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      Franz Marc (1880-1916) 
      Rotes und gelbes Reh  | 
      
       
       
       
      Ernst Schulze  
      (1789-1817) 
       
       
      Die Liebe 
       
      Weißt du, was die Liebe ist? 
      Ach, ein Kind mit leisen Schwingen; 
      Schwärmend bald und bald voll Scherz, 
      Müht es sich in jedes Herz 
      Los' und luftig einzudringen, 
      Zagend jetzt und jetzt voll Muth, 
      Laulich jetzt und jetzt nur Gluth - 
      Kennst du es? das ist die Liebe. 
       
      Sag mir, wo die Liebe wohnt? 
      In des Lenzes Duftgefilden 
      Baut sie sich ein grünes Haus, 
      Schmückt es bunt mit Blüthen aus 
      Und mit zarten Traumgebilden. 
      Ach, du brauchst es nur zu sehn, 
      Und schon haucht der Weste Wehn 
      Dir ins Ohr: Hier wohnt die Liebe. 
       
      Kennst du ihren Zeitvertreib? 
      Tändelnd kos't sie mit dem Weste, 
      Wiegt sich auf der Blüthen Duft, 
      Baut sich träumend in der Luft 
      Zauberische Goldpaläste, 
      Mischt zu Schmetterlingen sich; 
       Doch nicht lange täuscht sie dich, 
      Denn ihr Spiel verräth die Liebe. 
       
      Doch wie lebt das zarte Kind? 
      Wie ein Bienchen, schwelgt sie immer 
      In der Blüthen weichem Schoos, 
      Füttert sich mit Düften groß 
      Und mit warmem Sonnenschimmer; 
      Thränen, die Aurora thaut 
      Und der Weste Klagelaut 
      Sind die stete Kost der Liebe. 
       
      Weiß sie auch was Thränen sind? 
      Wenn des Lenzes Rosenwangen 
      Bleichend nach und nach verglühn, 
      Wenn die Kränze nicht mehr blühn, 
      Die um seine Stirne prangen, 
      Wenn er scheidet von der Flur, 
      Ach, dann weinet die Natur, 
      Und es weint mit ihr die Liebe. 
       
      Aber kennt sie auch den Tod? 
      Wenn im Hain die Stürme brausen, 
      Wenn, vom rauhen Hauch berührt, 
      Jeder zarte Halm erfriert, 
      Und des Winters Mächte hausen, 
      Dann muß alles Schöne fliehn, 
       Und, um schöner aufzublühn, 
      Senkt in's Grab sich auch die Liebe. 
       
      Aus: Vermischte 
      Gedichte von Ernst Schulze 
      Zweite Auflage 
      Leipzig F. A. Brockhaus 1841 (S. 158-159) 
       
       
      
       
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