Umhauchen
 

in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen







Felix Grafe
(1888-1942)


Da trank ich - wie drängte den Lippen sich's zu
den lieblichsten Rausch und es ließ mir nicht Ruh,
da küßt ich - wie war ich zu küssen bereit -
da küßt ich die Küsse der goldenen Zeit.
So haltet, so halte noch, eh sie enteilt
die liebliche Stunde, die tötet und heilt,
daß hold an die Brust eine Freundin euch zieht,
wenn Jugend, die jubelnde Lerche entflieht.
Und daß uns, wenn Schnee schon den Scheitel uns deckt,
die freundliche Drohung der Parze nicht schreckt.
Wenn drohend auf zwölf auch der Zeiger schon zeigt,
die Himmlischen bleiben uns gnädig geneigt.
Wie duftet die braune, die brausende Nacht
als hätt ihr, es hat ihr ein Mädchen gelacht.
Und Rosen, sie neigen ihr stilles Gesicht
so hold und so hauchend dem küssenden Licht.
Und Liebe die flüchtige, eilt euch vorbei
mit schneeigen Sohlen da war es noch Mai
und achtet der Hände der bittenden nicht,
sie flieht tirilierend ins himmlische Licht.
Doch Liebe und Jugend, geschwisterlich Paar
sie dauern ein holdes, ein rollendes Jahr.
Und ziehst du, oh zieh dir das schönste Gewinst,
um liebliche Stirne das braune Gespinst,
zwei Augen wie Träume dem Himmel enttaucht
und Wangen von seliger Kühle
umhaucht,
da fallen der zitternden Lose genug,
die schwarzen, die weißen aus tönendem Krug.
Und wer sich nicht einmal des Frühlings gefreut,
dem werden nicht Blumen des Sommers gestreut.
Oh, haltet im Herzen, was herrlich einst war,
es wandert sich schlecht durch ein herbstliches Jahr,
es wandert sich einsam ins Alter allein,
der Winter wird schweigend die Wege verschnein,
da strauchelt der Fuß und das Auge wird müd,
wenn Jugend nicht farbig die Nacht durchglüht.
Ihr könnt sie nicht halten, oh haltet sie fest -
die Jugend entschwirrt wie ein Hänfling dem Nest,
sie ruft noch zurück und das Herz wird euch schwer,
denn nimmer und nimmer ist Wiederkehr.
Und habt ihr genippt an dem rauschenden Krug,
so schließt ihr euch an den unendlichen Zug,
schon seid ihr gesellt der schlummernden Schar
und tröstend der Jugend vertönet das Jahr.
Schon stehen die Kinder gereiht und bereit
zu küssen die Küsse der goldenen Zeit.


Aus: Felix Grafe Dichtungen
Herausgegeben und eingeleitet von Joseph Strelka
Bergland Verlag Wien 1961 (S. 181-182)

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Julius Grosse
(1828-1902)


Wenn über Nacht dir eine Thräne kommt

Wenn über Nacht dir eine Thräne kommt,
Dann denke mein;
Auch wenn es nichts mehr meiner Sehnsucht frommt
In ferner Meere Wetterschein.

Wenn über Tag ein Maienstrahl dir lacht,
Dann denke mein;
Auch wenn ich dulde in der tiefsten Nacht
Des Kummers und der Seelenpein.

Wenn dir ein Traumbild Saitentöne bringt,
Dann denke mein;
Auch wenn um mich die Eisenfessel klingt
In der Galeerensclaven Reihn.

Dann denk an ihn, der nimmer dich vergaß!
Er zürnt dir nicht;
Du bliebst allein - in alle deinem Haß -
Sein Sternen- und sein Sonnenlicht.

Daß er auf Erden einmal dich gesehn,
umhaucht ihn lind,
Wie ew'ge Jugend, ew'ges Frühlingswehn,
Wenn eisig alle Fluren sind.

Aus: Gedichte von Julius Grosse
In neuer, durchgesehener und vermehrter Auswahl
mit einer Zuschrift von Paul Heyse
Berlin G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1882 (S. 89)

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Robert Hamerling
(1830-1889)


Dichterliebe

Ein Leib, den Dichterküsse segnen,
Blüht, wie erfrischt von Himmelstau:
Blick' in den Spiegel und betrachte
Dein lächelnd Bild, du süße Frau!

Meinst du, du wär'st so unverwelklich,
Wenn meine Glut dich nicht gefeit?
Verblühend, alternd, wär'st verfallen
Auch du dem schnöden Bann der Zeit!

Mit Küssen einen Zaubergürtel
Schlang ich um deine Reize sacht,
Der dich vom Scheitel bis zur Sohle
Unsterblich, unverwüstlich macht.

Geheime Kraft verleiht – o, glaub' es -
An einem Dichterherzen ruh'n:
Nicht altern wirst du, nicht verwelken,
So lang' du wirst geliebt wie nun.

Und stirbst du, wirst du nicht verwesen,
Wirst liegen frisch und hold im Schrein,
umhaucht noch von den Glutaromen
Der Liebe wie von Spezerei'n.

Aus: Hamerlings Werke Volksausgabe in vier Bänden
Ausgewählt und herausgegeben
von Dr. Michael Maria Rabenlechner
Mit einem Geleitwort von Peter Rosegger Zweite Auflage
Dritter Band Hamburg Verlagsanstalt
und Druckerei A.- G. (vorm. J. F. Richter) (o. J.) (S. 376-377)
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Hieronymus Lorm
(1821-1902)


Abendschweigen

Zu deinen Füßen saß ich still und träumend,
Mein Aug' in deines Auges Glut getaucht,
Dein ganzes Sein mit meinem Blick umsäumend.

Der Sonne Liebesfackel war verraucht,
Im Scheidekuß entbrannten Berg und Hügel,
Von tiefster Stille Seligkeit
umhaucht.

Und Alles schwieg! Mit regungslosem Flügel
Auf Blumen lag die Biene, duftberauscht.
Der Abend hielt den wilden Wunsch im Zügel,

Was schäumt und tobt und Schmerz um Schmerzen tauscht
Gefesselt lag's an seiner Rosenkette.
Und Alles schwieg! Als ob Natur gelauscht

Und regungslos den Sinn gerichtet hätte
Auf einer Offenbarung Gottesklang,
Die nicht vernommen wird auf ird'scher Stätte,

Und nie zum engen Menschensinne drang,
Nur als Geheimniß bebt in grünen Zweigen,
Als Ahnung tönt im Aeolsharfensang,

Uns Grüße sendet durch der Blumen Neigen
Und unbegriffen, unerkannt vergeht,
Begraben in des Abend's heil'gem Schweigen. -

Wir schwiegen auch! die Erde war verweht
Und Leid und Lust erstickt von Himmelsküssen,
Wir schwiegen; uns're Seele war Gebet.

Doch was aus Blumenkelchen wollte grüßen,
Als Ahnung durch die Aeolsharfe haucht,
Die Zweige als Geheimniß bergen müssen,

Und was als Gottesfunke still verraucht -
Uns ward es klar, als ich in Traum versunken,
Zu deinen Füßen, stumm mein Aug' getaucht
In deines Auges Gluten liebestrunken.

Aus: Gedichte von Hieronymus Lorm
Siebente, vermehrte Auflage
Dresden und Leipzig
Verlag von Heinrich Minden 1894 (S. 13-14)

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Hermione von Preuschen
(1854-1918)


Komm zu uns - umhauchen mich die Düfte

Komm zu uns -
umhauchen mich die Düfte,
Rosen dunkeln - weh - Erinnerungsgrüfte
öffnen sich bei ihrem schwülen Hauch.
... Rosen häuften sich zu Purpurkissen,
da mein einziges Glück mir jäh entrissen -
und der Kalla blasser Blütenhauf.
Weh mir - nächtig steigt Erinnrung auf:

... Da er starb - brach ich am Grab zusammen,
heimlich aber wühlten meine Flammen,
heimlich rissen seine Abschiedsworte
an des Herzens tiefstgeheimer Pforte!
Und sie sprang! - Zum Himmel loht empor
leuchtend bunt ein Strahlengarbenchor - - - -
und ich zog hinaus - die Liebe suchen!

Aus: Hermione von Preuschen Kreuz des Südens.
Gedichte. Berlin Continent, o. J. [1907] (S. 15)
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Adolf Stern
(1835-1907)

Mit den letzten Rosen

Die letzten Rosen in deine Hand
Leg' ich, in Tränen getaucht,
Weiß nicht, in welchem fernen Land
Ihr Duft dich nun
umhaucht.

Weiß nur, daß meiner Tränen Tau
An jedem Blättchen hing,
Und daß ich gerne, o goldne Frau,
Statt ihrer mit dir ging!

Aus: Ausgewählte Werle von Adolf Stern
Mit einer Einführung von Gotthold Klee
Erster Band Gedichte
Dresden und Leipzig 1906
C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung (H. Ehlers) (S. 60)

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Maria Luise Weissmann
(1899-1929)


Ich sah dich an...

Ich sah dich an, o daß ich dich
Niemals gesehn, nun bin ich blind,
Nun bist du groß, nun führst du mich
Ein irres Kind.

Und wo das Haus, das sichre Haus
Mir einst im Wind geborgen stand,
Da zieh ich aus, da zieh ich aus
In Niemands Land.

Und wo ich bleib und wo ich steh,
Wächst Schierling süß und duftet wund,
umhaucht mich schwer, bespricht mich weh
Dein liebster Mund.

Wohin ich geh, wohin ich treib,
Traum treibt mich um, niemehr erwacht
Die trübe Seel, der arme Leib
Aus deiner Nacht.

Aus: Maria Luise Weissmann:
Gesammelte Dichtungen Pasing
Heinrich F.S. Bachmair 1932 (S. 58-59)
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