Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Esthnische Liebeslieder



Schmerz der Trennung

A.
Fluthen führten fort den Gatten,
Fluthen führten ihn nach Rußland,
Wasser wogten ihn nach Harrien,
Lüft' ihn längst in's Land der Türken,
Thauschwall trug ihn hin nach Teutschland,
Weite Wolken Weißenstein zu!

Winde, bringt ihm wehend Grüße,
Schlossen, bringt ihm meine Briefe,
Wolken ihr, ein langes Leben,
Himmel, sende weisen Sinn ihm,
Rauch du, warme Liebesworte,
Ihm so viel, so viele Grüße!

Werd' ihn Monden wohl nicht hören,
Wochen durch nicht schauen dürfen!
Neben ihm schlief wie viel Nächt' ich,
Näht' am Mantel wie viel Monden,
Kraute den Kopf ihm wie viel Tage!

Zwischen uns wie viel der Forsten?
Zwischen uns stehn tausend Forsten.
Wie viel alter Ebereschen,
Wie viel edler Apfelbäume?
Hundert alter Ebereschen,
Zehen edler Apfelbäume!

Wo er läßt sein Rößchen springen,
Dahin springt ein Hof behende!
Wo er läßt sein Rößchen tänzeln,
Dahin tänzelt eine Stallung!
Wo er läßt sein Rößchen kreisen,
Dahin kreist es eine Kirche!

Gott mag selbst ihm ruhn zur Seite!
Ich kann ihm nicht ruhn zur Seite,
Lieb ihm, nicht die Rechte reichen!
(S. 161-163)
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Schmerz der Trennung

B.
Hör es, du mein hold Geschöpf,
Merk es, du mein Beerenherz!
Lenken mußtest du von mir,
Harren mußt' ich hier nach dir.
Lenktest du nach fernen Landen,
Harrt' ich unter schlimmem Herren!
Wohl war's herbe hinzugeben
Und verletzend zu entlassen,
Widrig auf den Weg zu senden!

Bist gar oft mir im Gemüthe,
Hier im Herzen, wann ich esse.
Immer ist vor mir dein Antlitz,
Immer ist vor dir mein Antlitz!
Treffen je sich traut die Theuern,
Traut die Theuern, lieb die Lieben?
Traut die Theuern in dem Thale,
Lieb die Lieben bei der Linde,
An dem Ufer, in dem Thaugras,
Unter Blumen in den Saaten?

In des Himmels Paradiese,
In des großen Vaters Garten
Treffen wir uns endlich wieder,
Leben ewig mit einander!
(S. 163)
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Liebesbitte

A.
Anne, diese Mädchendohle,
Diese Nestelnackendohle,
Saß auf Harriens Halmenhäuschen,
Auf der Weinbrandküche Wiriens,
Auf des Viehgehöftes Firste,
Seidne Binden um den Busen,
Schöne Schnüre her um's Hälschen.
Drunten doch, wer flehte dorten?
Dies des Dorfes Knab', mein Bruder:
"Falle nieder, feines Goldchen,
Senke nieder, süßes Beerchen,
Fall auf diesen Filz hernieder,
Senk dich auf den Hut, den sichern,
Fall nicht auf der Stümpfe Spitzen:
Heim trag' ich den Hut zur Hütte,
Berg' ihn zu der Milch im Milchraum."
(S. 243-244)


B.
Jüngferchen, du junges Mädchen,
Mit der zieren Schulter Zarte!
Zauderst du zu mir zu kommen?
Mir stehn drei Glücksdinge draußen:
In der Schmiede brummt der Blasbalg,
In dem Vorhaus ächzt der Mühlstein,
In der Furche schwankt der Farre!
Geld, das brummet der Blasbalg mir,
Mehl, das ächzet der Mühlstein mir,
Brot, das bringet der Farre mir.
(S. 244)
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Jungfräuliche Sehnsucht

A.
Winke giebt man, wispert Worte:
Schenkt des Weines voll die Schallen;
Winke giebt man, wispert Worte:
Wohl ein Freier könnte kommen;
Winke giebt man, wispert Worte:
Schuhe könnte man mir kaufen;
Winke giebt man, wispert Worte:
Schneidet ab die Schürz' im Laden,
Oder will zur Stadt hin wandern!
Hin zur Stadt entflog mein Vöglein,
In die Vorstadt fort mein Liebchen,
Auf den Markt hinaus mein Täubchen,
An der Fische Strand mein Friedel!

Kehrt er heimwärts, oder kehrt nicht,
Bringt er Semmeln, oder bringt nicht?
Sehne mich nicht nach den Semmeln,
Noch auch nach der Stadt Gebäcke.
Bleib' im Sumpfe doch die Semmel,
An dem Strand der Stadt Gebäcke,
Bleibe der Tabak auf dem Markt,
Bitteres Gewürz in Wiburg,
Uebele Würz' in Weißenstein!
Naht' er nur zu meiner Stütze,
Trät' er her zu meiner Hülfe!
Würd' er nur des Schlittens Lenker,
Der die Speichen dröhnen ließe,
Er der Schleifenkufen Schwenker!
(S. 245-246)


B.
Wüßt' ich, wo mein Bräut'gam weilte,
Wo er weilte, wer er wäre,
Fände nur der Blick das Vöglein,
Lauschte nur das Ohr dem Lieben:
Fertigte nach dem Fuß ich Socken,
Handschuh' ihm nach seinen Händen,
Hemden ihm nach seinen Achseln,
Wämser weich nach seinem Wuchse!

Doch ich weiß nicht, wo er weilet,
Wo er weilet, wer er sein mag,
Findet nicht der Blick das Vöglein,
Lauschet nicht das Ohr dem Lieben:
Fert'ge nach dem Sumpfe Socken,
Nach den Föhren seine Hemden,
Fert'ge Wämser nach dem Sande.

Daß er doch mich schauen könnte,
Oder ich ihn schauen könnte:
Sommers lebt' ich sonder Nahrung,
Winters kostet' ich kein Körnchen,
Lebenslänglich keinen Bissen!
(S. 246-247)
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Liebeshoffnung

Feine Mädchen, ihr Vögelchen,
Bohnenschotten, holde Schönen,
Espenknospen, harmumhüllte,
Grämet euch, ihr Goldnen, nimmer,
Süße, laßt den Muth nicht sinken,
Wann ihr höret meine Worte,
Eines Kindes thör'ge Worte!

Mehr der Zähren zählt das Vöglein,
Ward der Ente Wangenröthe:
Blut entrollt mir aus den Augen,
Meine Wang' ist mir verblichen!
Laß nur den Winter leise ziehen:
Er verliert in den Lenz sich schon,
Schmilzt in den Sommer schon dahin!
Dürfen Ströme wieder schwellen,
Bronnen aus der Erde streben:
Dringen Blüthen durch die Hüllen,
Flöten Vögel in dem Wipfel!
Dann wohl dringt der Fluß hinüber,
Wo für mich erwächst der Gatte;
Schifft des Bronnens Ader über,
Wo gebürtig ist mein Bräut'gam;
Blinkt der Blüthen Schön' hinüber,
Wo die Herde hegt mein Holder;
Fällt des Vogels Lied hinüber,
Wo mein Knabe pflügt den Acker:
Dann von dort im Herbste schifft er
Mit dem Freierwein nach Wierland!
(S. 249-250)
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Trennung von Geliebten

A.
War einmal das Wetter mild,
Kam dann Kälte scharf und wild.
Da von hinnen fuhr mein Liebster
Mit dem schönen rothen Rosse,
Mit der leingemähnten Blässe
Ueber das kleine Schwedenmeer.
Eilig laufend ich ihm nach:
Gruß dir, Gruß dir, Liebster du!
"Gott zum Gruße, Bräutchen du!"
Bot den Mund und gab die Hand ihm,
Ließ mit Gott ihn gehen auch.
(S. 252)


B.
Mütterchen, ach meine Liebe!
Väterchen, ach du mein Lieber!
Wo ist hin mein goldnes Halstuch,
Wo sind hin die seidnen Handschuh',
Wo kam hin mein seidnes Knieband?
An mir ist es frein zu gehen!

In den Stall nur schritt ich,
Nahm das Braunroß unter,
Einerseits das leingemähnte,
Anderseits das wassergraue;
Ritt in die Stadt hinein zum Thore.
Trat mir entgegen Trude Lise.

Gruß dir, Gruß dir, Trude Lise!
"Gott zum Gruße, Bräutigämchen!"
Seid ihr alle wohl daheim?
"Wohl die Mutter, wohl die Schwieger;
Deiner Braut ist einig unwohl.
Kalt ist mir das Herz geworden,
Gleich wie dieser harte Hornung,
Dieser frost'ge Fastnachsmond,
Dieser arge Wintertag,
Dieses schwere Feldgestein,
Allerärgster Wintertag!"
(S. 253)
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Hochzeitslieder im Brauthause

A.
Begrüßung
Brautgefolge
Sei gegrüßt, Bräut'gamsgefolge,
Sei gegrüßt vom Wege kommend!
Wer begrüßt' euch auf dem Wege,
Wer doch reicht' am Rain die Hand euch?
Gott begrüßt' euch auf dem Wege,
Maria reicht' am Rain die Hand.
Was verweilt' euch auf dem Wege?
Blieben am Apfelbaum die Leinen,
An der Sonne Strahlen die Halftern.
Wer langt von dem Baum die Leinen,
Von der Sonne Strahlen die Halftern?
Dies der Bräutigam, das Knäbchen:
Langte von dem Baum die Leinen,
Von der Sonne Strahlen die Halftern.


B.
Beim Eintritt
Bräutigamsgefolge
Laß mich fragen, laß mich lauschen,
Ob des Bräut'gams Bank gewaschen,
Sauber der Sitz der Sängerin.
Ist's nicht also, ist's nicht nöthig!
Wische wohl sie mit der Schürz' ab,
Rein'ge mit dem Rand des Tuches!
Jetzt tret' in die Stub' ich Taub' ein,
Wandle Beerchen in die Wohnung,
Drehe mich Klein' auf der Diel' umher.


C.
Beim Trinken
Männerstimmen
Trinke, Gurgel, koste, Kehle,
Nimm nur an, du ehrner Busen:
Finden schon nach Haus die Füße,
Tragen bis an's Bett die Beine,
Kriechen auf die Streu die Kniee,
Hin auf's Lager die Fußblätter.
Hier bei Andrer Ahle jauchz' ich,
Kreische bei der Fremden Kofent!
Wälsche bei der Andern Weine!
Heim, da hab' ich doch eben nichts,
Habe zu Haus auch wieder nichts:
Das Gesind aß Weidenwurzeln,
Auch die Kinder Kieferknospen.
Ich doch jauchze, wie nicht jauchzt' ich?
In der Tasche trillert Geld mir,
In der Hand klingt der Kopeken!


D.
Die Braut hat sich versteckt
Bräutigamsgefolge
Hier ging hin des Vögleins Stimme,
Durch's Gesträuch des Entleins Stimme,
Eben wie des Eichhorns Sprünge!
Hier gestanden hat das Vöglein,
Hat die Schuh' geschnürt die Ente.
Thuet auf die weiten Thüren!


E.
Die Braut wird gesucht
Brautgefolge
Recht so, recht so, Bräutigämchen!
Wer hieß mit Geleit dich kommen?
Konntest du nicht kommen heimlich?
Bräutchen! rief der Pfeifen Blasen:
Bräutchen flog zum Föhrenwalde;
Bräutchen sprang zum Birkenwalde;
Ward zuletzt gesehn in Wierland,
Theilte Gaben aus in Harrien;
Strählt' in Weißenstein das Haar sich,
Quästet' im felliner Bad sich.


F.
Wettgesang
Weiber im Brautgefolge
Schmücke, schmücke dich, o Bräutchen,
Schmücke dich zum Stand der Mutter:
Haub' auf's Haupt, den Kranz herunter,
Kranz herunter um den Erben!
Deine Locken deck' ein Häubchen,
Schürzchens Schatten das Schwalbennest!


Brautjungfern
Jungfraunstands, verschmähten Standes
Kranz, er wird hinweg geworfen,
Wird verachtet als geringe!
Möglich wär's, daß du beweintest
Einst den frühern Stand der Jungfrau,
Stand der Jungfrau, Spiel des Mägdleins,
Wo du eine Engelblume,
Ein gar minn'ges Mädelsüßchen,
Eine junge Auenblume
Auf dem Rasensitze sorglos
In der Mutter Milde blühtest,
Wo im Lustgespann die Stränge
Dir ein fliegend Schlittchen führten,
Wo dein Pflug im Joch des Jauchzens
Einen leichten Acker pflügte.


Weiber von außen
Schmück dich, Bräutchen, schnell, o Bräutchen!
Viele harren vor der Thüre,
Auf der Lauer stehn viel Augen,
Schon in Zug sind viele Zungen!
Wer beim Schmücken Zeit verschwendet,
Ist auch schläfrig bei der Arbeit.


Weiber von innen
Gar ein schlimmer Zeitverschwender,
Gar des Schlafes schönstes Kissen:
Das ist erbhaft euer Jüngling!
Unser Bräutchen, unsre Lerche,
Tirilirte vor dem Frühroth,
Bettet' erst sich nach dem Abend,
Hat kein Stündlein heut geschlummert,
Noch geschaut im Schlaf ein Traumbild.
Schwaden sammelnd als Singdrossel,
Auf der Ernten Feld als Nacht'gall,
Sammelte die Lerche Schwaden,
Las im Dickicht sie die Drossel,
Daß kein Hälmchen blieb dahinten!


Weiber von außen
Erster Mann im Dorf der Bräut'gam,
Rascher Mann im ganzen Gaue,
Allbekannt im Kirchesprengel,
Reicher Mann im ganzen Reiche!
Bräutchen trog des Bräut'gams Augen,
Ihm der Augen Stern' umzaubernd:
Sonst hätt' er sie nicht genommen,
Hätt' erhalten eine Deutsche,
Aus der Stadt ein Bändervöglein,
Aus dem Flecken fern ein Liebchen!


Weiber von innen
Euer Bräut'gam, allbetrüglich,
Trog auch unsre Jugendliche!
Honigherzens, süßen Scherzens
Hat das Liebchen er verlocket:
Wirbelte windig Eitelkeiten,
Firmelte sie mit falschen Eiden:
Erdbeeren, gar übersüße,
In verzaubertem Borkkorbchen
Haben das Herz der Maid bethört.


Weiber von außen
Kein Betrüger ist der Bräut'gam,
Hat kein Lügen abzuleugnen:
Bräut'gams Herz, ein klarer Bronnen,
War durchsichtig bis zum Boden!
Doch der Braut verblühte Sitten
Deckte man mit goldnem Deckel,
Mit der Zindelborten Zipfel,
Sammt der Wand des Seidenkleides,
Daß man nicht den Kern erkennte
Unter'm Schutz der schönen Schale!
Schön von Golde schien die Schote,
Wand ein Würmlein sich im Kerne!


Weiber von innen
Schöner Schote sieches Kernlein,
Das ist euer Bräut'gam erbhaft!
Schwarzer Krebs in Ufers Höhle,
Der ist eures Bräut'gams Bildniß!
Unsre Braut ein art'ger Wiesel;
Wangen wie die Abendröthe!
Taubenherzchen, Taubensitten
Sind des frommen Kindes Erbtheil!


G.
Bräutigamsgefolge
Schmücke, schmücke, liebes Mädchen,
Schmücke dich mit jenem Schmucke,
Der einst deine Mutter schmückte;
Ziere dich mit jenen Bändern,
Die einst deine Mutter zierten:
Setz auf's Haupt den Kranz der Sorge,
Vor die Stirn den Kranz des Kummers,
Auf das Haupt die breite Binde!
Schmück dich hurtig, hell ist's draußen,
Gürte dich, es dämmert draußen,
Daß die Schlitten mögen schweben,
Schön der Schleifen Kufen tanzen,
Rasch die Speichen springend knarren!
Preist den frischen Schnee die Schleife,
Preist das Pferd die glatte Schleife,
Hase den lichten Hain von Espen,
Birkhuhn das dichte Erlendickicht,
Wolf das wackre Nebelwetter!


H.
Die Braut wird weggeführt
Brautgefolge
Bräutigämchen, bestes Knäbchen,
Wußtest du zu frein die Schwester,
Wußtest du's, wiß sie zu hegen!
Laß die Kinder sie nicht schlagen,
Nicht des Hauses Sohn andringen,
Das Gesinde widersprechen.
Steh davor wie eine Wand du,
Zwischen ihnen schütz als Schirm sie,
Steh vor ihr anstatt der Wand du,
Hau dawider wie dies Eisen,
Halt dawider wie die Fliese!


J.
Spruch im Herrhause
Die Edelfrau
Denk zu gedenken:
Scheuche den Schlaf,
Halte den Mann hoch,
Auf dem Haupt die Haube.
(S. 273-281)
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Glück der Hochzeit

O dieses Leben und Lieben,
O dieses Glück und Genügen,
O diese Freuden und Wonnen!
Du hast solch holdiges Auge,
Ich hab' ein Herz, das noch treuer.
Mund, Hände will ich dir geben,
Dich auf Händen tragen und heben!
Stolzen Strumpfes sichern Meisters Söhnlein,
Krausen Kranzes tücht'gen Landmanns Tochter,
Sie werden endlich ein Paar!
Hohe Hochzeit, geigen und tanzen,
Welch allerwonnigstes Leben!
(S. 290)
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aus: Ehsthnische Volkslieder
Urschrift und Uebersetzung von
Heinrich Neus [1795-1876]
Reval Bei Kluge und Ströhm 1850




 


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