Umwinden
 

in ausgewählten Gedichten deutscher Dichter und Dichterinnen

 







Max Bruns
(1876-1945)


Weibesschauer

Komm nun, komm, mein Liebster du!
Mich ermüden diese Feste
und der bunte Schwarm der Gäste;
komm, mein Herz verlangt nach Ruh.
Bin so matt; ein einzig Sehnen
fühl ich noch: mich ganz in deinen
Arm, an deine Brust zu lehnen,
all mein Glück da auszuweinen -

Aber jetzt: wie wild und jach
faßt dich glutendes Verlangen -!
Du! ich bin so jung, so schwach,
und dein Blick erregt mir Bangen;
denn mit unheilvollem Sehren
züngelt er um meine Glieder.
Nein, nicht so neig dich hernieder -
ach, ich ahne dein Begehren . . .

Komm, so wonnereich, so traut
laß wie sonst uns zärtlich kosen;
sieh, geschmückt mit weißen Rosen
lächelt liebend dir die Braut,
und von bräutlichen Gesängen
tönt um uns ein ferner Reigen,
und ich bin dir ja zu eigen,
nur: mich schreckt dein wildes Drängen -

Wie dir heiß die Schläfen glühn,
wie die Augen bläulich funken -
schon bin ich, dir zu entfliehn,
selber dir ans Herz gesunken.
Aber wehe! Deine Rechte
fühl ich kraftvoll mich
umwinden,
und aus meines Hauptes Flechte
ahne ich die Rosen schwinden . . .

Nein, o nein! Du tötest mich!
Sieh, ich winde mich und stöhne -
ja, ich liebe, liebe dich,
aber mehr noch meine Schöne,
meine Frische, meine Reine;
und die willst du mir zerstören?
Laß, Geliebter, dich beschwören!
Hilflos bin ich, und ich weine -

Warum küßt du mich so heiß,
hältst so zärtlich mich umwunden?
Ja, mein Gatte, ja, ich weiß:
Jetzt bin ich dir ganz verbunden,
bin nun Blut von deinem Blut -
Gott, wie töricht war mein Klagen!
Bist du nicht so stark, so gut?!
Nein, ich kann dir nichts versagen!

Aus: Die Gedichte (1893-1908) von Max Bruns
Verlegt bei J. C. Bruns in Minden (Westfalen) 1908 (S. 26-29)

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Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)


LXI.
Wo Liebende sich finden,
Da sind geweihte Stellen;
Wo sie sich heiß
umwinden,
Da Kirchen und Kapellen;
Wo Seel' in Seel' ergossen,
Wo Lipp' an Lippe brennt,
Da wird ein Sakrament,
Da wird Gott selbst genossen,
Wie's auch die tolle Welt benennt.

Aus: Frauenbilder und Huldigungen
Von G. Fr. Daumer
Drittes Bändchen
Leipzig Verlag von Otto Wigand 1853 (S. 167)
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Joseph Freiherr von Eichendorff
(1788-1857)


Im Frühling

III.
Der Schäfer sagt, wenn er frühmorgens weidet:
»Dort drüben wohnt Sie hinter Berg' und Flüssen!«
Doch seine Wunden heilt Sie gern mit Küssen,
Wann Lauschen, Licht und Tag vom Tale scheidet.

Ob neu der Morgenschmuck die Erde kleidet,
Ob Nachtigallen Nacht und Stern' begrüßen,
Stets fern und nah bleibt meine Lieb' der Süßen,
Die in dem Lenz mich ewig sucht und meidet.

Doch hör' ich wunderbare Stimmen sprechen:
Die Perlen, so geweint dein treuer Schmerze,
Sie wird sie zierlich all' zusammenbinden,

Mit eigner Kette so dich süß
umwinden,
Hinaufzuziehn an Mund und blühend Herze -
Was Himmel schloß, mag nicht der Himmel brechen.

Aus: Joseph von Eichendorff
Sämtliche Gedichte und  Versepen
Herausgegeben von Hartwig Schultz
Insel Verlag 2001 (S. 64-66)
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Johann Wolfgang von Goethe
(1749-1832)


Komm, Liebchen, komm!
umwinde mir die Mütze!
Aus deiner Hand nur ist der Tulbend schön.
Hat Abbas doch, auf Irans höchstem Sitze,
Sein Haupt nicht zierlicher
umwinden sehn!

Ein Tulbend war das Band, das Alexandern
In Schleifen schön vom Haupte fiel
Und allen Folgeherrschern, jenen andern,
Als Königszierde wohlgefiel.

Ein Tulbend ists, der unsern Kaiser schmücket;
Sie nennens Krone. Name geht wohl hin!
Juwel und Perle! sei das Aug entzücket!
Der schönste Schmuck ist stets der Musselin.

Und diesen hier, ganz rein und silberstreifig,
umwinde, Liebchen, um die Stirn umher.
Was ist denn Hoheit? Mir ist sie geläufig!
Du schaust mich an, ich bin so groß als Er.

Aus: Johann Wolfgang von Goethe
Goethes Gedichte in zeitlicher Folge. Insel Verlag.
Herausgegeben von Heinz Nicolai. 7. Auflage 1990 (S. 766-767)
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Henry von Heiseler
(1875-1928)


Der Engel der Liebe

1.
Drängt schon erneuertes Leben
Aus dem erfrorenen Reise?
Siehst du die Schollen sich heben?
Regt es sich unter dem Eise?

Morgenlich wärmendes Wehen,
Wiegen und Heben und Senken...
Was will im Innern geschehen,
Wo sich die Wurzeln verschränken?

All du verlornes Empfinden,
Seufzen und Sehnen und Lachen,
Willst du mich wieder
umwinden?
Willst du mir wieder erwachen?

Schatten verwundener Schmerzen
Sind nur im Traum noch lebendig
Und in dem klopfenden Herzen
Ruft es und singt es beständig.


Aus: Henry von Heiseler Gesammelte Gedichte
Karl Rauch Verlag 1938 (S. 52)
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Wilhelm Ritter von Hertz
(1835-1902)


Leben der Liebe

Ach, an diesem trüben Tage
Geht mir Kraft und Lust von hinnen,
Liege träumend dir am Herzen:
Wie der Tag, so ist mein Sinnen.

Denken muß ich immer wieder,
Will ich deine Wangen küssen,
Daß sie, ach, in kurzen Tagen
Bleichen und verwelken müssen.

Denken muß ich, daß ich einmal
Nimmer dich umfangen werde,
Daß die heil'ge Gluth der Herzen
Einst erlischt in feuchter Erde,

Daß vor uns'res Leibes Asche
Unser Name schon zerstiebet,
Niemand weiß, wie sich vor Zeiten
Hier ein Menschenpaar geliebet.

Und vergessen ist auf ewig
Dieses lichten Auges Schimmer,
Deines holden, treuen Herzens,
Süßes Mädchen, denkt man nimmer!

Doch das Eine bleibet stehen,
Ob sich Alles, Alles wende:
Herzen hören auf zu lieben,
Doch die Liebe lebt ohn' Ende.

Wie ein ew'ger Geisterfrühling
Schwebt sie strahlend ob der Erden,
Blumen welken, Blumen keimen,
Und im Tod ist ew'ges Werden.

Ihr der einzig Wandellosen
Weihe du die flücht'gen Tage!
Laß uns lieben ohne Bangen,
Laß uns scheiden ohne Klage!

Ob in einem künft'gen Leben
Dich mein Geist einst wiederfindet,
Weiß ich nicht, das aber fühl' ich,
Daß dich jetzt mein Arm
umwindet!

Laß uns leben, daß am Ende
Uns der eine Trost nicht fehle:
Selig warst du auf der Erde, -
Fahr' in Frieden, meine Seele!

Aus: Gedichte von Wilhelm Hertz
Hamburg Hoffmann und Campe 1859 (S. 90-92)
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Ludwig Jacobowski
(1868-1900)


In der Nacht

Ein Schatten gleitet durch die Nacht
Bis an mein Bett und horcht und horcht.
Ein leises Rascheln von Battist,
Dann halbes Atmen sacht und süß.

Ich seh dich nicht, doch fühl ich dich,
Den Leib im kühlen Nachtgewande,
Das Köpfchen mit dem schweren Haar,
Du Süße, du mein junges Weib.

Und beugt sich langsam zu mir her,
Als wär's ein Kinderstreich zur Nacht.
Ein Hauch von Kuß auf beide Augen
Und sanfter noch auf meinen Mund.

Hoch will ich heben Hand und Arm,
Den jungen Nacken zu
umwinden,
Die Lippen wölben wie zum Kuß,
Um ihre Lippen sanft zu fangen,
Die sel'gen Augen heimlich öffnen,
Um ihren lieben Blick zu trinken ...

Ich kann es nicht. Gefaltet ruh'n
Die Hände hinterm müden Scheitel,
Die Lippe bebt im Atem kaum,
Und schwer geschlossen bleibt der Blick.

Nur leis, wie Hauch der Juninacht,
Fließt unbegrenzte Zärtlichkeit
Aus ihrer Augen holder Nähe
Durch tausend Adern mir ins Herz.

So lieg ich da. So läg ich gern
Die armen Nächte meines Lebens,
Und käm das Sterben so zur Nacht,
Es träf mich wehrlos und beglückt.

Aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 41-42)
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Isolde Kurz
(1853-1944)


Mädchenliebe

IV.
Nächtlich war's am stillen Weiher,
Wo ich ihm zur Seite stand,
Als im Wind mein langer Schleier
Sich um seinen Nacken wand.

Ach, was ließ ich's nur geschehen,
Daß er fest den Knoten schlang,
Mich an seiner Hand zu gehen,
Ein gefangnes Füllen, zwang!

Denn seitdem auf allen Wegen
Fühlt' ich unzerreißlich stets
Über mich und ihn sich legen
Magisch jenes Schleiers Netz.

Seit mich gar sein Arm
umwindet,
Schwand der Freiheit letzter Rest.
Fessel, die uns beide bindet,
Liebe Fessel, halte fest!

Aus: Isolde Kurz Gesammelte Werke
 Erster Band (Gedichte) Verlag Georg Müller München 1925 (S. 34-37)
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Karl Lappe
(1773-1843)


Zu dir!

Zu dir! zu dir! Wer giebt mir Schwalbenflug,
Wer Täubchenschwingen, die mit raschem Streben,
Eilfertig in der Liebe Zauberzug,
Mich über Wald und Ströme heben?

Zu dir! zu dir! Mit welcher Sehnsucht drängt
Mein Herz zu dir, du Unvergeßlichholde!
Wie liebevoll, wie angefesselt hängt
Mein Blick hinüber, wann im Golde

Des Niedergangs mein Vaterland entglüht!
Wie lauscht mein Ohr, von süßer Täuschung irre,
Ob nicht ein Lüftchen, das herüber flieht,
Mir Worte deiner Liebe schwirre.

Zu dir! zu dir! Vergebens mag die Lust
Mit hundert Rosenarmen mich
umwinden:
Nur Einer Hoffnung hebt sich meine Brust,
Nur Eine Freude kann mich binden.

Zu dir! zu dir! Der Fisch sehnt sich ins Meer,
Der Vogel sich zurück in seine Haine;
Ich, ich zu dir. O Tag der Wiederkehr,
Du, meiner Sehnsucht Tag, erscheine.

Zurück zu dir! zu dir, zu dir zurück!
Entfernt von dir stirbt jeder Freude Leben.
Laß, o Geliebte, laß der Liebe Blick
Dem Kehrenden entgegenschweben.

Aus: Karl Lappe's sämmtliche poetische Werke
Neue wohlfeile Ausgabe
Rostock Verlag von J. M. Oeberg 1840 (Band 1 S. 181-182)

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Karl Lappe
(1773-1843)


Das Finden

Ich suchte nicht, ich warb sie nicht,
Ich buhlte nicht um Liebe.
Ich fand, ich fand, und wußt' es nicht:
So fand auch mich die Liebe.
Der Zauber, der mein Herz umflicht,
Hat leise mich gebunden.
Ich suchte nicht, ich warb dich nicht;
Ich habe dich gefunden.

O liebe Liebe, süßes Glück,
O anmuthreiches Finden!
Mit schönerm Kranz kann kein Geschick
Den Günstling je
umwinden.
Nun gehn wir froh der Liebe Pfad,
Stillfreudig, fromm bescheiden.
Ein Band, das so umschlungen hat,
Kann nichts und nie zerschneiden.

Die ihr von eitler Mühe brennt,
Die Liebe zu erlaufen,
Nach jedem blauen Auge rennt,
Durch Buhlen sie zu kaufen:
Die freie Gabe freier Huld
Wird Mühe nicht erwinden.
Bezähmt des Busens Ungeduld!
Das Schöne muß man finden.


Aus: Karl Lappe's sämmtliche poetische Werke
Neue wohlfeile Ausgabe
Rostock Verlag von J. M. Oeberg 1840 (Band 1 S. 186-187)

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Ludwig von Löhner
(Ps. L. v. Morajn)
(1812-1852)


Änderung

Ja lieblich bist du - ich bin dir gut.
Wie Wandrer, die Blumen finden,
Sich damit schmücken Busen und Hut,
Möcht' ich mit dir mein Leben
umwinden.

Ich aber laß es, und such dein Herz
Vor Leidenschaft zu umhegen,
In deiner Seele zitterndes Erz
Einen Memnonsgesang zu legen.

Ein alter Waidmann, wie ward ich mild!
Sonst mocht' ich nach Liebe jagen,
Jetzt nährt' ich achtsam dich edles Wild
Statt selber dich heim zu tragen.

Aus: Gedichte von L. v. Morajn
[Ps. von Ludwig von Löhner]
Berlin Verlag von Alexander Duncker
Königl. Hofbuchhändler 1848 (S. 175)

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Ludwig I. von Bayern
(1786-1868)


Auch an die Geliebte

Geliebt zu seyn,
Es ist das seligste, das Ende
Die größte Pein.
Daß Liebe nie von mir sich wende!

O! bleibe mein,
Hindurch das ganze lange Leben;
Ich bleibe dein,
Bis unsre Seelen einst entschweben!

Und du allein,
Wo wir uns liebend wieder finden,
In dem Verein
Kann nur uns Seligkeit
umwinden.

Aus: Gedichte Ludwigs des Ersten Königs von Bayern
Erster bis Vierter Theil Dritte Auflage
München im Verlage der Liter. Artist. Anstalt
der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1839 (Band 2 S. 179)

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Melchior Meyr
(1810-1871)


Ein schöner Sommer

5.
Wie oft du geweilt bei der Süssen, Schönen,
Stets klopfenden Herzens zu ihr dich sehnen.
Wie oft dein Aug' an ihr gehangen,
Stets glühend wieder nach ihr verlangen.
Wie oft du sie küssend durftest
umwinden,
Stets tiefere Leidenschaft empfinden!
Wenn dir's versagt ist, sie zu sehen,
In innigem Herzeleid vergehen,
Und jede Sekunde verloren achten,
Wo ihre Augen dir nicht lachten!
Im Glücke selbst ein Sehnen fühlen,
Durch keine holde Gunst zu kühlen,
Und Herz an Herz, im höchsten Entzücken,
In ihr noch ein fernes Gut erblicken,
Ein Ideal, der Sonne vergleichbar,
Stets unerreicht und unerreichbar - -
Das, das ist Liebe, die Krone des Strebens,
Die höchste Wonne des Erdelebens!


Aus: Gedichte von Melchior Meyr
Berlin Verlag von Julius Springer 1857 (S. 96-97)
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Salomon Hermann Mosenthal
(1821-1877)


Seifenblasen

12.
Einen Augenblick sich finden,
Und sich dann auf ewig meiden,
Heißt das lieben? heißt das leiden?
Ist das Wonne? ist das Qual?

Einmal liebend Dich
umwinden,
Einmal seelenvoll Dich küssen,
- Heißt es dann auch scheiden müssen:
Wonne ist's viel tausendmal!

Aus: Gesammelte Gedichte von S. H. Mosenthal
Wien Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn 1866 (S. 47)
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Arno Nadel
(1878-1943)



Weil du so ganz vollkommen bist

Ich steh vor dir in Nacht gebannt,
Und fühle meinen Geist entwandt,
Wenn meine Seele dich begrüßt.
Weil du so ganz vollkommen bist.

Dein Antlitz, Weib, ist schön und klar,
Wie nichts, was ist, wie nichts, was war.
Ich sehe dich und sehe dich,
Und bin gerichtet Stich um Stich.

Die runden, zarten Schultern sind
Wie ein gebogener Frühlingswind,
Und deine Arme scheinen hell
Und atmen wie ein Flammenquell.

Dein Körper ist ein reiches Land,
Vor dunkeln Augen ausgespannt,
Die überwunden sich verirren
Und deine Lieblichkeit entwirren.

Weil du so ganz vollkommen bist.
Dein Leib und deine Liebe ist
Aus unberührtem Stahl geglüht,
Der willenlos im Abgrund blüht.

Ich kenn dich, Weib, du bist wie ich,
Mein Rest bist du, ich fühle dich
Und finde selbst mich noch einmal,
Für mich gegliedert Strahl um Strahl.

Und deine süße Tiefe brennt
Nach meinem letzten Element,
Und du und ich und ich und du
Sind eine Freude, eine Ruh.

umwinde mich mit deinem Strom
Und nimm mich hin als ein Atom.
Die Inseln meines Lebens sind
In dir, Geliebte, Schicksal, Kind.

Aus: Um dieses alles Gedichte von Arno Nadel
München und Leipzig bei Georg Müller 1914 (S. 103-104)

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Arthur Schnitzler
(1862-1931)


Ohnmacht

In neuen Worten, tiefen, sehnsuchtsbangen,
Wie du sie nie gehört, möcht' ich dir nahn.
Mit neuen Küssen möcht' ich dich umfangen,
Dich neue Gluten lehren, bessern Wahn.

Ich möchte dich in Seligkeiten hüllen,
Darin dich ungeahnter Schauer faßt,
Ich möchte dich mit tiefem Leid erfüllen,
Wie du's von Keinem noch erlitten hast -

Und kann es nicht! Dasselbe bleibt es immer,
Es ist im Wort derselbe irre Klang,
Im Aug' derselbe liebesfeuchte Schimmer,
Die gleichen Bitten sind's, der gleiche Dank.

Und wenn mein Arm den Nacken dir
umwindet,
Irrt er der Spur vergangner Nächte nach,
Und wenn mein Mund den deinen bebend findet,
Küßt er ihm kaum vergessne Küsse wach.

Und in den reichsten Stunden, liebesüßen,
Umschwelgt uns trunkener Erinnrung Bann;
Aus meinem Lächeln und aus meinem Grüßen
Schaut ein Gewesnes dich vertraulich an.

Und wenn ich mit dem Blick des Hohns dich quäle,
Seh' ich im Aug' dir ein Gedenken glühn,
Und was ich löschen will aus deiner Seele,
In hellern Farben lass' ich dir's erblühn.

Und wenn ich mich gemartert von dir wende,
Spielt um die Lippen dir ein müder Zug -
Der lächelt stumm: Ich kenn' ja auch das Ende,
Wie's immer kommt - mit Ekel und Betrug.

Aus: Die Deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts
Eine poetische Revue zusammengestellt
von Theodor von Sosnosky
Stuttgart J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger 1901 (S. 395-396)

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Max Schaffrath
(1813-1877)


Mädchens Liebreiz
Dezember 1834

Mädchen hold,
Treu wie Gold,
Schön und reizvoll, ohne Mängel,
Rein wie Paradieses Engel!
Aug' und Wange, Mund und Brust,
Alles, Alles winket Lust!
Dem die Wonn' aus tausend Quellen springet,
Der sich deine Huld erringet!

Augenpaar,
Schwarz und klar,
Sanft umwölbt vom Brauenhügel,
Reiner Seele reiner Spiegel!
Ziehst so mächtig wunderbar,
Nach dir hin, du Augenpaar!
Ihm, dem huldvoll diese Augen blinken,
Schönsten Glücks Gestirne winken!

Thräne hell,
Wie der Quell,
Stillen Antheils treue Kunde,
Fließest in der Rührung Stunde.
Ha, die ihrem Aug' entquillt,
Wem die süße Perle gilt,
Sohn des Glückes, auch im schwersten Leiden,
Immer bleibst du zu beneiden!

Mündchen klein;
Perlenreih'n,
Blendend weiße Elfenklippe,
Schimmerst durch das Roth der Lippe,
Die aus Purpursammt gewebt.
Wem ihr Mund entgegenbebt,
Wem sie leise lispelnd Liebe flüstert,
Lächelt Lieb' und Lust verschwistert!

Wangen weich,
Rosen gleich,
Mild durchglüht von Flammengüssen,
Zarte, duft'ge Liebeskissen!
Ha, der Jüngling, der entzückt
Der Gewährung Blüthen pflückt,
Dem zum Kuß sich diese Wangen neigen,
Seligkeit ist ihm zu eigen!

Runder Arm,
Weiß und warm,
Stillen Kosens stummer Sprecher,
Beutst den wonnerfüllten Becher
Liebend dem Geliebten dar. -
Wer von ihrem Armenpaar
Innigfest den Nacken fühlt umschlungen,
Hat den Himmel sich errungen!

Zarte Brust,
Götterlust,
Dicht verhüllt ins enge Mieder,
Wogst von Sehnsucht auf und nieder,
Birgst ein Herz, so treu und gut!
Wer an ihrem Busen ruht,
Hingeschmiegt in seligem
umwinden,
Dem muß Erd' und Himmel schwinden!

Aus: Dichtungen von Max Schaffrath
Düsseldorf Verlag von Breidenbach & Comp. 1875 (S. 6-8)

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Ernst Stadler
(1883-1914)


Einem Mädchen

Du über deren Lippen leis in linden
Frühsommernächten trunkne Worte schweben:
Nun will ich deinen jungen Leib
umwinden
und deiner Seele süße Last entbinden
und aller Träume wundervolles Weben

in Märchenaugen rätselhaft gespiegelt
wie Lilien sich zu dunklen Wassern neigen -
Schon fühl ich schwankend in gelöstem Reigen
aus Purpurschächten zauberkühn entriegelt
ein Fremdes Ahnungsvolles wirkend steigen -

Schon trägt vom jungen Morgenwind gezogen
das goldne Schiff uns auf geklärten Wellen
zu neuem Meer. Schon sehen wir im hellen
Dunstflor der Fernen weiß vom Gischt umflogen
die blauen Inselkuppen ladend schwellen

gestreift von früher Sonne scheuem Schein
in warmem Kranz die sanften grünen Buchten -
Schon steigen wir durch Tal und feuchte Schluchten
und schauen strahlend über schwarzem Hain
 die Wundergärten die wir sehnend suchten -

und betten uns in goldne Blüten ein.

Aus: Ernst Stadler Praeludien
Strassburg i. E.
Verlag von Josef Singer 1905 (S. 34-35)
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Carl Bernhard Trinius
(1778-1844)


Ogygia

Irgend wo in blauen Meeresweiten
Schwimmt ein Inselchen in linder Luft.
Dort allein mit ihres Herzens Freuden
Wohnt Calypso in krystall'ner Kluft.
Weit umher auf ödem Meer verbreiten
Zauberblumen einen Balsamduft,
Und Gesanges wunderbare Weisen
Hören die vorüberreisen.

Einsam sitzt sie dort die stillen Stunden
Webend ihr ambrosisches Gewand,
Selig; denn sie hat ein Glück empfunden,
Das der Himmlischen noch keine fand.
Einen, den sie liebt, hat sie gefunden
Eine Seele, die für sie empfand!
Und wie viel den Göttern Höh'res bliebe,
Was ist seliger als Liebe?

Staunend sieht sie einst den Schwimmer landen,
Sieht den Kühnen, wie er vor ihr steht,
Der wie einer, dem nichts mehr vorhanden,
Um die Gaben heil'gen Gastrechts fleht.
Gern gewährt sie ihm, der holden Banden
Dankbar, unbewußt, entgegen geht;
Denn sie fühlt mit wunderbarem Triebe
Die Gewalt der ersten Liebe.

Einen Sterblichen? wo sind die Maaße,
Wie du einst sie im Olymp gekannt?
Wo Apollons Wuchs und Stirn und Nase,
Wo Hermeia's Fuß, und Libers Hand,
Ihm, der narbenvoll des Lebens Straße,
Wehvoll, duldend sich hinunter wand?
Wo die Allmacht, die um Götter wehet? -
Und der Nackte hier, der flehet?

Aber dieser Augen stolzes Brennen!
Dieses Willens unbezwung'ner Muth,
Würdiger als das bequeme Können,
Das im Schooß der trägen Götter ruht; -
Und der Kampf, sich selbst nicht zu bekennen,
Was sich matt in seiner Wangen Glut -
Holdes Spiel von Wollen und von Müssen
Lieblich ist es, dich zu küssen!

Denn sie schwelgen dort und blüh'n, und glühen
Dann nur, wann der Trieb sie überfällt,
Und, gesättigt die Begier, entfliehen
Sie der Göttin, die die Last behält.
Dieses Herz will ich mir selbst erziehen;
Sein Bedürfniß sei mir meine Welt.
Mögt ihr hoch ob Erd' und Himmel walten!
Laßt mich mein Geschöpf behalten.

Wie die Mutter sich ihr Kind bewahret,
Liebevoll, doch strenge von Gestalt,
Daß der Schwäche nicht der Sohn gewahret
Und entwächst der zärtlichen Gewalt;
Wachsam stets, daß ihn kein Leid befahret,
Bald mit Küssen und mit Ernste bald;
So Calypso wacht mit Zauberbanne
Ob dem holden wilden Manne.

Denn wie selig er die süßen Freuden
Trauter Nacht in ihren Armen theilt,
Muß sie stets zur Morgenröthe leiden,
Daß er fort zum Meeresstrande eilt.
Oft auch sieht sie Thränen ihm entgleiten,
Unruh'volle, die kein Küssen heilt;
Denn, von Macht gehalten und getrieben,
Möcht' er flieh'n, und ach! muß lieben.

Wie ein Löwe, den aus Lyd'schen Auen
Zahm ein Mann in ferne Länder bringt,
Sehnsuchtvoll den alten Wald zu schauen,
Unvergnügt die fremde Kost verschlingt;
Herrlich ist's zu sehn, und doch mit Grauen,
Wie er rastlos auf und nieder ringt;
So, gedenk der alten Tag' und Lande,
Schweift Ulyß am Meeresstrande.

Aber sie in stets erneu'ter Schöne
Steht vor ihm, wann er am trübsten ist,
Jetzt bezwingt sein Leid die Macht der Töne,
Jetzt, noch süßer, wird es weggeküßt.
Weise braucht sie, bis er sich gewöhne,
Nun der Anmuth Zauber, nun der List;
Aber stets der Kunst, mit holdem Geizen
Nimmer sättigend zu reizen.

Und, auf daß sie jedem Unheil wehre,
Sich zu nah'n der Liebe sel'gem Schooß,
Löset sie von seiner Banden Schwere
Tief im Meeresgrund das Eiland los.
Leise schwimmt's dahin im blauen Meere
Hin und wieder in der Lüftchen Stoß,
Und wie viel im Meer sich Schiffe zeigen,
Keiner wird es je erreichen. -

Trauter, spricht sie, wohl hab' ich errathen,
Welcher Wunsch Dein sterblich Herz berückt.
Wenn sie sich den ew'gen Göttern nah'ten,
Hat es stets die Irdischen gedrückt;
Und sie ringen, eitler Wahn! mit Thaten
Nach der Herrlichkeit, die Götter schmückt;
Doch umsonst! Dir aber will ich's geben:
Sieh! unsterblich sollst Du leben! -

Wisse, spricht er, unserm Loos, dem herben,
Seinen Lohn auch gönnte das Geschick.
Muß ein Mann gleich blutig kämpfend werben,
Ist die That doch seines Busens Glück.
Ohne Murren will ich, heiter sterben,
Aber gieb die Freiheit mir zurück!
Meine Waffen laß mich und die Auen
Meiner Heimath wieder schauen!

Denn ein heil'ges Band, das uns
umwindet,
Ihr Unsterblichen, ihr kennt es nicht.
Was ein Mann auch Hold' und Liebes findet,
Ueber Alles doch geht ihm die Pflicht!
Wohl ist nur dem Treuen, den sie bindet. -
Also spricht er; ach! und wie er spricht,
Steht sie da in neuer Schönheit Fülle,
Und dahin ist Kraft und Wille.

Hier zu siegen, muß ein Gott sich zeigen!
Und dem Willigen erscheint er bald.
Sieh, er naht. Aus dunklen Lorbeerzweigen
Steigt herab die heilige Gewalt.
Jene sieht ihn, schauernd; ihresgleichen,
Aber wie viel höher an Gestalt! -
Würdig, doch mit innerlichem Bangen,
Wird der hohe Gast empfangen.

Niederruhend Der, auf gold'nem Throne,
Nektar kostend und Ambrosia,
Schaut, wie wonniglich die Nymphe wohne,
Staunenvoll, so lieblich ist es da.
Göttin, spricht er, Heil dem Erdensohne,
Der so Köstliches mit Augen sah;
Denn, wie viel er seh'n mag und erfahren,
Das wird stets sein Herz bewahren!

Doch nun so geschieht der Götter Wille,
Daß nicht länger dieser Mann hier weilt.
Nicht Genießen ward ihm, nicht die Stille,
Sondern Kampf und Dulden zugetheilt.
Darum, daß er sein Geschick erfülle,
Laß ihn jetzt, daß er von hinnen eilt,
Und nach mancher Noth, Gefahr und Wehe
Endlich seine Heimath sehe.

Schweigend hört, mit hingesenktem Haupte,
Alles sie, die endlich also spricht:
Wunderbar! als ich dem Meer ihn raubte,
Kannt' ich selbst der Wonnen höchste nicht!
Ach! und nun, da ich mich glücklich glaubte,
Ist er mein nicht, und gehört der Pflicht! -
Spricht's und eilt, und birgt in stiller Grotte
Ihre Thränen vor dem Gotte.

Doch nach einer kleinen stillen Weile
Tritt sie ruhig, herrlicher, heraus.
Selbst sie führt nun in geschäft'ger Eile
Den Erstaunten an's Gestad' hinaus;
Sucht ihm selbst mit scharf geschliff'nem Beile
Aller Stämm' umher die besten aus.
Und besorgt Geräth' und Trank und Speise
Emsig, freundlich, für die Reise.

Und wie alles nun zuletzt vollendet,
Schon das Segel bläht am hohen Mast
Vom gelinden Fahrwind, den sie sendet,
Treibt sie fort den heißgeliebten Gast;
Der wie träumend geht, und oft sich wendet,
Zaudernd, ungewiß, unwillig fast;
Aber fort rafft ihn des Windes Wehen;
Und der Gott taucht in die Höhen. -

Einsam jetzt in Meeres blauen Weiten
Lebt die Göttin, selig, unbekannt!
Jener Tage süßgenoss'ne Freuden
Schuf unsterblich ihre Götterhand.
Traun! es mußt ein Gott den Raum durchschreiten,
Zu erschau'n das wunderbare Land!
Denn wie viel im Meer sich Schiffe zeigen,
Keines wird es je erreichen.


Aus: Gedichte von Dr. Carl Bernhard Trinius
Mit der Biographie des Verfassers
nach seinem Tode herausgegeben von
zweien seiner Freunde
Berlin 1848 Verlag von G. Reimer (S. 97-104)

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