Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Simon Dach
(1605-1659)


Lob-gesang der liebe

O Amor, hertzen-binder,
Du herr der freundlichkeit
Und aller guten zeit,
Du zwietracht-überwinder,
Du grosser wolfahrt-heger,
Wie daß die gantze welt
Dir hin zu fusse fällt
Und folget deinem läger?

Wie weistu einzusperren
Des scepters gantze macht!
Dir dient der krohnen pracht,
Der knecht auch sampt dem herren.
Das alter wird gerissen
Zwar an dein strenges joch,
Die tugend pflegstu doch
Am meisten einzuschliessen.

Du machst dich in die wangen
Der frauen-bilder hin
Und führst den starcken sinn
Der männer so gefangen;
Was keine macht kan brechen,
Kein staal, kein fallend bley,
Was keine tyranney,
Weist endlich du zu schwächen.

Du hast die weit gelehret
Das, was sie gutes hat,
Daher auch dorff und stadt
Dir billich zugehöret.
Daß wir die felder bauen,
Nach ehr' und güttern stehn,
Tieff in das erdreich gehn,
Und wind und wellen trauen,

Wodurch wir zugenommen,
Ja, aller pracht und zier
Muß eigentlich von dir,
Du welt-bereicher, kommen.
Du endest angst und leiden,
Greiffstu, o Amor, an
Und hilffst, so träget man
Des creutzes last mit freuden.

Durch dich muß alles werden,
Was vieh und menschen noht,
Ohn dich kömmt weder brodt
Noch wein-wachs aus der erden.
Wie schön die vögel singen,
Wie frölich durch das meer
Der fische schaar, daß heer
Der thier' im walde springen;

Wie lustig sich mit täntzen
Das volck der sternen macht,
Wie helle bey der nacht
Sie umb den mond her gläntzen,
Wie schnell der sonnen räder,
Wie lieblich lufft und wind,
Wie angenehm uns sind
Die brunnen, flüsse, bäder.

Doch were nichts zu spüren
Von allem, was man kennt,
Wenn du das regiment
Nicht, Amor, soltest führen.
Glückselig ist die stunde,
Kriegt anders zeit hie stat,
Da Gott gezeugt dich hat
Aus seines hertzens grunde.

Man hat von keinen plagen
Da irgends wo gewust,
Und nur von lauter lust
Und freude können sagen.
Da war kein haß vorhanden,
Kein argwohn und kein streit,
Fried' und gerechtigkeit
Sind umb dich her gestanden.

Man sieht noch jetzund leben
Und grosses wolergehn
An allen orthen stehn,
Wo du dich hin begeben;
So komm nun, dein begnügen
Umbschließ' auch dieses paar
In eintracht immerdar,
Die ehlich jetzt sich fügen!

Du bist es, den wir singen,
Du, und das wahre gut,
Der uns das liebste thut,
Gott selbst für allen dingen.
Wir werden angetrieben
Zu sagen: Er allein
Muß selbst die liebe seyn,
Die er so rein kan üben.

O seelig, seelig weren
Wir menschen allerseit,
Die wir durch haß und streit
Erbärmlich uns verzehren,
Wenn doch auch uns die liebe,
Die alles hie und da,
Und selbst den himmel, ja
Am meisten Gott treibt, triebe!


Aus: Simon Dach [Werke].
Herausgegeben von Hermann Österley
Für den Litterarischen Verein in Stuttgart 1876 (S. 452-455)



 


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