Liebeslieder der Völker (Volkslieder)


 

Neuarabische Liebeslieder



Ich verlange nach einem Rehlein,
dessen Pfeile seine Augen sind;
es verlangt nach meinem Untergange,
während mein Herz nach ihm verlangt.

Ich schwöre bei meinem Schöpfer,
der es gebildet hat:
Ich werde nie ein anderes lieben
und es nie vergessen.
(S. 410)
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Das Zeichen eines,
in dessen Herzen die Liebe wohnt,
ist, dass er, so oft er seinen Geliebten sieht,
sich verändert,
Sein Gesicht, vorher roth, blass wird,
und er, wenn man ihn anredet,
nicht weiss
was er antworten soll.
(S. 411)
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Haltet die Liebe fern von mir!
Gewiss, die Liebe verwundet;
Sie hat mein Herz verwundet,
auch nicht eine Stelle hat sie
heil gelassen.
"Wir wollen", sagte man,
"dir einen Heilkünstler bringen".
Das hilft nicht, sagte ich;
Der mich verwundet hat,
mag mich auch heilen;
das, sagte ich,
ist besser und hilft mehr.
(S. 411)
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Wehklagt, o Tauben,
über dem Haupte des
Liebesgeknechteten, wehklagt!
Meinet nicht, jeder,
der singt, sei fröhlich.
Die Fahrzeuge mit Heilmitteln
haben mich verwundet
zurückgelassen,
Und der Wundarzt hat zu mir gesagt:
"Geh wie du gekommen bist!"
(S. 412)
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Ihr habt mein Auge verhindert
euch zu sehen,
während in meinem Herzen
niemand wohnt als ihr.
Bei eurer Erhabenheit, mein Gebieter,
und bei meiner Niedrigkeit,
habt Mitleiden mit einem,
der sein Leben für euch
hinzugeben bereit ist!

O ihr, deren Liebe mein Begehr
und meine Bitte ist:
giebt es ein Mittel
euch wiederzusehen!
Ihr habt durch Härte
einen Liebenden gepeinigt,
der wegen eurer Härte
von Siechthum abgemagert ist.
Spendet einige Zuneigung
einem Liebenden,
der nur auf eure Gabe hofft!
Ihr seid edelmüthig,
und ich begehre [als Hülfe]
für die Niedrigkeit meiner Armuth
nur euren Reichthum.
Ihr seid meine Zuflucht
und die Heilung
meiner Zerschlagenheit;
meine Zuflucht
ist nur euer Gau.
(S. 412-413)
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Als ich an Sehnsucht
erkrankt war,
indem das Verhängniss
seinen Lauf hatte,
Und ich [vom Liebesnetz] umgarnt war,
indem mir die Thränen
über die eingefallene Wange strömten,
Befragte ich einen gelehrten,
in den Wissenschaften
erfahrenen Altmeister;
Der warf das Buch aus seiner Rechten,
wandte sich und sprach zu mir:
"Verhehle dein Leiden,
du an Sehnsucht Erkrankter,
verhehle es!"
(S. 414)
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Das Glück ist dein Diener geworden
und der [geschmeidige] Zweig
ist von dir bezaubert;
O du, so schön, dass,
wenn du dein Gesichtstuch wegziehst,
die Huris sagen: "Wir sind besiegt",
Ich muss deinen Mund küssen.
[Als ich so sprach,] da wendete er sich
und sagte zu mir: "Wahnsinniger!"
(S. 416)
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Preis dem, der deine Schönheit gebildet,
durch Anmuthsglanz dich hoch erhoben,
Und dein Gemüth mit Güte
geschmückt hat, -
o du mit dem anmuthglänzenden
Antlitz, Gnade!
O Geliebter, lass deine Entfremdung
und besuche unsern Gau jede Woche!
Bei Gott, nimm keinen Andern
als mich zum Genossen;
dein Geliebter ist bleibender Verbindung
würdiger [als jeder Andere].
(S. 417)
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Du hast mein Auge des Schlafs beraubt
und mir Thränenströme entlockt;
bei Gott, du Gegenstand meiner Wünsche,
was habe ich dir gethan?
Die Liebe zur dir ist süss,
o du mit der schönheitsstolzen
nachlässigen Haltung;
du hast auf der Wange ein Maal,
das dir die ganze Nacht
als Leuchte dient;
So zündet dir auch immer
eine Person in neuem Leibrock Feuer an; -
o mein Gebieter, wie viel Sclaven hast du,
dir stets zu dienen! -
Diese Liebe ist eine um Gottes willen.
Wie lange werde ich ihn noch sehen?
Nie werde ich nach einem Andern verlangen;
mein Herz ist an ihn gekettet.
(S. 418-419)
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Lass den Abgeneigten
und halte dich an die Liebe des Schönen;
o der Umgang mit dem Hässlichen
macht Unlust und kein Vergnügen!
Du bist Schuld, dass ich die Nächte
schlaflos durchwache;
o du mit den weich herabfallenden Haaren,
der du die Vollmonde bezauberst,
was habe ich dir gethan?
Weswegen verdiene ich den Tod?
O du mit dem weich
herabhangenden Turbanzipfel,
der du die Araber bezauberst,
was habe ich dir gethan?
(S. 420)
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Sie [die Taube] girrte ein Klagelied; -
"Solltest du", erwiederte ich ihr
"mich ohne Ursache beklagen?" -
Sieh, wie selbst - o Wunder! - die Zweige der Bäume
deinen [von mir verlassenen] Freund beweinen.
Ich schwöre bei dem,
der an Ruhm und Adel
allen Koraischiten vorangeht [Muhammad]:
Nach der Trennung von dir
ist dein Geliebter nie wieder
des Lebens froh geworden
und hat Thränenströme vergossen.
(S. 422)
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Ich traf den, den ich liebe:
da strömte mein Auge über;
aber bei Sonnenuntergang
zückte er eine Waffe.
Ich bot ihm guten Morgen,
als es Abend war;
da sprach er zu mir:
"Spottest du meiner Person,
oder willst du scherzen?"
Da schwor ich ihm:
Bei Gott, die Leuchte deiner Wange
hat mich getäuscht:
als ich dich sah,
hielt ich den Abend für Morgen.
(S. 423)
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O Auge, weine über den,
der mir ein Leitstern war,
Bis er endlich mein Auge nöthigte,
Ströme blutiger Thränen
zu vergiessen.

O über ein Schicksal,
das so hartes über
uns verhängt hat!
Ich klage euch was mir
widerfahren ist,
aber ihr helft keinem Drangsal ab.
Wahrlich, wahrlich,
der Verlust des Freundes
bringt mich um!
(S. 423-424)
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Aus: Kleine Schriften
von Dr. H. L. Fleischer
[Heinrich Leberecht Fleischer 1801-1888]
Gesammelt, durchgesehen und vermehrt
Dritter Band Leipzig Verlag von S. Hirzel 1888



 


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