Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Georgische Liebeslieder



Es war weit in der Fern'
Nicht mein Freund noch Gemahl,
Wie im Dunkel ein Stern
War's mein Liebster zumal.

In der Ferne so weit
Wie ein lieblicher Schein
Paradiesischer Zeit
War der Teuerste mein.

Er war schön und voll Mut,
Er war schlank von Gestalt
Und von Liebe und Glut
War sein Herze durchwallt.

Wenn der Abendwind bang
Wie ermüdet entschlief
Und die Nachtigall sang
Schon im Rosenhain tief.

Wenn der Mond seinen Schein
Auf die Erde ergoss
Und herab vom Gestein
Still der Wasserfall floss,

Ach, da kam er zu mir
Stets zu Ross, schön und hehr,
Wie ein himmlischer schier
Hold und lieblich war er.

Er beschenkte mich reich
Nicht mit blinkendem Gut,
Nein, er gab mir sogleich
Einen Kuss voller Glut.

Ja, er brachte mir mit
Weder Perlen noch Erz.
Nein, er brachte mir mit
Nur sein liebendes Herz.

Und er zog mich zu sich
An die glühende Brust,
Und dann küsste er mich
Ach, mit Lust, ach, mit Lust!
(S. 139-140)
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Mit gesenktem Kopfe
Geht sie still vorbei,
Als wär ihr im Leben
Alles einerlei.

Harmlos schaut sie immer
Nur zur Seite hin,
Doch aus ihren Blicken
Heisse Funken sprühn.

Fragst du dann, warum sie
Dir so weh gethan,
Sagt sie dir mit Lächeln:
"Bin nicht schuld daran!"

Ach, du Schalk, wer Funken,
Spielend um sich weht,
Ist doch schuld am Brande,
Der daraus entsteht!
(S. 141)
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Wie ein bei Nacht gestohlnes Pferd
Verberge stets die Liebe dein,
Und wird den Leuten sie bekannt,
Wie eine Tote sie bewein!
(S. 141)
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Ein leichtes Blättchen möcht ich sein
Und mit dem Wind hernieder fliegen,
Und zart berührn die Wange dein
Und dann an deinem Busen liegen.
(S. 142)
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Woher kommst du, o liebe Maid,
Du wunderschöne Aufgangssonne?
O der, dem du einst zugehörst,
Wird schier vergehn vor Liebeswonne.
(S. 142)
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Ach, möchte man doch mir und dir
Ein Ackerstück zum Jäten geben,
Dabei ein Wäldchen noch, wo wir
Ein Stündchen könnten glücklich leben!
Ich führte dich ins Dickicht hin,
Wo uns kein Vogel könnt belauschen
Und hört' er uns, so bät ich ihn
Nur nichts den Leuten auszuplauschen.
(S. 142)
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O Nacht der süssen Wonne,
Halt fern das Licht der Sonne,
Halt fern den Morgenstrahl!
Es ruht in meinen Armen,
An meiner Brust, der warmen,
Mein Schatz zum letztenmal.
Mit dieser Nacht ist aus das Glück
Und nimmer kehrt es mehr zurück.
(S. 143)
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Einen Stein hob ich mit Mühe auf,
Doch zum Tragen war er mir zu schwer.
Sag mir doch, du liebe, holde Maid,
Wie es kommt, dass ich so hin und her
Ohne Mühe schlepp die Liebe mein.
Die doch schwerer ist als jener Stein!
(S. 143)
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O Schöne, sag, wer gab dir diese Wangen,
Die lilienweiss und rosenfarbig prangen?
O den beneid ich, der an deiner Brust
Geniessen darf der Liebe süsse Lust,
Der küssen darf dein Antlitz in die Runde
Vom Auge angefangen bis zum Munde!
O Jüngling, sag, wo warst du zu der Zeit,
Da ich noch trug das bunte Jungfernkleid?
Jetzt hab ich einen Mann,
Der's aufnimmt ohne Müh'
Mit fünfzehn deiner Art,
Drum hüte dich und flieh!
(S. 143-144)
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Was schlenderst du denn in den Bergen?
Komm lieber her zu uns ins Thal,
Lass deinen Dudelsack ertönen
Und sing ein Lied nach deiner Wahl!

O nein, ihr lieben, guten Freunde,
Bei euch erwerb ich mir nicht viel,
Schon ist der lustige Fasching nahe,
Wo anders führt mich hin mein Spiel.

Es führt mich hin zu schönen Mädchen,
Zu lauter Freude und Genuss,
Denn für die Lieder, die ich singe,
Erhalt ich manchen süssen Kuss.
(S. 144)
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Ach, sag zu mir, o Teure: "Ich bin dein!"
Und hell wird's mir im Herz wie Sonnenschein.
Schau, wenn des Lichtes Glanz die Höhn umglüht
Kein Wolkenflor in ihre Nähe zieht.
(S. 145)
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Bescheiden sei des Weibes Wunsch und Drang
Und seine Rede gleich dem Schwalbensang!
Stark wie ein Fels, wie edles Silber rein
Soll stets das Herz des wackern Mannes sein!
(S. 145)
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Wie ein Habicht nach der Wachtel
Schau ich immerfort nach dir.
Ach, wenn ich doch wissen könnte,
Was dein Herz dir sagt von mir!

Ach, wie reich an seliger Wonne
Wird für mich die Stunde sein,
Da ich dich, o teures Mädchen,
Schliesse in die Arme mein!

Rein bist du, o schöne Jungfrau,
Und von solchem Glanz geziert
Wie Papier, das noch kein Schreiber
Mit der Feder hat berührt.

Ach, du Teure, meine Liebe,
Die ich dir im Herzen nähr',
Kennt kein Maass und keine Zahlen,
Ist so tief wie's Weltenmeer.
(S. 146)
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Naschen wollte ich von ihren Reizen,
Denn sie ist so hold und engelschön,
Doch sie wollte es mir nicht erlauben
Und liess mich wie einen Bettler stehn.

Trinken wollte ich, doch keinen Tropfen
Gab das lose, geizige Mädchen mir,
Liess auf mir nur ihre Blicke ruhen,
Die wie Feuerglut mich brannten schier.

Wie ein Knabe wurde ich verlegen,
Wallte auf und wurde feuerrot,
Schlug dabei beschämt die Augen nieder,
Fand kein einzig Wort in meiner Not.

Sie stand da wie eine stumme Blume,
Sagte weder: "geh!" noch "bleibe hier!"
Und ich stand bei ihr wie angekettet.
Ach, der Schalk! welch Unheil bracht er mir!
(S. 146-147)
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In meinen Mantel eingehüllt
Verbring ich schlummerlos die Nacht,
Denn Trauer nur mein Herz erfüllt,
Ein Zauber mir im Geiste wacht.

Ich sterbe und nehm mit ins Grab
Die Bilder schöner Mädchen drei.
Der ersten Gott ein Antlitz gab
Schön wie der helle Tag im Mai.

Der zweiten schlanker Körper gleicht
Der Pappel, die des Gartens Pracht
Und vor der dritten Lichtglanz weicht
Die tiefste Dunkelheit der Nacht.
(S. 147-148)
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O Berg, lass mich vorbei!
Ich muss hinüber wandern,
Denn dort schwelgt meine Maid
Am Busen eines andern.
(S. 148)
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Ach, du, mein himmelsüsses Kind,
Den Spitzenschleier, weiss wie Schnee,
Hat dir vom Kopf geweht der Wind,
So dass ich frei dein Antlitz seh.

Ach, deines Auges Blitzesstrahl
Zuckt mir durchs Herz gleich Feuerglut,
Und wie zu schwerer Todesqual
Mein Blick auf deinem Antlitz ruht.
(S. 148)
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Gern möchte ich ein Habicht sein
Um über Felsen hinzuschweben.
Ich holte da gewiss den ein,
Der dich entführt, mein süsses Leben!
Ich will dir kund thun, was mich plagt,
Wenn ich von dir bedauert werde.
Fort ziehe ich, eh es noch tagt,
Ins Hochgebirg zu meiner Herde.
O möchte sich dein Herz doch regen,
Wenn sie ins kühle Grab mich legen!
(S. 149)
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Ihr Schönen, hört doch meinen Rat,
Hört aufmerksam mein Liedchen an!
Liebt niemals einen alten Mann!
Die Greise sind der Wonne satt,
Ihr altes Herz ist kalt und leer,
Verlangt nach Liebe längst nicht mehr.

Weicht allen Schmeichlern sorgsam aus,
Lasst keine Herrn in euer Haus,
Denn leicht Verstellung euch umflicht
Und Reichtum eurer Herz besticht!
Liebt Jünglinge, voll Jugendmut,
Die keusch und unerfahren sind.
Was euch ihr Mund nicht sagt geschwind,
Les't ihr in ihrer Augen Glut.
(S. 149-150)
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Wer sagt denn, dass ich fröhlich bin?
Ich singe nicht aus Fröhlichkeit,
Ich sing, weil singend ich verscheuch
Mein altes, schweres Herzeleid.
Wer daran glaubt, dass froh ich bin,
Der nehm doch meinen Frohsinn hin!
(S. 150)
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Die Schwalbe ist zurückgekehrt
Und kündigt laut den Frühling an.
Mit ihr wird Hoffnung uns bescheert
Und hin ist aller Trauer Wahn.
Im neuen Kleid die Erde prangt,
Erhellt vom heitern Sonnenlicht,
Das Herz vergisst, was es verlangt
Und denkt der frühern Leiden nicht.
(S. 150)
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Erst, wenn das Meer austrocknet
Und sichtbar wird sein Sand,
Erst, wenn der Fisch zu Fusse
Erreicht den Bergesrand.
Erst, wenn der Bruder Langohr
Ein Richteramt erhält,
Das Maultier statt der Füllen
Nur Kinder bringt zur Welt.
Kehrt vielleicht zurück
Mein verlornes Glück.
(S. 153)
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übersetzt von Arthur Leist (1852-1927)

Aus: Georgische Dichter
übersetzt von Arthur Leist
Neue, vielfach vermehrte Ausgabe
Dresden und Leipzig
E. Pierson's Verlag 1900
[darin georgische Volkslieder]




 


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