Anna Helena Volckmann (1695-nach 1768) - Liebesgedichte

 



Anna Helena Volckmann
(1695-nach 1768)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 





Cantate

Recitativ
Nein, führt euch ab, verliebte Grillen,
Ihr schleichet euch mit meinem Willen
Wohl schwerlich in mein wachsam Hertz;
Fort, fort, bey mir ist nichts zu hoffen,
Cupido hat mich nicht getroffen,
Ihr macht mir weder Lust noch Schmertz.

Aria
Liebe macht die Klugen dumm;
Liebe fesselt freye Seelen;
Liebe kan die stärcksten quälen;
Liebe macht die Redner stumm;
Liebe bringet ums Gesichte;
Liebe trägt verbotne Früchte.

Recitativ
Drum, recht vergnügt zu leben,
Muß man dem tollen Triebe
Der zauberischen Liebe
Nicht gleich Gehöre geben:
Meld sie sich an,
Und will die freye Brust bekriegen,
So must du siegen,
Indem dir diß vortrefflich nutzen kan.

Aria
Frey vom Lieben ist gesund;
Frey vom Lieben stärckt das Hertze;
Frey vom Lieben, frey vom Schmertze
Liebe bleibt ein Ketten-Hund,
Welcher immer brummt und bellet,
Ob er schon an Knochen nagt,
Der, wenn man ihm etwas sagt,
Sich wohl gar zu Wehre stellet.

Aria
Drum jaget die Liebe in andere Lande,
Zerreisset, zerbrechet, zerstücket die Bande,
Löscht Feuer und Flammen, verstopffet das Ohr,
Verriegelt das Hertze, legt Schlösser davor;
So kan euch die Liebe nicht leichtlich bethören,
Und alle fünf Sinnen auf einmahl versehren.
(S. 325-326)
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Aria

1.
Dein Auge soll mich nicht charmiren,
Und wenn der Blick auch Englisch wär:
Mein Hertze solst du mir nicht rühren,
Bemühe dich nur nicht zu sehr;
Wilst du bey mir die Lindrung holen
Vor deine grosse Liebes-Pein?
Hab ich dir doch nicht anbefohlen,
Daß du in mich verliebt solst seyn.

2.
Die Freyheit hab ich mir erwehlet,
Sie heist ein halbes Königreich.
Ob schon dein Hertz sich grämt und quälet,
Und Feuer rufft, diß gilt mir gleich;
Ich bleibe taub bey deinen Klagen,
Mein Auge fängt die Strahlen nicht.
Ich will dir diß zur Nachricht sagen,
Daß nur dein Mund vergebens spricht.

3.
Du wirst mir diesen Streich vergeben,
Nimm ein geflochten Compliment:
Willst du vergnügt und ruhig leben,
So lösche, wenn dein Hertze brennt.
Du kanst bey mir nicht Nahrung holen
Vor deine Glut, ich spreche nein;
Ich weiß auch nicht, von was vor Kohlen
Dein Liebes-Feuer möchte seyn.
(S. 326-327)
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Aria

1.
Ach, ja, die Liebe bleibt ein Gifft,
Der Sinn, Gemüth und Hertze trifft,
Und raubet Geist und Leben;
Drum wenn man mir von Liebe spricht,
So sag ich gleich: ich höre nicht,
Ihr treffet hier darneben.

2.
Was Hencker ist vor Lust dabey?
Die Qual ist gar zu vielerley.
Wie manche dumme Stunde
Hat nicht die Liebe schon gemacht?
Es liegt, wenn man es recht betracht,
Der Knittel bey dem Hunde.

3.
Wohl dem, der nie das Hertz verschenckt,
Und nimmermehr ans Lieben denckt;
Wohl einer freyen Seele!
Die Liebe heist ein Labyrinth,
Weil man den Ausgang selten findt
Aus dieser Marter-Höle.

4.
Drum Liebe ach! ich bitte dich,
Mit deiner Lust verschone mich,
Ich fliehe deine Stricke,
Und wär ich auch schon halb ins Netz,
So bräch ich würcklich dein Gesetz,
Und trete bald zurücke.

5.
Doch, wenn es ja geliebt soll seyn,
So ding ich mir auch diß mit ein,
Daß eine treue Seele,
Die mich vergnügt, die redlich heist,
Und von gesetztem Muth und Geist,
Der Himmel vor mich wehle.
(S. 328-329)
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Auf einen Marsch

1.
Liebe, ach! wo denckst du hin?
Meynst du denn, daß ich rasend bin?
Ach! nein, mein Hertz
Treibt mit dir Schertz;
Denn meiner Brust
Ist dein Betrug bewust
Du bist doch aller Falschheit voll,
Ich weiß, wie viel ich trauen soll;
Drum packe dich,
Ich bin vor mich,
Cupido du kömmst blind,
Der Pfeil ist gantz umsonst gemacht,
Du wirst von mir nur ausgelacht;
Denn wer dir traut,
Hat schlimm gebaut,
Dieweil man Gifft in deinem Honig findt.

2.
Ob du schon sprichst: frisch gewagt,
Die Liebe muß seyn unverzagt,
Triffts heut nicht ein,
Kans morgen seyn;
Denn was sich wehrt,
Hat endlich mich verehrt:
So must du wissen, daß mein Sinn
Und ich gantz unbeweglich bin;
Mein Hertz soll seyn
Wie Felß und Stein,
Dein Schuß kömmt hier nicht an.
Mit aller deiner Zauber-Kunst
Erlangest du nicht meine Gunst;
Drum komm nicht mehr,
Ich bitte sehr,
Damit mein Hertz geruhig leben kan.

3.
Wer auf deine Worte traut,
Hat Schlösser in die Lufft gebaut,
Fischt in der Höh,
Sucht in dem Schnee
Den Uberrest
Von einem Schwalben-Nest.
Die Hertzen, die du hast bethört,
Die sind, wie von der Pest, verzehrt;
Denn wen dein Gifft
Nur etwas trifft,
Der ist gefährlich kranck;
Nichts hilfft der beste Medicus,
Das Leben ist ihm ein Verdruß,
Ja was er thut,
Dünckt ihm nicht gut,
Und süsser Sect ist ihm ein Wermuth-Tranck.

4.
Weit davon dient vor den Schuß,
Es ist ein Mittel vor Verdruß.
Wer Liebe haßt,
Fühlt nicht die Last
Der Sclaverey,
Sein Hertze bleibet frey.
Wer Liebe hegt, liebt auch Betrug,
Man wird mit andrer Schaden klug;
Wie manches Hertz
Erduldet Schmertz,
Den nur die Liebe webt.
Wer nun nicht recht behutsam geht,
Gewißlich sich im Lichten steht,
Drum mercket diß,
Es ist gewiß,
Daß wer da liebt, niemahls in Ruhe lebt.
(S. 329-332)
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Abschieds-Aria, im Nahmen einer guten Freundin

1.
Ich soll dich nicht, mein Engel, wieder sehn,
Du must, du wilst aus meinen Augen fliehen;
Bedencke doch, wie weh mir ist geschehn;
Dein Abschied wird mein Sterben nach sich ziehen,
Ich fühle schon den bittern Todes-Schmertz,
Jetzt bricht mein Hertz.

2.
Jetzt bricht mein Hertz, das dich so treu geliebt;
Jetzt sinckt der Muth, und das sonst munter Wesen
Zeigt sich gantz todt; die Sinnen sind betrübt;
Ich bin nicht mehr, was ich zuvor gewesen;
Betrachtet mich, und lernet auch hierbey,
Was Liebe sey.

3.
Was Liebe sey, was eine reine Glut,
Was keusche Lust, was unverwehrte Flammen,
Was rechte Treu, wie ein geliebtes thut,
Diß findet ihr in meiner Brust beysammen.
Mein gantzes Hertz liebt in Abwesenheit
Beständigkeit.

4.
Beständigkeit verehret meine Brust:
Die Treue soll in dieser ewig grünen.
Beständig seyn ist meine gröste Lust,
Beständigkeit soll mir zum Nachruhm dienen.
Ich will, trägt man mich in die Grufft hinein,
Beständig seyn.

5.
Beständig seyn gefällt dem Himmel wohl,
Ach laß auch diß von dir, mein Engel, hören;
Ach lerne doch, wie man recht lieben soll,
Laß fremde Glut nicht keusche Flammen stöhren;
Ach höre doch, wie deine treue spricht:
Verlaß mich nicht.

6.
Verlaß mich nicht, mein allerliebstes Kind,
Und laß mich stets in deinem Hertzen leben,
Bleib so, als ich, abwesend treu gesinnt.
Den Abschieds-Kuß muß ich zwar traurig geben,
Doch schwehret dir mein Hertze, Sinn und Muth,
Dir bleib ich gut.
(S. 339-341)
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Aria auf eine Menuet

1.
Klagende Seele, verlangst du den Tod?
Seuffzende Lippen, was quälet das Hertz?
Drücket das Leben ein Centner der Noth?
Fühlen die Sinnen den hefftigsten Schmertz?
Treibet der Unglücks-Nord
Dein Schiffgen fort?
Sincket der Ancker, verfehlst du den Port?
Sollen die Grillen, Angst, Kummer und Pein
Deine Gefehrten im Tode noch seyn?

2.
Schweiget ihr Klagen, verbannet den Schmertz,
Wenn gleich Blitz, Hagel und Donner ietzt kracht;
Solches Gewitter erschrecket kein Hertz,
Welches den Kercker und Dornen verlacht;
Laß es gehn wie es geht,
Wer freudig steht,
Wird nach dem Schlagen auch wieder erhöht;
Wenn sich das Hertze gelassen bezeigt,
Bleibt auch der donnernde Himmel geneigt.

3.
Jaget ihr Sinnen den Kummer nur fort,
Laßt euch das Sterben doch wieder vergehn,
Liebe und Glücke bringt endlich am Port,
Wenn wir auf Wellen als Helden bestehn.
Tausend vergnügte Lust
Küsset die Brust,
Und was das Hertze noch niemahls gewust,
Das macht die Ruhe nach Stürmen bekannt,
Und setzt das Leben in herrlichen Stand.
(S. 341-342)
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Cantate vor eine Manns-Person

Recitativ
Mein Geist, was führest du vor Klagen,
Entschütte doch einmahl dein Hertze
Von seinem innern Schmertze,
Was suchest du, was martern dich vor Triebe?
Ach! Glück und Liebe?
Du kanst ja nur das Echo fragen,
Vielleicht, daß es dir beydes zeigt,
Es ist ja sonst den suchenden geneigt.

Aria
Sage, schönes Echo, sage,
Weil ich dich so sehnlich frage,
Sage doch: dein Glücke blüht.
Sage, wo wird mein Vergnügen
Gehen, sitzen, stehen, liegen,
Sage doch, wie schön es sieht?
Sage, schönes Echo, sage,
Weil ich dich so sehnlich frage,
Sage doch: dein Glücke blüht.
Echo: Dein Glücke blüht.

Recitativ
Mein Glücke blüht? wo soll es blühen?
Ach, Echo, rede fort,
Und zeige mir den Ort;
Ihr Lüffte helfft euch mit bemühen,
Und weht mich Augenblicks dahin,
Wo ich dem Glück recht nahe bin.

Aria
Weht ihr Lüffte, treibt ihr Winde,
Mich zu meinem schönen Kinde,
Echo sprich, wie schön es sieht.
Auf Cupido, auf, und eile,
Triff recht gut mit deinem Pfeile,
Daß mein Glück vollkommen blüht.
Weht ihr Lüffte, treibt ihr Winde
Mich zu meinem schönen Kinde,
Echo sprich, wie schön es sieht.
Echo: Schön es sieht.

Recitativ
So, sieht es schön? o doppeltes Vergnügen,
Wo Glück und Liebe blüht;
So werd ich denn auf lauter Rosen liegen,
Wenn das geliebte schön und liebreich sieht.
O zeigt mir doch, ihr Sterne,
Ob mein Gelücke nah ist, oder ferne?
Ich muß noch einmahl fragen,
Vielleicht wird auch das Echo dieses sagen.

Aria
Echo, ach Echo, verschweige mir nicht,
Ob ich mein Glücke noch lange muß missen?
Ob ich was liebes nicht balde soll küsen?
Gütiges Echo, ach gieb mir Bericht,
Ist nicht die fröliche Stunde bald da?
Sprich, ob sie ferne? nein, sprich, sie ist nah.
Echo: Sie ist nah.
(S. 346-348)
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Aria

Weicht zurücke
Geilen Blicke,
Weil euch meine Brust veracht;
Ich verfluche solche Triebe,
Weil der Cherub keuscher Liebe
Stets vor meinem Hertzen wacht.
(S. 348)
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Aria
Liebe / Hoffnung / und Gedult

1.
Wenn mich nur der Himmel liebt, was frag ich nach der Welt,
Ich achte nicht die Eitelkeit, und ihr vergänglich Wesen:
Was der Höchste haben will, und was ihm wohl-gefällt,
Das hab ich mir nur gantz allein zu meiner Lust erlesen.
Liebe, Hoffnung, und Gedult
Erwirbet mir des Höchsten Huld;
Ich liebe:
Nur das allein, was himmlisch ist;
Das hab ich mir erkiest.

2.
Alle Güter dieser Welt erfreuen nicht mein Hertz,
GOtt ist das allerbeste Gut, das andre Neben-Dinge;
Wenn der Leib gemartert liegt, sie lindern keinen Schmertz,
Drum acht ich irrdisches Gelück und Reichthum sehr geringe.
GOtt, der reichlich mich bedenckt,
Dem hab ich Seel und Geist geschenckt,
Ich hoffe:
Auf Schätze, so im Himmel sind,
Und die man hier nicht findt.

3.
Schenckt mir GOtt den Creutzes-Kelch mit vollem Maaße ein,
So schließ ich, daß der Höchste muß in Gnaden an mich dencken;
Weil mich GOtt als Vater liebt, so muß es also seyn,
Drum kan ich mich in Creutz und Leid nicht übermäßig kräncken.
Die hier Thränen-Saamen streun,
Die erndten dort mit Freuden ein.
Ich dulde:
Wenn mich gleich Creutz und Trübsal drückt,
Zuletzt werd ich erquickt.
(S. 349-350)
_____


Aus: Die Erstlinge Unvollkommener Gedichte,
Durch welche Hohen Personen ihre Unterthänigkeit,
Freunden und Freundinnen
ihre Ergebenheit, vergnügten Seelen ihre Freude,
und Betrübten ihr Mitleiden gezeiget,
sich selbst aber
Bey ihren Wirthschafts-Nebenstunden
eine Gemüths-Ergötzung gemacht
Anna Helena Volckmann, geb. Wolffermann
Leipzig bey Christoph Gottlieb Nicolai 1736
 

 


Biographie:

Anna Helena Volckmann geb. Wolffermann war im April 1695 in Leipzig als die älteste Tochter des Bürgers und "Barettkramers" Melchior Wolffermann geboren (getauft in der Nikolaikirche am 14. April 1695). Nachdem sie ihren Vater verloren hatte - er starb nach langer Krankheit (einen "andern Hiob" nennt sie ihn) im März 1716 -, kam sie nebst ihrer jüngeren Schwester als Pflegetochter in das Haus ihres Paten, des Pfarrers Melle in Selben bei Delitzsch, während ein Bruder bei der Mutter blieb. Von dort aus scheint sie eine Zeit lang als Hoffräulein in dem "Frauenzimmer" des kleines Hofes von Sachsen-Zörbig untergebracht worden zu sein, der damals aus zwei Gliedern bestand: der Fürstin Hedwig, der Witwe des 1715 verstorbnen Fürsten August, und deren Tochter, der Prinzessin Karoline Auguste (geb. den 10. März 1691); vielleicht das hübscheste unter ihren Gelegenheitsgedichten ist eins aus dem August 1723, worin sie das ganze "Hoffrauenzimmer in Zörbig" in das Pfarrhaus zu Selben zu Gaste lädt, und noch 1730 schreibt sie von Schlesien aus an die Prinzessin:
Ach, hätt ich noch das Glück, Dir manchmal aufzuwarten,
Ich lebte mehr vergnügt in meinem Ehstandsgarten.
Zeitweilig wird sie aber auch nach Leipzig in das Haus der Mutter zurückgekehrt sein, und hier lernte sie ihren spätern Ehemann kennen, den damaligen Studenten der Medizin Gottlob Israel Volckmann aus Liegnitz. Er stammte aus einer schlesischen Arztfamilie - schon der Vater (gest. im März 1721) und der Großvater waren Ärzte und Naturforscher in Liegnitz gewesen - und hatte im Winterhalbjahr 1721 die Leipziger Universität bezogen (immatrikulirt den 3. November 1721). 1725 wurde er Doktor und kehrte nun nach Liegnitz zurück. Vielleicht hatte er in Leipzig bei Frau Wolffermann im Gewandgäßchen gewohnt. Denn sowohl zu seiner Promotion wie bei seinem Weggange von Leipzig besang ihn die Tochter "im Namen ihres Bruders! in langen Gedichten, in denen sie seinen Fleiß, seine Gelehrsamkeit und seine Redlichkeit preist und voll Rührung von ihm Abschied nimmt. Natürlich sind es ihre eignen Gefühle, denen sie dabei Ausdruck giebt - was hatte ihr Bruder, der das kleine Geschäft des Vaters fortsetzte, mit dem Studenten der Medizin zu thun? er vertrat hier nur die sittsame Schwester, und darüber wird wohl der junge Doktor nicht im Unklaren gewesen sein. Sie hatte eine stille Neigung zu ihm gefaßt und war in großer Unruhe, als nun die Abschiedsstunde schlug, sie fürchtete, er würde sie vergessen; am Schluß des zweiten Gedichts heißt es:
Und weil es so gebräuchlich ist, wünsch ich Dir auch ein artig Mädchen,
Du triffst schon was in Liegnitz an, man sagt, es sei ein schönes Städtchen.
Nun reise wohl, hochedler Freund, die Zeit befiehlet mir zu eilen,
Hier hast du nun den treuen Wunsch, hier sind die unverfälschten Zeilen.
Sprich, wenn vielleicht wird jemand fragen, wer diesen Reim geschrieben hat:
Es ist mein bester Freund gewesen, er wohnet in der Lindenstadt.
Volckmann bleib aber diesem seinem "besten Freunde" nicht nur treu, sondern holte sich die Geliebte sehr bald in seine Heimat nach: schon Anfang November 1725 wurde das Brautpaar in der Nikolaikirche in Leipzig aufgeboten, und am 21. fand im Pfarrhaus zu Selben die Hochzeit statt; der Pate und Pflegevater der Braut traute das Paar.
Mit Frau Gottsched soll die Volckmann nicht verglichen werden, nicht einmal mit Frau Ziegler; ihr Gesichtskreis war viel enger. Aber sie hatte eine gute kleinbürgerliche Bildung genossen und wußte, wie ihre Gedichte zeigen, nicht nur in der Bibel Bescheid - das war damals noch selbstverständlich, doppelt selbstverständlich bei der Pflegetochter eines Pfarrers; ein heutiger Leser würde mit Beschämung sehen, was er alles von biblischen Anspielungen und Vergleichungen in ihren Gedichten ohne Bibelwörterbuch nicht versteht -, sondern auch in der Sage und Geschichte des Altertums, in der Naturgeschichte usw. Auch war sie eine eifrige Leserin der moralischen Wochenschriften, vor allem des Hamburgischen "Patrioten", der seit 1724, und der "Vernünftigen Tadlerinnen", die seit 1725 erschienen. Fremde Sprachen scheint sie nicht getrieben zu haben, aber etwas Musik.
Die Lust zur Poesie hatte, wie sie im Vorwort zu ihren Gedichten erzählt, "schon in ihren Kindheitsjahren zu keimen angefangen." "Meine Singgedichte - sagt sie -, die ich mir und andern verfertiget, sind theils schon bekannt; und ich dürfte fast glauben, sie ließen sich noch ziemlich hören, weil sich Mannspersonen nicht gescheuet, manches Lied vor ihre Arbeit auszugeben, und eine gewisse Aria ich weiß nicht ob aus Absicht mich zu beleidigen oder aus Gefälligkeit vor selbige, schon dem öffentlichen Druck übergeben."
Ob sie mit der Zieglerin, mit der sie ganz in einem Alter war, schon in Leipzig verkehrt hatte, ist fraglich. Die kleine Barettkramerstochter, die irgend eine Winkelschule besuchte, wird schwerlich mit der vornehmen Bürgerstochter, die in ihrem Palast auf dem Brühl ihren eignen Informator hatte, in Berührung gekommen sein. Auch als Frau Ziegler 1722 - im Alter von 27 Jahren schon zum zweitenmale Witwe - nach Leipzig zu ihrer ebenso einsamen Mutter zurückkehrte, werden sich ihre Wege kaum gekreuzt haben. Als aber die Zieglerin 1728 und 1729 zwei Bände Gedichte veröffentlichte, glaubte Frau Volckmann in ihr eine Geistesverwandte zu sehen und sandte ihr von Liegnitz aus ein gereimtes Schreiben, worin sie ihr ihre Bewunderung ausspricht, sie um Unterweisung bittet und ihr ihre Freundschaft und Bundesgenossenschaft anträgt im dem Kampfe gegen die Männer, die den Frauen das Dichten verwehren wollen. 1732 schickt sie ihr wieder von Wohlau aus, wohin Volckmann inzwischen versetzt worden war, eine Epistel, als sie, wahrscheinlich in einer Wochenschrift, ein mit L(esbia?) unterzeichnetes Gedicht gefunden hatte und sofort die Zieglerin darin erkannt haben wollte; wieder versucht sie es, sich neben sie als Genossin zu stellen, und verrät ihr unaufgefordert auch ihr Pseudonym:
Ich hatte kaum das Glück, den ersten Reim zu lesen,
So sprach ich: dieses ist die Zieglerin gewesen.
Ich irre mich wohl nicht, geliebte Zieglerin;
Sieh, ich vertrau dir auch, daß ich . . . . . bin,
Behalt nur dies bei dir, weil ich dir heilig schwöre,
Mein liebstes Eheherz, das ich vollkommen ehre.
Weiß wahrlich nichts davon, ich habe mich versteckt,
Daß mich bis dato noch kein einziges entdeckt;
Es hat mein schlechter Kiel schon manches Blatt geschrieben,
Und die Verfert'gerin ist unentdeckt geblieben.
Und 1733, als Frau Ziegler von der philosophischen Fakultät der Universität Wittenberg zur Dichterin gekrönt wurde, sandte sie ihr wieder einen überschwenglichen gereimten Glückwunsch. Zu einem lebhaften Verkehr zwischen beiden scheint es aber nicht gekommen zu sein.
Entgegenkommender war Gottsched. Ihm muß sie schon vor ihrer Verheiratung näher gestanden haben, denn er sandte ihr schon zu ihrer Hochzeit ein Glückwunschgedicht. Daß sie aber auch nachher noch öfter gereimte Briefe mit ihm gewechselt hat, beweisen die zwei poetischen Antworten von ihm an sie aus den Jahren 1726 und 1732, die Schwabe schon in die erste Ausgabe von Gottscheds Gedichten mit aufgenommen hat. Er gab ihr dann auch Nachricht von seiner Verlobung, mit Einzelheiten, wie man sie nur guten Bekannten mitteilt, und als er im April 1735 seine geliebte Kulmus in Danzig heimführte, war die Volckmann natürlich wieder mit einem Hochzeitsgedicht bei der Hand, das die Überschrift trägt:
Da Professor Gottscheds Mund die berühmte Kulmus küßt,
Welche eine Meisterin schöner Wissenschaften ist,
Da sich gleich und gleich gesellet, hat dies Carmen aufgesetzt
Eine Freundin edler Musen, die die Dichtkunst auch ergötzt.
und worin sie sich, ähnlich wie früher der Zieglerin, nun auch der jungen Gottschedin an die Seite drängt:
Kluge Kulmus, holde Braut, schöner Zweig vom edlen Stamme,
Diese Reime zeigen Dir wahrer Freundschaft reine Flamme.
Und sind fast auch gleiche Seelen; überleg' es nur genau,
Du bist eines Doctors Tochter; ich bin eines Doctors Frau.
Du verstehest die Musik, und ich muß sie gleichfalls lieben.
Du hast manch gelehrtes Werk, und ich manchen Vers geschrieben.
Doch es ist hiebei zu merken: Du bist eine Meisterin.
Da ich in den schönen Künsten nur ein schlechter Lehrling bin.
Könnt' ich wie die Zieglerin, so belebt, so bündig dichten,
Hätt' ich dieser Dame Geist, o ich wollte mich verpflichten,
Dir ein Ehrenlied zu schreiben, das vortrefflich nett und rein;
Aber weil mir dieser fehlet, kann auch dies nicht möglich sein.
Hätt' ich Deine Fähigkeit und ganz ungemeine Gaben,
Solltest Du von meiner Hand eine Übersetzung haben,
Von der Gleichheit edler Seelen, die recht englisch ausgeführet;
Aber weil ich keine Kulmus, bleibt auch dieses unberühret.
Gar keine Notiz dagegen nahm von ihren poetischen Bemühungen ihr Ehegatte. Während Gottscheds und Reiskes Frauen ihr Leben lang die Mitarbeiterinnen ihrer Männer gewesen sind, kamen Volckmann und seine Frau einander nie ins Gehege. Er ging seinem ärztlichen Berufe nach, sie besorgte ihre Hauswirtschaft und - machte Verse. Zeit dazu hatte sie, da ihre Ehe kinderlos blieb. (...)
Für die zahlreichen Gelegenheitsgedichte, die sie auch in ihrer neuen Heimat bald handschriftlich, bald gedruckt ausstreute, fehlte ihr nicht an Schmeichelei und Bewunderung, auch in den Poetenkreisen der Nachbarschaft, und so wird es dem "gnädigen Einreden einer hohen Standesperson" nicht schwer geworden sein, sie zur Veröffentlichung einer Auswahl ihrer Gedichte zu bewegen. Diese erschien - 360 Seiten in Oktav - zu Michaeli 1735 in Leipzig unter dem Titel: "Die Erstlinge unvollkommener Gedichte, durch welche hohen Personen ihre Unterthänigkeit, Freunden und Freundinnen ihre Ergebenheit, vergnügten Seelen ihre Freude und Betrübten ihr Mitleiden gezeiget, sich selbst aber bey ihren Wirthschaft-Nebenstunden eine Gemüths-Ergötzung gemacht Anna Helena Volckmann, geb. Wolffermann." Auf dem Titelblatt steht das Jahr 1736, die Vorrede aber ist datirt: Wolau, den 26. Sept. 1735. Den Verlag hatte ihr Schwager übernommen, der Buchhändler Christoph Gottlieb Nicolai in Leipzig, der ihre jüngere Schwester zur Frau hatte.
Die Sammlung enthält zunächst "poetische Briefe" (9), dann Geburtstags- und andre Glückwunschgedichte (22), Vermählungsgedichte (11), Leichengedichte (8), vermischte Gedichte (26), endlich "einige Scherzgedichte". (...)
Das Todesjahr der Dichterin ist nicht zu ermitteln gewesen. Leipzig und die Ihrigen hat sie nach ihrer Verheiratung nicht wiedergesehen.
Aus: Aus Leipzigs Vergangenheit. Gesammelte Aufsätze von Gustav Wustmann
Neue Folge Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow 1898 (S. 158-176)


 

 


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