Mathilde Wesendonck (1828-1902) - Liebesgedichte




Mathilde Wesendonck
(1828-1902)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 






Erster Liederkreis

1.
Giebt es der Gedanken einen,
Den kein Denker je erdacht,
Eine Weisheit, die kein Weiser
Hat in ein System gebracht?

Eine Liebe, die besungen
Keines Dichters Poesie,
Einen Lenz, dem nicht erklungen
Nachtigallenharmonie?

Ur-ur-alt ist unser Wissen,
Unser Lieben ur-ur-alt,
Und wir singen uns're Lieder,
Wie der Vogel singt im Wald!

Doch die Menschheit gleicht dem Kinde,
Dessen Herz noch ohne Reu',
Die Geschichte seiner Liebe
Rührt es immer, immer neu!
(S. 3)
_____



2.
Etymologisches

Gut sein ist wahr sein,
Sein ohne Schein,
Scheinloses Sein.
Gut sein ist wahr sein,
Leuchtend und klar sein,
Gut sein - ist Gott sein.
(S. 4)
_____



3.
Zeitwörtliches

"Ich liebe Dich,
Du liebest mich,"
Das ist die allerbeste Zeit,
Die's gab und giebt in Ewigkeit.

Fügst Du hinzu ein kleines t,
So birgt es eine Welt voll Weh,
Denn sprächest Du: "Ich liebte Dich,"
Tief in den Tod betrübt es mich!

Und ach! "Ich werde lieben Dich,"
Heißt noch nicht lieben sicherlich.
Drum: Liebe hat nur eine Zeit,
Doch ihre Zeit ist Ewigkeit. -
(S. 4)
_____



4.
Vierblätterklee sucht' ich und fand es nicht,
So sehr ich mich mühte auf Glück erpicht,
Oft schien mir's zu glücken, doch wollt' ich es pflücken,
Da mußt' ich gewahren, wie lieblich gepaart,
Zwei Dreiblätterklee sich hielten umschlungen
Und also mich täuschten mit Vierblätterart:
Verdrießlich und müde schlich endlich ich heim,
Die Wahrheit doch lernt' ich und künde sie frei:
"Glück blüht nicht für Einen, Glück blüht nur für Zwei."
(S. 5)
_____



 5.
Die Sterne hatten geweint in der Nacht,
Drob sind die Blumen am Morgen erwacht
Mit Perlensaum,
Als hätt' ihnen geträumt ein schwerer Traum.
Das sah die Sonne am Himmelsraum,
Da hat sie lächelnd die Kleinen gegrüßt,
Und ihnen vom Auge die Thränen geküßt!
(S. 5)
______



6.
Faßt denn ein Kelch den gold'nen Schein
Der ganzen, großen Sonne?
Und du, mein Herz, du bist so klein
Und willst allein
Die ganze Erdenwonne?
Der Liebe Unermeßlichkeit
Begrenzt im Raum,
Und aller Himmel Seligkeit
Im Erdentraum?
(S. 6)
_____



7.
Als sängen tausend Vögelein
In meiner Brust,
So klang es aus der Seele mein
In Liebeslust.
Nun sind sie fortgeflogen
Die lieben Vögelein,
Sind alle weggezogen
Und ließen mich allein.
(S. 6)
_____



8.
Eine Seele groß und rein
Schließt die kleine Blume ein,
Die mit ihrem ganzen Sein
Lebt und webt im Sonnenschein,
Die mit eifrigem Bemühen
Einzig sorgt: recht schön zu blühen,
Die, obgleich der gold'ne Strahl
Tausend Schwesterkelche küßt,
Nimmer fühlt des Neides Qual,
Freudig ihm entgegensprießt,
Stets zu ihm ihr Antlitz wendet,
Ihm allein ihr Duften spendet,
Und - wenn er sie ganz vergißt -
Still ihr freundlich Auge schließt,
Sanft das Köpfchen niederneigt,
Leise seufzt - verhaucht - und schweigt! -

Herz, wo wäre deine Pein,
Wärst du wie die Blume rein?
(S. 7)
_____



9.
An einem Sommerabend war's,
Wo Tag und Nacht sich gleichen,
Im Dämmertraum die Erde liegt
Und alle Blumen bleichen, -
Da hat der Mond der Sonne geschaut
In's liebeglühende Antlitz,
Da haben sie sich anvertraut
Ihr wundersüß' Geheimniß!
Sie sahen sich und liebten sich,
Und keines mochte scheiden,
Sie sahen sich und liebten sich,
Und sollten doch sich meiden!
Die Quelle, die vorüberrauscht,
Sie hat ihr Zwiegespräch belauscht,
In ihren feuchten Wellenschooß
Manch' gold'ne Zähre niederfloß.
(S. 8)
_____



10.
War jemals wohl ein Tag so schön?
Die Sonne will nicht untergeh'n,
Dem Mond, ihm pocht's im Herzen schwer:
"Ach, wenn's doch endlich Abend wär'!"
Die Sternlein seufzen und weinen,
"Ach, dürften wir doch scheinen!"
Die Nachtigall, sie klaget bang':
"Wo bleibt die süße Nacht so lang'?"
(S. 8)
_____



11.
Schöner war kein Lenz geboren,
Lieblicher kein Maientag,
Als da mich Dein Herz erkoren,
Als: "Ich liebe Dich," es sprach!

Welch' ein Blühen, welch' ein Schwellen,
War's als wollt' es nimmer enden,
Farben-, Duft- und Lichtesspenden,
Ueberschwengliches Verschwenden!

Sommer kam mit gold'ner Sichel,
Mähte Garben sonder Zahl,
Mäht' auch viel der bunten Blumen
In dem stillen, grünen Thal.

Kam der Herbst, bekränzt mit Reben,
In den Augen herbe Gluth,
Heller schlugen da die Flammen
In das edle Traubenblut.

Winter kam. Als ob ihn kränke
Allzu kurzen Traumes Wift,
Warf er seinen weißen Schleier
Auf des Lebens grüne Trift.

Viel der Monde sind verflossen,
Seit Dein Mund die Worte sprach:
Doch in mir ist's lenzentsprossen,
Herrlich wie am ersten Tag!
(S. 9)

Wift- Faden
________



12.
Die lieben blauen Augen,
Sie schauten so treu mich an,
Und haben mir im Herzen
Recht innig wohlgethan.

Nun ist es drin so festlich,
Als wie im Dom des Herrn,
Drin Orgelklänge klingen
Und Lippen beten gern.

Ein Silberblick wird haften
Dort ewiglich fortan:
Das sind die lieben Augen,
Die schauen stets mich an.
(S. 10)
_____



13.
Mir träumte, es wären wir Beide
Auf dieser Welt allein,
Und ich, ich wär' die Deine,
Und Du, Du wärest mein.

Dein Auge glich dem Himmel,
Nur minder kalt und fern,
An seine Wimper drängte
Sich leuchtend Stern um Stern.

Und von den Sternen einer
Fiel glühend mir auf's Herz,
Und ahnungsvoll durchzuckte
Mich nahen Scheidens Schmerz.

Und als ich d'rauf erwachte,
Da waren wir nicht allein,
Und ich war nicht die Deine
Und Du - Du warst nicht mein!
(S. 11)
_____



14.
Ich weiß nicht, warum ich die kleinen,
Die Blättchen nicht lesen kann,
Die Deine Hand beschrieben
Du vielgeliebter Mann.

Ich weiß nur, daß ich muß weinen,
So oft ich die Blättchen seh',
Das kommt wohl, weil in den kleinen
Hinströmt ein großes Weh.
(S. 12)
_____



15.
Der Mond blickt kalt und schweigend
Herab auf den weißen Schnee,
Mir aber thut sein Schweigen
Und sein kalter Blick so weh!

Mir treibt's in die Wangen das rothe Blut,
Und rascher strömt es zum Herzen,
Bis ich in heißer Thränenfluth
Gelöscht die brennenden Schmerzen! -
(S. 12)
_____



16.
Als ich ein junges, leichtes Blut,
Da war mein Sorgen klein,
Kein Weh so groß, ich hoffte traun:
"'S ist morgen wieder gut!"

Doch seit ich weiß, wie's Leben thut,
Da ist mein Hoffen klein,
Und nur das Weh wuchs riesengroß:
"Und das wird nimmer gut."
(S. 13)
_____



17.
Wer allzu tief in die Sonne schaut,
Der, sagt man, muß erblinden,
Und wer dem alten Spruch nicht traut,
Ihm will ich's neu verkünden.

Ich habe Dir in's Herz geschaut
Und sah Deine große Liebe:
Nun jauchzt es im Busen mir überlaut,
Die Augen doch wurden mir trübe!
(S. 13)
_____



18.
Einst wähnt' ich elend mich allein
In meinem thörichten Herzen,
Da schien mir unerhört die Pein
Und unerträglich die Schmerzen.

Da schaut' ich Dir in's Herz hinein
Und sah die klaffenden Wunden:
Seitdem ertrug ich jegliche Pein,
Hab's nicht zu hart befunden.

Da schaut' ich der Menschheit in's Herz hinein
Und sah die klaffenden Wunden -
Nun schäm' ich mich, daß ich so klein,
So niedrig einst empfunden.
(S. 14)
_____



19.
Oft denk' ich, wenn dies Herz so schwer:
"Ach, wenn's doch All vorüber wär',
Ich schlösse still die Augen zu
Und schlummerte in sel'ger Ruh'!"
Erblick' ich dann der Sonne Pracht
Und Mond und Sterne in der Nacht,
Und Dir im lieben Angesicht
Den Wiederschein vom Himmelslicht, -
Und sollt' das Alles nicht mehr seh'n? -
Dann denk' ich: "leben sei doch schön!"
(S. 15)
_____



20.
Die Nachtigallen hörst Du wonnig schlagen,
Wenn ihren Blüthenschmuck die Bäume tragen,
Doch in des Herbstes zweifelsvollen Tagen
Will sich kein Vöglein mehr an's Singen wagen.

Die Alpenhäupter hoch zum Himmel ragen
In ewig kaltem, schweigendem Entsagen,
Doch tief erröthen siehst Du sie vor Zagen,
Naht sich die Göttin auf dem Sonnenwagen.

O frage nicht, Du sollst mich nimmer fragen,
Ich lernte viel, doch Eines nicht ertragen,
Und dieses Eine kann ich Dir nicht sagen:
"Warum mein Singen trauervolles Klagen!"
(S. 16)
_____



21.
Im Herzen trüb' und traurig
Da grollt ein tiefes Weh,
So abgrundsvoll und schaurig,
Als wie die tiefe See.

Und Seufzer streichen als Winde
Hinüber, herüber die Fluth,
Erinn'rung strahlet linde
Darein wie Abendgluth.

Als Schifflein segelt die Hoffnung
Von Sehnsucht getrieben vom Strand -
Es schwankt in wilder Brandung,
Stößt nimmermehr an's Land!
(S. 17)
_____



22.
Wenn der Schmerz mit schwarzen Trauerschwingen
Schaurig sich auf Deine Seele senkt,
Sucht vom Wandelbaren sich empor zu ringen
Dein Gemüth zum Dauernden gelenkt!

Wenn vom Aug' der Täuschung Schleier fallen
Und Dein Eden Dir zerfließt zu Schaum,
Aus dem Grab' die bleichen Schatten wallen
Und die Gegenwart erblaßt zum Traum.

Nur im Nichtsein suchst Du noch das Sein,
Alles Dasein Dir versinkt zum Schein:
"Wirklich nur ist das blutende Herz
Mit seinem ewig bejahenden Schmerz."
(S. 19)
_____



23.
Du fragst, warum ich so ernst und still,
Warum ich so traurig worden bin?
Mein Freund, das ist eine alte Geschicht',
Doch sie zu deuten vermag ich nicht!

Eine harte Amme das Leben ist,
In Noth zieht sie den Menschen groß,
Ob König er - ob Bettler ist - - -
Nimmer entflieht er dem irdischen Loos!

Und wer ihrem Eiapopeia gelauscht,
Dem Liede der eisernen Noth, -
Im Ohr ihm der alte Singsang rauscht,
Ihm bleicht es der Wange Roth!

Und wer ihr fest in's Antlitz geschaut,
Dem wird es im Herzen trüber,
Das Haupt ihm vor der Zeit ergraut,
Die Augen gehen ihm über! -
(S. 19)
_____



24.
Was blickst Du nach dem Schifflein aus
Auf seiner feuchten Bahn?
Woher es kommt, wohin es geht,
Was geht es Dich denn an?

Den letzten Freund, der Dich gegrüßt,
Ihn trug es längst dahin,
Das Schicksal fordert Keinen mehr,
Sie Alle sahst Du zieh'n.

Nun steigen Fremde aus und ein
Und Jeder sucht sein Ziel,
Denn aus und ein und Ebb' und Fluth,
Das ist des Lebens Spiel!

Was hat das Schifflein Dir gethan,
Daß haftet d'ran Dein Blick? -
Es geht nun wie Dein Herz der Kahn
So arm und leer zurück.
(S. 20)
_____



25.
Ich saß am blühenden Rosenhag
Und dachte vergangener Zeiten,
Und sah zu Füßen den blauen See
Und die schlanken Kähne gleiten.
Und sah in der Ferne den Firnenkranz
In Abendgluthen prangen,
Und sah am purpur'nen Rosenkelch
Der Sonne Strahlen hangen.
Und sah zu Häupten im Dämmerschein
Die bleichen Sterne winken,
Und sah in der Tiefe den Silberstreif
Des Mond's gespenstig blinken.
Und sah das Alles und sah doch Nichts,
Versunken in tiefe Gedanken,
Sah nur in der Erinn'rung Traum
Mein Glück vorüber wanken.
Ich streckte weit die Arme aus
Und bat, es möge verweilen,
Es sah mich an und kannte mich kaum
Und schien gar sehr zu eilen!
Und als ich erwachte, da saß ich allein
Mit einer Brust voll Bangen:
Das schöne Glück, das einstens mein
Und die Sonne, war untergegangen!
(S. 21)
_____



26.
Ich träumte, Du seist mir gut und treu,
Du lagst zu meinen Füßen,
Und sprachst von Liebesqual und Reu'
Mit Deiner Stimme, der süßen.
Ich legte die Hände Dir auf's Haupt,
Bedeckt' es mit Thränen und Küssen:
Ich habe ja so gern geglaubt
Der lieben Stimme, der süßen! -
(S. 22)
_____



27.
Hinab, ihr jauchzenden Gedanken,
Hinab zur Brust der Todeskranken,
Die euch das kurze Dasein gab:
Sie war euch Wiege, sei euch Grab.
Der Freunde viel wirbt Lust und Scherz,
Doch ewig allein mit seinem Schmerz
Verblutet ein ringendes Menschenherz.
(S. 22)
_____



28.
Wie das Licht sich bricht
In bunte Farben,
So entkeimen meinem Herzen
Aus Wonnen und aus Schmerzen
Der Lieder Garben,
Wenn es bricht.
(S. 22)
_____



Zweiter Liederkreis

1.
Du weißt wohl Nichts von jenem Sehnen
Nach einem trauten Freundeswort,
Weißt nicht, wie sich die Stunden dehnen
Zu Ewigkeiten fort und fort?

Du weißt wohl Nichts von jenem Bangen,
Von jener schmerzbewegten Lust,
Nichts von dem stürmischen Verlangen,
Zu ruh'n an einer treuen Brust?

O, dürft' ich einmal sie umfassen,
Wie hielt ich sie auf immer fest,
Ich wollte nimmer von ihr lassen
Und baute fröhlich d'rin mein Nest.
(S. 25)
_____



2.
Gieb mir ein Herz von Eisen
In einer Brust von Stahl,
Daß ich mag sicher reisen
Durch dieses Erdenthal.

Denn sie, die ich zumeist geliebt,
Zum Tode haben mich betrübt;
Ich blut' aus tausend Wunden,
Mag nimmermehr gesunden!

Gieb mir ein Herz von Eisen
In einer Brust von Stahl,
Daß ich mag sicher reisen
Durch dieses Erdenthal.
(S. 26)
_____



3.
O, wie wonnig ist's zu stürmen
Durch des Lenzes Fluren hin,
Wenn der Freude Sonnenrosse
Uns die lichten Bahnen zieh'n,
Wenn die langen, gold'nen Mähnen
Luftaushauchend Flammen sprüh'n,
Wenn die blitzesschnellen Hufe
Mit uns zu den Sternen flieh'n,
Und von Sonn' zu Sonn' getragen
Göttlich wir vor Göttern knieen!
Ach, wer griffe nicht vermessen
Nach den gold'nen Zügeln kühn,
Stürzt er auch von Phoebos' Wagen
Ikaros, zum Abgrund hin!
(S. 27)
_____



4.
Wenn zu gold'ner Harfe Saiten
Cherub säng' und Seraphim,
Sängen nimmer doch zu Ende
Sie des Lenzes Harmonie'n.

Wenn von Iris' Sonnenbogen
Borgt' ein Maler Farbenglüh'n,
Nimmer malten seine Hände
All des Lenzes Wonneblüh'n!

Wenn viel tausend Vogelkehlen
Sängen laut des Lenzes Lust,
Sängen nimmer doch zu Ende
Sie das Lied in meiner Brust!
(S. 28)
_____



5.
Ich weiß einen Gedanken,
Den denk' ich Tag und Nacht,
Und müßt' ich ewig denken,
Hätt' nie ihn ausgedacht.

Und was mein Herz will kränken
Und was mich traurig macht,
Ein trautes Dein-Gedenken
Ist wie ein Stern in Nacht.

Er leuchtet ohne Wanken,
Ob's in mir weint, ob's lacht,
Hoch über allen Schranken
Ist, was mich selig macht.

Und tief in mir geborgen
Ruht's, in des Busens Schacht,
Was, denkend Nacht und Morgen -
Ich nie doch ausgedacht.
(S. 29)
_____



6.
Es sei Dein Herz mein Todtenschrein,
D'rin will ich betten all' mein Sein,
Und schlummern still und ruhen aus,
Als wär's in meines Vaters Haus.

Und wird es d'rin zu eng uns sein,
Sollst Du mir Deine Flügel leih'n,
Und tragen mich, wie Du's gethan,
Zu jenen Sonnenhöh'n hinan,
Wo jeder Laut ist Harmonie
Und all' Gedenken Poesie,
Wo Bangen nicht die Brust mehr kennt,
Und jauchzend nur den Schöpfer nennt!
Dort will ich's schüchtern Dir gesteh'n:
Das Land, - ich hab' es schon geseh'n,
Das schöne Land - ich hab's erkannt,
Als ich in Dir die Heimath fand!

D'rum sei Dein Herz mein Todtenschrein,
D'rin will ich betten all' mein Sein,
Und schlummern still und ruhen aus,
Als wär's in meines Vaters Haus.
(S. 30)
_____



7.
Ich ließ es lächelnd geschehen,
Daß Du mir kränztest das Haupt,
Mit dem Kranz, den Deine Liebe
Mit Sternenglanz bethaut.

Du hast ihn heruntergenommen,
Vom Haupt mir den strahlenden Kranz,
Und die Tropfen, die nun ihn bethauen,
Sind feuchter Thränen Glanz.
(S. 31)
_____



8.
Ich hab' Dich aufgenommen
Wie eines Königs Sohn,
Und hieß Dich niedersitzen
Auf meines Herzens Thron.

Ich hab' mit meinen Küssen
Getrocknet die Thränen Dein,
Und legt' in deine Wunden
Meine große Liebe hinein.

Ich hab' Dein Haupt gesalbet
Mit köstlichen Spezerei'n,
Ich hab' Deine Füße getrocknet
Mit den langen Haaren mein.

Du aber sprachst der Liebe
Und der ew'gen Treue Hohn,
Und irrst in des Lebens Wildniß
Nun um, ein verlor'ner Sohn.
(S. 32)
_____



9.
In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
So klingt's aus Volkesmunde:
Wer's wohl gesungen hat?

Es sang's mit wundem Herzen
Ein abgehärmter Mann,
Und in das Lied der Schmerzen
Manch' Thränlein niederrann.

Von Treue hat's gesprochen,
Ein Ringlein war dabei,
Und wie die Treu' gebrochen -
Und's Ringlein sprang entzwei.

Was summt mir nur im Kopfe
Die alte Melodei?
Ich trug einen Ring am Finger,
Der Ring, der sprang entzwei.
(S. 33)
_____



10.
In des Bergsee's klare Tiefe
Senkt' ich ein, ein Schlüsselein,
Schlüßlein war von liebem Herzen,
Das mich dünkt' ein heil'ger Schrein.

Muß nun, ach, zurück es holen
Aus des Bergsee's tiefem Grund,
Heimlich rinnen meine Zähren
Nieder auf den gold'nen Fund.

Will's nun schleudern in die Lüfte,
Mit dem Sturmwind fahr' es hin,
Mit dem Sturmwind, mit dem Blitze,
Aus den Augen, aus dem Sinn!
(S. 34)
_____



14.
Wie ist die Welt so wonniglich
Voll Pracht und Sonnenschein,
Und muß darin das Menschenherz
Allein so elend sein?

Die Kraft, die Sonnen kreisen läßt
Zu dauerndem Bestehn,
Sie sollte ohn' Erbarmen seh'n
Ein Herz zu Grunde geh'n?

Ist es denn nicht ein Theil von dir,
Allewige Natur?
Was trennt es, ach, so grausamlich
Von deiner Sonnenflur?

Und giebt es für ein Menschenherz
Auf Erden denn kein Glück,
So kehrt's mit allem seinem Schmerz
Zu dir, zu dir zurück! -
(S. 38)
_____



15.
Einen Menschen heiß zu lieben
Mit der ganzen Menschenbrust,
Sich bewußt der Gegenliebe -
Das ist höchste Erdenlust!

Was auch Sterbliche hoch preisen,
Was das Leben Großes beut,
Alles, Alles überstrahlet
Solcher Liebe Seligkeit!

Tugend, Schönheit, Ruhm und Größe,
Wohl den Menschen ehrt und schmückt,
Doch von ganzer Seele lieben -
Das allein - allein - beglückt! -
(S. 39)
_____



16.
Dichtung, meine Aeolsharfe,
Du geliebtes Saitenspiel,
Hilf befreien mich vom Harme,
Der zu tragen mir zu viel!
Laß in deinem sanften Klingen
Still verbluten sich mein Herz,
Wie man sagt, daß Schwäne singen,
Wenn sie fühlen Todesschmerz!
Leih' mir deine gold'nen Schwingen,
Ewig Hohem dich zu weih'n,
Sollst besingen schwer vollbringen,
Zu vergessen - zu verzeih'n!
Mocht' das Schwerste dir gelingen,
Zieh' getrost die Erdenbahn,
Muß die Leier auch zerspringen:
Menschen haben dir nichts an!
(S. 40)
_____



Mignon

I.
Im Traume hast Du mich geküßt
So herz-herzinniglich,
Als ich erwachte, fühlt' ich noch
Den Kuß, so minniglich!

Doch hat im Leben kaum berührt
Die Lippen mir Dein Mund,
Kein Blick, kein Laut verrieth Dir je,
Wie sehr das Herz mir wund!

Im Traume hast Du mich genannt
Dein vielgeliebtes Lieb,
Als ich erwachte, hört' ich noch
Das Wort, so traut und lieb!

O zürn' ihm nicht, dem Minnetraum,
Der mich beseelt mit Muth,
Das Leben blickt mich feindlich an
Der Traum doch ist mir gut.

Was ist denn Leben, was ist Traum,
Was Wahrheit oder Trug? -
O laß mich träumen fort und fort,
Ich hab' gelebt genug! -
(S. 44)
_____



II.
Ach, es ist ein traurig Küssen,
Solch' ein Küssen nur im Traum,
Denn ein schmerzliches Vermissen
Seufzt im tiefsten Herzensraum!

Ach, es ist ein traurig Lieben,
Solch' ein Lieben nur im Traum,
Glück und Seligkeit zerstieben
Mit dem Morgenroth zu Schaum!

Ach, ein einziges Umfangen,
Arm in Arm und Brust an Brust,
Löschte all' dies Gluthverlangen
Aus in einer Welt voll Lust!
(S. 44)
_____



III.
Tiefe Sehnsucht zehrt an meiner Jugend,
Wie am Blüthenkelche nagt der Wurm,
All' mein Streben, Hoffen und Vollbringen
Ward geknickt, noch vor des Lebens Sturm.

Und so blieb ein schmerzliches Entsagen,
Mignon's Erbtheil auf der schönen Welt,
D'rin ein übermächtig Doppelsehnen
Sie an's Irdische gefesselt hält.

Wüßtest Du, wie grausam ich gelitten,
Sprächest selber Muth und Trost mir zu,
Und mein Herz, es fänd' in Deinen Armen
Endlich seine heißersehnte Ruh'!

Doch, wenn flehend ich die Arme öffne
Nach dem einzig mir erwünschten Glück,
Weicht das Ziel in unnahbare Ferne
Ewig unerreichbar mir zurück! -
(S. 45)
_____



IV.
Habe oft Dich bitten wollen
Um den höchsten Augenblick,
Doch ein unerklärlich Bangen
Schaudernd hielt das Wort zurück.

Einmal folgen meiner Neigung
Wollt' ich, einmal selig sein,
Einmal an der ganzen Fülle
Höchsten Erdenglücks mich freu'n!

Und so faßt' ich mir ein Herze,
Schlich zur Nacht an Deine Thür,
Wußte, das sie unverschlossen,
Wollt' mich bergen drin vor Dir!

Als zur Treppe ich gekommen,
Ein Geräusch gebot mir Halt,
Denn ich sah, den Gang hinschreitend,
Eine weibliche Gestalt.

Leise drückt sie an der Klinke
Deiner Thür und huscht hinein,
Bald d'rauf schallen Deine Tritte
Und der Riegel schiebt sich ein.

Unerhörte Qualen wühlten
Da mein ganz Empfinden auf,
Und des Herzens Puls, getroffen
An der Quelle, stockt' im Lauf.

Bleiern lag's auf mir wie Sterben,
Keine Rettung wußt' ich mehr,
Und ich wälzte mich am Boden
Schmerzlich zuckend hin und her.

Da erklang das Lied des Harfners
Aus der Kammer unter'm Dach,
Und ich stürzt' zu seinen Füßen,
Blieb die Nacht in Jammer wach! -
(S. 46-47)
_____



V.
Ich trug es gern, Dich nur zu sehen,
In Deiner Nähe schmerzentrückt,
Und durft' ich auch von fern nur stehen,
Du warst ja da - ich war beglückt!

Dich lieben Alle - Du liebst Viele,
Dein Wesen gleicht dem Sonnenschein,
Deß Lächeln Glück und Segen spendet,
Mein armes Herz liebt Dich allein!

Als tiefstes Leiden mich zerquälte,
Unheilbar Weh mein Sein zerrieb,
Die Aerztin wußte, was mir fehlte,
Und die Arznei sie selbst verschrieb.

Du kamst! - Und sieh' - ich schien genesen,
Ein Wunder war an mir gescheh'n,
Du sahst voll Staunen auf das Wesen,
Das nie zuvor Du schön geseh'n!

Doch, als zur Freundin Du gesprochen
Das rasche Wort von ew'ger Treu', -
Da hast Du mir das Herz gebrochen:
Ein Krampf - ein Schrei - es war vorbei! -
(S. 48)
_____


Aus: Gedichte, Volksweisen, Legenden und Sagen von
Mathilde Wesendonck
Leipzig Verlag der Dürr'schen Buchhandlung 1874

 

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Mathilde_Wesendonck




 

 


zurück zum Dichterinnen-Verzeichnis

zurück zur Startseite