Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Schwedische Liebeslieder



Die Königskinder

Zwei edle Königskinder
Die schwuren sich Lieb' und Treu'
Dort oben auf hohem Schlosse,
Auf Schloses Zinne frei.

"Und sprich, wie soll ich kommen
Heut Abend zu dir an die Pfort'?
Es rauschen wilde Fluten
Zwischen uns Beiden allfort!"

"Und wol, wol magst du kommen
Heut Abend zu mir an die Pfort';
Ich zünd' ein Licht in der Leuchte
An jener Lilie dort."

Das hört' ein Mensch voll Arglist,
Er lauschte heimlich und sprach:
"Den Liebesbund will ich trennen,
So wahr ich leben mag!"

Das war der edle Königssohn,
Er ging zum Meeresstrand,
Da sah er das Licht in der Leuchte,
Das in der Lilie brannt'.

Er schwamm so lang im Wogendrang,
Der edle Schwimmer gut,
Er konnte das Land nicht gewinnen,
Verirrt in der salzigen Flut.

Arglist'ger du, Schmach über dich!
Seist du in Ewigkeit verdammt,
Der das Licht auslöscht' in der Leuchte,
Das in der Lilie brannt'!

Und trat herein ein Edelknab',
Konnt' wohl seine Worte stellen:
"Ich sah ein edles Königskind
Versinken in blauen Wellen!"

Da saßen gar schöne Jungfraun,
Mit Scharlachen angethan,
Und auch das edle Königskind,
Das hub zu weinen an.

"Ach, allerliebste Mutter,
Ach, hör doch mein Flehn!
Laß mich im Blumengarten
Ein Weilchen mich ergehn!"

"Wol magst im Blumengarten
Ein Weilchen dich ergehn,
Doch weck' dein jüngstes Schwesterlein
Und laß es mit dir gehn!"

"Mein Schwesterlein ist so klein und jung,
Kann wenig nur verstehn,
Sie reißt die Rosen mit Wurzeln aus,
Die zwischen den Lilien stehn."

Das war das edle Königskind,
Ging vor ihren Vater zu stehn:
"Laß mich im Blumengarten
Ein Weilchen mich ergehn!"

"Wol magst im Blumengarten
Ein Weilchen dich ergehn,
Doch weck' dein jüngstes Brüderlein
Und laß es mit dir gehn!"

"Mein Bruder ist so klein und jung
Und spielt in kindischer Lust,
Er greift die Rosen mit Wurzeln aus
Und steckt sie an die Brust!"

Das war das edle Königskind,
Sie ging zum Meeresgestad,
Traf dort ihres Vaters Fischersleut',
Die fischten noch so spat.

"Und hört, ihr mein' Vaters Fischersleut'!
Gar kalt und naß seid ihr!
Und saht ihr nicht ein Königskind
In blauen Wogen hier?"

"Wir fischten hier allweil in der Nacht
Am Strand mit unserm Kahn;
Wir fanden den edlen Königssohn,
Der auf den Wogen schwamm.

Er trug am Bein ein Knieband schön
Und Silberspangenschuh;
Gewißlich haben wir's gesehn,
Die Leiche lächelt' uns zu."

Sie nahm den Goldring von ihrer Hand,
Sie nahm die Kette schwer,
Und gab sie den Fischersleuten hin,
Die fanden die Leich' im Meer.

"Und grüßt mir Vater und Mutter!
Sie sollen verwinden ihren Harm!
Ich sink' hinab in's Wellengrab
Und hab' meinen Liebsten im Arm."
(S. 72-76)
_____



Herzog Freudenburg und Fräulein Adelin

Fräulein Adelin wandelt im Rosenhain,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sie pflückt alldort roth' und weiße Blümelein.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie pflückte Blümlein so roth als weiß,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Und band für Herzog Freudenburg ein Kränzlein mit Fleiß.

Herzog Freudenburg schaute zum Fenster hinaus,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Er sah, Fräulein Adelin wandelte drauß.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Er sah, Fräulein Adelin wandelte drauß,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
So geht er gar eilig zu ihr hinaus.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Er streichelt Fräulein Adelin das Rosenwängelein,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Ach, wärest du doch die Herzliebste mein!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Und lieber Herzog Freudenburg, wie redet Ihr doch!
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ich fürchte, mein Vater belauscht uns noch!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Und mag uns belauschen, wer will und kann!
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
In Ehren sagt' ich dir solches an!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Die falschen Zofen gingen zum König hinein,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Herzog Freudenburg verlockt dir dein junges Töchterlein."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Und verlockt Herzog Freudenburg mein junges Töchterlein,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
So lass' ich ihn werfen in den finstern Thurm hinein."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und der König, er sprach zu den Dienern nunmehr:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Ihr legt Herzog Freudenburg in Fesseln gar schwer!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und der König, er sprach zu den Dienern sein:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Ihr führt Herzog Freudenburg in den finstern Thurm hinein!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

- Fräulein Adelin, sie wandelt im Rosenwald,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Dort pflückte sie Blümlein so mannichfalt.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie pflückte Blümlein so roth als weiß,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Und wand für Herzog Freudenburg ein Kränzlein mit Fleiß.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Der König schaute zum Fenster hinaus.
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Er sah, Fräulein Adelin wandelte drauß.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Der König sagte zum Diener sein:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Ihr ruft Fräulein Adelin schnell zu mir herein!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Der Diener, er ging vor Fräulein Adelin zu stehn:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Geliebt's Fräulein Adelin zum König einzugehn?"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Wie sollt' ich denn heute zum Vater eingehn?
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Er wollte mich nimmer in fünfzehn Jahren sehn."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Fräulein Adelin, sie schritt nun zur Thüre herein,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ihr Vater, gar finster schaut' er darein.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und also der König zu Adelin sprach:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Was thatest du gestern im Rosenhag?"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Ich pflückte Blumen so roth als weiß,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Und wand für Herzog Freudenburg ein Kränzlein mit Fleiß."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und der König also zu Adelin spricht:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Und vergaßest du noch Herzog Freudenburg nicht?"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Und ob ich auch lebte hundert Jahr,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Herzog Freudenburg blieb' mir im Sinn immerdar!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Und da er dir immer im Sinn noch blieb,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
So mach' ich wol selber ein End' Eurer Lieb'!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und der König, er sprach zu den Dienern zween:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Ihr laßt aus dem Thurm Herzog Freudenburg gehn!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie nahmen Herzog Freudenburg aus dem Thurme, dem blau'n,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sein Haar, es war grau, wie sein Bart, zu schau'n.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Hier saß ich gefesselt wol fünfzehn Jahr,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Mich dünkten es wenige Tage, fürwahr!
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und muß ich auch lassen Leben und Leib,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ich lasse sie gern für solch adliges Weib."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie banden Herzog Freudenburg fest an einen Stamm,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sie schlachteten ihn, wie auf der Schlachtbank ein Lamm.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Die falschen Zofen, sie gingen zur Stell',
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sie nahmen Herzog Freudenburg's Herze gar schnell.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie nahmen Herzog Freudenburg's Herze gar frisch,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Zum köstlichen Mahl für des Fräuleins Tisch.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Als das köstliche Mahl war fertig und bereit,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sie brachten's dem Fräulein zur Essenszeit.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Was ist denn wol dies für ein köstlich Gericht?
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Mich dünkt, daß mein Herz in der Brust mir erschrickt!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Das ist Herzog Freudenburg's Herze gar frisch,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ein köstlich Mahl für des Fräuleins Tisch."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Ist das Herzog Freudenburg's Herze so frisch,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Das letzte Gericht sei's auf meinem Tisch!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Fräulein Adelin, sie saß da in bitterster Noth,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Sie dacht', wie Herzog Freudenburg duldet' den Tod.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Ihr bringt mir zur Stelle zwei Becher wol,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ich trinke daraus Herzog Freudenburg's Wohl.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Ihr bringet ein Glas mir mit Weine roth,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ich trinke daraus mir selber den Tod."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Beim ersten Zug, aus dem Becher sie trank,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ihr Auge brach und ihr Herz zersprang.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Schnell kam die Kunde zum König hinein:
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
"Todt sitzt Fräulein Adelin im Kämmerlein!"
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Der König gar schnell vom Sessel aufsprang,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Er schlug in die Thür, daß der Riegel klang.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

"Ach Herr Gott gnade mir armen Mann!
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Meinem einzigen Kind that den Tod ich an.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Und hätt' ich gewußt, daß ihr Lieben so stark,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ich ließ ihn nicht sterben um hunderttausend Mark."
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie legten beide Leichen wol auf Eine Bahr,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Und Frauen und Jungfrauen kräus'ten ihr Haar.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Sie legten beide Leichen wol in Ein Grab,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Da schlafen sie süß bis zum Jüngsten Tag.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Es wuchs eine Linde auf Beider Grab,
Um Alles, was schwer ist auf Erden -
Da steht sie grün bis zum Jüngsten Tag.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.

Die Linde, sie wuchs über's Kirchendach hehr,
Um Alles, was lieb ist auf Erden -
Ein Zweiglein umschlinget das andre nunmehr.
Mich dünkt, gar schwer ist das Leben.
(S. 99-108)
_____



Klein Rosa

Klein Rosa, sie diente am Königshof fein,
In Ehren und in Zucht -
Und dorten sie diente der runden Jahre neun.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Sie diente nicht dorten so sehr um Gold,
In Ehren und in Zucht -
Als um den jungen Herzog, der dünkt' ihr gar hold.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und der Herzog, er zog in's fremde Land:
In Ehren und in Zucht -
"Und Rosa, klein Rosa, knüpf' kein anderes Band!"
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und während er fort war im fremden Land,
In Ehren und in Zucht -
Ward klein Rosa verlobt einem Rittersmann.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und klein Rosa, sie geht in ihr Kämmerlein,
In Ehren und in Zucht -
Und schreibt einen Brief in Thränen und Pein.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und klein Rosa, sie sprach zum Schiffersmann:
In Ehren und in Zucht -
"Gebt diesen Brief in des Herzogs Hand."
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Als der Schiffersmann kommen in's fremde Land,
In Ehren und in Zucht -
Gab er den Brief in des Herzogs Hand.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und der Herzog eilig auf's Rößlein stieg,
In Ehren und in Zucht -
So ritt er viel schneller als ein Vögelein fliegt.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und als er zum Mühlendamm kommen war,
In Ehren und in Zucht -
Sah er brennen am Brauttisch die Lichtlein klar.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und als er kam vor des Vaters Thor,
In Ehren und in Zucht -
Seines Vaters Söhnlein stehn draußen davor.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

"Und höret Ihr meine Knäblein fein!
In Ehren und in Zucht -
Wollt Botschaft Ihr führen an Rosa klein?"
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

"Hier sitzet klein Rosa, schenkt Meth und Wein,
In Ehren und in Zucht -
Und draußen sitzt der Herzog in Thränen und Pein.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Hierinnen sitzt Rosa mit wallendem Haar,
In Ehren und in Zucht -
Und draußen sitzt der Herzog, ja im Hof drauß, fürwahr!"
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und klein Rosa vom breiten Tisch eilig aufsprang,
In Ehren und in Zucht -
Daß der Meth und der Wein floß den Estrich entlang.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und klein Rosa, sie fliegt in des Herzogs Arm,
In Ehren und in Zucht -
Sie sprachen gar viel von Liebesharm.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Sie sprachen gar viel von Liebesharm,
In Ehren und in Zucht -
Bis todt sie lagen einander im Arm.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Sie legten klein Rosa auf vergoldete Bahr,
In Ehren und in Zucht -
Doch der Herzog gelegt auf zwei Fichtenstämmlein war.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Sie hüllten klein Rosa in weiße Linnen fein,
In Ehren und in Zucht -
Doch den Herzog sie hüllten in Fell und Vadmal ein.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Auf dem Friedhof sie senkten klein Rosa hinab,
In Ehren und in Zucht -
Doch dem Herzog sie gruben weit südwärts ein Grab.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Doch er hatt' keine Ruh nicht bei Tag oder Nacht,
In Ehren und in Zucht -
Bis man sie alle Beid' in dasselbe Grab gebracht.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Eine Linde, die wuchs auf Beider Grab empor,
In Ehren und in Zucht -
Und grün ihre Zweiglein und bleich ihr Blätterflor.
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.

Und auf den bleichen Blättern die Inschrift war zu sehn:
In Ehren und in Zucht -
"Mir soll am Jüngsten Tag mein Vater Rede stehn!"
Ihr gewinnt wol, gewinnt wol so Rosen als Lilien.
(S. 133-137)
_____



Die Gewalt des Kummers

Klein Christel weint Thränen, sie weinet Blut,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Sie weint aus dem Grabe den Bräutigam gut.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Er pocht an die Thür mit den Fingerlein:
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
"Steh' auf, klein Christel, und laß mich ein!"
Ihr freuet Euch alle Tage.

"Mit Keinem hab' ich Abred' gemacht,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Und lass' ich Keinen hier ein bei Nacht.
Ihr freuet Euch alle Tage.

"Steh' auf, klein Christel, und Einlaß gib!
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Ich bin der Knabe, dein feines Lieb."
Ihr freuet Euch alle Tage.

Und eilig nun die Jungfrau aufstand,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Sie öffnet das Schloß mit leichter Hand.
Ihr freuet Euch alle Tage.

So setzt sie ihn auf den rothen Goldschrein,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Und wäscht seine Füße mit klarstem Wein.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Sie setzten Beide auf's Bette sich,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Sie redeten viel, sie schliefen nicht.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Und die Hähne zu krähen beginnen,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Der Todte muß gehen von hinnen.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Und aufstand die Maid, die Spangenschuh nahm,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Sie folgt' durch den Wald ihrem Bräutigam.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Und als sie bei'm Friedhof kommen an,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Sein goldgelbes Haar zu verschwinden begann.
Ihr freuet Euch alle Tage.

"Und sieh, schöne Jungfrau, der Mond tritt herfür!"
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
So hastig verschwand der Jüngling ihr.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Sie setzte sich nieder auf seine Gruft:
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
"Hier will ich sitzen, bis Gott mich ruft!"
Ihr freuet Euch alle Tage.

Und aus dem Grabe die Antwort kam:
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
"Herzliebste, geh' heim und stille den Gram!
Ihr freuet Euch alle Tage.

Für jede Thräne in deiner Noth,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Füllt sich mein Sarg mit Blute roth.
Ihr freuet Euch alle Tage.

Doch jedesmal, wenn du fröhlich bist,
Wer bricht die Blätter vom Lilienbaum? -
Mein Sarg mir voll blühender Rosen ist."
Ihr freuet Euch alle Tage.
(S. 245-248)
_____



aus: Schwedische Volkslieder der Vorzeit.
Aus der Sammlung von Erik Gustaf Geijer
und Arvid August Azelius
Im Versmaß des Originals übertragen
von R. Warrens [Rosa Warrens 1821-1878]
Leipzig F. A. Brockhaus 1857




 


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