Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Anatolische Liebeslieder



Kerem-Lieder

I.
Es träumt berauscht die Sommernacht. -
In milder, keuscher Sternenpracht
Sanft schlummernd ruht das Meer.
Die Barke schläft im Mondenschein
Am Strand, nur der Cypressenhain
Wiegt summend hin und her.

Er singt ein melancholisch' Lied,
Von Liebesleid und Grabesfried'
In rasengrüner Gruft. -
Die eingesunk'nen Gräberreih'n
Umflackert bleicher Phosphorschein
Und der Cypressen Duft . . . . 
(S. 3)
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II.
Seitdem ich sie im Garten erblickt,
Seit jenem Tage bin ich berückt.
Was hilft's mir?!

Es flattert um mich ihr goldenes Haar
Im Traume, im Wachen, immerdar,
Was hilft's mir?!

Sie gleicht, so keusch, so morgenjung,
Dem Stern der Morgendämmerung.
Was hilft's mir?!

Ihr Vaterhaus an meines grenzt,
Ihr dunk'les Aug' in Sehnsucht glänzt,
Was hilft's mir?!

Es hat die Nachtigallenbraut,
Am Rosenstrauch ein Nest gebaut.
Was hilft's mir?!

Mein Arm ist stark, mein Pferd ist schnell,
Mein Schwert ist scharf, mein Auge hell!
Was hilft's mir?!

Sie ist Isewi, ich Muselman,
Ihr Vater Priester, der meine Chan,
Was hilft's mir?!
(S. 4-5)
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III.
Du folgst mir so traurig, so traurig, mein Leben,
Bin dir ja von Allah zum Kismet gegeben.
O, Kerem, mein Süsser, du Schöner, mein Augenlicht,
O Kerem! Entschlei're mich nicht! -

Ich zitt're. - Wie wird es dir übel ergehen,
Wenn du hier vom Vater mein, würdest gesehen!
Drum küss' mir die Augen, und fliehe mein glühend' Gesicht;
O, Kerem! Entschlei're mich nicht! -

Ich hab' deine feu'rigen Worte genossen,
Die Leidenschaft über mein Antlitz gegossen.
Nun lieb' ich dich Starken, und fürchte das Sterben nicht!
O, Kerem! Entschlei're mich nicht! -

Mein Aga, mein Pascha, mein Chan, mein Leben,
Du Feuer, du Flamme, dir bin ich ergeben!
Dir will ich, dir muss ich mich opfern; mein Auge bricht . . .
O, Kerem! Entschlei're mich nicht! -
(S. 6-7)
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IV.
Deiner blauen Augen Thränen
Haben mir das Herz bethaut,
Als mit festgepressten Zähnen
Ich in's Antlitz dir geschau't.
Asli, was hast du gethan?! -

Nimmer kann den Schlaf ich finden,
Seit ich weinend dich geseh'n,
Seit - ein Spiel den Abendwinden -
Deine Locken ich sah weh'n!
Asli, was hast du gethan?! -
(S. 8)
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V.
Ich will nicht, dass der Mond dein Antlitz sieht,
Wenn er zur Nacht an dir vorüberzieht,
Und dass des Tages Sonne dich erwärmt,
Indess sich Kerem weinend um dich härmt.

Ich will nicht, dass der Regen dich ergetzt,
Wenn alle ander'n Blumen er benetzt;
Ich will nicht, dass dich deine Mutter liebt,
Und dass sie ihrem Kinde Küsse giebt!

Ich will dein Mond und deine Sonne sein;
Und dürstet dich, bin ich der Mundschenk dein.
Ich will dich lieben, jetzt und immerdar,
Und will allein dir küssen Mund und Haar. -
(S. 9)
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VI.
Erhör' mich, schön Asli, und reich' mir die Hand,
Du Schönste, die Allah erschaffen!
Bekehr' dich zum Islam, verlass' nicht das Land,
Verlass' nur den Glauben der Pfaffen.

Man zwang dich zu beten zu Bildern von Holz,
Man lehrte dich zittern und bangen,
Man riss dir vom Herzen die Liebe, so stolz,
Mit der du einst Kerem umfangen.

Mein Sultan der Mädchen, du kostbarster Stein,
Lass fahren den Glauben der Christen,
Mein Augapfel sollst du, mein Himmelszelt sein,
Kein Spielball den pfäffischen Listen.

Bekehr' dich zum Islam, verlass' nicht das Land,
Verlass' nur den Glauben der Pfaffen.
Erhör' mich, schön Asli, und reich' mir die Hand,
Du Schönste, die Allah erschaffen! -
(S. 10-11)
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VII.
Mein Mädchen ist nach Zengid gereist,
Hat mich verlassen, ich bin verwaist!
Ihr Nebel der Höh'n, hemmt ihren Lauf,
Ihr Flüsse und See'n, haltet sie auf!

Sie schlich sich in meine Seele ein,
Und nun, nun lässt sie mich allein!
Ihr Nebel der Höh'n, hemmt ihren Lauf,
Ihr Flüsse und See'n, haltet sie auf!

O weh, o weh, mein Herzeleid,
Und sie ist tausend Meilen weit!
Ihr Nebel der Höh'n, hemmt ihren Lauf,
Ihr Flüsse und See'n, haltet sie auf!

Ich schrieb ihr, dass ich sterbenskrank,
Auf's Schmerzenslager niedersank,
Ihr Nebel der Höh'n, hemmt ihren Lauf,
Ihr Flüsse und See'n, haltet sie auf!

Mir ahnt, wenn sie meinen Brief erhält,
Bin ich geschieden von dieser Welt. -
Ihr Nebel der Höh'n, hemmt ihren Lauf,
Ihr Flüsse und See'n, haltet sie auf! -
(S. 12-13)
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VIII.
Komm, Bruder Sufi, lass uns flieh'n,
Wie Asli ist geflohen;
Lass uns in's Hochgebirge zieh'n,
Wo Wetterstürme drohen.

Dass meiner blut'gen Thränen Schwall
Sich ungestört verfliesse,
Gleich einem rothen Wasserfall
In's Bersegthal ergiesse.

Und wie ein ungehemmter Fluss
Gen Kaiseri sich wende,
Benetzend Asli's kleinen Fuss
Und ihre Lilienhände.

Lass länger nicht den starren Blick
Am leeren Hause weilen,
Aus dem entschwunden all mein Glück!
Komm Sufi, lass uns eilen!! -
(S. 14)
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IX.
Die Liebste, die mein Sinn ersehnt, entfloh'
in's Schneegebirge,
Und doch erscheint die Süsse mir allnächtlich
weinend im Traume.
Warum erscheinet mir Asli weinend
im Traume? -

Die schneebedeckten Berge sind meines
Schmerzes Zelt geworden,
Ich habe dort gesucht mein Lieb vergebens
allerorten.
Doch ruhe ich die Glieder aus an schroffer
Felsen Saume,
Erscheint mir Asli alsdann bitterlich wei-
nend im Traume.

Ihr Winterwinde, hört mein Fleh'n! Ich
kann's nicht mehr ertragen!
Vielleicht kann Euch ein Leichenstein, wo
Asli weilet sagen!!

Weh't meinen angsterfüllten Ruf, umher im
Weltenraume:
Warum erscheinet mir Asli bitterlich weinend
im Traume?

Erfüllt mit tollem Liebesschmerz irr' ich
durch Bergesklüfte,
Mein Mund zerreisst mit wildem Schrei die
nebelschwang'ren Lüfte. -
Ich kühle meiner Lippen Brand am eis-
umzog'nen Baume,
Warum erscheinet mir Asli bitterlich weinend
im Traume?!
(S. 15-16)
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X.
Cypressenbaum, du schlanker, o sage mir
geschwind,
Sah'st du nicht die Geliebte, ein schwarzes
Christenkind?
Und dass du mir zu sagen auch nicht ein
Wort vergisst,
Du weisst ja nicht, Cypresse, was wilde
Liebe ist! -

Und sprichst du nicht die Wahrheit, so
modere dein Stamm,
Ein Blitz soll dich zerschmettern mit blut'-
ger Feuerflamm',
Vergiftet sei der Boden, dem du entsprossen
bist;
Du weisst ja nicht, Cypresse, was wilde
Liebe ist! -

O sage mir, wird endlich mein Leid zu
Ende geh'n?
Soll als verblühte Rose, ich sie nur wieder
seh'n?
Und soll ich sie nur küssen, wie man die
Todten küsst?
Du weisst ja nicht, Cypresse, was wilde
Liebe ist!! -
(S. 17-18)
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XI.
Getrennt von seinem Lieb zu sein,
Berauscht von seinen Küssen,
Das ist die allergrösste Pein,
Die Menschen leiden müssen.
Schön Asli, kehre wieder!

Fühlst du denn nicht der Sehnsucht Schmerz
In deinen Adern beben?
Zerrissen schon ist Kerems Herz,
O kehr' zurück, mein Leben!
Schön Asli, kehre wieder!

Mein Schmerz ist grösser als das Land,
In das du dich geflüchtet! -
Wer hat schon einen Schmerz gekannt,
Wie den, der mich vernichtet?
Schön Asli, kehre wieder! -
(S. 19)
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XII.
Deine Augen all' hast du geschlossen,
Scheue Nacht!
Da der Morgen, purpurn, Dunst umflossen,
Still erwacht.
Einsam nur durch graue Nebel funkelt,
Wie das Aug' des Herrn,
Deine Schönheit, die kein Tag verdunkelt,
Trauter Morgenstern!! -

Du, der Glanz, der Schach im Sterngetümmel,
Leuchte mir!
Führe mich, du Freund am Morgenhimmel,
Hin zu ihr!
Leite du Kerem, den Tiefbetrübten,
- Sei's auch noch so fern -
Führe mich, o führ' mich zur Geliebten
Trauter Morgenstern! - -
(S. 20)
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XIII.
Das Schicksal hat mich in dieser Welt
Zu einem Blumengärtner bestellt.
Im Garten meiner Liebe nur,
Darf ich die Rose nicht knicken,
Die eine gütige Natur,
So duftvoll schuf zum Pflücken!
Drum weine ich . . . -

Viel Antilopen springen umher,
Und Jäger giebt es noch viel mehr,
Doch fängt ein jeder sich sein Wild.
Nur ich - 's ist zum Erbarmen,
Kann, die mein Herz mit Sehnsucht füllt,
Die Flinke nicht umarmen.
Drum weine ich . . . -
(S. 21)
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XIV.
O Morgenwind, wenn du erfrischend braust,
Wo Asli, fern von dem Geliebten haust,
So bring ihr Kerems Grüsse ohne Zahl,
Und küsse sie für mich viel tausend Mal! -

Küss' ihr die Schönheitsmale im Gesicht,
Jedoch zerzause ihre Locken nicht,
Umflore leise ihre Augen tief
Gleich einem zartgeschrieb'nen Liebesbrief.

Nur hüte dich, du ungestümer Wind,
- Du weisst nicht, wie berückend Asli minnt -
Vor ihrem Mund, von Perlen aufgeschwellt,
Dem schönsten Mündchen auf der ganzen Welt!!
(S. 22)
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XV.
Du waschendes Mädchen am plätschernden Fluss,
Nur eine Minute mir schenke,
Und lüfte den Schleier zum freundlichen Gruss,
Damit ich der Einen gedenke,
Die meiner Seele Glück.

Ich reise so traurig durch's blühende Land,
Die Schritte zur Ferne ich lenke,
Lass drücken die hennarothfarbige Hand,
Damit ich der Einen gedenke,
Die meiner Seele Glück.

Erschrick' nicht, du Spröde, und grolle mir nicht,
Zu Boden die Augen nicht senke,
Wenn zärtlich ich küsse dein rosig' Gesicht,
Damit ich der Einen gedenke,
Die meiner Seele Glück.
(S. 23)
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XVI.
Was blickest du, Fremdling, so rührend mich an?
Es trauert dein Antlitz, du trauriger Mann!
Verwelkte im Garten der Liebe ein Blatt,
Das vordem gegrünt und beglücket dich hat?

"Ich liebe ein zierlich', ein schneeweisses Reh,
Ich trage im Herzen ein schmerzliches Weh;
Es gaben die Eren mir feurigen Trank,
Er machte mich glücklich, er machte mich krank."

Ich gleich' nicht dem Rehe, nach dem du gejagt,
Ich bin einem anderen Jüngling versagt,
Es küsset ein And'rer mein Vogelgesicht,
Und die, so du liebest, die kenne ich nicht.
(S. 24)
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XVII.
Dich nennet man den Sultan-Dagh,
Kein Berg mit dir sich messen mag,
Dein Haupt ragt über Wolkenhöh'n,
Von keines Menschen Aug' geseh'n.

Dein Gipfel, stets mit Schnee bedeckt,
Sich über tausend Thäler streckt;
Es leuchtet im Frühsonnenschein,
Wie Diamanten dein Gestein.

Und deine Halden, Sultan-Dagh,
Sind wie ein mächt'ger Rosenhag,
- Aus dem ein süsser Odem quillt -
Von milder Blumen Duft erfüllt.

Doch deine Grösse freut mich nicht,
Mir kommen Thränen in's Gesicht,
Denn die, die meine Braut sich nennt.
Ist ja durch dich von mir getrennt.
(S. 25)
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Garib-Lieder

I.
Mein weisses Mädchen, deine Leilahaare
Sind lieblich wie des Kaufmann's Seidenwaare,
Und deiner Augen hochgeschwung'ne Brauen,
Dreitäg'gem Monde gleich, sind sie zu schauen.

Mein weisses Mädchen, den Verstand verloren,
Hab' ich um deine rosenfarb'nen Ohren!
Dein Liebreiz hat der Welt das Licht gegeben,
Der Sommersonne Glanz erbleicht daneben. -

Mein weisses Mädchen, deines Busens Schwellen
Beschämt des Meeres sturmgepeitschte Wellen!
Und alle Schritte deiner schmalen Füsse
Sind für die Erde heisse Liebesgrüsse! - -
(S. 29)
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II.
Vom Serail bin ich herabgestiegen.
Hussah, Hussah, Jäger! Hetz dein Wild!
Sieh'st du nicht das Reh durch's Dickicht fliegen,
Wie von mädchenhafter Scheu erfüllt?!

Wie ihr schwarzes Haar im Winde wehet!
Hussah, Jäger! Folge ihrer Spur!
Wie ihr süsses Aug' so schamhaft flehet:
Folg' mir, kühner Jäger, folg' mir nur!

Gleich Orangen glühen ihre Wangen. -
Hussah, Jäger! Schneller musst du sein.
Hast du erst ihr langes Haar gefangen,
Dann gehört die ganze Beute dein.

Sieh! Jetzt eilt das Wild zur schatt'gen Quelle.
Hussah, Jäger! Bald bist du am Ziel.
Trink den Born, er sprudelt frisch und helle,
Aber hüte dich, trink' nicht zu viel. -
(S. 30)
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III.
Liegt Wolkendunst vor meinen Blicken?
Klang's nicht in meinem Ohr: Ade?!
Der Hyazinthen Blüthen nicken
Und grüssen: Lebe wohl, mein Bey!
Ich zieh' nach Rum. -

"Warum willst du die Heimath meiden?
Warum willst du verlassen mich?
Warum, mein Garib, willst du scheiden?
Verlass mich nicht! Ich bitte dich:
Zieh' nicht nach Rum!"

Mein Vater liess mir Nichts zu erben,
Versagt ist mir der Güter Glück;
Fort muss ich, Reichthum zu erwerben,
Doch hilft mir Gott, kehr' ich zurück.
Ich zieh' nach Rum. -

"Verlass mich nicht, mein Herz, mein Leben!
Hab' ich zu wenig dich geliebt?
Wem Gott will Gut und Reichthum geben,
Dem Gott es in der Heimath giebt.
Zieh' nicht nach Rum!"

Willst du den Abschied mir erschweren?
Vertrauen nicht den Worten mein?
Wenn Garib's Schritte wiederkehren,
Gehörst du ja für immer sein.
Ich zieh' nach Rum!

"So muss ich rathlos von mir lassen,
Den Gott zu meinem Glück mir gab!?
Doch eh' die Rosen noch erblassen,
Liegt Szinem bleich im stillen Grab.
Zieh' nicht nach Rum."
(S. 31-32)
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IV.
Ich lag in der Cypresse Schatten,
Und träumte einen tiefen Traum. -
Es sind der Erde grüne Matten
Ein besser Bett, als weisser Flaum.

Da schlich sich meines Herzens Wunde,
Hold' Szinem leis zu mir heran,
Und rief, mit sehnsuchtsvollem Munde:
"Wach auf, Garib, geliebter Mann!"

"Will deine braunen Augen küssen,
Aus denen treue Liebe spricht;
Hab' lange dich entbehren müssen!"
Sie sprach's, doch ich - erwachte nicht.

Ich lag in der Cypresse Schatten,
Und träumte einen tiefen Traum. -
Es sind der Erde grüne Matten,
Ein besser Bett, als weiser Flaum. -
(S. 33)
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V.
Das hochgerühmte Georgistan, hab' sinnend
ich durchritten,
Durch Blumengärten, ohne Zahl, bin traurig
ich geschritten.
Wohl giebt es dort der Rosen viel, die
farbenprächtig glühen,
Doch ach! die Rosen täuschen nur, denn
duftlos sie verblühen! -

Es schluchzet ihren Liebesruf, die Nachti-
gall im Flieder,
Die Mädchen singen, wie bei uns, im Früh-
jahr Manilieder;
Sie haben Händchen schmuck und fein, und
spinnen zarte Fädchen,
Sie sind auch gut und liebenswerth, doch
nicht wie - uns're Mädchen.

Die Flüsse stürzen, wie bei uns, von Fels
und Berg zu Thale,
Ihr Wasser frisch und klar, wie Thau, wie
mundet es beim Mahle!
Man kann dort leicht ein Küsschen sich von
warmen Lippen rauben;
Geliebt wird auch in Georgistan, doch - ohne
Treu' und Glauben.
(S. 34-35)
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VI.
Die Frühjahrsblumen wieder spriessen,
Die Wässer wieder munter fliessen,
Die Vögel tummeln sich auf Rosen,
Die zärtlich singend sie liebkosen.

Die Bäume sich auf's Neu beleben,
Zu Allah ihre Kronen heben.
Doch ich muss weinen, immer weinen,
Mir will die Sonne nimmer scheinen! -
(S. 36)
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VII.
Mein Tag ist kein Tag, mein' Nacht ist kein' Nacht,
Stets denk' ich an Szinem's liebliche Pracht!
Drum sage mir, kluger Basirgian,
Die Stunde, da deine Augen sie sah'n.

Was brachest du ab in Tiflis dein Zelt?
Wann zogest du fort in's Stürmen der Welt?
Um Szinem quält mich ein furchtbarer Wahn,
Erzähl' mir, wie deine Augen sie sah'n!

"Man sagte mir schon am äussersten Thor,
Dass Szinem so schön, als jemals zuvor,
Sie denke an dich mit wogender Brust,
Und trau're, dass du hast wandern gemusst."

"Und als sie erfuhr, dass du mir bekannt,
Dass ich dich geseh'n im südlichen Land,
Da frug sie nach dir mit bebendem Mund
Und weinte um dich die Augen sich wund."

"Als ich aber zog von Tiflis hinaus,
Da gab sie mir mit von Rosen des Strauss,
Und sagte: Wenn dich mein Garib erblickt,
So gieb ihm den Strauss, den ich ihm gepflückt."

"Dem Mütterchen dein, mit schneeweissem Haar,
Ihm glänzte dabei das Auge so klar.
Es duftete süss der Strauss in der Hand,
Die Nachtigall sang, und - Szinem verschwand." -
(S. 37-38)
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VIII.
Zu Eu'rer Seele lasst ein Wort mich sprechen! -
Hat nie Garib an Euch geschrieben?
Vom Weinen mir die alten Augen brechen;
O sagt, wo ist Garib geblieben? -

Mein schöner Sohn Garib! Ohn' meinen Segen,
Zogst du vom Hause deiner Lieben,
Mein Auge folgte dir auf allen Wegen,
O sprich, wo ist dein Fuss geblieben?

Auf, Freunde! Sucht! - Und wenn Ihr Einen findet,
Den Übermuth von Haus getrieben,
Erzählt ihm, dass sein Mütterchen erblindet,
Weil er zu lange ausgeblieben! - -
(S. 39)
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IX.
Drei hundertmal eilt' ich in's Feld hinaus,
Drei hundertmal blickt' nach Garib ich aus,
Drei hundertmal sah ich das ferne Meer,
Drei hundertmal blieb seine Strasse leer.

Seit sieben Jahren harr' ich seiner schon,
Seit sieben Jahren hab' ich keinen Sohn,
Seit sieben Jahren weint um ihn die Braut,
Seit sieben Jahren klagt ihr Herze laut.

In vierzig Nächten keinen Schlaf sie fand,
In vierzig Nächten drückt' ich ihre Hand,
In vierzig Nächten voller Mondenschein,
In vierzig Nächten soll die Hochzeit sein.
(S. 40)
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X.
Vor deines Hauses Thüre steht ein Dattelbaum,
Der Palme Rauschen wieget dich des Nachts in Traum;
Leis dringt ein milder West in deine Kammer ein,
Und zaubert küssend Rosen auf die Wangen dein.
Warum, warum, mein Lieb, darf ich der West nicht sein?

Es fächeln dir die Palmenwedel Kühlung zu,
Der Nachtigallen Sang versüsset deine Ruh;
Vom Schlaf erwacht, nimmst du den Spiegel auf die Knie!
Und küsst dein eigen' Bild, du schöne Fee Peri.
In meiner Augen Spiegel spiegelst du dich nie! -

Der Dattel Frucht erfrischt die Purpurlippen dir.
In blauem Schimmer träumt dein Auge wie Saphir.
Fällt aber sengend nieder heisse Tagesgluth,
Dann tauchst du deine Glieder in des Baches Fluth.
Wer aber, schlankes Mädchen, kühlt mein siedend Blut?!
(S. 41-42)
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XI.
Von Zunge zu Zunge bin ich gefallen,
Gekränkt und verspottet, verlacht von Allen.

Ich habe mein Vaterland früh verlassen;
Wer kann meine Trauer, mein Leid erfassen?

Es fliessen zu Haus der Geliebten Thränen,
Und Mutter und Schwester zu Tod sich sehnen.

Ich stürbe vor Jammer am liebsten heute,
Und dabei verhöhnen mich noch die Leute.
(S. 43)
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XII.
Vorüber ist nun alle Noth,
Sei fröhlich, Stadt Haleb!
Versüsset hast du oft mein Brot
Mit Scherbet und Saleb.

Nahm'st dich Garib's, des Müden an,
Da er zum Tode krank,
Ein liebeswunder Wandersmann,
Zu deinen Thoren sank.

Mein Auge sich mit Thränen netzt,
Bei diesem Abschiedsgruss,
Da ich bei meinem Scheiden jetzt,
Auf ewig scheiden muss.

Denn, die ich liebe, schrieb an mich:
Eil' schnell in meinen Arm,
Ich kann nicht athmen ohne dich,
Ich sterbe sonst vor Harm.
(S. 44)
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Massal-Lieder

I.
Bist du in Hindostan, bist du in Yemen?
Wo find' ich dich, du sinnberückend' Schemen?
Wo rauscht dein seid'nes Kleid, wo schimmern deine Augen,
Die Blut und Mark aus Herz und Bein mir saugen?

Ich will nach Habesch, will nach Missir eilen,
Im Schilf des Nil's, im Wüstensande weilen,
Dem Zug der Schwäne folg' ich, dem so raschen,
Ein Lächeln deines Mundes zu erhaschen.

Sollt' ich in Bagdad oder Iran sterben,
Will sterbend ich um deine Gunst noch werben.
Ein einzig' Mal erscheine meinen Blicken,
Den Elendsten der Menschen zu beglücken! -
(S. 47)
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II.
Ich bin Arab Üsengi, die Heldin, wohl-
bekannt,
Ich lug' vom hohen Felsen hinab in's Nieder-
land.
Es ist mein Schloss gefüllet mit meiner
Opfer Gut,
Und wie die Tuna Wasser, vergiess' ich
Menschenblut.

Auf meiner Mauern Zinnen, du Sonder-
bares sieh'st,
Bei tausend Menschenköpfe zur Zierart
aufgespiesst
Es hat mein Speer von Eisen, wohl hundert
Pfund Gewicht,
Wer ihn erblickt, der wechselt die Farbe
im Gesicht.

Ein jeder Pilger flieht mich, so wie das
Steinhuhn flieht,
Wenn es von fern den Jäger mit Pfeil und
Bogen sieht.
Und wer nicht flieht von dannen, der stirbt
von meiner Hand,
Ich bin Arab Üsengi, die Heldin wohl-
bekannt.
(S. 48-49)
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III.
Dich grüsst des Buchenwald's harmonisch' Rauschen,
Der Wachtel heller Schlag im Weizenfeld,
Die Nachtigallen deinen Schritten lauschen,
Dich grüssen alle Wonnen dieser Welt!

Es zaubert deine Nähe Märchendüfte,
Es lässt dein Auge einen Himmel seh'n,
Und über deinem Haupte Maienlüfte,
Wie Opferrauch um einen Altar weh'n.

Und Adler brausend deinen Weg umkreisen,
Und Lämmer folgen spielend deiner Spur,
Dich grüsst mit abertausend Zauberweisen,
Mit ihren keuschen Reizen die Natur.

So nah'st du mir. - Ein Traumgebilde,
Ein Gruss, ein Kuss aus einer ander'n Welt;
Und wo du weilst, erblühen die Gefilde,
Wo du enteilst, verdorren Flur und Feld! -
(S. 50)
_____


IV.
Den ich aus Moschus und Ambra gemacht,
Um den ich geweint, so manche Nacht,
Den ich heiss flehend und betend bewacht,
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Du schlummerst so tief, wie im Totenreich,
Dein Wuchs ist schlank - ein Cypressenzweig -
Dein Athem dem Duft der Rosen gleich
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Zerbrochen ist mein Wanderstab,
Vom blutenden Fusse die Sohle fiel ab,
Bis ich die Teu'ren gefunden hab'!
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Deines Mundes Lächeln hat mich beglückt,
Als ich mit dem Divankleid geschmückt,
Einen Kuss auf deine Stirne gedrückt;
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Noch immer dein Auge glanzlos starrt?!
Bist in die Yemenmädchen vernarrt?
Dein Schweigen, Misk-Amber, wie ist's so hart!
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Der Morgen dämmert. - Mein Mondgesicht
Erbleicht bei hellem Sonnenlicht;
Und du erwachst noch immer nicht?!
Erwach', mein Geliebter, erwache!

Schon singt der Vögel munt'rer Schwarm,
Die Tagesluft kost lind und warm!
Wann schlingst du um die Braut den Arm?
Erwach', mein Geliebter, erwache! - -
(S. 51-52)
_____


V.
Die Blüthe des Granatenbaum's der schim-
mernd durch die Hecke schaut,
Verblasst vor deiner Lippen Roth, du trotz'-
ge Janitscharenbraut;
Und der Magnolie Schneegewand, am Morgen
silberhell bethaut,
Zerschmilzt zu trübem Regen vor dem Rosen-
schleier deiner Haut!

In tausend Fäden wogt dein Haar den süss-
geschwellten Leib entlang,
Kein Seidenspinner, dem Gespinnst von sol-
cher Zartheit noch gelang;
Es flieht das Reh beschämt davon, vor
deiner Anmuth, deinem Gang
Bis es sich todesmüde stürzt hinab des
Felsens steilen Hang.

Sieh! deines Mundes Ambraduft saug' ich
mit meinem Athem ein!
Wo rauscht ein Cedernwald im Wind, ein
Pinienbaum im Mondenschein,
Voll holden Duftes, wie dein Hauch?! O,
lass mich endlich glücklich sein!
Nimm' Alles hin, was mein sich nennt; ich
selbst gehöre längst schon dein. -
(S. 53-54)
_____


VI.
Ich liebe dich von Herzen und mit ganzer
Seele,
Dich, du Rosenangesicht!
Dich Königin der Welt! dich Herrscherin
der Rosen!!
Dich, du Rosenfee!!!

Seit ich dein Antlitz, das blühende gesehen,
Denk' ich einzig an dich. -
An deine Hyazinthenhaare, holdes Mädchen!
Dir gehöre ich ganz.

Wie Erdbeeren duftet dein Mund, die Mor-
genthau bedecket.
Zauberisch lächelst du!
In stummer Andacht beug' ich mich vor
deiner Schönheit,
Hehre Engelsbraut! -

Wenngleich ich schlürfe aller Meere Wässer,
Gluthen verzehren mich.
Ein Opfer deiner Anmuth fall' ich dir zu Füssen;
Flammen quälen mein Herz.

Es schuf dich Gott so schön! Wer fände
Fehler an dir,
Junge Pinie?
Wie einen frischgepflanzten Rosenstrauch,
so zieren
Alle Reize dich!

Ein liebestrunk'ner Sklave, der dem Tod
geweihet,
Lechzet sterbend nach dir!
Gewähr' ihm milden Balsam, deiner Lippen
Wasser,
Frischen Rosenthau!! - -
(S. 55-56)
_____



Köjli-Lieder

I.
Es sah mein Aug' ein Werbezelt,
Vor'm Haus des Liebsten aufgestellt.

Da warf, mit einem grossen Stein,
Ich seines Hauses Fenster ein.

Ich glaub', ich schlug ihm ein das Hirn,
Es floss das Blut von seiner Stirn.

Kann ich ihn haben nicht zum Mann,
Soll auch der Sultan ihn nicht han.
(S. 59)
_____


II.
Ich hab' des Vaters Haus zerstört,
Ich stahl sein Gold, schwang mich auf's Pferd,
Und floh zu dir, in Liebesweh;
Steig auf, zur Flucht mit mir, mein Bey!

"Die Mutter und der Vater mein,
Sie kämen sicher hinterdrein,
Und fingen uns in kurzer Zeit;
Ich kann nicht fort, Turkmenenmaid!" -

Und holte uns der Vater dein
Auch mit fünfhundert Reitern ein,
Mein Schwert mäht' sie, wie grünen Klee,
Drum zage nicht, steig auf, mein Bey!

"Beschlagen ist mein Schimmel nicht,
Sein Sattel ist nicht hergericht't,
Sein Futter hab' ich nicht bereit,
Ich kann nicht fort, Turkmenenmaid!"

Mein Armspang' heft' statt Eisen auf,
Mein Staatskleid wirf als Sattel drauf,
Mit meinen Perlen, weiss im Schnee
Will ich ihn füttern, o, mein Bey! -
(S. 60-61)
_____


III.
Des Nachts die Liebste von mir zog,
Ihr fiel nicht schwer das Gehen;
Die Nachtigall ins Weite flog.
Bey's, habt ihr sie gesehen?

Wie die Gazelle ungehört
Entflieht im Windeswehen,
So floh, die meinen Sinn bethört,
Bey's, habt ihr sie gesehen?

Ihr Händchen war so schlank und hold,
So blendendweiss, wie Schlehen,
Stahl mir mein schönes, gelbes Gold,
Bey's, habt ihr sie gesehen? -
(S. 62)
_____


IV.
Woher so eilig im rauschenden Flug,
Du schwarzer, krächzender Kranichzug?!
Kommst du vom Heimathstrande?
O, melde mir, was sich dort begab,
Seit ich das Land verlassen hab',
Das schönste aller Lande.

Zehrt noch der Sonne glühender Brand
Der Flüsse silbernes Wasserband?
Und blüh'n noch die Narcissen?
Geh'n die verliebten Mägdelein
Spazieren noch im Mondenschein,
Um kichernd sich zu küssen?

Seufzt noch, vom Morgenwind bewegt,
Der Mandelbaum, den ich gepflegt,
Im stillen Gartenwinkel?
Ist noch des dicken Pascha's Kind,
Das vordem mir so wohl gesinnt,
Erfüllt von dummem Dünkel?

Ich frage dich, krächzender Kranichzug,
Kommt noch der hässliche, list'ge Trug
Aus neckisch lachendem Munde?
O wüsstest du, was mir gescheh'n,
Du würdest in meinem Herzen seh'n
Die blutige, klaffende Wunde! -
(S. 63-64)
_____


V.
Du kennst der Weiber Blicke wohl?
Grell blendend wie des Blitzes Licht;
Sie schmerzen mehr, als Sterbenoth,
Denn - grausam Weh! - sie tödten nicht.

Doch deiner tiefen Augen Strahl,
Ertrag ich leicht, in Seelenruh';
Und deine Kälte, deinen Hohn,
Und deine Launen auch dazu.

Denn seit dem Tag, da ich dich sah,
Entfloh mein Ich, und unbewusst,
Weilst du nun, Mädchen aus Mossul,
In meinem Herz, in meiner Brust.

Senk' deiner Blicke spitzen Dolch
Drum immerhin mir in das Herz!
Du fehlst das Ziel, nur dich allein,
Dich trifft der Stahl, dich trifft der Schmerz!
(S. 65)
_____


VI.
O Effendi, o, mein Sultan, wende dein Ge-
sicht mir zu;
Seit ich dir in's Aug' gesehen, find ich nir-
gend Schlaf und Ruh'!

O Effendi, o, mein Sultan, wende dein Ge-
sicht zu mir,
Seit ich deinen Hauch genossen, ist mein
Sinnen stets bei dir.

O Effendi, o, mein Sultan, wende zu mir
dein Gesicht,
Seit ich dir mein Herz gegeben, lebe ich
und sterb' ich nicht.
(S. 66)
_____


VII.
Durch blind geword'ne Fensterscheiben
Lacht oft ein neckisch' Augenpaar;
Und schlanke, weisse Händchen treiben
Oftmals ihr Spiel mit schwarzem Haar.

Es tragen enge, ird'ne Töpfe
Nicht selten Rosen, himmlisch' schön,
Und schwere, ernste Männerköpfe,
Die sind am Leicht'sten zu verdreh'n.
(S. 67)
_____


VIII.
Könnt' ich, wie eine Nachtigall,
Mich in die Zweige schwingen,
Wie sollte meines Liedes Schall,
Dein taubes Ohr bezwingen!

Und wär' ein Arzt ich, hochgelahrt,
Schnell würde ich uns Beide,
Mit Arzenei, ganz eig'ner Art
Befrei'n von allem Leide.

Und wenn die Nacht so dunkel wär',
So wie der Tag den Blinden,
Es fiele meinem Mund nicht schwer,
Den Deinigen zu finden.

Und wenn du mich nicht lieben willst,
Und buhlst mit einem Ander'n,
Wenn meinen Kummer du nicht stillst,
So muss ich weiter wandern.

Und, wenn der And're dich nicht mag,
Hast du statt Einem - Keinen,
Dann wirst du manchen langen Tag
Um einen Fernen weinen. - -
(S. 68-69)
_____


IX.
Der Mond geht auf, erhellt die Welt mit
weissen Schimmern,
Die Sonne lacht, begräbt das Aug' mit
gold'nen Flimmern. -
Die Mädchen, die dich lieben, sich am Meisten
zieren,
Sie locken dich, sie spreizen sich, sie
kokettiren.

"Verweil bei mir, mein Rosenchan!"
""Effendi, nein, das geht nicht an!"" -
"Willst du nicht, dass dein Mütterlein,
Soll meine Schwiegermutter sein?"

""Gur, gur; gur, gur; gur, gur; gur, gur!""
"Ein kleines Weilchen bleibe nur!"
""Fällt mir nicht ein!"" Das Mädchen sprach,
Es lief der Bursch dem Mädchen nach.

Er lief ihr nach, sie lief ihm vor,
So kamen sie zum Gartenthor;
Dort fing das zarte Mägdelein
Den grossen, plumpen Burschen ein. -

Verliebter Tropf, die Frucht ist noch nicht
reif zum Pflücken,
Das Wasser ist noch trüb, und kann dich
nicht erquicken,
Drum musst du, armer Bursch - 's ist wahr-
lich kaum zu fassen -
Die dich gefangen nahm, das Mädchen
wieder lassen!
(S. 70-71)
_____


X.
Ich frug: Wem sind die Perlensträhne?
Sie sagte: Das sind meine Zähne!
Ich frug: Was ist denn Zehn und Drei?
Sie sagte: Dass so alt sie sei.
Ich frug: Was ist so roth, mein Kindchen?
Sie sagte: Das ist ja mein Mündchen!
Ich frug: Und darf's geküsst nicht sein?
Sie sagte: Nein; nein; nein; nein, nein! -

Ich frug: Wer lindert Seelenqualen?
Sie sagte: Meiner Augen Strahlen.
Ich frug: Und wo ist Liebeslust?
Sie sagte: Hier, in meiner Brust.
Ich frug: Wann wird gestillt mein Jammer?
Sie sagte: Einst, in meiner Kammer.
Ich frug: Lässt du mich heut' nicht ein?
Sie sagte: Nein; nein; nein; nein, nein! -

Ich frug: Wen täuschen leicht die Frauen?
Sie sagte: Die, so leicht vertrauen.
Ich frug: Wen hab' ich stets im Sinn?
Sie sagte: Mich, die Sultanin!
Ich frug: Wer pflegt mich zu belügen?
Sie sagte: Das ist mein Vergnügen.
Ich frug: Und wird das stets so sein?
Sie sagte: Nein; nein; nein; nein, nein! -
(S. 72-73)
_____


XI.
Seit ich mein Lieb verloren hab',
Ist öd die Welt, öd, wie ein Grab.
Wer lindert meiner Seele Pein?
Mein Tröster kann nur Allah sein.

Der Bienen Honig mag ich nicht,
Weil's ihm an Wohlgeschmack gebricht,
Nichts ist so süss, Nichts ist so lind,
Wie der Geliebten Lippen sind.

Die Ros' hat Wangen roth und rund,
Es duftet hold ihr Blumenmund,
Doch keiner Rose Grübchen ist,
So rosig, wie mein Liebchen ist.

Der Bach ist hell, der Bach ist klar,
Wie der Geliebten Augenpaar.
Doch seit verloren ich mein Lieb,
Da rinnt sein Wasser matt und trüb.
(S. 74)
_____


XII.
So müssen wir denn scheiden;
Mein Fenster sollst du meiden;
Nimm dir die Abschiedsgabe.
Musst in's Gefängnis gehen,
Wirst du bei mir gesehen,
Mein schöner, blonder Knabe.

"Ich fürchte nicht den Kerker,
Die Liebe mein ist stärker,
Denn Eisen und denn Stein.
Und sollte ich gefangen,
Und sollte ich gefangen
Um Deinetwillen sein!" -

Entflieh', entflieh', in Eile,
Von des Vezier's Seraile
Du schöner, blonder Knabe!
Schon Mancher thät sich freuen,
Und musste dann bereuen,
Und modert nun im Grabe.

"Es ist das Grab nicht schaurig,
Es ist das Leben traurig,
Gehörest du nicht mein!
Drum mögen sie mich haben,
Drum will ich auch begraben
Um Deinetwillen sein!" -
(S. 75-76)
_____


XIII.
Warum bedeck'st du deinen Busen mit
Lahurishawl?
Zeig deinen Silberhals mir nur ein einzig',
einzig' Mal!
Soll'n denn die blassen Veilchen, die im
Schatten steh'n,
Verwelken, ohne einen Sonnenstrahl zu
seh'n? -

Ich bin der Löwe dieser Gegend, Namens
Köroglu,
Mir fiel schon manches weisse Mutterlamm
als Beute zu.
Mit Zucker füll' ich an das Mündchen
dein,
Willst du beflocktes Lamm nicht meine
Beute sein?

Mich nennt man Räuber, doch mein Sohn,
der wird ein Pehlivan,
Muss eisenharte Arme und ein weiches
Herze han.
Drum lauf' mir nicht davon! Bereitet dir's
denn Pein,
Die Mutter eines stolzen Pehlivan's zu
sein? -
(S. 77-78)
_____


XIV.
Ich liege krank, in Schmerzen und in
Wunden,
Mir schüttelt Fieberfrost die abgezehrten
Hände,
Der Hekim hat die Wunden mir verbunden,
Doch fühle ich's, ich steh' an meiner Tage
Ende.
Nur die Geliebte, mein, kann retten mich
vom Tod,
Du Feld von Yemen, wie bist du so blutig
roth?!

Auf Yemens Eb'ne, in der Sonne Gluthen,
Da dorrt ein Dornenbusch mit ungezählten
Ästen,
Da machten mich der Feinde Speere bluten,
Und tausend spitze Dornen sich ins Fleisch
mir pressten,
Im Schlachtgewühl fand ach! so Mancher
seinen Tod,
Du Feld von Yemen, wie bist du so blutig
roth?!

Verfluchet sei, der jenen Dornbusch sä'te,
Erblinden soll, wer meinen jungen Leib
vernichtet,
Geseg'net sei, der meine Wunden bäh'te,
Gebenedeit, wer meinen Gruss dir aus-
gerichtet!
O komm, Geliebte mein, zu retten mich
vom Tod,
Du Feld von Yemen, wie bist du so blutig
roth?!

Ich sandte dir mein Schwert, mit Blut
beflecket,
Gebunden in das Tuch, das du mir einst
gegeben,
Mit heissen Thränen habe ich's bedecket,
Und weinend dann geküsst, zum letzten
Mal im Leben.
Zu mir, mein Augentrost! Geliebt bis in
den Tod!
Du Feld von Yemen, wie bist du so blutig
roth?! -
(S. 79-80)
_____


XV.
Komm Mädchen, lass uns nach des Berges
Spitze wallen,
Wo Rosen blühen, Nachtigallenlieder schallen,
Wo Bienen summen, liebestrunk'ne Winde
flehen,
Dort öff'nen sich die Herzen, eh' wir's uns
versehen.
Umarme, küsse mich, Feinsliebchen traut,
Komm, lachen, spielen wir, du süsse
Braut!

In's frische Gras der Wiese wollen wir uns
strecken,
Mit fallenden Jasminenblüthen uns bedecken,
Und Arm in Arm, und Mund an Mund uns
schwören,
Dass wir uns bis zum Tode sollen angehören.
Umarme, küsse mich, Feinsliebchen traut,
Komm, lachen, spielen wir, du süsse
Braut! -
(S. 81)
_____


XVI.
Wer steht allein im Rosengarten,
Im Sonnenschein, im Blüthenduft,
Zertritt die Würmer, die sich scharrten
Im Blumenlaub die eig'ne Gruft?

Wem war das Mädchen, dem wir schlugen
Aus Cedernholz ein stilles Haus,
Und das wir gestern Abends trugen
Zum steinbesä'ten Berg hinaus?

Wem sieh'st du dort zu Boden fallen,
Und wessen Seufzer zu dir dringt,
Indess im Strauch der Nachtigallen
Wehmüthig' Liebeslied erklingt??
(S. 82)
_____



Mani-Lieder

I.
Ich kann mich nimmer von dir trennen,
Du Rosenkind im Rosenwald;
Doch will ich dich nicht Rose nennen,
Denn ach! die Rosen welken bald.
(S. 85)
_____


II.
Die heiligen vier Bücher sind,
So heilig nicht, wie du mein Kind,
Drum sehe ich, als frommer Mann,
Dich öfter als den Koran an.
(S. 85)
_____


III.
Es blitzt dein Auge durch den Schleier,
Wie Mondlicht durch Magnolienlaub,
Als sonnten Fische sich im Weiher,
Als läg' ein Edelstein im Staub.
(S. 85)
_____


IV.
Mein Schiff geht nur bei Sturm und Wind,
Dann fliegt es, wie der Pfeil geschwind;
Du aber willst hinaus in's Meer,
Wenn meines Schiffes Segel leer.
(S. 86)
_____


V.
Ein grünes Tuch, ein grünes Tuch,
Ward uns're Noth, ward unser Fluch;
Du sticktest deinen Namen ein,
Ich trock'ne meine Thränen drein.
(S. 86)
_____


VI.
Du glaubst mir nicht, dass du erschaffen
Zu meines Herzens Königin?!
So trage mich nur zum Serafen
Und frage ihn, ob falsch ich bin.
(S. 86)
_____


VII.
Wer meinen Kummer nicht gefühlt,
Wem nie ein Gift im Leib gewühlt,
Und wer mein Mädchen nicht geküsst,
Weiss nicht, was Tod und Leben ist.
(S. 86)
_____


VIII.
Als ich dich sah zum ersten Mal,
Da fühlt' ich weder Lust noch Qual;
Jetzt bin ich Kohle in deiner Hand,
Bläst du mich an, steh' ich in Brand.
(S. 87)
_____


IX.
So wahr, als über fünfzig Sterne
Am Himmel steh'n in stiller Pracht,
So wahr, mein Kind, hab' ich dich gerne,
Obwohl ich nie dich sah bei Nacht.
(S. 87)
_____


X.
Du hüll'st dich in den Feradsché,
Dass ich nicht deine Hüften seh,
Jedoch, je fester du dich hüllst,
Jemehr du meinen Wunsch erfüllst.
(S. 87)
_____


XI.
Ausgehöhlte Apfelsinen,
Die mit Rosen angefüllt,
Sollen dir zum Labsal dienen,
Wenn mein Hunger ist gestillt.
(S. 87)
_____


XII.
Wie oft hab' ich schon Wein getrunken,
Doch nie verlor ich den Verstand!
Vor dir, da bin ich hingesunken,
Wie ein Betrunk'ner in den Sand.
(S. 88)
_____


XIII.
Die Sonne küsst an jedem Morgen
Die Fluren, wie es ihre Pflicht.
Du Mädchen machst mir viele Sorgen,
Denn deine Pflicht erfüllst du nicht.
(S. 88)
_____


XIV.
Wenn sich deine Wimpern heben,
Singen alle Nachtigallen,
Aber traurig ist das Leben,
Wenn sie wieder niederfallen.
(S. 88)
_____


XV.
In deines Zimmers stillen Raum,
Da blüht ein rother Pfefferbaum;
An seinen Blüthen Niemand kennt,
Welch' wildes Feuer in ihm brennt.
(S. 88)
_____


XVI.
Dein Entari wird zu enge,
Deine Wangen werden bleich,
Wer als Unschuld dich besänge,
Käme einem Lügner gleich.
(S. 89)
_____


XVII.
Auf kahlem Felsen kann kein Quell entspringen,
Zur Liebe, Mädchen, lässt sich Niemand zwingen,
An kalter Asche kann man sich nicht wärmen,
Um nicht Gebor'nes soll man sich nicht härmen.
(S. 89)
_____


XVIII.
Schwarze Haare, blaue Augen,
Meiner Ruhe wenig taugen;
Blaue Augen, schwarze Haare,
Bringen mich noch auf die Bahre.
(S. 89)
_____


XIX.
Wenn Tinte fluthete in allen Meeren,
Wenn Schreibpapier ein jedes grüne Blatt,
Wenn alle Cedernbäume Federn wären,
Wer schriebe, was mein Herz gelitten hat.
(S. 90)
_____


XX.
Versengt mein zuckend' Fleisch, lasst mich
zu Tode bluten,
Legt mich in Eisenketten, peinigt mich
mit Knuten,
Nur Eines bitt' ich Euch: O habt mit mir
Erbarmen,
Lasst einen Arm mir frei, mein Liebchen
zu umarmen!
(S. 90)
_____

 

 

Kleines Wörterbuch:
Aga, Herr, Gebieter
Allah, Gott
Arab Üsengi, Name einer kühnen Räuberin; wörtlich: arabischer Steigbügel
Asli, weiblicher Eigenname
Bersagthal, Flussthal in Anatolien
Besirgian, Kaufmann
Bey, Herr, auch Titel und Bezeichnung für Söhne hochgestellter Familien
Chan, Fürst
Divankleid, Festtagskleid
Drei, sieben, vierzig, die Zahlen der islamitischen Sagenwelt
Effendi, Herr, gelehrter Herr
Entari, Unterrock, Schlafrock
Eren, Liebesfeen
Feradsché, weites Frauenkleid
Garib, männlicher Eigenname, auch Fremdling; alttürkisch: verliebt
Georgistan, Georgien
Habesch, Abessinien
Haleb, Aleppo
Hekim, Arzt
Hindostan, Indien
Iran, Persien
Isewi, Christin
Kaba dili, gewöhnliche, Volkssprache; wörtlich: grobe Sprache
Kaiseri, anatolische Stadt
Kerem, männlicher Eigenname
Köroglu, der Rinaldini des osmanischen Volkes
Kismet, Glück, Geschick
Köjlilieder, Bauernlieder, Dorflieder
Lahurishawl, Shawl aus Lahore
Leilahaare, von Lejlak, der Holunder; Leila, Name einer osmanischen Frauenschönheit
Manilieder, Gedankenlieder, Sinnsprüche
Massallieder, Märchenlieder; Massal: Märchen, Parabel, Sprichwort, Anekdote
Misk-Amber, wörtlich: Moschus-Weihrauch; männlicher Eigenname im Volksmärchen
Missir, Egypten
Pehlivan, Ringkämpfer, auch Held
Peri, Feen des Wohltuns und der Schönheit
Rum, die europäische Türkei, auch Griechenland; Europa, Frangistan im weiteren Sinne
Saleb, ein süsser, aus Salebwurzel bereiteter, warmer Schleimtrank
Scharki, Gedicht
Scherbet, ein süsses, kühlendes Getränk
Serail, Burg, Schloss, Palast
Seraf, Geldwechselr
Sufi, männlicher Eigenname; Abkürzung von Jussuf, Joseph
Sultan-Dagh, Sultansberg in Anatolien
Szinem, weiblicher Eigenname
Tuna, Donau
Türki, Volkslied
Yemenmädchen, Feen

Aus: Anatolische Volkslieder aus der "Kaba dili" von Leopold Grünfeld
Leipzig 1888

 


 


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