Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh |
Helmina von Chézy
(1783-1856)
Die Liebe
Wie heißt der Quell, an dem man trinkt
Und wird doch nimmer satt,
Der Wonne stets der Lippe winkt,
In Lindrung Glut noch hat?
Der Quell heißt Liebe, Lieb' allein
Wie trüg er sonst so lichten Schein?
Wie heißt der Stern, der niemals weicht,
Ob Wolken um ihn stehn,
Der Stern, dem keine Sonne gleicht,
Der nie wird untergehn?
Denn stürzte gleich die Schöpfung ein!
Die Liebe bleibet stehn allein!
Wie heißt das Wort, das eine Wort,
Das Alle in sich faßt?
Der Menschenahndung ferner Port
Des Herzens seel'ger Gast?
Die Liebe ist's, das eine Wort,
Trägt dich durch alle Himmel fort!
Wie heißt der Schmerz, dem Keiner gleicht
Schmerz über allen Schmerz,
Deß' Wonne durch die Himmel reicht,
Der füllt und hebt das Herz?
Heißt Liebe, wem ihr Leid bewußt,
Der hat erschöpft des Lebens Lust!
Aus: Helmina von
Chézy Gedichte der Enkelin der Karschin
Zweiter Band Aschaffenburg 1812 (S. 46-47)
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