Liebeslieder der Völker (Volkslieder)

 


Tunesische Liebeslieder



Arobis (Nr. 1–87)

1. O, mein Auge, sei geduldig und trag' mit Ergebung,
was dir geschehen ist!
Lass das Süsse und das Bittre
von dem Mädchen ruhig vorüberziehen,
bis du schliesslich deinen Zweck erreichst!
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2. Ins Innre meiner Hand schreib' ich deinen Namen,
um stets an dich zu denken,
wenn ich meine Hand erblicke.
Wie lieblich ist doch deine Nähe und dein Leib,
du meine Freundin und Herrin!
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3. Ich möchte, ich wäre dein Amulett,
das immer mitten an deiner Brust ruht!
Wie gesegnet soll der Tag sein, an dem ich
diese prächtige Beute erlangen werde!
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4. O heiliger Abu Hamida, wirst du den aufnehmen,
der sich dir als Flüchtling naht,
und der als Gruss
die Umarmung des Mädchens mitbringt,
das er mit seinen Lippen küsste?
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5. Herrin, ich will dein Sklave sein,
und die Notare sollen mich
dir als Eigentum zuschreiben!
Ich liege nachtsüber auf Kohlen und Dornreisig,
und die Flammen meines Herzens sind mächtig.
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6. Ich sah deine Erscheinung
vor meiner Seele vorüberziehen;
das regte mich zu neuem Sehnen auf.
Unmöglich ist's, die Liebe zu dir zu vergessen;
denn immer noch herrscht sie in meinem Herzen.
_____


7. O Leute, mein Blut ist geronnen!
(Wie einem Schiffer ging mir's,)
ich habe die richtige Himmelsgegend verloren.
Drum will ich dem Meere meinen Kummer klagen;
dann wird es einsickern
und zu einer Strasse werden.
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8. Die Liebe ist wirksamer als Gift.
Sie hat die Eingeweide meines Innern zerrissen.
Nun hat sich gar meine Liebe
auf zwei Mädchen verteilt!
Drum beklage ich mich
bei meinem gnädigen Gotte.
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9. Die Liebe tötet wie eine Kugel,
wenn sie in die edlen Eingeweide dringt.
Die Liebe hat meine Leber zerquetscht
und zu Blut gemacht.
Der Arzt hat es aufgegeben,
mich zu heilen.
_____


10. Wie heiss ist doch das Feuer der Liebe!
Es ist in mein Eingeweide gedrungen
und mächtig geworden!
Im Herzen ist die Hitze entzündet,
das sich dadurch dunkelrot
wie Scharlachbeeren färbte.
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11. Sie blickte aus der Hausthür heraus
und sah mich, mit ihrer Stirn,
die wie der Blitz leuchtete.
Ich wünschte jetzt, der Tod wäre mir erschienen,
wenn ich so verspottet leben soll.
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12. All mein Verstand verlor sich an zwei;
mit welcher von beiden
soll ich es da halten?
Mit dir, der Schmachtäugigen,
oder mit der Wüstengazelle?
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13. Da hat mein Auge ein Wunder erblickt:
zwei Feinde sind gute Nachbarn geworden:
das Feuer und den Schnee,
die beiden sieht man auf der Wange
des Mädchens mit den schwarzen Wimpern.
_____


14. Weiss bist du, und man hat dich tättowiert
und dir auch mit feinem Striche
die Augenbrauen übermalt;
die gleichen dem Neumonde,
wenn er zwischen Sternen erscheint
am letzten des Monats,
wo er kaum sichtbar ist.
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15. Eine Braune, – nein, keine Braune!
Eine Weisse, – doch nein, auch keine Weisse!
Vielmehr eine, der das rote Blut
durch die Wangen scheint,
ist Schuld, dass mein Verstand
zerflossen ist.
Falls du krank wirst,
dann vielleicht halb genesest
und schliesslich ganz, – wisse,
es giebt für uns keine bessre Arznei
als das Mädchen selber!
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16. O Gnade Gottes,
wie schwarz ist doch ihr Haar!
Seine Länge hat keine Grenze!
Man giebt als ihr Alter dreizehn Jahre an
und lässt es nicht gelten,
wenn jemand es höher nennt.
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17. Zu dem Wärzchen,
das unter deinem Auge erschienen ist,
ist noch eines
an der Wange oben hinzugekommen.
Mein Verstand ist ganz und gar
von deiner Schönheit bezaubert,
und mein Geist und mein Herz weilt
stets bei dir.
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18. Das Auge schweift wohl über sechzig hin,
aber das Herz erregt sich doch nur für einen.
Der Sattel gewährt nicht zweien Raum;
es ist recht, dass nur einer aufsitzt.
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19. Das Auge des einen ist
für das Auge des andern
eine Waage,
und das Herz des einen
empfindet mit dem Herzen des andern.
Den Mitmenschen bringt uns eine Wohlthat näher,
aber Beleidigung entfremdet ihn uns.
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20. Deine Augen blickten her,
und von ihnen kamen die Ursachen
meines Sterbens.
Deine Blicke trafen mich wie ein Dolch;
deinetwegen verzweifle ich
an meinem Leben.
Die Ärzte und die Zauberbücher
sind an mir machtlos.
Die rechte Zeit wäre es,
wenn du jetzt kämest.
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21. Deine Augen sind von Gott geschaffen,
und der Schmerz in meiner Brust
ist von ihm bestimmt!
Ich weiss von dir,
dass du mich töten wirst;
der Schmerz der Liebe
wohnt unter meinem Strohhute;
die Liebe zu dir
hat mein Inneres verrenkt.
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22. Deine Augen und ihre beiden Wimpern
haben mich ins Verderben gestürzt;
den ganzen Tag über
habe ich Visionen,
und ebenfalls des Nachts.
So manches Liebesabenteuer
habe ich doch erlebt;
doch all der Gram
jetzt kam nur durch dich.
_____


23. Deine Augen blickten zu mir her,
und ihre Wimpern peinigten mich.
Mädchen,
von dir könnte mir Heilung werden!
Was ist doch die Ursache dieser Qualen?
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24. Zwei Augen treffen wie ein Wurfspiess,
und eine Wimper ist scharf
wie ein indisches Schwert.
Wenn sie mich zu töten trachtet,
so sagt ihr, sie solle
den letzten Blick meines Auges
entgegennehmen!
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25. Die Augen meiner Holden
haben mich festgenommen;
ohne Kampf,
nicht am Tage eines Überfalls geschah es;
dennoch trafen Dolche
meine Brust
und durchstiessen mir
die linke Seite.
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26. In ihrem Auge
verwahrt sie den Tod,
sie wünscht mein Ende!
Ihr Kuss als Nahrung wäre mir recht;
das würde die Ursache sein,
wenn ich wieder auflebte.
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27. Augen wie die deinigen
giebt es nicht nochmals
in diesem Menschenalter,
noch habe ich solche hier
im Lande sonst gefunden.
Ein Ebenbild von dir habe ich nicht gefunden,
du Mädchen mit den schmachtenden Augen.
Wer zu dir mit der ehrbaren Bitte kommt,
dass du doch um Gottes Willen
dich seines Zustandes erbarmen mögest, –
und wer dürstend sich dir naht, –
dem gieb einen Trunk,
du Mädchen
mit den schmachtenden Augen!
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28. Deine Augen und Augenbrauen sind schwarz;
dein Herz aber will nicht auf Rat hören.
Was willst du denn
mit deiner Schönheit anfangen?
Wenn sie so zu Grabe sinken sollte,
wäre es Schade!
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29. Deine Braue gleicht dem Schwerte,
das in der Hand eines Fechters gezückt ist.
Denn deine Braue hat mich getroffen,
mein Rückgrat zerschnitten
und mein Blut in Tropfen fliessen lassen.
Deinetwegen bekämpfe ich
die Horden der Wüste
und ziehe selbst
gegen das Christenland.
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30. Deine Wangen sind in Flammen erglänzt,
in mein Herz haben sie Liebeswonne gebracht;
sie gleichen Rosen in einem Krystallbecher,
die lieblich duften.
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31. O du mit der Wange
von der Farbe der Haideblume,
der schmachtende Blick deiner Augen
hat mich versengt!
Die ächte Liebe kommt im Sturme,
wenn das Herz sich einmal
fest verfangen!
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32. O Sonne du zwischen zwei Wänden,
die du dich in deine Wolken birgst!
Du überstrahlst die Mädchen an Schönheit
und durch deine schöne Lippe,
den Lachemund und die Zähne.
Von Liebespein wird der Ärmste getroffen,
der den Duft deiner Wohlgerüche atmet.
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33. Dein Name beginnt mit dem Buchstaben Zin,
und Zin (d. i. Schönheit)
hast du als Erbteil erhalten.
Eine Braue wölbt sich über deinem Auge,
und dein Lachemund besitzt
die drei Dinge (Lippen, Zähne und Zunge)
in lieblicher Vollkommenheit.
Wenn du auf zehn Minuten zu mir kommen wolltest,
so könnten wir uns hier ein Märchen erzählen.
_____


34. Dein Name beginnt mit F,
und zwei Buchstaben muss ich dann
noch hinzufügen (nämlich T und M;
dies sind die Wurzelbuchstaben des Namens Fâtima).
(Aus) Jasmin, der zwischen Feldlilien steckt,
und aus Rosen ist dein Leib geschaffen.
_____


35. Ich bin über den Buchstaben F
in Aufregung geraten und über das T,
das einen senkrechten Strich hat;
ferner hat W, M und H
ganz und gar meinen Verstand eingenommen
(d. s. sämtliche Buchstaben des Namens Fattûma).
_____


36. Ich bin in Aufregung geraten;
o, in grosse Aufregung!
Ich weiss keinen Ort,
wohin ich meine Zuflucht nehmen könnte,
um zu entfliehen dem Mädchen
mit dem pechschwarzen Haare,
das Strähne mit Strähne geflochten ist.
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37. Ich bin über zwei Gazellen
in Aufregung geraten.
Beide haben mein Inneres versengt.
Die Braune ist eine Mörderin ob ihrer Schönheit;
die Weisse ist all mein Sinnen und Glauben.
_____


38. Ich bin über einen Krystallnacken
in Aufregung geraten
und über einen Ohrring, der ihre Wange berührt, –
 in Aufregung und Qual,
wie einer, der sich verbrannte,
und den der Schmerz vom Feuer
mitten auf die Brust brennt.
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39. Ich bin wegen eines mir verborgenen Amulettes
in Aufregung geraten
und habe gegen dessen Wirkung
keinen Gegenzauber gefunden.
Dies Amulett ist
vor dem Blicke der Menschen verwahrt,
verborgen und versteckt.
Ob ich, o Leute, von Kummer überwältigt sterben,
oder ob ich weiterleben soll,
das hat Helima zu entscheiden!
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40. Ich bin über den Blick der braunen Augen
in Aufregung geraten,
und das Herz ist tief betrübt
in seiner Pein.
Die Süssigkeit deines Mundes
gleicht der Dattel, wenn sie fast reif ist.
Mir ging's wie dem, der einen Panther heimtrug:
das Tier zermalmte ihm die Knochen mit den Zähnen!
_____


41. Ich grollte einmal auf,
wie die Kameele grollen,
wenn sie beladen dahinziehen.
Ich sah, dass mein Herz niedergedrückt
und aus seinen Eingeweiden
geflossen und gefallen sei.
Dem Mädchen schauen sechs Zöpfchen
unter dem Kopftuche hervor.
Der Kuss der Mädchen ist Zucker;
verzweifeln muss der,
welcher diese Süssigkeit nicht kosten darf!
_____


42. Ich schlürfte den Trank ihrer Lippen;
in ihm aber war etwas Herbes.
Da sah ich Blutegel zwischen Wasserpest.
Das gab mir die Freundin absichtlich zu trinken!
Wenn ein Mädchen kalt und gleichgiltig wird,
nachdem es Liebe gewährte,
so freut es sich eben am eignen Unglücke.
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43. Drei bittre Kräuter, –
ein Gemengsel ins Grüne spielend, –
kneteten die Mädchen,
thaten dies in ein Glas
und verlangten von mir,
es zu geniessen.
Deinetwegen will ich meinen Kopf verkaufen;
und dennoch ist all deine Liebe Trug!
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44. Mir gleicht der vom Fieber
des Durstes Geplagte,
der seinen ledernen Eimer
in den Brunnen hinablässt.
Er freut sich, wenn jener voll oben ankommt;
da entgleitet ihm derselbe plötzlich
und reisst vom Stricke los.
Mir geht's auch wie dem Nacktausgeplünderten,
dessen Geschrei und Klagen
den Franzosen viel zu schaffen machen.
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45. Dürstend möchte ich einen Trunk
von deinem Lachemunde;
reiche ihn mir!
Die Liebe tötet wie eine Kugel.
Möge dir Gott das auch bescheiden,
was mir zustiess!
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46. Rauch erschien am Abend
zwischen Dscherba und Gabes;
da holte der Wandrer das Mädchen ein,
dürstend und mit ausgetrocknetem Gaumen.
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47. Mit heiserer Stimme schrie ich;
die Fasern meines Herzens
waren zerquetscht.
Ich quälte mich und konnte keine Ruhe finden.
Deine Angehörigen sind
mit dir fern weg von mir gezogen.
Seit dem Tage,
wo die Seelen erschaffen wurden,
ist die meine und die deine
zu steter Liebespein bestimmt gewesen.
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48. Zwischen mir und dir
liegen viele hohe Paläste;
drum wurde ich heiser,
als ich dich rief.
Mit eigner Hand
habe ich dir Briefe geschrieben;
sind sie zu dir gelangt,
du mein Sehnen?
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49. Zwischen dir und dem Mädchen
liegen die Schluchten des Wâdi Seïsch;
da wirst du mit Grauen
den Nebel der Gebirge sehen.
Die Kameele gehen da
nur unter antreibenden Schlägen vorüber
und die Pferde sprengen hin
und kehren wieder um.
Meldet ihr: "Hab' keine Angst!
Ich werde gegen das Ende der Nacht
mich bei dir einfinden!"
_____


50. Ja, dort, noch sichtbar,
rasten sie!
Ihre Niederlassung befindet sich dort
im tiefen Lande.
Hätte ich doch ein Wort
mit ihnen gewechselt!
Jetzt flehe ich darum,
aber niemand kann mir Erfüllung
meines Wunsches gewähren.
_____


51. Die Länge der Trennung
verlängert nur und vergrössert
das Sehnen.
Sie gewann mich durch ein Wort,
das mir Hoffnung gab.
Weiss ist sie;
lang wallt ihr Haar,
dunkel wie ein Schwarzer
zwischen Christensklavinnen.
O, dass sie mir doch bald
in die Arme sänke!
Mein Herz ist aus der Mitte
der edlen Eingeweide
herausgefallen.
_____


52. O dass es doch wieder
zu unserm Zusammenleben
kommen könnte,
dass wir uns wieder
zu treuer Liebe vereinen könnten!
Dann würden
meine thränenwunden Augen heilen,
und ich wollte rufen:
"Mein Herz ist wieder zufrieden geworden!"
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53. O dass ich sie doch erlangen
und wieder über sie gebieten könnte!
Ich komme nicht zum Schlafe,
seitdem ich in diese Liebespein geriet.
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54. Ich bin ein Fremder,
Umhergetriebener,
habe keine Angehörigen,
noch Gebieter.
Ich weine, klage und schreie
wegen der Trennung von meiner Gazelle.
_____


55. Ich wurde getrennt
von meiner schönen Freundin,
nachdem sie so innige Freundschaft
mit mir geschlossen.
Da begann ich nun,
mit Thränen, die aller Mitleid erregten,
zu weinen,
und sie blickte mir
mit ihren Augen nach.
Dann traf ich sie in der Hausflur;
da umarmte ich sie, und sie mich.
_____


56. Wenn, o Schwarzäugige,
das Feuer, das mich versengt,
auch dich versengt hätte,
so würdest du das Lächeln
deiner Lippen verbannen
und dein fröhliches Scherzen
mitten unter deinen Freundinnen.
Jedoch, o Schwarzäugige,
das Feuer, das mich versengt hat,
lässt dich in Ruhe!
_____


57. Ich liebte dich unaussprechlich;
da wurde meine Liebe betrogen.
Nützt jetzt noch Arznei dem,
dessen Eingeweide zerrissen sind?
_____


58. Bevorzuge lieber Trennung und Meiden,
lass dich selten sehen
und lege deiner Liebe eine Prüfung auf!
Wirb nicht um Frieden
und leg dich nicht zu sehr auf Zureden!
Dann muss einst die Stunde deines Sieges nahen,
und die Becher der Bitterkeit
müssen wieder süss werden.
_____


59. Grabe das Land
und pflüge das Feld
und drisch mit den Dreschern!
Frauengunst gleicht einem Sporne;
der wandert auch von dem Fusse eines Reiters
zum Fusse eines andern.
Mich hat die Liebe rücksichtslos behandelt:
jetzt ziehe ich gegen die Schönheit zu Felde!
_____


60. Wenn du bauen willst,
so lege den Grund
und füge die Steine fest ein;
und wenn du jemanden kennen lernst,
so forsche nach,
ob er verdienstvoll und ehrenhaft ist!
_____


 61. Wenn ich zu dir komme,
so thust du, als ob du den Besucher
nicht kenntest;
bleibe ich fern, so schweifen die Augen
voll Sehnsucht nach mir.
Sagt nur dem Mädchen mit der Schärpe
wie ein Fürst,
die Spitzen ihrer Brüste
hätten sich schon gesenkt!
_____


62. Eine Gazelle,
die dir wieder in die Wildnis entlief,
suche nicht wiedereinzufangen,
noch zu verfolgen und heimzubringen!
Vielleicht kommt eine Gazelle,
die der ersten gleicht,
zu dir,
und es giebt eine neue Liebe.
_____


63. Mädchen sind wie Tauben;
aber auf Weizen gehen sie nicht ein!
Der Satz für's Vergnügen
sind harte Thaler;
kleineres Geld
wird gar nicht gerechnet.
_____


64. Ihr Haus ist weit von dem meinen entfernt,
und niemand kann mir Kunde von ihr bringen.
Wer sich raten lässt,
der möge jetzt ausziehen
und sich in der Nähe
seiner Freundin niederlassen!
_____


65. Zur Zeit,
wo sie ein junges Mädchen war,
hatte sie Stelldichein mit mir
im Hause ihres Vaters.
Heute weilt sie fern von mir,
und das Regiment über sie
führt ihr Mann.
_____


66. Hunger quält meine Freundin,
und ihre frühere Schönheit
ist zur Hässlichkeit geworden.
Ich habe in einem Kaffeehause
drüben am Platze erzählen hören,
dass sie ihre Gunst
für eine Schüssel Gemüse
verkauft hat.
_____


67. Du kommst mir vor wie eine Stute,
mit einer Kette
und einem Halfter.
Du bist eine Art Wiese
am Fluss geworden:
jeder Beliebige lässt da sein Ross grasen!
_____


68. Kairo und Damaskus
habe ich besucht und kenne alle Wege.
Von der Liebe gequält
bringe ich die Nächte zu;
von dir kommen die Ursachen
meines Schmerzes.
Der berühmte Arzt Eskulli
und noch zweitausend Zauberer
könnten mich doch nicht heilen.
_____


69. Die Türkei
habe ich zwei Jahre lang bereist;
die gingen vorüber.
Nach Verlauf dieser Zeit
blieb ich noch zwei Monate;
dann aber hatte mein Herz genug:
ich briet zwischen zwei Feuern,
als ich die schöne Deddu suchte.
_____


70. Ich bin ein rastloser Wandrer
im Reiche geworden
und bin auch nach Oran und Algier gekommen.
Das geschah wegen eines Mädchens
mit einer Wange von Rosen- und Lilienfarbe
und mit einer Stirne
wie der leuchtende Blitz.
Durch dich, o Mädchen
mit den schwarzen Augen,
bin ich von Liebespein
erfasst und erregt.
_____


71. Der Vogel, der gen Himmel stieg,
flatterte auf, breitete seine Flügel aus
und flog empor.
Er flatterte laut und pfiff Weisen
in allen Melodieen.
Er sang auch: "Einen guten Abend mit Gott,
o Mädchen mit dem Wüchse eines Heerfürsten!"
_____


72. Einen Armreif und eine Armspange,
den Ring, der ihr schief am Fusse sitzt,
und einen Ohrring aus Gold,
der genau so weit
wie der andere
auf die Wange hinabreicht,
wünsche ich mir als Geschenk.
Von ihrem Speichel
möchte ich ein Glas trinken;
dann würfe ich alle Krankheiten von mir.
_____


73. Ihr Armreifen und ihre Armspange
klirrten heftig bei ihr im Bett.
Darüber beklagte sich ein schwarzer Diener
bei seinem Herrn im Bardo
(der Winterresidenz des Bey)
zu wiederholtem Male und sprach:
"Vom Bardo hat mich das Klirren
ihres Schmuckes nach den Wasserkünsten
und weiter bis an den Anfang
der Brückenbögen vertrieben;
ich habe im letzten Ramadan
nicht fasten können
und kann jetzt nicht essen,
wo die andern Menschen speisen."
_____


74. Die Leute gehen hinaus nach Kamart
wegen des Vergnügens
und der Ungeniertheit daselbst;
ich ging auch dorthin, –
als Toter, –
ward aber binnen einer Stunde
versengt durch eine Wange
wie ein Diamant,
dessen Glanz im Golde funkelt.
_____


75. Augen, unter dem Schleier verborgen,
von einer hehren Fürstin
trafen sie mich;
sie blickten zu mir her mit Feuchtglanz,
und sogleich loderte in mir
das Feuer auf.
Das geschah in der Mitte
des Basars der Leute von Dscherba,
letzten Mittwoch Nachmittag.
_____


76. Die Sterne des Himmels
über der Erde haben sich
vor deiner grossen Schönheit versteckt.
Am Tage, wo du über den Platz schrittst,
wurden alle Herzen versengt.
Man hielt dich für die Nacht der Offenbarung.
Alle streckten die Hände aus und beteten.
Wer dich erblickt hat,
der hat kein Unheil erblickt;
nein, zu derselben Stunde
hat auch sein Glück begonnen!
Ich bitte dich, Gott, um Verzeihung;
doch ich muss sagen,
alle Schönheit scheint sich
in Deddu vereinigt zu haben.
_____


77. Ihre Schärpe,
die dem Glänze des Feuers gleicht,
hat sie mit dem Blute
eines Rebhahnes gefärbt.
Dieser Vogel nämlich hielt
mitten im Garten ein Mittagsschläfchen,
denn da weilte er gern.
Da drückte man auf ihn die Flinte ab,
und sein Blut floss über ihn hin.
Nun kamen die Prinzessinnen
und sahen, wie er starb.
Sie riefen: "Ach, seht den armen Kleinen,
den man mitten unter seinen Freundinnen
getötet hat!"
Dann hat er, getötet,
noch sechs und sechzig halbe Tage lang
an ihrer Brust geruht!
_____


78. Man stellte Lichter auf den Tisch
und brachte Rebensaft herbei.
Um den Wein wurde eine Anzahl Gläser gestellt
für die hehren Mädchen.
Eine braune Lautenspielerin,
die reich mit Henna bemalt war,
spielte ein Stück auf der Laute;
das war mir Zephyrsäuseln und Südwind.
Ich sass abseits unter einem Baume,
und der Inhalt des Glases stieg mir in den Kopf;
ich wollte ein gewisses braunes Mädchen suchen,
fand aber Niemanden,
der sie mir hätte bringen können.
_____


 79. Ich stand zur Zeit des ersten Gebetes auf,
als der Muezzin vom Minaret herabrief.
Da kam ein Trupp Rosse
und sprengte dem Meere zu,
das stürmisch war.
Mit der einen Hand mass ich gerade
drei Metzen zu und mit der andern that ich
noch etwas oben darauf (und sprach):
"Wenn der stahlgraue Hengst Sieger wird,
dann musst du dem Rechte nach mir
die Wette zahlen, Geliebte!"
_____


80. Ein stahlgraues Ross gefällt mir,
das dem lautschreienden Täubrich gleicht
und das stolz den Sattel
mit den beiden Höckern trägt.
Den Glanz des goldnen Halbmonds vorn
an seinem Buge hält man für Feuer;
freudig erhebt sich
das Beifallsgeschrei über ihn.
Das Hinterteil gleicht den Meereswogen,
und sein Leib einem breiten geräumigen Flussbette.
_____


81. Mein Freund stürzte in einen Brunnen,
der war dreissig Mannshöhen tief.
Ich fand Niemanden,
der ihn hätte heilen können,
und man brachte mir seine Knochen
nicht wieder herauf.
_____


82. Weh dem, der in einen Brunnen fällt;
er kann nur schwer wieder empor!
Was Flügel erhalten hat,
das kann fortfliegen,
doch jenes Unglücklichen Auge
weint Thränen.
_____


83. Ein armes Tier ist das Kameel am Wasserrade.
Beengt und drehend ist's ihm zu Mute;
wohl hört es das Wasser mit seinen Ohren,
kann es aber nicht sehen, noch kosten.
_____


 84. Wenn des Menschen Brust beengt ist von Wunden,
deren Schmerz er nicht vermeint,
ertragen zu können,
dann wandre er hinaus,
um die Bewohner des Friedhofs zu besuchen!
Da wird er Könige und Wesire antreffen,
die gestorben sind und bestattet worden sind.
Die Menschen werden krank,
werden aber auch wieder gesund;
und die Geduld ist das beste Heilmittel für sie.
_____


85. Dein Arobi gefällt mir nicht;
da sind weder die Grundgedanken
noch die Sprache anmutig.
Dein Gedicht ist wackelig,
es gleicht einem Schlosse,
das nicht richtig angenagelt ist.
_____


86. Die Quellen, die im Winter fliessen,
sind nicht alle beständig;
wenn die Winde des Sommers kommen,
bleiben nur gewisse Quellen ergiebig,
und nur deren Wasser
kann getrunken werden.
_____


87. Gar Manches habe ich erlebt,
und laufen konnte ich,
dass mich Keiner einholte.
Heute aber bin ich grau und krumm geworden,
und was ich mit den Augen sehen kann, ist nicht viel.
(S. 143-152)
_____




Aus: Recht eigentliche Volkspoesie (Nr. 115–135)

115. Ich habe eine Rose über unserm Brunnen;
wenn der Wind weht, da senkt sie sich.
Ich habe eine Rose über unsrer Cisterne;
wenn der Wind weht, da antwortet sie auf meine Fragen.
_____


116. Ach, Arger über meinen Ohrreif!
Sein Ring ist zerbrochen.
Da will ich zu meiner Mutter gehen
und mir einen neuen holen.
_____


117. Juchhe! Bei dem Haupte des Mädchens,
ich halt's nicht mehr aus!
Ich komme, ich komme zu dir!
Gegen das Ende der Nacht
will ich bei dir anklopfen.
Gott führe dich in meine Arme
und mache dein böses Herz mir gehorsam!
_____


118. Komm her, lieber Marokkaner,
komm her in unser Haus!
Wenn du dich vor meinem Hunde fürchtest, –
nun, der liegt an der Kette.
Wenn du Angst vor meinem Vater hast, –
der ist schon ein Jahr fort.
Hast du Angst vor meiner Mutter, –
ach, die kann Liebesgeschichten ganz gut leiden.
Fürchtest du dich vor Gott, –
so will ich dich unter das Betttuch stecken.
_____


121. Ein Bote kam zu mir,
und ich begann nachzudenken,
was ich ihm zu sagen hätte, Mutter!
Dann kam der Freund selbst
zu mir ins Zimmer.
Ich brannte die Lampe an und goss Öl auf.
Er hatte ein Stück Sackleinewand
über seinem Kopfe.
Ich konnte nicht erkennen, wessen Kind er war.
Dann kam er in die Hütte
und gab mir sieben Thaler.
Moschus hatte er in seiner Tasche
und Wohlgerüche gab er mir zur Eröffnung.
Dann kam er zu mir in die Küche,
der Dunkle mit seinen pechschwarzen Augen.
Wir sind quitt.
Er biss mich in die Lippe und die Brust.
Dann kam er zu mir in den Garten
und fand mich Mais säen.
Er sprach zu mir:
"Du böses Mädchen, zeigt deine Saat
schon längere Stengel?"
Dann kam er zu mir auf unser Dach.
Wir hatten die Dachthüre geöffnet
und waren hinaufgestiegen.
Betrunken kollerten wir uns umher.
Er liess mich ganz verwirrt zurück.
Dann kam er zu mir ins Haus
mit einem breiten Säbel
und zwei kleinen Pistolen,
auch einen kleinen Dolch hatte er,
der war, gezückt, der Inhalt seiner Hand.
_____


122. Mutter, gieb mir eine Karrube!
Ich will mir dafür ein Fischchen kaufen.
Die Franzosen sind nach Manuba gekommen
und haben am Morgen einen Marsch geblasen.
Mutter, gieb mir einen Piaster!
Ich will mir dafür einen Shawl kaufen.
Die Franzosen sind nach Kairuan gekommen
und haben am Morgen einen Marsch geblasen.
Mutter, gieb mir zwei Karruben!
Ich will mir dafür ein Stückchen Käse kaufen.
Die Franzosen sind in die Berge gezogen
und haben am Morgen einen Marsch geblasen.
_____


123. Die bauschige Soldatenmütze ist fortgeflogen
und hat sich nach dem Berge Matmata begeben.
Da bekommt sie aber nur Kartoffeln zu essen
und kleine Mehlbrödchen.
Wo ist doch die bauschige Soldatenmütze?
Mein Gott, wo steckt sie doch?
Die bauschige Soldatenmütze
ist wieder zu uns gekommen;
nun sind wir glücklich und zufrieden!
(S. 155-157)
_____


Aus: Tunisische Märchen und Gedichte
Eine Sammlung prosaischer und poetischer Stücke
im arabischen Dialecte der Stadt Tunis
nebst Einleitung und Übersetzung
von Dr. Hans Stumme [1864-1936]
Band I: Transcribierte Texte nebst Einleitung
Leipzig J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung 1893



 


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