Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 

Bretonische Liebeslieder




Der Schäferruf

Wenn ich aufsteh' Morgens frühe,
mit den Küh'n zur Weide zieh',
Hör' ich meine Süße singen,
an der Stimme kenn' ich sie;
Hör' ich singen meine Süße
auf dem Berg im Morgenschein,
Und ich mache schnell ein Liedchen,
und ich stimme bald mit ein.

Als ich sie zum ersten Male
sah, mein Gretchen hold und frisch,
Ging sie g'rad zum ersten Male
in die Kirch' zu Gottes Tisch;
Mit den Kindern von Fuesnant
in die Kirch' begab sie sich;
Damals zählte sie zwölf Jahre,
und zwölf Jahre zählte ich.

Unter Allen stand sie strahlend,
wie die gelbe Ginsterblüth',
Oder wie die wilde Rose
aus den Haidebüschen glüht.
Fort und fort, so lang' die Messe
währte, mußt' ich schau'n nach ihr,
Und je mehr ich nach ihr schaute,
desto mehr gefiel sie mir.

In dem Garten meiner Mutter
steht ein Baum von Aepfeln schwer,
Ihm zu Fuß ein grüner Rasen
und Gebüsche rings umher.
Wenn sie zu mir kommt, die Süße,
die mein Herz liebt inniglich,
Werden wir uns in des Baumes
Schatten setzen, sie und ich!

Unter allen Aepfeln such' ich
meinem Lieb den röthsten aus;
Eine Blume, die ich liebe,
bind' ich ihr in einen Strauß -
Eine welke Ringelblume,
weil mein Herze trauern muß,
Denn sie gab mir niemals einen
liebevollen, ernsten Kuß.

"Schweiget, Freund, und singt nicht länger!
schweigt und singt ein ander Mal!
Leute kommen aus der Messe,
und sie horchen auf im Thal.
Wenn wir wieder auf der Haide
einsam sind, kein Mensch dabei,
Geb' ich einen rechten süßen
Kuß euch - einen oder zwei."
(S. 397-398)
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Das Heimweh

Die Anker steigen, die Segel schwellen,
Wir ziehen und fliegen über die Wellen;
Es flieht das Land, auf thut sich die See,
Mein armes Herz kann nur seufzen vor Weh.

Ade, ihr Geliebten, in Dorf und Gemeine!
Ade, hold Linaik, du liebliche Kleine!
Dich muß ich verlassen, der Ostwind streicht,
Ade, hold Linaik, für immer vielleicht!

Dem Vöglein gleich, das der Sperber dem Neste,
Dem Weibchen entführt aus dem Frühlings-Geäste,
So bleibt mir nicht Frist zur Besinnung, nicht Zeit,
Um ganz zu ermessen mein tiefes Leid.

Dem Lamme gleich, der Mutter genommen,
So hör' ich nicht auf zu weinen beklommen,
Dahin die Augen gekehrt, wo blieb
Am Lande zurück mein süßes Lieb.

Bald werd' ich nur das Meer noch erschauen,
Auf thut es sich breit mit Schrecken und Grauen,
Und wähn' ich vom Abgrund verschlungen mich schon,
Dann wirft's mich empor gen Himmel mit Hohn.

Das Schiff, ich seh's mit Staunen und Grauen,
Ein Schloß, vom Meere gewiegt, vom blauen,
Ein Schloß, mit achtzig Kanonen bedeckt,
Die schwarz gefärbt sind und weiß gefleckt.

Das Ufer, ein Kreis, der entzwei geschnitten,
Das große Meer und den Himmel inmitten,
Und hoch erhebt sich des Schiffes Mast,
Viel höher als unser Kirchthurm fast.

Ihr habt am Hügel die Fäden gesehen,
Die kreuz und quer übers Farrnkraut gehen;
Mehr Taue sind über die Masten gespannt,
Als Fäden über das Haideland.

Ach, traurig sind die bretonischen Herzen!
Mein Denken und Sinnen geht unter in Schmerzen.
Umsonst wohl macht' ich dies Liedchen hie,
Denn euch, ihr Geliebten, sing' ich es nie.
(S. 416-417)
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Der Aussätzige

Der Knabe
O Herr des Himmels und der Erden!
Mein armes Herz trägt viel Beschwerden;
Kein Tag vergeht und keine Nacht,
Daß ich nicht an mein Lieb gedacht.

Die Krankheit hält mich in dem Bette
Gebunden wie mit eh'rner Kette;
Ach, wenn mein Liebchen kommen wollt',
Wie bald mein Herz genesen sollt'!

Dem Sterne gleich, der bringt den Morgen,
Nach einer Nacht voll Quall und Sorgen, -
Die Süße,  wenn sie zu mir käm',
Mir alles Weh vom Herzen nähm'.

Und wollte sie mit ihren Lippen
Am Rande meiner Schale nippen,
Ich tränke, wo geruht ihr Mund,
Und würde Augenblicks gesund.

Das Herz, das du mir hast gegeben,
Ich hab's gehütet wie mein Leben,
Ich hab's mit treuem Sinn gepflegt,
Und nicht verloren, noch verlegt.

Das Herz, das du mir gabst mit Weinen,
Ich hab's vermischt nun mit dem meinen,
Und weiß nicht mehr zu dieser Frist,
Was meines und was deines ist.


Das Mädchen
Wer spricht mir so, wer ist der Knabe?
Mir, die ich schwarz bin wie ein Rabe?


Der Knabe
Und wärst du schwarz wie Maulbeer je,
Dem, der dich liebt, bist du wie Schnee.


Das Mädchen
Du lügst, mein Kleiner, aufzuheben
Hab' ich dir nie mein Herz gegeben.
Ich habe nichts mehr hier zu thun,
Du hast den Aussatz, weiß ich nun.


Der Knabe
Dem rothen Apfel - schön zu schauen
Im Wipfel - gleicht das Herz der Frauen;
Schön ist der Apfel aus der Fern',
Doch sitzt ein Wurm in seinem Kern.

Des Mädchens Schönheit gleicht dem Blatte,
Das sich am Zweig gebrüstet hatte,
Bis es der Wind zu Boden weht':
So welkt die Schönheit und vergeht.

Dem blauen Blümlein an den Teichen
Ist Mädchenliebe zu vergleichen:
Das Blümlein dreht sich stets herum,
Das Blümlein dreht sich um und um.

Das Blümlein dreht und ruhet nimmer,
Des Mädchens Liebe dreht sich immer.
Wie's Blümlein in des Stroms Getrieb',
Sinkt in Vergessen falsche Lieb'.

Ich Schüler jung bin zu bedauern,
Ich bin der Sohn von Jann, dem Bauern;
Drei Jahre ging ich in die Lehr',
Zur Schule kehr' ich nimmermehr.

Nur kurze Zeit - dann werd' ich gehen
Von Haus auf Nimmer-Wiedersehen;
Bald bin ich todt, ich armer Knab',
Dann werd' ich gehn ins dunkle Grab.
(S. 421-423)
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Der arme Schüler

Die Füße zerrissen, verloren die Schuh',
Ich folge dem Lieb ohne Rast und Ruh',
Der Regen, der Hagel, der Sturm und der Schnee,
Sie thun der treuen Liebe nicht weh.

Mein Lieb ist ein frisches, ein junges Blut,
So jung wie ich, und ist hold und gut;
Ihr Wort ist süß, ihr Blick ist voll Glut,
Sie ist das Verließ, wo mein Herze drin ruht.

Nichts weiß ich, was ihr auf Erden gleicht.
Ist sie die Marienrose vielleicht?
- Die jüngste der Lilien, die heute erglühn
Inmitten von Blumen, die morgen verblühn.

Ich liebe dich, Süße, und finde nicht Rast,
Der Nachtigall gleich auf dem Hagedornast:
Sie schlummert, da sticht sie der Dorn - sie erwacht;
Da steigt sie zum Wipfel und singt durch die Nacht.

Oft bin ich der Nachtigall gleich und oft
Der armen Seel', die Erlösung hofft;
Die Frist ist verflossen, die Zeit ist da,
Wo ich mit dem Brautbewerber mich nah'.

Mein Unstern ist groß, und schwer mein Stand,
Nur Leiden hab' ich auf Erden gekannt;
Ich weiß nicht, wie Vater- und Mutterlieb' thut,
Und keine Seele meint's mit mir gut.

's ist Keiner, der seit dem ersten Tag
Um dich gelitten so viele Plag',
Auf beiden Knieen fleh' ich zu dir:
Du süßes Lieb, hab' Erbarmen mit mir!
(S. 426-427)
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Das Kreuz am Wege

Ein Vöglein singt im weiten Hain,
Ganz gelb sind seine Flügelein,
Sein Herz ist roth, sein Kopf ist blau,
Es singt vom Wipfel in die Au.

Es flog vor Tag von seinem Ast
Auf unsern Heerd der kleine Gast;
Ich betet' just, als ich es sah;
Klein Vöglein, sprich, was suchst du da?

Mehr süße Dinge sang es mir,
Als Rosen sind im Hage hier;
Nimm dir ein Weib, so sprach's dabei,
Die deines Herzens Freude sei.

Montag sah ich am Kreuz ein Kind,
So schön und jung, wie Heil'ge sind,
Sonntag will ich zur Messe gehn,
Und werd' sie auf dem Platze sehn.

Ihr Aug' ist hell und heller gar,
Als wie im Glas das Wasser klar,
Und ihre Zähne weiß und rein,
So können kaum die Perlen sein.

Und Händ' und Wangen weiß genug,
Weiß wie die Milch im schwarzen Krug.
O, könntest du sie einmal sehn,
Dein Herz, es würde übergehn.

Besäß' ich auch auf einem Fleck
Geld, wie der Herr von Pontcalec,
Hätt' ich auch Gruben voll von Gold,
Ohn' sie ich arm verbleiben sollt'.

Wenn mir statt schlechtes Kraut herfür
Goldblumen wüchsen an der Thür,
Hätt' ich die Scheunen vollgethan, -
Was liegt mir ohne sie daran!

Jedwedes Ding hat seinen Drang,
Das Wasser stürzt vom Bergeshang,
Der Bach verfolgt des Thales Lauf,
Das Feuer steigt zum Himmel auf;

Die Taube sucht ein sichres Nest,
Der Leib ein Grab, das still und fest,
Die Seele sehnt sich himmelwärts,
Nach dir, mein Lieb, verlangt mein Herz.

Jedweden Montag will ich ziehn
Zum Kreuz des Wegs auf meinen Knie'n,
Zum neuen Kreuze dir zum Preis,
Dir, die ich liebe treu und heiß.
(S. 428-430)
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Der Bruch

Der Knabe
Könnt' ich schreiben und lesen,
wie ich reimen kann,
Ein neues Lied würd' ich machen,
ein neues und schönes dann.

Da kommt mein kleines Liebchen
an unsrer Thür daher,
Gern würd' ich mit ihr sprechen,
wenn es nur möglich wär'.

- Liebchen, wie bist du verändert,
seit ich dich nicht gesehn,
Seit ich im Junimonat
dich sah zur Kirmeß gehn!


Das Mädchen
Wenn ich's wirklich wäre,
verändert, wie du gesagt?
Ich bin seit jenem Feste
vom bösen Fieber geplagt.


Der Knabe
Komm in den Garten, mein Liebchen,
komm doch herein mit mir;
Schau an die wilde Rose
unter den Kräutern hier.

Wie sie so schön und heiter
auf ihrem Stengel stand,
Rosig wie deine Wangen,
als ich sie Montags fand.

Sagt' ich es nicht: verschließe
wohl dein Herz, mein Kind,
Daß kein Mensch hineinkann,
wo Blumen und Früchte sind!

Du hast nicht auf mich gehöret,
du ließest es offen stehn,
Die Rosenblüth' ist verwelket,
die Schönheit muß vergehn.

Die Lieb' und die wilde Rose,
das herrlichste Blumenpaar,
Sie blühen und verwelken
sehr schnelle beide fürwahr.

Die Zeit, da wir uns liebten,
sie hat nicht lange gewährt,
Sie ist vorübergegangen,
wie ein Windhauch vorüberfährt.
(S. 431-432)
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Die Schwalben

Es ist wo ein Weg, und der Weg, der ist klein,
Er führet vom Schlosse zum Dorfe, hinein.

Ein Weg, der sich schlingt wie ein silbernes Band,
Viel buschige Hagedorn' stehen am Rand.

Der Hagedorn schaukelt von Blüthen so schwer,
Des Schloßherrn sein Sohn, und der liebt sie gar sehr.

O, dürft' ich ein weißes Dornröselein sein,
Er pflückte mich wohl mit den Händen so klein!

Mit Händen so klein und mit Händen so weiß,
So weiß ist kein blühendes Hagedornreis.

O, wär' ich ein Röslein im Hagedornwald,
Er legte mich wohl auf sein Herze gar bald!

Er geht von uns, ach! da zieht er hinaus,
Sobald nur der Winter hereinlugt ins Haus.

Er fliegt mit der Schwalbe, sie wandern selband
So weit und so weit ins französische Land.

Doch kommt dann der Frühling, der liebe, heran,
Da kommt er schon wieder und klopft bei uns an.

Wenn rings in dem Korne Blaublümlein aufgehn,
Die Felder voll wehender Haferblüth' stehn,

Die lustige Wachtel im Gerstenfeld springt,
Der Fink und der Hänfling sein Lied dazu singt:

Da kommt er zur Kirchweih', da kommt er zurück
Mit allen den Festen, mit allem dem Glück.

O, säh' ich die Blumen doch blühn immerfort,
Das ganze Jahr Feste in unserem Ort,

Und Schwalben sich wiegen dahin und daher
In unseren Gassen, ich liebe sie sehr!

O, säh' ich sie schwirren daher und dahin
Jahraus und jahrein wohl um unsern Kamin!
(S. 433-434)
_____



aus: Bretonische Volkslieder
(Größtenstheils nach der Sammlung des Herrn v. La Villemarque)
übersetzt von
Moritz Hartmann [1821-1872] und Ludwig Pfau [1821-1894]
Köln 1859 Verlag der M. DuMont-Schauberg'schen Buchhandlung




 


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