Philosophie der Liebe

Liebesgedichte an die Liebe, über die Liebe
und das menschliche Herz
von deutschen Dichtern und Dichterinnen

 


Franz Marc (1880-1916)
Rotes und gelbes Reh



Emil Rittershaus
(1834-1897)


Die Liebe

Die Lieb' ist ewig wie das Sonnenlicht,
Und nur die Blumen sterben, die sie weckt.
O, liebe, liebe, bis das Auge bricht,
Bis deinen Leib der grüne Rasen deckt!

Du stehst allein; da faßt mit einem Mal
Die Liebe dich in voller Jugendkraft,
Und in dem Herzen weckt der Sonnenstrahl
Die rothe Frühlingsrose Leidenschaft.

Die Rose welkt. Verfluch' nicht das Geschick,
Denn wisse: Welken ist der Blumen Loos,
Und neue Blumen weckt der Sonnenblick
Der Liebe auf in deines Busens Schooß.

Und hat der Lenz die Rosen auch allein,
Und werden schnell auch alle Rosen bleich;
Noch Blumen zeugt der Sommersonnenschein,
Zwar minder schön, doch minder dornenreich.

Ein jedes Kind, deß Aeuglein, hell und klar,
Begrüßend dich, dir froh entgegenlacht,
Ist eine Blume, die die Lieb' gebar,
Ist eine Blüthe, die die Lieb' gebracht.

Dem schlimmsten Feinde wünsch' ich nicht den Fluch,
Daß, wenn sein Aug' in letzter Thräne schwimmt,
Ein fremdes Ohr den letzten Athemzug,
Das letzte Wort von seinem Mund vernimmt! -

O, liebe, liebe, bis das Auge bricht,
Bis deinen Leib der grüne Rasen deckt!
Die Lieb' ist ewig wie das Sonnenlicht,
Und nur die Blumen sterben, die sie weckt.

Aus: Gedichte von Emil Rittershaus
Sechste Auflage Breslau 1880
(S. 28-29)



 


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