Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Johann Christoph Friedrich Haug
(1761-1829)


Liebe

Nichts rundum erforschen des Endlichen Blicke,
Was höher, als Liebe, beglück' und entzücke,
Was näher, als Liebe, dem Himmel uns rücke.
Denn Liebe vereiniget bald
Die Herzen mit Zaubergewalt,
Als trügen je zwei nur Eine Gestalt.
Drum ist die Sage nicht wahr:
"Recht lieben bringe Gefahr."
Recht lieben bringt keine Gefahr
Für ein getreues Paar.

Die Seele, dem Hauche des Schöpfers entronnen,
Ist mehr, als die Erden, die Monde, die Sonnen
Mit ihren vergänglichen Prachten und Wonnen.
Doch hat es die Liebe vermocht,
Und schmeichelnd sie unterjocht.
Das fühlt, wem ein Herz im Busen pocht.
Drum ist die Sage nur Scherz:
"Recht lieben bringe Schmerz."
Recht lieben bringt keinen Schmerz -
Erfreut ein treues Herz.

O liebet, und lasst den Bethörten sich weiden
An lockenden, sinneberauschenden Freuden.
Sie täuschen, enteilen, und schmerzen im Scheiden.
Doch Freuden der Liebe sind treu,
Beseligen immer neu,
Geleiten hinüber, die Grüfte vorbei!
Drum ist die Sage nur Spott:
"Recht lieben bringt Noth."
Recht lieben bringt keine Noth -
Erfreut bis in den Tod.

Aus: Epigrammen und vermischte Gedichte
von Johann Christoph Friedrich Haug Zweiter Band
Berlin Bei Johann Friedrich Unger 1805 (S. 173-174)



 


zur Übersicht
 

zurück zur Startseite