
Das Weib bin ich - von Gott verlassen . . .
Mein Liebster, erzähle von heiteren Dingen!
Und ein Lied von Maienlust mußt du singen!
Und herzige Worte und schmeichelnde sagen . . .
Damit sie die Raben des Schicksals verjagen.

Mein Liebster, siehst du die bleichen Gespenster?
Von mitternächtlichen Wolken getragen . . .
Sie klopfen deutlich ans Erkerfenster.
Ein Sterbender will "Lebewohl" mir sagen.
Ich möchte ihm Blüten vom Lebensbaum pflücken . . .
Und die Schlingen zerreißen, die mich erdrücken!
Mein Liebster, küsse, - küß' mich in Gluten
Und laß deinen Jubelquell über mich fluten!

Aus: Else Lasker-Schüler Werke und Briefe
Band 1: Gedichte Kritische Ausgabe Erste Auflage 1996
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996 (S. 15-16)

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Marie Leske
(1838-1910)


Gewißheit

Ich weiß es nun, ich kann dich nimmer lassen,
Und bleib' ich elend auch mein Lebenlang;
Mein Herz muß ewig liebend dich
umfassen,
Und hört es nie der Liebe Widerklang.

Ich habe viel gekämpft, ich wollt' vergessen,
Ich wollte löschen meiner Gluten Brand,
Doch alle Kräfte, die ich stolz besessen,
Ich sah sie schwinden, eh' die Liebe schwand.

Ob du mich wiederliebst, nicht kann ichs wissen,
Nur manchmal regt ein frohes Ahnen sich,
Als hätte ich nicht ewig dich zu missen,
D'rauf wieder greifts wie banges Fürchten mich:

Vielleicht, daß and're Blicke dir begegnen
Und fesseln dich in ihren Strahlenbann.
Dann grolle ich? O nein, ich muß sie segnen
Die Glückliche, die dich beglücken kann.

Nur Eines würde ich ihr nie vergeben,
Nur Einem folgte meiner Rache Schritt, -
Wenn sie dich darben ließe, du mein Leben,
Wenn sie dich leiden ließe, wie ich litt!

Aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 274)
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Detlev von Liliencron
(1844-1909)


Frühling

Komm, Mädchen, mir nicht auf die Stube.
Du glaubst nicht, wie das gefährlich ist
Und wie mein Herze begehrlich ist;
Komm, Mädchen, mir nicht auf die Stube.
Du klipperst und klapperst mit Teller und Tassen,
Rasch muß ich von Arbeit und Handwerkzeug lassen,
Du kleine Kokette.
Und muß dich küssen und stürmisch
umfassen.
Komm, Mädchen, mir nicht auf die Stube.

Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.
Wenn ich einsam im Garten spazieren geh
Und im Garten dich einsam hantieren seh,
Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.
Aus Himbeergebüschen schimmert dein Rücken,
Ich höre dein Kichern beim Unkrautpflücken,
Du hast mich gesehen:
Was zögert er noch, in den Arm mich zu drücken!
Komm, Mädchen, mir nicht in die Wege.

Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.
Denn wüßtest du, wie das erbaulich ist,
Und wie solche Sache vertraulich ist;
Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.
Wenn wir so neben einander sitzen,
Und unsre Augen zusammenblitzen,
Es netzt uns der Nachttau,
Wir könnten uns leicht erkälten, erhitzen.
Komm, Mädchen, mir nicht in die Laube.

Aus: Detlev von Liliencron Gesammelte Werke
Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart
Berlin Leipzig 1923 (Band 2 S. 291-292)
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Marie Madeleine
(Marie von Puttkamer geb. Günther)
(1881-1944)


Ein Traum

Und ob Du mich niemals hast begehrt,
Und ob Du niemals an mich gedacht, -
Wie auch Dein stählerner Trotz sich wehrt, -
Du bist doch mein Eigen im Traum der Nacht.

Wenn der Abend über der Erde ruht,
Zittert mein Herz in dumpfem Verlangen.
Es blühen empor in zarter Glut
Die Fieberrosen auf meinen Wangen.

Und mit bebenden Händen lös' ich mein Haar;
Das stürzt hernieder in schweren Garben
Über mein üppiges Schulterpaar
Mit seinen märchenblassen Farben.

Und seidenrauschend gleiten dann sacht
Meine Hüllen nieder zur Erde.
Ich will mich schmücken für diese Nacht,
Weil ich Dir angehören werde . . .

Eine siebenreihige Perlenschnur
Soll mit mattem Glanz meinen Hals umkosen.
Für meine Haare will ich nur
Die schwülen, duftenden Tuberrosen.

Und über mein Lager sinke ich hin
Mit geballten Händen, mit brechenden Knien.
So sehnsuchtstoll war noch nie mein Sinn;
So heiß war noch nie meiner Lippen Glühn.

Und ich stöhne: "Komm!" - - - Und Du kommst zu mir
Durch die regenfeuchten, dunklen Gassen,
Durch die stille Herbstnacht kommst Du zu mir.
Du, - laß mich Deinen Hals
umfassen.

Du, - laß mich Deine Augen küssen,
- Ich sterbe an Deinen blauen Augen; -
Meine Lippen werden verdursten müssen,
Wenn sie nicht an den Deinen saugen.

Ich hab' Dich und halt' Dich mit Jugendkraft,
Und kein Erbarmen und kein Erretten!
Es schmiedet uns keuchende Leidenschaft
Zusammen mit diamantenen Ketten.

Und ich habe Dich, und Du bist mein Eigen!
Du, - ich will Dich nicht von mir lassen,
Bis über die Fichtenbäume steigen
Die Morgennebel, die totenblassen.

Bis ich aus meinem Traum mich gerungen. -
Wohl mag das gut zusammen taugen:
Perlen um meinen Hals geschlungen,
Und Thränenperlen in meinen Augen. . . .

Aus: An der Liebe Narrenseil
Gedichte von Marie Madeleine
Zweite Auflage Berlin 1902 (S. 80-82)

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Hennie Raché geb. Fock
(1876-1906)


Die Sünde

Du siehst mich an mit Augen groß und trunken,
Du ziehst in Deinen Bannkreis mich hinein;
ich bin in Deinem Anblick ganz versunken –
ach, kann so schön wie Du die Sünde sein?

Du siehst mich an – und deine Blicke funkeln;
wie bebt Dein Purpurmund, zum Kuß bereit!
Es leuchtet mir aus Deinem Aug, dem dunklen,
nicht Glück, nicht Friede – doch Vergessenheit.

Ich seh an Deinem Busen wohl die Schlange,
ich fühle ihres Atems giftgen Hauch;
es klopft mein warnend Herz wohl schwer und bange,
zwar warnt es mich, doch ach, es lockt mich auch.

Ich will Dich einmal, schönes Weib,
umfassen,
und sollt ich auch in Deinem Arm vergehn,
ich will mich einmal von Dir küssen lassen! –
Warum, o Weib, bist Du so zaubrisch schön?

Aus: Liebeslieder moderner Frauen
Eine Sammlung von Paul Grabein
Gedruckt und verlegt Berlin Hermann Costenoble 1902 (S. 171-172)

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Friedrich Schiller
(1759-1805)


Die Erwartung

Hör' ich das Pförtchen nicht gehen?
Hat nicht der Riegel geklirrt?
Nein, es war des Windes Wehen,
Der durch diese Pappeln schwirrt.
O schmücke dich, du grün belaubtes Dach,
Du sollst die Anmutstrahlende empfangen!
Ihr Zweige, baut ein schattendes Gemach,
Mit holder Nacht sie heimlich zu umfangen!
Und all ihr Schmeichellüfte, werdet wach
Und scherzt und spielt um ihre Rosenwangen,
Wenn seine schöne Bürde, leicht bewegt,
Der zarte Fuß zum Sitz der Liebe trägt.

Stille, was schlüpft durch die Hecken
Raschelnd mit eilendem Lauf?
Nein, es scheuchte nur der Schrecken
Aus dem Busch den Vogel auf.

O lösche deine Fackel, Tag! Hervor,
Du geist'ge Nacht; mit deinem holden Schweigen!
Breit' um uns her den purpurroten Flor,
Umspinn uns mit geheimnisvollen Zweigen!
Der Liebe Wonne flieht des Lauschers Ohr,
Sie flieht des Strahles unbescheidnen Zeugen;
Nur Hesper, der verschwiegene, allein
Darf, still herblickend, ihr Vertrauter sein.

Rief es von ferne nicht leise,
Flüsternden Stimmen gleich?
Nein, der Schwan ist's, der die Kreise
Ziehet durch den Silberteich.

Mein Ohr umtönt ein Harmonienfluß,
Der Springquell fällt mit angenehmem Rauschen,

Die Blume neigt sich bei des Westes Kuß,
Und alle Wesen seh' ich Wonne tauschen,
Die Taube winkt, die Pfirsche zum Genuß,
Die üppig schwellend hinter Blätter lauschen;
Die Luft, getaucht in der Gewürze Flut,
Trinkt von der heißen Wange mir die Glut.

Hör' ich nicht Tritte erschallen?
Rauscht's nicht den Laubgang daher?
Nein, die Frucht ist dort gefallen,
Von der eignen Fülle schwer.

Des Tages Flammenauge selber bricht
In süßem Tod, und seine Farben blassen,
Kühn öffnen sich im holden Dämmerlicht
Die Kelche schon, die seine Gluten hassen,
Still hebt der Mond sein strahlend Angesicht,
Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen;
Der Gürtel ist von jedem Reiz gelöst,
Und alles Schöne zeigt sich mir entblößt.
Seh' ich nichts Weißes dort schimmern?
Glänzt's nicht wie seidnes Gewand?
Nein es ist der Säule Flimmern
An der dunkeln Taxuswand.

O sehnend Herz, ergötze dich nicht mehr,
Mit süßen Bildern wesenlos zu spielen!
Der Arm, der sie
umfassen will, ist leer,
Kein Schattenglück kann diesen Busen kühlen.
O führe mir die Lebende daher,
Laß ihre Hand, die zärtliche, mich fühlen,
Den Schatten nur von ihres Mantels Saum -
Und in das Leben tritt der hohle Traum.

Und leis, wie aus himmlischen Höhen
Die Stunde des Glückes erscheint,
So war sie genaht, ungesehen,
Und weckte mit Küssen den Freund.

Aus: Friedrich von Schiller Sämtliche Gedichte und Balladen
Herausgegeben von Georg Kurscheidt Insel Verlag 2004 (S. 74-76)
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Maurice Reinhold von Stern
(1860-1938)


Reue

In Trotz und Jähzorn hab' ich dich verlassen,
Dich, meines Lebens allerschönste Zier!
Ach, deine Kniee möchte ich
umfassen -
O, Liebe, Liebe, du, verzeihe mir!

Ich irrte fühllos durch die Welt der Sünden,
Im Herzen Heimweh nur nach dir, nach dir;
In's Meer der Sehnsucht will die Klage münden:
O Liebe, Liebe, du, verzeihe mir!

Im Staube wandre ich mit wunden Füßen,
In Reueglut erstickt des Lebens Gier;
Für die Sekunde muß ein Leben büßen -
O, Liebe, Liebe, du, verzeihe mir!

So rufe ich in qualdurchtränkter Stunde,
Doch aus dem Grabe dringt kein Laut zu mir;
Im Traume nur hör' ich aus deinem Munde
Ein heißes Flüstern: - Ich - verzeihe - dir!


Aus Sonnenstaub Neue Lieder
von Maurice Reinhold von Stern
Leipzig Verlag von Wilhelm Friedrich
k. R. Hofbuchhändler 1890 (S. 42)

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