Liebeslieder der Völker (Volkslieder)


 

Ostjüdische Liebeslieder




Lieder von Liebe und Ehe


Deine Bäckchen

Deine Bäckchen sind
Wie Rosenblüten,
Deine Lippchen -
Wie Zucker süß;
Deine Äugelein -
Wie schwarze Kirschen,
O könnt' ich nur haben
Einen süßen Kuß!
Deine Härchen -
Wie gekräuselter Sammet,
Deine Händlein -
Wie die Rübelein,
Dein Herz ist mit meinem
Zusammengebunden,
Und niemand weiß -
Von unseren Wunden!
(S. 69)
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Vor der Tür

"Klipp-klapp! Öffne mir!
Schläfst du, so sag' es mir!"
"Schlafen, schlafe ich zwar nicht,
Doch öffnen werd' ich sicher nicht!"

"Welch ein Wind weht, welch ein Regen geht,
Ich werd' benetzen mein seiden Kleid."
"Dein seiden Kleid wirst du aufheben,
Unters Bäumchen wirst du dich hinlegen."

"Womit soll ich mich zudecken?
Und wer wird mich aufwecken?"
"Das Blatt vom Baum wird dich zudecken,
Der Strahl der Sonne wird dich aufwecken!"
(S. 71)
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Die Wäscherin

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Was wirst du tun auf dem so weiten Weg?
Was wirst du tun auf dem so weiten Weg?

Ich werde gehn durch alle Gassen,
Ich werde schreien: "Wäsche waschen!"
Um mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Wo wirst du waschen auf dem so weiten Weg?
Wo wirst du waschen auf dem so weiten Weg?

Glaube nur nicht, ich sei schwach,
Ich kann ja waschen an dem Bach,
Um mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Worauf wirst du trocknen  auf dem so weiten Weg?
Worauf wirst du trocknen  auf dem so weiten Weg?

Ich verkaufe die Montur
Und kauf' mir eine lange Schnur,
Um mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Was wirst du essen auf dem so weiten Weg?
Was wirst du essen auf dem so weiten Weg?

Brot und Salz werde ich essen,
Vater und Mutter werd' ich vergessen,
Um mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Worauf wirst du schlafen auf dem so weiten Weg?
Worauf wirst du schlafen auf dem so weiten Weg?

Eine junge Frau ist froh,
Wenn sie schlafen kann auf Stroh,
Und mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!

Hör' nur, du schön Mägdelein,
Hör' nur, du fein Mägdelein,
Womit wirst du dich bedecken auf dem so weiten Weg?
Womit wirst du dich bedecken auf dem so weiten Weg?

Der Tau vom Himmel wird mich bedecken,
Die kleinen Vögel werden mich wecken,
Um mit dir zusammen zu sein,
Um mit dir zusammen zu sein!
(S. 73-75)
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Als ich an die dreizehn war . . .

Als ich an die dreizehn war,
Hab' ich von Liebe nichts gewußt.
Doch als ich alt ward fünfzehn Jahr,
Bekam ein Bursche nach mir Lust.

Lieb hat er mich wie sein Leben,
Und ein Präsent hat er mir auch gegeben;
Und werd' ich ihn lieben wie die Welt,
So nimmt er mich ohn' alles Geld.
(S. 77)
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Wenn er kommt, der liebe Sommer . . .

Wenn er kommt, der liebe Sommer,
Spielen wir im Sand;
Und wo unsere Wohnung ist,
Da ist unser Land.

Schwarze Kirschen reißen wir,
Rote lassen wir stehn, -
Schöne Burschen nehmen wir,
Häßliche lassen wir gehn.

Schwarzer Zigeuner,
Du bist nicht der meine;
Wenn's Gott dir wird bescheren,
Wirst du der meine werden.
(S. 79)
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Von wannen kommt eine Liebe?

Von wannen kommt eine Liebe?
Vom Reden, vom Schwatzen, vom Lachen.
Unsere Liebe hat angefangen
Mit ganz anderen Sachen.

Dort gehen Pärchen zwei,
Dort gehen Pärchen zwei,
Sie sind an Liebe reich,
Und wer ist ihnen gleich?

Genug mit mir zu reden,
Genug vor mir zu plärren.
Führe mich nach Hause,
Vater wird die Tür zusperren.

"Nach Hause, Liebste, will ich dich führen,
Die Glocke wirst du lassen erklingen,
Ein Lied werd' ich aus uns beiden machen,
Die ganze Welt soll von uns singen."

Des Morgens in der Früh
Hör' ich die ganze Welt klingen.
Ich hoffe immer auf Gott,
Daß meine Feinde zerspringen.

Wird der Regen größer,
Werden die Steinchen nasser;
Unsre Lieb' ist heraufgeschwommen
 Wie Baumöl auf dem Wasser.

Baumöl auf dem Wasser
Tut immer oben schweben;
Und will ein Mädchen einen lieben,
Soll sie dasselbe End' erleben!
(S. 81-83)
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Der Schamhafte

Spielt mir auf den neuen Tanz;
Der g'rad herausgekommen;
Ich hab' mich verliebt in ein schönes Mädchen
Und kann zu ihr nicht kommen.

Ich wär' zu ihr gekommen,
Doch wohnt sie sehr weit;
Hätt' ihr einen Kuß gegeben,
Schäme mich vor den Leut'.

Nicht so vor den Leuten,
Wie vor Gott zu stehn.
Hätte mit ihr die Zeit verbracht,
Doch niemand sollt' es sehn.
(S. 85)
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Finster ist meine Welt

Finster ist meine Welt,
Meine Jugend ist umschwärzt;
Mein Glück ist mir verstellt,
Und es fault mir mein Herz.

An mir zittert jedes Glied,
Und es friert mein Blut;
Mit dir in einem Grab
Nur wäre mir gut!

Was willst du, Mutter, haben,
Was marterst du dein Kind!
Warum willst du's begraben,
Und um welche Sünd?

Ich hab' keine Freuden gehabt,
Nur Leiden und Kummer;
Ich welkte wie ein Traum,
Wie eine Blume Ende Sommer.

Meine Eltern, o weh,
Trennen mich und dich;
Vernimm mein Geschrei,
Ich leb' nicht ohne dich.

Wo bist du, mein Freund,
Wär's auch nur eine Stund'?
Alle sind mir feind,
Und du fehlst jetzund?

Wo bist du, meine Seele,
Wo bist du doch, o sag', -
Wo bist du, o mein Trost,
Bei Nacht und bei Tag?
(S. 87-89)
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Die Verlassene

Mein süß Leben fährt von mir weg,
Und ich bleib' allein.
Wenn ich denke an mein süß Leben,
Sitz' ich nur und wein.

Mein süß Leben ist weggefahren,
Und ich bin allein geblieben.
Wenn ich wüßte, wo er ist,
Hätt' ich ihm ein Brieflein geschrieben.

Wäre ich ein Vögelein,
Wär' ich zu ihm geflogen
Soll er doch einmal sehen
Meine verweinten Augen.

Hätte ich ein Flügelein,
Wär' ich zu ihm geflogen
Und neben ihm gesessen, -
Vielleicht hätte ich ihn ausgeschimpft,
Daß er mich so vergessen!

Wäre ich ein Fischelein
Wäre ich zu ihm geschwommen,
Wüßte er mein bitter Herz,
Wär' er zu mir gekommen.

"Ach, ihr Wegsleut', ihr Wegsleut',
Wie werden nicht müd eure Füße?
Vielleicht seht ihr wo mein süß Leben,
Bringt ihm von mir Grüße!"

Fingen die Wegsleut' zu laufen an
Nach allen vier Seiten.
Da sahen sie, daß ihr süß Leben
Steht allein von weitem.

"Ach, du Mensch, du närrischer Mensch,
Was stehst du so versonnen?
Komme doch ein bißchen näher,
Sind mit einer Botschaft kommen!"

Wie er anfing näher zu kommen,
Vergoß er bittere Tränen.
"Ich lasse grüßen mein süß Leben,
Ich werde nicht wiederkehren!"

"Ach, ihr Wegsleut', ihr Wegsleut',
Wie werden nicht müd eure Füße?
Vielleicht seht ihr wo mein süß Leben,
Bringt ihr von mir Grüße!"

Fingen die Wegsleut' zu laufen an
Nach allen vier Seiten,
Da sahen sie, daß sein süß Leben
Steht allein von weitem.

"Ach, du Mensch, du närrischer Mensch,
Was stehst du so versonnen?
Komme doch ein bißchen näher,
Sind mit einer Botschaft kommen!"

Wie sie anfing näher zu kommen
Vergoß sie bittere Tränen.
"Dich läßt grüßen dein süß Leben,
Und er wird nicht wiederkehren!

Nimm die Kron' vom Kopf herab
Und aus dem Herzen die Freude:
Er läßt dich grüßen, dein süß Leben,
Sollst gehn in schwarzem Kleide!"
(S. 91-95)
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Was hast du dich verliebt in mich?

Eine Liebe, eine Liebe ist gut zu spielen
Mit einem Menschen, aber nicht mit dir.
Weh! Ich werd' durch dich krepieren!
Was gefällt dir denn an mir?

Was stehst du unter meinem Fenster
Wie ein Wachtposten vor der Tür?
Bin ich denn die Schönste und die Beste?
Was gefällt dir denn an mir?

Ein Feuer sollt' das Haus verbrennen,
Ehe ich dort dich hab' erblickt;
Der Teufel sollte mich mit sich nehmen,
Ehe du dich in mich verliebt!

Wirst kriegen eine, die schöner und züchtiger,
Sie wird auch klüger sein als ich;
In allen Dingen gewandter und tüchtiger,
Was hast du dich verliebt in mich?
(S. 97)
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Schneiderliebe

Tief im Wäldchen steht ein Bäumchen,
Und die Zweiglein blühen;
Und bei mir, dem armen Schneiderl,
Tut's im Herzlein ziehen.

Auf dem Bäumlein wächst ein Zweiglein,
Und es blühn die Blättchen.
Und mein armes, schwaches Herzlein
Sehnt sich nach meinem Jettchen.

Auf dem Zweiglein sitzt ein Vöglein,
Zwitschern tut's und singen;
Aber mir, dem armen Schneiderl,
Will das Herz zerspringen.
(S. 99)
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Unheilbare Liebe

Auf dem Wasser
Schwimmt ein Messer,
Und das Messer schwimmt nach Danz(ig);
Dort steht ein Mädel
Und hebt das Kleidel,
Und sie kann nicht gehn zum Tanz.

Ach dem Arzte,
Weh dem Arzte,
Was für'n großer Herr das ist!
Geld zwar nimmt er,
Nicht 'raus kriegt er,
Was das für ein Leiden ist!
(S. 101)
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Jankele und Riwkele

Jankele und Riwkele
Faßten sich mal unter;
Jankele ist fortgefahren
Für den ganzen Winter.

Riwkele, die meinte schon,
Sie müßt' alleine bleiben,
Und das Mädchen fing min an,
Briefchen ihm zu schreiben.

Briefchen ihm zu schreiben,
Ist doch zuckersüß,
Sein Letztes zu versetzen -
Vom Jankele viele Grüß'!

Briefchen ihm zu schreiben,
Ist doch wunderschön;
Sein Letztes zu versetzen,
Nur Jankele zu sehn!
(S. 103)
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Gehe ich zum Brunnen . . .

Gehe ich zum Brunnen, Wasser holen,
Steht dort ein Mädchen, ich kann es nicht bekommen:
"Fang einen Bären im Walde und lehre ihn schreiben,
Dann, ja dann wirst du meiner bleiben!
Nähe mir sieben Hemden ohne Leinwand und Seiden,
Mach mir sieben Wiegen, ohne Holz zu schneiden,
Fang mir die Fische im Meer, so daß im Meere sie bleiben,
Mach mir eine Leiter, die in den Himmel kann steigen . . ."
(S. 105)
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Dichterliebe

Liebe ist gut zu spielen,
Ist keine Narretei;
Bei wieviel gilt das Sprüchlein?
Bei einer, nicht bei drei!

Kommt zu mir gegangen,
Küßt alle Glieder mir,
Dann geht er zu der andern
Und schreibt ein Lied von mir.

Kommt zu mir gegangen
Und sagt: Ich nehme dich!
Dann geht er zu der andern
Und macht ein Gedicht auf mich.

Er kommt zu mir gegangen:
"Wie lieb ich dich doch hab'!"
Dann geht er zu der andern
Und gräbt für mich das Grab.

Der Himmel mit seinen Sternen,
Die sehen meine Tränen,
Und mein Gewein
Hört Gott allein!

Ich bin mit ihm gegangen
Durch Weizen und durch Korn;
Ich hatte einen teuren Schatz,
Nun hab' ich ihn verloren!
(S. 107)
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Hinter der Brück'

Hinter der Brück', an der Brück'
Sieht man Dina stehen,
Dina stehn, den Bräutigam
Mit Vater Abraham gehen.

"Hätt' ich einen goldnen Ring,
Würde ich dir winken;
Hätte ich ein Gläschen Wein,
Würd' ich dir zutrinken.

Hätte ich ein Pferd und Wagen,
Würd' ich zu dir fahren;
Hätt' ich einen Beutel Geld,
Würd' ich's dir aufsparen."
(S. 109)
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In Amerika . . .

In Amerika fahren Fuhren
Berg herauf, Berg herab;
Und wenn ein Bursche liebt ein Mädchen,
Geht er für sie ins Grab.

In Amerika bäckt man Brote
Für die ganze Welt;
Und wenn ein Bursche liebt ein Mädchen,
Nimmt er sie ohne Heller Geld.

In Amerika bäckt man Beugel
Für ein ganzes Jahr;
Ich - dein Bräutigam, du - mein Bräutchen,
Und wir sind ein richtig Paar!
(S. 111)
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Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen

Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen,
Was das Mägdelein will.
"Das Mägdelein will ein Paar Schuhe haben,
Muß man es dem Schuster sagen."
"Nein, Mütterchen, nein,
Du kannst mich nicht verstehn,
Du weißt nicht, was ich mein'."

Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen,
Was das Mägdelein will.
"Das Mägdelein will ein Kleidchen haben,
Muß man es der Schneiderin sagen."
"Nein, Mütterchen, nein,
Du kannst mich nicht verstehn,
Du weißt nicht, was ich mein'."

Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen,
Was das Mägdelein will.
"Das Mägdelein will ein Hütchen haben,
Muß man es der Putzerin sagen."
"Nein, Mütterchen, nein,
Du kannst mich nicht verstehn,
Du weißt nicht, was ich mein'."

Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen,
Was das Mägdelein will.
"Das Mägdelein will ein Paar Ohrringen haben,
Muß man es dem Goldschmied sagen."
"Nein, Mütterchen, nein,
Du kannst mich nicht verstehn,
Du weißt nicht, was ich mein'."

Jomi, Jomi, sing mir ein Liedchen,
Was das Mägdelein will.
"Das Mägdelein will einen Bräutigam haben,
Muß man es dem Schadchen sagen."
"Ja, Mütterchen, ja,
Du kannst mich schon verstehn,
Du weißt schon, was ich mein'!"
(S. 113-115)
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Der ungeduldige Bräutigam

Bräutigam zur Trauung geht,
Und sein Aug' in Tränen steht.
"Wißt ihr denn, warum ich wein'?
Möchte schon beim Essen sein!"

Bräutigam vom Essen geht,
Und sein Aug' in Tränen steht.
"Wißt ihr denn, warum ich wein'?
Möchte schon zu Hause sein!"

Bräutigam geht vom Hochzeitstanz,
Glänzt sein Aug' vor Lachen ganz.
"Ja, ich lach', ja, ich lach',
Wünsch' euch allen gute Nacht!"
(S. 117)
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Brautlied

Schönes, liebes Bräutchen,
Hör', was ich dir sag':
Soll das Glück dir scheinen
Wie der lichte Tag!

Gnade sollst du finden
Bei Gott und bei den Leut',
Lichter sollst du zünden
In der rechten Zeit.

Mehl sollst du kaufen,
Wohlfeil oder teuer,
Challes sollst du "nehmen"
Und werfen ins Feuer.

Fleisch sollst du kaufen
Und es koscher machen,
Dieses wird gerechnet
Zu den jüdischen Sachen.

Ins Bad sollst du gehen
Zu der rechten Zeit,
Dann wirst du Kinder haben -
Gute, fromme Leut'.

Schönes, liebes Bräutchen,
Hüt' dich vor der Sünd'!
Alles wird sich rächen,
Wenn du kriegst dein Kind!
(S. 119)
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Die Hereingefallene

Solang ich bin ein Mädel,
Bin ich schön und edel;
Sobald ich bin ein Weibchen,
Bin ich ein armes Täubchen.

Der Mann geht ins Bejß-hamedresch
Und liest dort seine Sedres;
Beim Beten tut er singen,
Beim "Kejdesch" tut er springen.

Holz muß ich mir selber hacken,
Hab' nicht woraus Brot zu backen.
Tu ich die Kinder zählen,
Muß mich bei jedem quälen:

Das eine schlafen legen,
Dem zweiten schließen die Augen,
Das dritte hinunterführen,
Dem vierten den Kopf einschmieren.
Und das ist noch nicht gar:
Ein Kindbett alle Jahr!
(S. 121)
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Der Hereingefallene

Wenn ich werde Bräut'gam
Schnell in 'ner Minut',
Sag' ich mir im stillen,
Werd ich's haben gut:
Der Schwäher gibt mir Kost
Und eine Menge Geld
Und dazu ein Mädel -
Die schönste von der Welt.

Man setzt mir vor die Speisen,
Ich brauche nur zu essen, -
Und fühle mich so wohl
Wie Gott in Odessa.
Führt man uns zur Trauung,
Führt man uns zurück, -
Stehen Mädchen, Weibchen
Und beneiden uns ums Glück.

Nein, liebster Freund,
Bilde dir nur nichts ein:
Der Schwäh'r gibt keine Kost
Und noch Geld obendrein!
Du kriegst nur ein Weib,
Erfreu' dich mit ihr,
Und Kummer wirst du haben,
Zum Zerspringen schier!
(S. 123)
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Der jungen Frau Klage

Es kommt geflogen der goldene Pfau
Aus einem fremden Land,
Es hat verloren die goldene Feder
Zu großer Schand.

Weniger ist's die goldene Feder,
Als vielmehr der Pfau,
Weniger ist's der Eidam,
Als die junge Frau.

Wie's bitter ist, meine liebe Mutter,
Vögelein weit auf dem Meer,
So bitter ist's, meine liebe Mutter,
Daß ich bösem Mann gehör'.

Wie's bitter ist, meine liebe Mutter,
Vöglein ohne Nest,
So bitter sind, meine liebe Mutter,
Des Schwähers und der Schwieger Köst.

Wie's bitter ist, meine liebe Mutter,
Dem Haus ohne Wand,
So bitter ist's meine liebe Mutter,
In Schwähers und Schwieger Hand.

Wie's bitter ist, meine liebe Mutter,
Dem Haus ohne Tür,
Ohne dich, meine liebe Mutter,
Das Bitterste mir!
(S. 125)
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Das Nest am Wasser

Es kommt ein Vogel von sehr weit
Und kommt doch geflogen zur rechten Zeit.
Da steht ein Bäumchen, ein nasses,
Gar nicht weit vom Wasser.

Das Wasser ist auseinandergeschwommen
Und ist vor das Nest gekommen.
Sagt der Vogel: "Guter Bruder, du Lieber,
Ich lass' bei dir zurück meine Kinder!"

Und übers Jahr um dieselbe Zeit
Kommt der Vogel wieder von sehr weit
Und sagt: "Guter Bruder, du Lieber,
Gib mir nun meine Kinder wieder!"

"Deine Kinder geb' ich dir, wenn das Jahr ist um,
Wenn sie werden sein gut und frumm!"
Und übers Jahr um dieselbe Zeit
Kommt er wieder geflogen von sehr weit.

Da steht ein Bäumchen, ein nasses,
Gar nicht weit vom Wasser.
Das Wasser ist auseinandergeschwomen
Und ist ganz über das Nest gekommen.

Da fällt der Vogel nieder mit einemmal
Und fängt an zu schreien in bitterer Qual:
"Gott, Gott, du Guter!
Überantwort' nicht die Kinder einer fremden Mutter!
Mit den Händen tut sie ihnen Brot brechen,
Und mit den Augen tut sie sie stechen!"
(S. 127-129)
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Was ist das Schönste von der Welt?

Was ist das Schönste von der Welt?
Ein schöner Wald.
Wald von der Welt, tam-ti-deram,
Tam-ti-deram, tam-ti-deram! Tam-ti-deram!

Was ist schöner als der Wald?
Ein schöner Baum.
Baum als der Wald,
Wald als die Welt usw.

Was ist schöner als der Baum?
Ein schöner Zweig.
Zweig als der Baum,
Baum als der Wald usw.

Was ist schöner als der Zweig?
Ein grünes Blatt.
Blatt als der Zweig,
Zweig als der Baum usw.

Was ist schöner als das Blatt?
Eine schöne Birn'.
Birn' als das Blatt,
Blatt als der Zweig usw.

Was ist schöner als die Birn'?
Ein schöner Apfel.
Apfel als die Birn',
Birn' als das Blatt usw.

Was ist schöner als der Apfel?
Ein schöner Bursch.
Busch als der Apfel,
Apfel als die Birn' usw.

Was ist schöner als der Bursch?
Ein schönes Mädel.
Mädel als der Bursch,
Bursch als der Apfel,
Apfel als die Birn',
Birn' als das Blatt,
Blatt als der Zweig,
Zweig als der Baum,
Baum als der Wald,
Wald von der Welt, tam-ti-deram!
(S. 131-133)
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Rätsellied

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Was ist höher als ein Haus,
Und was ist flinker als eine Maus?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Der Rauch ist höher als das Haus,
Die Katz' ist flinker als die Maus."

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Was ist tiefer als ein Quell,
Und was ist bitterer als Gall'?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Die Thora ist tiefer als ein Quell,
Der Tod ist bitterer als Gall'."

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Welche Stube ist ohne Tisch,
Und welches Wasser ist ohne Fisch?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Die Badestub' ist ohne Tisch,
Das Badewasser ist ohne Fisch."

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Welches Wasser ist ohne Sand,
Und welcher König ist ohne Land?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Das Tränenwasser ist ohne Sand,
Der Kartenkönig ist ohne Land."

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Welcher Müller ist ohne Mühl',
Und welcher Löffel ist ohne Stiel?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Ein abgebrannter Müller ist ohne Mühl',
Ein abgebrochener Löffel ist ohne Stiel."

"Mädchen-Leben, Krone-Leben,
Ich möchte dir ein Rätsel aufgeben:
Welcher Lehrer ist ohne Kinder,
Und welcher Fleischer ist ohne Rinder?"

"Närrischer Bursche, närrischer Tropf,
Hast keinen Verstand in deinem Kopf:
Ein blinder Lehrer ist ohne Kinder,
Ein armer Fleischer ist ohne Rinder."
(S. 135-137)
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Aus: Ostjüdische Volkslieder
ausgewählt übertragen und mit Anmerkungen versehen
von Alexander Eliasberg [
1878-1924]
München bei George Müller 1918



 

Siehe auch: Ostjüdische Liebeslieder
Übertragungen jidischer Volksdichtung
von Ludwig Strauß [1892-1953]
WELT-VERLAG Berlin 1920 [47 Lieder]

Da die Werke des  Übersetzers noch unter
copyright stehen, hier nur ein Link zu diesem Büchlein:

http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/content/titleinfo/135413




 


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