Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Friedrich Bouterwek
(1766-1828)


Die Schöpfung der Liebe

Sagt, was ist es, daß der Sphären
Wunderbau zusammenhält?
Sagt, was schafft das Reich der Zähren
Zur verschönten Wunderwelt
Was verschwistert Freud' und Schmerzen
Was vereinigt Mein und Dein
Was entrinnt aus vollem Herzen
Oft auf Grab und Leichenstein?

Liebe! Eins und Alles! Liebe!
Du nur, Lebensschöpferinn,
Schufst zum Geist und Weltgetriebe
Sinn in Kraft, und Kraft in Sinn.
Eh die Sonnen Erden hellten,
Eh sich Herz und Herz erkor,
Bildetest den Plan der Welten
Du dem Allvollender vor.

Des Vollenders Athem wehte,
Und die Welten standen da.
Liebe lenkte, Liebe drehte
Ihre Kreise fern und nah.
Fern und nah in lauten Chören
Tönte, was sich hält und zieht,
Und der Rundgesang der Sphären
 War der Liebe Feierlied.

Sonnen und Planeten zogen
Liebend sich magnetisch an.
Liebend fliegen Meereswogen
Gegen Luna himmelan.
Blumen gegen Blumen sandten
Ihres Wesens Nektarduft.
Sonnenstäubchen, die sich kannten,
Suchten sich in dünner Luft.

Sieh, da rauscht' es! sieh, da fühlte,
Was da lebt, sein Lebensband;
Glühte, suchte, was es kühlte;
Fand es an der Freude Hand.
Wie sich da die Sinne tauchten
In der Wollust Feuermeer,
Gluthen fühlten, Gluthen hauchten,
Schien der Kelch der Liebe leer.

Aber der Vollender wehte
Liebehauch zum zweitenmahl,
Und durch alle Sternenbeete
Fuhr ein heller Götterstrahl.
Sanft erbebten alle Wesen,
Mitempfindend, was geschah;
Denn zur bessern Lieb' erlesen,
Stand der Herr der Erde da.

Wunsch um Wunsch, und Lieb' um Liebe
Säuselte die Sympathie.
Keinen Wirbel wilder Triebe,
Seelenwechsel heischte sie.
Leises Fühlen, tiefes Sehnen
Webte durch des Menschen Sinn,
Und in wundersamen Thränen
Floß der Quell der Wonne hin.

Er nur sie, nur sie im Blicke;
Sie nur ihn, den Himmelssohn!
Beide flehten vom Geschicke
Liebe nur zum letzten Lohn.
Da, im nie gehörten Lallen,
Flog der Treue erster Schwur
Durch des Himmels Sternenhallen
Zum Vollender der Natur.

Von des Unerschaffnen Throne
Weht' und wallt' es nun herab:
Lieb' und immer Liebe lohne
Euch, Erkorne, bis an's Grab!
Lieb' im lichten Geisterglanze,
Mit der Treue Hand in Hand,
Deute mit dem Palmenkranze
Hin zum zweiten Vaterland!

Aus: Bouterwek's Miscallaneen I. Band
Berlin bei C. L. Hartmann 1794 (S. 57-61)


 


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