Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Serbische Liebeslieder


Beschreibung einer serbischen Schönheit

Liebes Mädchen von Semendria!
Kehre Dich zu mir hernieder,
Daß Dein Angesicht ich sehe!

"Heil Dir, Jüngling, und Gesundheit!
Warest du wohl auf dem Markte?
Sahest Du ein Blatt Papier dort?
Siehe, also ist mein Antlitz.
Warst Du in der Herberg jemals?
Sahest Du den rothen Wein dort?
Siehe, so sind meine Wangen,
Bist Du übers Feld gegangen?
Hast den Schleedorn Du gesehen?
Siehe, so sind meine Augen,
Giengst Du längs des Meeres Strandes?
Sahst Du dort die kleinen Eglein?*
So sind meine Augenbrauen." -

* Eglein: Blutigel, aber im Serbischen ohne den
widerlichen Nebenbegriff des Blutsaugens.
Sie heißen Pijawitze, etwa Trink- Saugthierchen.
In den Volkslieder das hergebrachte Bild
für Augenbrauen, wie Schwalbenflügel für
Augenlieder.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 5)
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Jagdabentheuer

Noch im Hof fand mich die Morgenröthe,
Auf der Jagd die vorgerückte Sonne,
Auf dem Berge war ich - sie dahinter,
Als ich, unter einer grünen Tanne,
Fand ein schönes Mädchen eingeschlafen.
Eine Garbe Klee lag unterm Haupt ihr,
An dem Busen ihr zwei weiße Täubchen,
Auf dem Schooße ein geflecktes Hirschlein.
Hier, des Nachts zu übernachten, blieb ich,
Band mein Rößlein an die grüne Tanne,
Meinen Falken an die Tannenzweige,
Gab die Garbe Klee dem guten Rosse,
Gab dem Falken die zwei weiße Täubchen,
Meinem Windhund das gefleckte Hirschlein,
Und mir selber blieb das schöne Mädchen.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 8)
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Selbstgespräch

Wäscht ihr schönes Angesicht das Mädchen,
Und sie spricht, die holden Wangen netzend:
"Wüßt ich, daß ein Greis Dich küssen würde,
Antlitz, gieng ich nach dem grünen Walde,
Sammelte dort alle Wermuthskräuter,
Brühte sie und machte draus ein Wasser,
Wüsche Dich damit jedweden Morgen,
Daß der Kuß dem Alten bitter schmecke.
Aber wüßt ich, daß ein Jüngling käme,
Gehen würd ich in den grünen Garten,
Alle Rosen mir im Garten pflücken,
Und daraus ein Wasser mir bereiten,
Dich damit jedweden Morgen waschen,
Daß der Kuß dem Jünglinge wohl dufte,
Wohl ihm dufte, und sein Herz erquicke.
Lieber gieng mit ihm ich ins Gebirge,
Als beym Alten ich im Hofe bliebe;
Lieber auf dem Felsen mit ihm schlafen,
Als auf weicher Seide mit dem Alten."

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 9)
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Zweifel

In dem Garten saß das Mädchen,
Grub die Furche für das Wasser,
Daß sie's in den Garten leite,
Frühe Blumen zu begießen,
Frühe Blumen, gelbe Nelken,
Und Basilicum, das weiße.
Wo sie grub, sank sie in Schlummer,
Legt den Kopf in das Basilicum,
Steckt die Hände in die Nelken,
Setzt die Füße in das Bächlein,
Deckt sich zu mit dünnen Tüchern,
Senkt der Thau sich darauf nieder,
Wie auf eine Sommerwachtel,
Wie auf eine Herbstarbuse.
Sieh, da kommt ein junges Fäntchen,
Junggeselle war das Fäntchen,
Schwingt, sich auf zwei Pfähle stützend,
Sich hinüber in den Garten.
Und es spricht das junge Fäntchen:
"Soll ich einen Strauß mir pflücken?
Soll das schöne Kind ich küssen?
Hab' am Strauß 'nen Schatz bis Mittag,
An der Jungfrau ewig einen." -

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 14)
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Das liebende Mädchen

Als wir gestern in der Herberg waren,
Speisten wir ein herrlich Abendessen,
Und wir sahn ein schönes Mädchen stehen,
Auf dem Haupt ein Kranz von Perlentulpen.
Und ich gab mein Roß ihr, es zu führen,
Da zum Rosse sprach das Mädchen flüsternd:
"Sag mir, Brauner, mit den goldnen Mähnen,
Sag mir, hat Dein Herr sich schon vermählet?" -
Und das Roß entgegnete ihr wiehernd:
"Nein, beim Himmel! noch nicht, schönes Mädchen,
Ist mein Herr vermählet; doch im Herbste,
Nächsten Herbst denkt Dich er heimzuführen."
Und das Mädchen sprach zum Braunen freudig:
"Wenn ich wüßte, daß dieß Wahrheit wäre,
Möcht' ich meine Spangen gleich zerschmelzen,
Deinen Halfter Dir damit beschlagen,
Und mit meinem Halsschmuck es vergolden."

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 15)
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Wen nahmst Du Dir zum Vorbild?

"O, Du Mädchen, meine Gartenrose!
Wen, aufwachsend, hast Du angeschauet?
Wuchsest auf Du, auf die Kiefer schauend?
Oder auf die schlanke, stolze Tanne?
Oder, sprich, auf meinen jüngsten Bruder?" -
"O, Du Jüngling, meine helle Sonne!
Nicht erwuchs ich, auf die Kiefer schauend,
Auch nicht auf die schlanke, stolze Tanne,
Noch schaut' ich auf Deinen jüngsten Bruder!
Dich nur, Jüngling, hab' ich angeschauet!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 19)
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Wünsche

Ranko schlief am Pappelbaume:
Kommen her des Wegs drei Mädchen,
Sprechen Eine zu der Andern,
Was am liebsten Jede hätte.
Sprach die Aelteste von ihnen:
"Wäre mir ein Ring am liebsten."
Sprach die Mittelste von ihnen:
"Wär' ein Gürtel mir am liebsten!"
Aber sprach die Allerjüngste:
"Ranko wäre mir das Liebste.
Wird der Ring in Stücken brechen,
Und der Gürtel wird zerreißen:
Ranko wäre mein und blieb' mein."

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 22)
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Liebesliedchen

Winter vorbei,
Herzchen, mein Liebchen!
Lenz ist gekommen!
Vögelein singen,
Herzchen, mein Liebchen!
Blühen die Röslein,
Liebet sich alles,
Herzchen, mein Liebchen!
Will Zeit nicht verlieren,
Aber Du, Goldchen!
Herzchen, mein Liebchen!
Liebchen nicht küssen,
Ist Zeit verlieren!
Herzchen, mein Liebchen!
Küß mich geschwinde!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 33)
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Locke mich - ich komme

Fleht zu Gott ein junger Knabe:
"Gieb, o Gott, mir goldne Hörner!
Gieb mir silbernes Geweihe!
Daß ich, dieser Kiefer Rinde
Spaltend, sehe, was darinnen!"
Gab ihm Gott die goldnen Hörner,
Gab das silberne Geweih' ihm,
Und er spaltete die Rinde.
Saß ein junges Mädchen drinnen,
Das einer Sonne strahlte.
Sprach entzückt der junge Knabe:
"O, ich möchte um Dich werben!
Doch man wird mich Dir nicht geben;
Dich mir rauben, - kann's allein nicht,
Locken Dich, - Du wirst nicht kommen!" -
Ihm erwiederte die Jungfrau:
"Wirb nicht um mich, junger Knabe!
Denn man wird mich Dir nicht geben.
Raub' mich auch nicht! - Du wirst fallen,
Denn ich hab' der Brüder neune,
Und von Vettern eine Heerschaar.
Wenn auf schwarzem Roß sie sitzen,
Mit dem scharfen Schwerdt gegürtet,
Schief gerückt die Wolfsfellmützen -
Furchtbar ist es anzuschauen,
Grau'nvoll solch ein kühn Begegnen!
Sünde wär's, dabei zu fallen,
Schande aber - zu entfliehen! -
Lieber locke mich - ich komme."

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 35-36)
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Nachtigall! sing' nicht so frühe!

Nachtigall! sing' nicht so frühe!
Wecke mir nicht meinen Herren!
Selbst hab' ich ihn eingeschläfert,
Selbst will ich ihn auch erwecken!
Will in's Gärtchen draussen gehen,
Und Basilienstauden pflücken,
Will damit die Wang' ihm streicheln,
Und der Liebste wird erwachen!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 37)
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Abschied

Schlang von Wein sich eine weiße Rebe
Um die feste, um die weiße Buda.
Keine weiße Rebe war's von Weine,
Nein, es war ein treues Liebespärchen.
Seit der frühen Jugend war's vereinet,
Und nun muß es sich zur Unzeit trennen!
Eines sprach zum Andern bei dem Scheiden:
"Gehe, Seele, geh' g'rad aus, mein Herze!
Findest einen umgezäunten Garten,
Einen rothen Rosenstrauch im Garten.
Pflücke Dir vom Strauch ein Rosenzweiglein!
Leg' es auf Dein Herz in Deinem Busen!
Siehe, also, wie die Rose welket,
Also welkt um Dich mein armes Herz hin!"

Drauf beim Scheiden sprach das andre Liebchen:
"Und Du, Seele, geh' zurück ein wenig!
Einen grünen Wald wirst dort Du finden,
Steht im Wald ein Born mit kühlem Wasser,
Und im Borne liegt ein Stein von Marmor,
Auf dem Steine steht ein goldner Becher,
Aber in dem Becher liegt ein Schneeball.
Liebchen! nimm heraus Dir jenen Schneeball!
Leg' ihn auf Dein Herz in Deinem Busen!
Siehe, also, wie der Schneeball schmilzet,
Also schmilzt um Dich mein armes Herz hin!" -

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 38-39)
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Liebeswunsch

Daß ich, ach! ein kühles Bächlein wäre!
Wüßte wohl, wo freudig ich entspränge!
Unter meines Herzgeliebten Fenster,
Wo der Freund sich kleidet und entkleidet.
Daß vielleicht aus mir den Durst er lösche,
Daß, die Brust mit meinen Wellchen netzend,
Ich vielleicht das liebe Herz berührte.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 41)
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Liebesgespräch

Uebers Feld hin trug der Wind die Rose,
Trug sie nach dem Zelte hin des Ranko.
Ranko war darinnen und Militza;
Ranko schreibend, und Militza stickend.
Vollgeschrieben waren alle Blätter;
Alle das gebrannte Gold vernähet;
Da sprach Ranko also zu Militza:
"Sage, liebe Seele, mir, Militza,
Sage mir, ist lieb Dir meine Seele,
Oder dünket hart Dich meine Rechte?"
Aber ihm entgegnete Militza:
"Glaub' es, Du, mein Herz und meine Seele,
Theurer ist mir, Ranko, Deine Seele,
Als die Brüder, wärens alle Viere,
Weicher, Liebster, dünkt mich Deine Rechte,
Als vier Kissen, wären's auch die weichsten!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 46)
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Glückliches Finden

Durch den Wald, durch einen zweiten, dritten,
Gieng ich bis zum vierten Kiefernwalde.
Grünbelaubt stand dorten eine Kiefer,
Unterm Baume war ein weiches Lager,
Aber auf dem Lager schlief mein Liebchen.

Allzu leid that mir's, sie aufzuwecken,
Allzu freudig war ich, sie zu küssen.
Da begann zum Himmel ich zu beten:
"Gott, gieb einen Windstoß mir vom Meere,
Der ein Zweiglein von der Kiefer schlage,
Meinem Liebchen führe auf das Antlitz!"
Gott gab einen Windstoß mir vom Meere,
Und es fiel ein Zweiglein von der Kiefer,
Meinem Liebchen fiel es auf das Antlitz.
Da erwachte die Geliebt' und Theure!
Herzten uns nun bis zur Morgenröthe;
Weder wußt' es mein' noch ihre Mutter,
Über uns nur wußt's der helle Himmel,
Und das weiche Lager unter uns.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 47)
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Des Mädchens Bitte

Rößlein grast auf thauig grüner Weide,
Grast ein Weilchen, längre Weile lauscht es,
Was das Mädchen bittend spricht zur Mutter:
"Gieb mich, Mutter, nicht dem Ungeliebten,
Lieber will ich mit dem Herzensfreunde
In den Wald gehn, mich von Weißdorn nähren,
Wasser mir mit einem Blatte schöpfen,
Auf den kalten Stein mein Haupt hinlegen,
Als in Schlössern mit dem Ungeliebten
Zucker essen und auf Seide schlafen!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 48)
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Tödtliche Krankheit

Ach! was beginn ich!
Schlaf' nicht die Nacht!
Brennt das Herz mir!
Tödtet die Qual mich!
Um Dich, o Seele!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 55)
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Verein im Tode

Herzlich liebten sich ein Knab' und Mädchen,
Wuschen sich an Einem Wasser Beide,
Trockneten sich ab an Einem Tuche.
Wohl ein Jahr war's, daß es Niemand wußte,
Aber allbekannt wurd' es im zweiten.
Und der Vater hört' es und die Mutter,
Wollte nicht die Mutter ihre Liebe,
Trennte die einander lieb' und theuern.

Durch den Stern ließ er darauf ihr sagen:
"Stirb, o Liebchen, spät am Samstag Abend!
Früh am Sonntag will ich, Jüngling, sterben." -
Und geschah es also, wie sie sagten.
Spät am Samstag Abend starb das Liebchen,
Früh am Sonntag Morgen starb der Liebste.
Bei einander wurden sie begraben.
Durch die Erde schlang man in einander
Ihre Hände, grüne Äpfel drinnen.
Wenig Monden, und des Liebsten Grabe,
Sieh! entsproßte eine grüne Kiefer;
Und des Liebchens eine rothe Rose.
Um die Kiefer windet sich die Rose,
Wie die Seide um den Strauß sich windet.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Erster Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 68)
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Schwur und Reue

Schwur das Mädchen einstens:
Blumen nicht zu tragen,
Blumen nicht zu tragen,
Keinen Wein zu trinken,
Keinen Wein zu trinken,
Nicht den Freund zu küssen,
Schwur das Mädchen einstens.

"Wenn ich Blumen trüge,
Würd' ich schöner seyn.
Und wenn Wein ich tränke,
Würd' ich froher seyn.
Wenn den Freund ich küßte,
Freut' ich mich der Liebe."

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 21)
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Der Tamburinspieler

Schlug der Schüler auf der Tamburine,
War von lautrem Gold die Tamburine,
Ihre Saiten waren Mädchenhaare,
Und der Schlägel eine Falkenfeder.
Schaut ihn, hoch vom Söller aus, das Mädchen,
Schaut ihn an, und sprach in ihrem Herzen:

"Lieber Gott! welch wundersamer Jüngling!
Wenn Du diesen mir zum Glückstheil gäbest,
Nelken wollt' ich ihm zum Lager streuen,
Rothe Rosen unter seinem Haupte,
Daß der süße Duft ihn oft erwecke,
Und er mir das weiße Antlitz küsse!" -

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 24)
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Die Liebende

Wär' ich Arme, ach! ein frisches Bächlein,
Wüßte wohl, wo ich entspringen möchte!
An der Sawa, an dem kühlen Strome,
Wo vorbeiziehn die Getreideschiffe.
Daß ich meinen süßen Lieben sähe:
Ob noch blüht die Ros' am Steuerruder,
In der Hand die Nelk' ihm schon verwelkte!
Alles, was ich, ach! am Samstag pflückte,
Sonntags gab ich's, daß den Freund es schmückte!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 33)
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Das Mädchen an den Ahorn

Ahornbaum! o Du mein lieber Bruder!
Senk' ins grüne Gras Du Deine Zweige,
Daß ich Deinen Gipfel kann besteigen,
Und das Schiff kann auf dem Meere sehen:
Ob mein Liebster sitzet in dem Schiffe.
Windet sich ein Tuch um seine Schultern,
Woran ich gestickt drei ganze Jahre.
Gold stickt' ich hinein für drei Dukaten,
Und für viere rosenfarbne Seide.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 34)
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Das prächtige Hemde

O Du Mädchen, meine theure Seele!
Auch Dein schönes Hemmed ist mir theuer!
So Dein Hemmed, wie Du in dem Hemde!
Unterm Nußbaum hast Du Dir's gesticket,
Unter Nuß- und unter Pfirsichbäumen!
Gold hinein gestickt für drei Dukaten,
Und für viere zarigradsche Seide.*

* Zarigradsche, d. i. constantinopolitanische

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 35)
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Die Perlen

Fleht zu Gott ein unvermählter Knabe,
Möcht' am Meere gern zu Perlen werden,
Wo die Mädchen Wasser holen kommen,
Daß sie ihn in ihrem Schooße sammeln,
Ihn auf grünen Seidenfaden reihen,
Und ihn tragen hängend um dem Halse,
Daß, was eine Jede red', er höre:
Ob wohl Jede von dem Ihren rede,
Ach! und ob von ihm wohl seine Liebe!

Was er bat, ward ihm von Gott gewähret:
Perlen, lag verwandelt er am Meere,
Wo die Mädchen Wasser holen kommen.
Und sie sammeln ihn in ihrem Schooße,
Reihen ihn auf grünen Seidenfaden,
Tragen dann ihn hängend um dem Halse.
Höret nun, was eine Jede redet:
Redete Jedwede von dem Ihren,
Redete von ihm auch seine Liebe.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 36)
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Gorinkas Geliebter

Satureykraut! pflücken Dich die Mädchen?
Warum soll'n die Mädchen mich nicht pflücken,
Da von mir der ganze Wald doch duftet,
Und im Wald die Felsen, festgegründet?
Auf dem Felsen steht ein junger Knabe,
Junger Knabe steht und zählet Jahre:
"Sieh, nun bin ich zwanzig Jahr geworden,
Und noch grad' so lang will ich nicht freien,
Nicht, so lang' ich Gorinka nicht küsse!"
Und der Bruder Gorinkas vernahm es.
Fingen sie die Gorinka, das Mädchen,
Schlossen ein sie, im dem weißen Thurme,
Betete die Gorinka zum Himmel:
"Gieb, ach Gott! mir einen Wind vom Berge,
Der des weißen Thurmes Thüre öffne,
Daß ich sehe, wo mein Liebster wandelt:
Ob er barfuß, oder ob entgürtet,
Ob er barhaupt, oder ob entkleidet,
Ob er durstig, ob nach Brodt er hungrig." -

Was sie flehte, sie von Gott erflehte:
Gott gab einen Wind ihr vom Gebirge,
Der die Thüre öffnete des Thurmes,
Und sie sah, wo wandelt ihr Geliebter.

War nicht barfuß, und war nicht entgürtet,
War nicht barhaupt, und war nicht entkleidet,
War nicht durstig, war nach Brodt nicht hungrig:
Sehnsuchtsvoll war er nach seiner Lieben!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 37-38)
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Die sorgende Wila

Fiel der Regen, süßer Thau auf die Felder;
Sorge stieg ins Herz dem Mädchen im Hofe:
Ach! beregnet wird mein Lieb auf dem Felde,
Und er trägt den blauen köstlichen Dolman,
Unterm Dolman eine Weste von Sammet,
Unter ihr ein Hemd von prächtiger Seide,
Eine Uhr im Busen, golden, mit Schnüren;
Sitzt auf gutem Rößlein, nimmer bestiegen.

Sieh, da sprach die weiße Wil' aus dem Bergwald:
"Still, und fürchte nichts, o Mädchen im Hofe!
Aufgeschlagen hab' ich ein Zelt auf dem Felde,
Unterm seidnen Zelte ruht Dein Geliebter,
Zugedeckt mit einem Rocke aus Zobel,
Und das Haupt mit einem goldenen Tüchlein!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 40)
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Der Falke, Bote

Schwimmt ein leichtes Schiff auf der Donau,
Sitzet darin der schöne Elias,
Hält einen grauen Falken in Händen,
Kratzt das Gesicht, und nähret den Falken,
Weinet Thränen, und tränket den Falken;
Spricht zu dem Vogel Falken er leise:
"Grauer Falke, nicht nähr' ich Dich also,
Tränke Dich nicht, wie Falken man nähret;
Tränke Dich nicht, wie Falken man tränket;
Kratze die Wang' auf, um Dich zu nähren;
Thränen vergieß ich, um Dich zu tränken;
Nähre Dich nicht, mit zur Jagd Dich zu nehmen,
Nähre Dich, um Dich nach Hause zu senden,
Daß Du mir sehest meine Geliebte:
Ob sie gesund und ruhig die Gattin,
Ob einen Knaben sie mir geboren."

Legt untern rechten Flügel ein Briefchen:
"Fliege und falle nieder am Fenster,
Steht eine rothe Rose darunter,
Und meine Theure sitzet am Fenster,
Sitzet am Fenster, stickt feines Stickwerk.
Grüß denn und sage meiner Geliebten:
Gestern Nacht war ich beim schönen Elias,
Gestern Nacht hab' mit ihm Wein ich getrunken."
Flog nach dem Hofe Elias der Falke.
Nahm ihm vom Flügel die Gattin das Schreiben,
Schaute hinein und sagte zum Falken:
"Grüße mir wieder den schönen Elias!
Heim sollt' er kehren, nicht weiter mehr ziehen;
Rothe Rosen erblühten im Garten,
Keinen hab' ich, mit dem ich sie bräche!
Singt mir im weißen Hofe der Falke,
Keinen hab' ich, mit dem ich ihm lausche!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 43-44)
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Liebessprache

Ebnes Feld! ich bin Dir gram und böse!
Als mein Liebster Dich hinab geschritten,
Sprach da nicht: sey Gott mir dir, Geliebte!
Drückte tief die Mütze in die Augen,
Schlug die schwarzen Augen fest zur Erde,
Legte seine rechte Hand aufs Herzchen.
Drückt' er so die Mütze in die Augen,
Das soll heißen: Gott sey mit Dir, Liebchen!
Schlägt er so die Augen tief zur Erde,
Das soll heißen: lieber als die Augen!
Legt er so die rechte Hand aufs Herzchen,
Das soll heißen: nimmer laß ich von Dir!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 46)
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Stelldichein

Liebchen! komm, daß wir einander küssen!
Aber sag', wo kommen wir zusammen?
Ob in Deinem oder meinem Garten?
Unter Deinen oder meinen Rosen?
Du, o Seele, werde eine Rose,
Ich will mich zum Schmetterling verwandeln.
Flatternd fall' ich auf die Rose nieder.
Alles meint, ich hang, an einer Blume,
Wenn ich heimlich meine Liebe küsse.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 51)
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Der bezauberte Knabe

O Liebstöckel! schönes Mädchen!
Bleib gesenkten Blickes stehen,
Ziehe nicht empor die Brauen,
Thu nicht Weh an andern Knaben,
Wie Du mir Weh angethan!
Ganz verwirrt ist mir die Seele;
Führ' ein Pferd, und geh zu Fuße,
Habe Stiefeln, barfuß geh ich,
Trage Brod, und hungrig bin ich,
Wat' im Wasser, und bin durstig.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 52)
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Alles daran gesetzt

Liebte von Klein an ein Mädchen,
Lado, lado!
Sie von Klein an, bis sie groß war.
Lado, lado!
Als sie mein nun werden sollte,
Lado, lado!
Fand sich's, daß sie mir verwandt war,
Lado, lado!
Erste, zweyt' Geschweisterkinder.
Lado, lado!
Sünde wär's nun, sie zu küssen;
Lado, lado!
Jammer aber, sie zu lassen!
Lado, lado!
Doch ich will und muß sie küssen,
Lado, lado!
Wenn's um's Paradies mich brächte.
Lado, lado!
Sprich, was hilft das Paradies mir,
Lado, lado!
Ach! in langen Herbstesnächten?
Lado, lado!

Lado! Lado!: Lada die Göttin der Liebe
(Vocativ: Lado)

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 53)
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Nachgeschmack

Welche Zeit der Nacht ist's heute?
Kommen wollte doch die Liebste,
Kommen wollte sie, und kommt nicht!
Harrt' ich bis zu Mitternächten,
Einsam schlich ich dann nach Hause;
Auf der Brücke kam die Liebste.
Einmal küßt' ich sie für zehnmal:
Honigsüß blieb mir die Lippe,
Grad', als hätt' ich Zucker gessen,
Zucker gessen, Meth getrunken.

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 55)
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An die Geliebte

O mein Mädchen! mein Wesir von Budim!
Wandelst Du doch, wie ein Hirsch im Walde!
Wollte Gott, dich fing' ein rüst'ger Jäger,
Macht Dich mir Armen zum Geschenke!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 58)
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Der Zürnenden

Liebes Böschen, sey mir nicht so böse!
Siehe, wenn ich wieder böse werde,
Könnte uns ganz Boßnien nicht versöhnen,
Nicht ganz Boßnien und Herzegowina!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 58)
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Schmerzliche Nähe

Schwarzer Wald! Dein Schatten ist erquickend!
Armes Herz! Dein Weh ist schwer und drückend!
Dicht vor Augen siehst Du, was Du liebest!
Dicht vor Augen - und darfst es nicht küssen!

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 61)
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Was besser ist als des Zaren Schatz

Ist auf Baumesblüthe Schnee gefallen;
Gieb o Gott, was ihnen lieb ist, Allen!
Mir auch Theures, was mein Herz erfreue,
Lieber als des Zaren Schatz verleihe!
Sagt, was hilft's, daß er mir den verleihet,
Hab' ich nicht, was mir das Herz erfreuet?

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 62)
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Der Rückkehrende

Nacht! wie so lange Du währtest!
Nimmer vermocht' ich zu schlafen,
Horchte dem singenden Kolo,
Hört' in dem Kolo mein Liebchen,
All' meine Liederchen sang sie,
Und sie besang mich in jedem.
Auf stand ich, gieng zu dem Kolo,
Gieng aus einander der Kolo.
Theures ruhte bei Theurem;
Aber allein meine Liebe.
Legt' einen Stein unter's Haupt sich;
Schob eine Tulp' in das Haar ihr,
Steckt ihr den Ring an den Finger;
Küßte sie wieder und wieder.
Als nun die Theure erwachte,
Sprach zu sich selber die Liebste:

"Ach, Du mein gütiger Himmel!
Wer, ach! wer war's, der mich weckte?
Wie kommt die Tulp' in das Haar mir?
Wie mir der Ring an den Finger?
Dächt' ich, es wär' von Verwandten,
Habe, ach! keine Verwandten!
Dächt' ich, es wär' von dem Freunde,
Weit ist der Freund in der Ferne!"

In der Übersetzung von Talvj
(Therese Albertine Louise Jacob - Robinson) (1797-1870)

Aus: Volkslieder der Serben
Metrisch übersetzt und historisch eingeleitet von Talvj
Zweiter Band
Zweite Auflage Halle und Leipzig 1835 (S. 68-69)
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Über Felsen, über Fluthen
Findt' Liebe den Weg

Silbern glänzt der stille Mond am Abend,
Niederscheinend auf die grüne Wiese,
Wo zwei muth'ge Herrenrosse weiden.
Ihre Hüter sind zwei edle Herren,
Ban Stephano, Kapetan Johannes.

Zu Johannes spricht der Ban Stephano:
"Bruder, sieh! wie hell der Mond erglänzet.
Glücklich, Bruder, glücklich ist zu nennen,
Wessen Liebchen nicht so ferne weilet!
Aber meine Liebste weilet ferne.
Wollt' ich Trauben ihr im Brusttuch bringen,
Faulen würden sie auf langer Reise,
Oder auf dem Heimweg Trennungsthränen
Mir das Sacktuch ganz zu Stücken ätzen."

Ihm entgegnet Kapetan Johannes:
"Auch mein Liebchen weilet in der Ferne.
Aber wenn sie mir in Sinn kommt, Bruder!
Frag' ich nicht, ob hell die Nacht, ob finster,
Nicht das Ross, ob eine Fuhrt im Strome?
Über's Feld - kein Staub zeigt unsre Fährte,
Durch den Strom - und nicht ein Wellchen plätschert."

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 3-5)
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An die Rose

O du mein Quellchen kühl,
Und du mein Röschen roth!
Röschen so früh erblüht,
Wem möcht' ich pflücken dich?
Möcht' ich's für Mütterchen?
Hab' ja nicht Mutter mehr;
Möcht' ich's für Schwesterchen?
Weilt bei dem Gatten fern;
Möcht' ich's für Brüderchen?
Zog in das Feld hinaus.
Möcht' ich's dem Liebsten mein?
Liebster ist weit von mir,
Hinter drei Wäldern grün,
Hinter drei Strömen kühl.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 8)
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Das Ross des Geliebten

Wo wir über Nacht zur Herberg waren,
Hielten wir ein köstlich Mahl zu Abend,
Sahen dort ein wunderschönes Mädchen;
Perlentulpen kränzten ihre Schläfe.

Ihr gab ich das Ross umherzuführen.
Leise sprach sie also zu dem Rosse:
"O du Rothross mit der goldnen Mähne!
Sage, hat dein Herr sich schon vermählet?"

Wiehernd drauf entgegnet ihr das Rothross:
"Nein, bei Gott, du wunderschönes Mädchen!
Noch zur Stund' ist nicht mein Herr vermählet,
Sondern denkt im Herbst dich heimzuführen."

Und das Mädchen redet zu dem Rosse:
"Wenn ich wüsste, dass es Wahrheit wäre,
Wollte meine Spangen ich zerschneiden,
Wollte gern an deinen Zaum sie schmieden,
Wollt' mit lauterm Silber ihn beschlagen
Und mit meinem Halsband übergolden."

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 9-10)
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Die sorgsame Geliebte

Abend fielen dicke Schlossen nieder
Und zur Nacht bereiften rings die Fluren.
Ich erhob mich, meinen Freund zu suchen
Und so kam ich zu der grünen Wiese.
Auf der Wiese fand ich seinen Mantel,
Auf dem Mantel auch sein seiden Brusttuch,
Auf dem Tuch die Silbertamburine
Und darunter einen grünen Apfel.

Dacht' ich bei mir allerlei Gedanken:
Ob ich wohl den Mantel mit mir nähme?
Könnt' der holde Jüngling sich erkälten.
Ob ich wohl das seidne Tuch ihm nähme?
Gab's ihm selber doch zum Angedenken.
Ob ich weg die Tamburine nähme?
Nein! ihm schenkten sie ja meine Brüder.

Also wählend, kam mir der Gedanke,
Jenen grünen Apfel anzubeissen,
Anzubeissen, doch nicht aufzuessen,
Dass er merke, Liebchen sey's gewesen,
Liebchen selber sey ihn suchen kommen.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 15-16)
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Bist mein eigen

Du mein Mädchen, du mein Seelchen!
Möchtest du mein Weibchen werden?

O wie thöricht, kühner Knabe!
Das kann nun und nimmer werden.
Lieber ständ' ich in der Schenke,
In ein blankes Glas verwandelt,
Es ich dich zum Manne nähme.

Und ich werd' ein junger Schenkwirth,
Und so bist du doch die meine.

O wie thöricht, kühner Knabe!
Das kann nun und nimmer werden.
Lieber duckt' ich in die Stoppel,
Eine kleine Wachtel worden,
Eh ich dich zum Manne nähme.

Und ich werd' ein flinker Jäger,
Und so bist du doch die meine.

O wie thöricht, kühner Knabe!
Das kann nun und nimmer werden,
Lieber wollt', ein Silberfischchen,
In das tiefste Meer mich tauchen,
Eh ich dich zum Manne nähme.

Und ich tauche nach als Zugnetz,
Und so bist du doch die meine,
Magst du hier und dorthin eilen,
Bist du hier und dort die meine;
Magst dich, wie du willst, bezeigen,
Wie du willst - du bist mein eigen.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 23-25)
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Geliebter und Ungeliebter

In dem Thaugras weidete der Schimmel,
Weidet dort ein Weilchen und dann horcht er,
Wie das Mädchen zu der Mutter flehet:
"Gieb mich, Mutter, nicht dem Ungeliebten!
Besser mit dem Liebsten pfadlos irren,
Schlehen essen und von Blättern trinken,
Kühlen Stein zum Ruhekissen nehmen,
Als mit Jenem durch die Höfe wandeln,
Zucker essen und auf Seide schlummern."

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 26-27)
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Frühlingsliedchen

Entflohn ist der Winter,
Gekommen der Frühling,
O du mein Herzchen!
Vögelein singen,
Röselein blühen,
O du mein Herzchen!
Alles sich herzet,
Die Zeit nicht verscherzet,
O du mein Herzchen!
Und du mein Goldkind,
Ungeküsst Mägdlein,
O du mein Herzchen!
Willst Zeit verscherzen
Und mich nicht herzen,
O du mein Herzchen!

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 45)
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Stumme Liebe

Eb'nes Feld! wie machst du mich so traurig,
Weil mein Liebster sich von mir trennte.
Und er sagt' nicht: Gott behüt' dich, Theure!
Drückt' nur seine Mütze auf die Brauen,
Schlug zu Boden seine schwarzen Augen
Und die Rechte legt' er an den Busen.

Dass die Mütz' er auf die Brauen drückte,
Damit sagt' er: Gott behüt' dich, Theure!
Dass zu Boden er die Augen senkte,
Damit sagt' er: Theurer als mein Auge!
Dass er an sein Herz die Rechte legte,
Hiess mir; nimmer werd' ich dich vergessen!

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 46-47)
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Liebchens Traum

An dem Steg beschlug sein Ross Johannes.
Aus dem Fenster schaute die Geliebte,
Schauend streut' sie Rosen auf ihn nieder,
Rosen streuend, sprach sie zu ihm leise:
"O mein Theurer! musst dich fest umgürten,
Dass kein Röschen durch den Gurt dir falle,
Dass kein Andrer dir dein Liebchen raube!
Denn ich sah im Traum ein grosses Wunder:
Selber ging dein Ross sich abzukühlen,
Und dein Kalpak* wälzt sich auf dem Platze,
Auf dem Weg verflogen deine Pfeile."

Leise spricht Johannes zur Geliebten:
"Lieb' du mich nur! Lieb' nur, meine Seele!
Seit du mich zu lieben angefangen,
Ist mir jedes Glück von selbst begegnet,
So auf Reisen, wie im Tausch und Handel."

* Kalpak: eine Art Mütze.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 50-51)
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Die Neuvermählte

Wasser schöpft die Neuvermählte,
Und sich neigend auf die Quelle,
Spricht sie also zu sich selber:
Weh mir Armen, weh mir Schönen!
Hätt' ich noch mein grünes Kränzlein,
Wär' ich Arme wohl noch schöner.
Würde dann den Hirten lieben,
Constantin, den jungen Hirten,
Der daherzieht vor den Lämmern,
Wie der Mond vor den Gestirnen.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 52)
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Das Mädchen und die Wila

Regen fiel auf's Feld wie Honigthau,
Und das Mädchen stand besorgt im Hof:
"Auf dem Felde wird der Freund durchnässt!
Mit dem kirschenfarb'gen Mantel stolz,
Unter'm Mantel noch ein Sammetkleid,
Unter'm Sammetkleid ein seiden Hemd,
Und im Busen eine Uhr von Gold,
Sitzt er auf dem wackern jungen Ross."

Aus dem Wald die weisse Wila spricht:
"Härm' dich nicht, du junge Maid im Hof!
Selber schlug ein seiden Zelt ich auf,
In dem Zelte schlief dein Liebster ein,
Überdeckt mit einem Zobelpelz,
Über'm Haupt' ein goldgewirktes Tuch."


Wila: eine feenartige Bergfrau, mit Menschen und Thieren
freundlich verkehrend, bisweilen aber auch rachsüchtig
und feindselig handelnd. Sie ist jung und schön,
mit einem weißen Gewande bekleidet,
ihr langes Haar flattert im Winde. Die Wilen tragen Bogen
und Köcher und tanzen ihren Reihen am liebsten
an waldigen Bergquellen. Wehe dem Menschen, der sich
ihnen unbefugt naht; er wird meist des Todes.
In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 53-54)
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Vorsicht

O du Mädchen, o du rothe Rose!
Nicht gepflanzet, nimmer auch versetzet,
Nicht mit kühlem Wasser je begossen,
Nicht gepflückt, die keinem noch geduftet,
Nicht geküsset, nimmer noch geherzet, -
Könnt' ich nur dich, Seelchen, einmal küssen.

"Lieber Junge, könnt'st es wohl nach Wunsche.
Stösst mein Garten doch an deine Wiese;
Kommen würd' ich, Blumen zu begiessen,
Und du kämst, die Rosse loszubinden;
Küsstest, Lieber, mich dann wohl nach Wunsche.
Müsstest nur mir nicht die Wange beissen,
Dass die Mutter nicht das Zeichen merke."

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 55-56)
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Die junge Frau

Da ich noch bei Mutter war zu Hause,
Hat sie mir gar schönen Rath gegeben:
Erstens sollt' ich rothen Wein nicht trinken,
Dann sollt' ich kein grünes Kränzchen tragen,
Endlich sollt' ich keinen Jüngling lieben.

Denk' ich Ärmste aber bei mir selber:
Giebt's doch ohne Wein nicht volle Wangen,
Keine Freuden ohne grünes Kränzchen,
Giebt's doch ohne Jüngling keine Liebe!

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 59)
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An Sanct Georg

Mägdlein betet am Georgentage:
Sanct George! Wenn du wiederkehrest,
Finde mich nicht mehr bei meiner Mutter, -
Find' vermählt mich oder in dem Grabe!
Lieber doch vermählt, als in dem Grabe!

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 60)
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Erhörtes Gebet

Fleht' zu Gott ein junge Knabe:
"Gieb mir Gott, ein Goldgehörne,
Goldgehörn' mit Silberenden,
Dass ich bohr' der Fichte Rinde,
Dass ich seh', was in der Fichte!"

Gab ihm Gott das Goldgehörne,
Goldgehörn' mit Silberenden.
Und er bohrt der Fichte Rinde,
Findt' im Baum ein schönes Mädchen,
Das erglänzet gleich der Sonne.

Zu ihr spricht der junge Knabe:
"Höre, du mein junges Mädchen!
Würb' ich auch, man gäb' dich nimmer,
Lockt' ich dich, du folgtest nimmer,
Möcht' dich raubend und vermag's nicht."

Und es spricht das junge Mädchen:
"Wirb du nicht, man gäb' mich nimmer,
Raub' mich nicht, du wirst verderben!
Denn ich hab' der Brüder neune
Und so viel auch hab' ich Vettern.
Schwingen sie sich auf die Rappen,
Gürten um die scharfen Säbel,
Rücken schief die Wolfsfellmützen, -
Ist's ein Graun sie anzublicken,
Schlimmer noch sie zu erwarten.
Sünde wär' es zu verderben,
Schande wär' es zu entfliehen!
Lieber lock' mich - ob ich folge?"

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 65-66)
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Das Mädchen im Stadtthor

Beide Flügel weitgespreizt,
Hoch in Lüften hängt ein Falk.
Seine Blicke rechts gewandt
Drunten ruhn auf einem Thor.

In dem Thor ein Mägdlein steht,
Wäscht ihr weisses Angesicht,
Streicht sich ihre Brauen glatt.
Blendens glänzt ihr weisser Hals,
Wie der Schnee auf Bergen glänzt.

Vor ihr steht ein Junggesell,
Spricht zu ihr mit leiser Stimm':
"Du mein Seelchen, schönstes Kind!
Knöpfe mir dein Hemdchen zu!
Ich erblinde von dem Glanz
Und mein Herz im Busen schmerzt."

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 70)
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Des Mädchens Antlitz

Mädchen stand auf Berges Höhe,
Über den ein milder Schimmer
Sich ergoß von ihrem Antlitz.

Zu sich selber sprach sie also:
O du Antlitz, meine Sorge!
Wenn ich wüsste, weisses Antlitz,
Dass dem Kuss des welken Alten
Dich ein hartes Loos beschieden,
Wollt' ich flugs im grünen Walde
Allen bittern Wermuth pflücken,
Mit dem bittern Saft dich baden,
Dass der Kuss dem Alten bitter.
Aber wüsst' ich, weisses Antlitz,
Dass dem Kuss des jungen Gatten
Dich ein schönes Loos beschieden,
Wollt' ich flugs im grünen Garten
Alle rothen Rosen pflücken
Und mit ihrem süssen Wasser
Dich, du weisses Antlitz, baden,
Dass dem Kuss des holden Gatten
Lieblich du entgegen duftest.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 73-74)
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Jeder Fisch kann dich belehren

Mägdelein sass am Meeresstrand,
Redete vor sich selber so:
Ach, du mein lieber grosser Gott!
Giebt's denn was breiteres als das Meer?
Oder was weiteres als das Feld?
Oder was schnelleres als das Ross?
Wäre was süsser denn Honigseim?
Oder was ginge vor Bruderkuss?

Schaut aus dem Wasser ein Fisch empor:
Mädchen, was denkst du, närrisch Ding?
Himmel ist breiter als das Meer,
Meer viel weiter als das Feld,
Augen sind schneller als das Ross,
Zucker gehet vor Honigseim,
Kuss des Geliebten vor Bruderkuss.

In der Übersetzung von Peter von Goetze (1793-1880)

Aus: Serbische Volkslieder
In's Deutsche übertragen von P. von Goetze
St. Petersburg Leipzig 1827 (S. 75)
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