Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Agnes Franz
(1794-1843)


Liebe

Unschuld'ge Liebe, die ihr heilig Feuer
An ew'ger Schönheit Himmelsstrahl entzündet,
Kennt keinen Tod, sie ist der Gottheit theuer.

Nein, wie der Seraph vor dem Flammenthrone,
Steht sie vor dem, der aus der eig'nen Fülle
Sie einst der Erde gab als schönste Krone.

In ihre stille Tiefen sich versenkend,
Ermißt sie staunend ihre Götterkräfte,
Der innern Wunder Allmacht überdenkend.

Sie fühlt's, was unerreichbar sonst im Leben,
Zu allen Himmeln, die das Herz entzücken,
Hat ew'ge Huld den Schlüssel ihr gegeben.

Dem Adler gleich, trägt sie mit starken Schwingen
Die Seel' empor in heil'ge Regionen,
Wohin die Wolken nicht'gen Grams nicht dringen.

Mild wie die Taube schaut mit Friedensblicken
Sie in die Welt, nicht and're Regung kennend
Als das Verlangen, Alles zu beglücken.

So wie das Morgenroth die Sonn' umkränzet -
So geht ein Strahl aus von der Liebe Leben,
Der alles, was ihr nahet, überglänzet.

Sie ist die süße Königin der Erde; -
Jedwedes naht sich huld'gend ihr zu dienen,
Damit sie ihrer Herrschaft inne werde.

Bei ihr nur will des Haines Säng'rin wohnen,
Der Sommer pflegt für sie die schönsten Rosen,
Für sie flicht Lenz die reichsten Blüthenkronen.

Die Gottheit selbst haucht, lieblich sie zu schmücken,
Die Wang' ihr an mit ew'ger Jugendschöne,
Und taucht ihr Aug' in seliges Entzücken.

So steht sie da, sich zaghaft in sich schmiegend,
Und doch, wenn sie den Himmelsblick erhebet,
Mit einem Blick die ganze Welt besiegend.

Sie ist von Gott, sie fühlt's und wird nicht wanken,
Will Zweifel auch auf sie die Pfeile zücken;
Sie weiß ihr Reich, kennt keine Erdenschranken.

Sie ist die selt'ne, schöne Wunderblume,
Die aus der Erde Boden aufgekeimet,
Das Haupt erhebt zu Gottes Heiligthume;

Die hier uns labt mit stillen Seligkeiten,
Und dann als Engel Oben unser harret,
Uns in ihr schönes Vaterland zu leiten.

Drum hochgesegnet wer aus ihrem Bronnen
Sich Leben trinkt! Er zög're nicht und trinke,
Er trinkt aus ihm den Vorschmack ew'ger Wonnen.

Und will die Zeit den lichten Traum berühren:
Getrost! Einst wird besiegend alle Zeiten
Die Lieb' als Herrscherin den Scepter führen!

Aus: Gedichte von Agnes Franz
Zweite Sammlung Essen 1837 (S. 107-109)



 


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