Wörtchen und Wörtlein

in der deutschen Liebeslyrik


Ausgewählte Gedichte deutscher Dichter und Dichterinnen


 




Georg Friedrich Daumer
(1800-1875)


Komm, kleines Lieb,
Komm, mein Entzücken!
Vor lauter Lieb'
Laß dich erdrücken,
Umschnüren, umstricken
Und Brüstchen an Brust
Mit Küssen ersticken
In stürmischer Lust!
Und bist du erdrückt,
Und bist du erstickt -
Was dann? -
Hör' an!
Ich lege mein puppiges Mägdelein
Hinein in ein goldiges Schächtelein,
Bewahr' es, und berg' es vor Räuber und Dieb,
Beguck' es im Stillen und hab' es lieb.
So ist es mein,
Ist mein allein,
Mein
Püppchen, mein liebliches Mägdelein.
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Max Kalbeck
(1850-1921)


O, Mann?

Die lieben Augen sind's! die blonden Härchen!
Die vollen Wangen mit den runden Grübchen! -
Du bist mir nah und doch so fern, o Liebchen,
Wir wandeln einsam, ein getrenntes Pärchen

- Dem Himmel sei's geklagt! - schon manches Jährchen! -
Gott Amor lacht uns aus, das lose Bübchen! -
Wann kommt der Tag, wo ich im eig'nen Stübchen
Dich froh als Braut umfange, liebes Clärchen?

Wann seh ich dich im leichten Morgenhäubchen
Geschäftig in der Küche, holdes
Püppchen,
Zu kochen mir ein kräftig gutes Süppchen?

Wann küss' ich dir dein wirthschaftliches Händchen
Und sage: Sieh, hier fehlt mir noch ein Bändchen,
Ein Knöpfchen hier! - Näh' mir es an, mein Täubchen!?
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Anton Noder (Ps. A. de Nora)
(1864-1936)


Um Scherben

Ich habe vor wenig Tagen
Ein kleines Mädchen geseh'n,
Das hat eine Puppe getragen,
Gar sonderlich anzuseh'n.

Das
Püppchen war umschimmert
Von Sammet und Seide licht,
In Scherben aber zertrümmert
War ganz sein liebes Gesicht.

Und dennoch mit seltsamer Güte
Hegte sein Spielzeug das Kind,
Als ob es erst recht nun hüte
Die Trümmer, von Liebe blind. -

So hat auch mein Herz getragen
Der Liebe kindischen Traum,
Und nun er in Scherben zerschlagen
Versteh' ich und fühl' es kaum.

Und schmücke mit Liedern noch immer
Ihr letzt' armseliges Stück,
Und hüte noch immer die Trümmer
Von einem zerbroch'nen Glück.
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Joachim Ringelnatz
(1883-1934)


Über meinen gestrigen Traum

Wie kam ich gerade auf ein Gestirn?
Du sagst: Ich stöhnte träumend ganz laut.
Vielleicht steigt die Phantasie ins Hirn,
Wenn der Magen verdaut.

Man sollte kurz vorm Schlafengehen
Nichts essen. Auch war ich gestern bezecht.
Doch warum träume ich immer nur schlecht,
Nie gut. Das kann ich nicht verstehen.

Ob auf der Seite, ob auf dem Rücken
Oder auch auf dem Bauch – –
Immer nur Schlimmes. »Alpdrücken.«
Aber Name ist Schall und Rauch.

Meist von der Schule und vom Militär – –
Als ob ich schuldbeladen wär – –
Und wenn ich aufwache, schwitze ich,
Und manchmal kniee ich oder sitze ich,
Du weißt ja, wie neulich!
O, es ist greulich.

Warum man das überhaupt weitererzählt?
Hat doch niemand Vergnügen daran,
 Weil man da frei heraus lügen kann. –
Aber so ein Traum quält.

Gestern hab ich noch anders geträumt:
Da waren etwa hundert Personen.
Die haben die Dachwohnung ausgeräumt,
Wo die Buchbinders wohnen.

Dann haben wir auf dem Dachsims getanzt.
Dann hast du mich, sagst du, aufgeweckt,
Und ich, sagst du, sagte noch träumend erschreckt:
»Ich habe ein Sternschnüppchen gepflanzt.«

Ich weiß nur noch: Ich war vom Dach
Plötzlich fort und bei dir und war wach.
Und du streicheltest mich wie ein
Püppchen
Und fragtest mich – ach, so rührend war das –
Fragtest mich immer wieder: »Was
Hast du gepflanzt!? Ein Sternschnüppchen?«
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