Hugo Ball (1886-1927) - Liebesgedichte

Hugo Ball

 

Hugo Ball
(1886-1927)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Bagatelle

Vor meinem Fenster
Im Sonnenschein
Sitzen Engelein.
Eins, zwei, drei Engelein
Und äugeln herein.
Sie hauchen an die Scheiben
Und kichern sich an,
Und schreiben
Deinen Namen hin.
Und kichern sich an
Und verwischen ihn.
Und blinzeln gar boshaft,
Und neckisch herein,
Und flattern fort
Die drei Engelein.
(S. 13)
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Ewige Liebe

O wüsste ich nicht, dass die Sterne verbluten,
O wär es nicht wahr, dass die Sonne lischt,
O dürft ich Dich lieben mit flammenden Gluten,
Ach, und sie stürben, sie stürben nicht!

O könntest Du bleiben, o könntest Du weilen,
O liessest Du niemals mich, nie allein,
O dürfte ich ewigen Traum mit Dir teilen,
O dürftest Du ewig mein eigen sein!
(S. 18)
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Tausend Saiten hat meine Laute

Tausend Saiten hat meine Laute
Tausend Töne hatte mein Herz
Seit Deine Liebe mir Träume spann
Seit mir Dein Ich in die Seele schaute
Harfen sie himmel und himmelwärts.
Bist Du mein Licht,
Das die Hände faltet?
Bist Du der Tag,
Der mir Blüten küsst?
Bist Du die Sonne
Die über mir waltet?
Sage mir, ob Du
Ein Engel bist?
(S. 19)
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Du bist mein Engel -

Du bist mein Engel,
Du bist mein Blut.
Mein Leben bist Du,
Du bist mein Flammen,
Bist meiner Seele Glut.

Du bist mein Glück, mein Elend,
Mein Jubel Du, mein Leid.
Du kniest an meinem Lager,
Du weckest meine Schläfe,
Gehst stumm an meiner Seit.

Du bist mein Stern, mein Heimweh,
Du bist dereinst mein Traum,
Wenn mich das Grab umnachtet,
Wenn meinen Sarg umklammert
Die Liebe Dein und ein Totenbaum. -
(S. 20)
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Frühlingstänzerin

In deinen Blicken wiegt sich der Frühling,
Rosengeflecht und ein Apfelzweig
Schaukeln ihn duftend einher.

Auf deiner Lippen Granat- und Marmorsitz
Streiten zehntausend Lerchen in süßem Tumult
Wähnend sie säßen im Morgenrot.

Wo deine lieblich errötenden Füße schreiten,
Schlägt aus dem Boden ein holder Schwall von Musik
Und erstürmt sich den Himmel.

Wippend dem zierlichen Schmetterling gleich
Schreitest du tanzerhobenen Arms
Wie über schwankendes Seil.

Wenn deine tastenden Brüste den Atem der Gärten verspüren,
Heben und senken sie sich, zugespitzt,
In verworrnen Gedanken.

Zierlich ist deine Seele, dem Rotkehlchen gleich,
Und so ängstlich, daß sie bei plötzlichem Wort
Flatternd im Käfig sich stößt.
(S. 22)
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Die weiße Qualle

Dein Leib, vielgliedrig, ist ein tierhaft Gewächse aus Fleisch.
Fischer haben entsetzt dich heraufgezogen in ihren Netzen:
Eine menschliche Qualle, ein Fabeltier, eine weisse Spinne.

Händler haben dich auf den Markt geworfen und ausgeschrieen.
Eine Palast aus Bambus hat man dir aufgebaut.
Ein Gehäuse hat man dir hergerichtet voll Seltsamkeit.

Du liebst es, nackt ausgestreckt auf dem Rücken zu liegen
Stunden- und tagelang. Du heftest nur widerwillig dich an das Herz
Der Männer. Langsam ist dein Umschlingen. Langsam dein Austasten.

Aber dann saugst du dir unerbittlich die Nahrung:
Hirn und das Herz und ein wenig Lunge. Dein Leib bleibt kühl,
Nur daß er mit Rosen schwillt, durchsichtig, und duftet nach Tang.

Oft auch ist dein Gemach eine glitzernde Fläche aus Tränen.
Dann sehnst du dein fernliegend Reich zurück und die Zymbeln der Sonne,
Phantastischer Träume voll, die von den Zähnen dir klingen.

So bist du ein Abenteuer, das roh in den Alltag verschleppt ward.
Feuer auf Goldgrund. Affen und grüne Geigen und Unzuchtsbäume.
Der Himmel ist deinen schiefen Augen eine brennende Glasmalerei.

Du hast deinen Kelch geöffnet. Du bist eine Raubblume im Käfig.
Du hast deine Fingerspitzen mir an die Schläfen gesetzt.
Ich taumle hernieder, von Wahnsinn getroffen, und zittre im Fallen.


II.
Ich will dich Meer nennen, wenn unsre Liebe stammelt
Und du mich stössest gleich einem haltlosen Schiff,
Das auf Wogen der Wollust schaukelt.

Mit deines Rückens blanker Geschmeidigkeit
Sollst du das Bett uns glätten, daß es sich wölbend schliesst
Über uns wie die Muschel sich schließt über Perlengut
Das im Scharlachbaum der Korallen hängt.

Deine gewölbten Zähne blinken wie ein Türkishalsband.
Deine Brüste stehen da wie die Tortürme
Einer bestürzten Stadt, die den Feind erwartet
Aus der Ebene.

Dreimal geöffnet ist mir dein Leib, in Reife dahingestreckt
Mit tauglänzenden Gliedern, daß er geplündert werde.
Du bist sehr wirr und voll Taumel und läßest den Feind ein.

Aber ich liebe dich, weil dir der Brunnen des Lebens
Jauchzt in der Brusthöhle, selig und übersüß.
Weil du mein Becken der Qualen bist, das ich lachend

Umschließe mit meinen Armen. Du bist nur ein Schrei noch,
Ein in Musik gebrochener. Und du wirst Worte finden
Lieblich und klein wie die Veilchenschar, die versammelt ist
An den Abhängen der Kalkfelsen.
(S. 26-27)
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Der Geliebten

Der Blas- und Eu-Phemieen reiche Kette
Hab' ich geschlungen dir, Geliebte, um das Bein.
Und wenn ich sonst nichts von Belang mehr täte,
So könntest du mir Kakadu und Sperber sein.
Erinnre dich der Nacht in jenem Bette,
Als eine Spinne alle weißen Perlen fraß,
Als über dich gebeugt die Freundin Juliette
Zu Häupten dir und mir zu Füßen saß.
Empörte Fistelstimmen stelzten aus der Mette.
Tuberkulinsaft blumte groß auf Tisch und Wänden.
Der Mond hing sich ans Morgenrot in Glatzenglätte
Und malte grüne Ringel deinen Händen.
Dann kam der Sommer und ein groß Gefrette.
Auch Kraniche geruhn, sich hoch zu schneuzen.
Und wenn ich dies nicht zu bemerken hätte,
So hätte jenes nichts zu benedeuzen.
Nur sollt ich nicht gehabt die Telegraphendrätte
Zu sehr bewegt nach dir, als schließlich du entschwandest.
Denn dieses tatst du in der Magensätte
Des ersten Tags mit dem, den du nicht kanntest.
(S. 39)
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Baleys Liebeslied für Euphemia

O Phemie: uns ist der Mond ein großes gelbes Tulpenbeet
(Es wälzen keuchend sich vom Horizonte Hollands taube Strahlen).
Vermischt sich Apfelmusgehirn mit Loderherz; kommt Eros viel zu spät
Und wir befinden uns weitaus am wohlsten in der Vertikalen.

Kioske öffneten sich rasch und Illustrierte schrillen.
Wir treiben Wucher mit dem Kinofilmband!
Wir liebten kilometerweise! Nach des Regisseures Willen!
Und jedes Pfundstück war uns neuer Akte Unterpfand.

Und Euphémie, wenn sentiment nicht mehr aktuell ist ...
Dann fliehen wir nach Monte, Phemié: ich habe drei Systeme!
Du hast nur eins: du bringst die Kavaliere heeme.

Dann erbst du wohl das Doppelte, weil du so sexuell bist;
Ein Auto blüht uns, und ein Landhaus: Abbazzia.
O Phemié: halt die Fleppen blank! Denk an die nächste Razzia!
(S. 44)
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Lied für ein gefangen Kind

Es lässt mir keine Ruhe,
Dass du gegangen bist,
Dass du in diesem Hause
Mein Kind gefangen bist.

Sie geben dir schlechtes Essen
Und quälen dich aufs Blut,
Du aber lächelst mit allen
Du bist so gut.

Die rote Korallenkette,
Die dir ein Fremder gab,
Nehmen sie dir gewisslich
Noch heute ab.

Und geben dir Strümpfe rauh.
Dein gläsern-bunter Sommer
Zerbricht im Quaderbau.

Sie fragen nach deinem Namen
Und geben dir graues Kleid.
Sie halten noch dichteres Gitter
Für deine Zelle bereit.

Sag nicht, woher du gekommen,
Sag nicht, wohin du gehst
Und dass du wie eine Wunde
In meinem Herzen stehst.
(S. 49)
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Schöne Mondfrau, gehst du schlafen
Lächelnd und so munter,
Leise mit den Silberschafen
In die Nacht hinunter?

O und du im hellen Kleide,
Liebe Schehrazade,
Spielst du, daß die Nacht nicht leide
Deine Serenade?

Wandermüde, wundertrunken
Komm in meine Ruhe.
Blaue, weiche Sternenfunken
Küssen deine Schuhe.

Sieh, die Nacht ist so lebendig,
Voller Duft und Gnade.
In den Bäumen eigenhändig
Spielt sie sich die Serenade.
(S. 77)
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Lied für ein Kind

Laß uns gehen wie der Mond
Durch die große Stube.
Denn in diesem Hause wohnt
Der geblümte Bube.

Blau und weiß und schwarz geblümt
Schaut er durch das Fenster.
Mit der langen Bogenhand
Streicht er die Gespenster.

Du bist schön und ich bin klug
Bis zum frühen Morgen,
Deine Zähne lächeln lind
In ein Meer von Sorgen.

Auf der Stirne glüht ein Herz,
Rosenrot Verwehen.
Alle deine Schmerzen, Kind,
Kann ich leuchten sehen.

Aller deiner Liebe Last
Ist ein hell Verzücken.
Aller deiner Wunden Weh
Ist ein still Berücken.

Laß uns als ein Zwiegespiel
Geen durch alle Nächte.
Weinen, scheinen, ungesäumt
Über alle Prächte ...
(S. 78)
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Und bist du im Monde der weiße Pfau,
Dann bin ich dein Liliengarten.
Es steigt ein schwebend Opferblau
Voll Bangen und Erwarten.

Du wirst zu dieser Stunde noch
Die lichten Schwingen breiten
Und über Mauern hell und hoch
Vom Brunnenrande gleiten.

Die Sterne werden dich schimmern sehn
Im schwarzen Wasserspiegel.
Dein Diadem wird leuchtend stehn
Im Hauch der Lilienhügel.
(S. 79)
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Wenn du früh ...
(Kleines Liebeslied)

Wenn du früh vom Lager gleitest.
Ach, die zagen Füße.
Bitte ich, daß du nicht leidest
In des Morgens Süße.

Denn dann blicken deine Augen
Gleich zwei jungen Rehen,
Die an ihrer Mutter saugen
Und zur Weide gehen.

Mittags mit den hellen Tauben
Bin ich weiße Schwinge,
Wenn ich über grünen Lauben
Dir vom Lichte singe.

Doch der Abend ist die Wiege
Für die sanften Locken,
Daß das Haar im Winde fliege,
Wenn die Pulse stocken.

Und wir wandeln unter Bäumen,
Und du flammst gleich einer Kerze
Und wir wandeln unter Bäumen,
Und du lächelst und ich scherze.
(S. 80)
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Neige dein Haupt zur Sonne,
Trunkene Blume du,
Schmerzlich lächelnde Nonne
Fällst du dem Lichte zu.

Deine verwehenden Blätter
Streust du vor hohem Altar.
Tränen füllen die Hände,
Düfte säumen das Haar.

Daß sich in mystische Schleier
Hülle dein junges Gesicht.
Lauscht du dem Purpurregen,
Der in dein Herze bricht.

Bläue füllet die Brunnen,
Monde wiegen den Traum,
Tage und Nächte verrinnen,
Und du bemerkst es kaum.

Leise zerrinnet dein Leben
In einer liebenden Haft.
In die unendlichen Spiele
Der Sehnsucht bist du entrafft ...
(S. 81)
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Schwarze Madonna

Schwarze Madonna, du bist sehr schön.
So sah ich dich auf dem Sockel stehn.
Du bist ganz schön, ganz süß und lind.
So schön bist du wie der Morgenwind.

Du bist so schön, daß vor dir nichtig werden
Alle Bilder, Blumen und Künste der Erden.
Du bist ganz schön: du hast alles vollendet.
Alles Leid hast du in Lust gewendet.

Du hast alle Finsternis zu dir genommen.
Aller Tränen Meer ist vor dir erglommen.
Du hast alle Not im Herzen getragen,
Und alles Leben sahst du versagen.

Du bist ganz schön: o du bist die Erfüllung,
Alles Unsäglichen tröstliche Stillung.
Du hast alles Licht gemacht und erhoben,
Alles Furcht in den göttlichen Schein gewoben.

Auf deinem Schoße lag der Bespieene,
In deinen Händen tot der Verschrieene.
Auf deinen Knien lag alle Entblößung.
Vor deinen Augen begann die Erlösung.

Du bist so schön, weil du lächeln konntest,
Weil du die Furchtbarkeit übersonntest;
Weil den Zerschlagenen du überglücktest.
Als du dich über den Leichnam bücktest.

Du bist ganz schön: o du Mutter der Qualen.
Du bist ganz geschwärzt von den Brandmalen.
Du bist ganz bewundert in scheuen Träumen,
Die sich an deinen Schein ansäumen.
(S. 84)
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Im dunkelblauen Sunde
Landeten wir spät.
Es stand eine rote Wunde,
Der Mond überm Rudergerät.

Wir nahmen ein wenig Zehrung
Aus einem schmalen Boot.
Und kletterten über die Nehrung
Ins Morgenrot ...

Durch wehende Oliven
Stiegen wir leicht hinan.
Und sahen ringsum schlafen
Die Länder im Mittagsbann.

Wir saßen an steinernen Tischen
Und aßen uns weidlich satt.
Von Brot und trockenen Fischen
Wurden die Lippen matt.

Um unsere Ohren stäubte
Das Meer -ein Muschelgetön,
Ein Veilchenduft betäubte
Die Sinne uns im Föhn ...

Wir tauchten in die Fluten
Und schwammen weit hinaus.
Die Möwen kamen und ruhten
Am Strande bei uns aus ...
(S.107)
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Die wir im Lichte ...

Die wir im Lichte ganz vergehen müssen
Gestreckte Fahnen über raschen Küssen.
Es wird ein bunter Glanz doch bleiben
Und in den Lüften Blüten treiben.

Wir tragen auf den Schultern unser Kind.
Es lächelt in den jungen Morgenwind.
Christophori mit langen Wanderstäben
Sind wir die Riesen, die das Leben geben.

Wir haben wilde Wasser überschritten.
Am fernen Ufer träumen unsere Hütten.
Wir pflanzen ein Geschlecht von Gottessöhnen,
Gleich hohen Bäumen, darin Harfen tönen ...
(S. 108)
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An Emmy in Florenz

Oh, wie Du lebtest: stets im Fluge
Und stets geschwungen von den großen Händen.
Gezaust die Flügel und das Herz verzehrt
Von Trauer und von Liebesbränden.

Wie irrtest Du durch diese großen Städte,
Die Füße blutend und in Sterbeangst,
Wenn Du im Straßenstaub zerschlagen knietest
Die Hände zu den eisigen Himmeln rangst.

Wie haben Traum und Trug Dich hoch umbaut,
Wie sanken Deine Arme auf die Stufen.
Umsonst hast Du gerüttelt an den Eisentüren.
Im Schlafe noch erklang Dein wehes Rufen ...

Da dämmerten die frühen Rosengründe.
Da starrten um Dein Haupt die goldenen Schlangen.
Du warst die Gorgo aller Fruchtbarkeiten,
Gleich einem Seraph bist du in dem Glanz vergangen.

Es dringt Dein Widerschein aus allen Tiefen.
Die stummen Fische jubeln Deinen Namen.
Sie folgen Dir im übermächtigen Zuge,
Wie sie zur Predigt des Antonius kamen.

Auf grauem Haus weht Deine Siegesflagge
Und alle Fäulnis hast Du hell zerteilt.
Die Todeswunden des Gekreuzigten:
Du küßtest sie und warst geheilt.
(S. 109)
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Dunkler rauschen

Dunkler rauschen die Kutten
Tränen, Gebet und Weh.
Rafaelisch lächeln die Putten
Bei schmerzlichem Lever.

Du trägst deine hellen Hände
Als Opfer zum Altar.
Es fallen die irren Brände
In unsern bunten Bazar.

Es bäumen sich die Rosse
Es brechen die Räder entzwei
Es fällt von unserm Schlosse
Die blaue Fahne im Mai.

Auf einer stürzenden Treppe
Wühlt sich dein Mund in mein Herz.
Im Liebesfunkenregen
Zerstäubt ein Schmerz.
(S. 117)
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Frühlingslied

So hast Du in Behutsamkeit
Mit Lauben und mit Ranken
Den Garten meiner Nacht umsäumt.
Jetzt lächeln die Gedanken.

Nun singen mir im Gitterwerk
Die süßen Nachtigallen
Und wo ich immer lauschen mag,
Will mir ein Lied einfallen.

Die Sonne blüht aus Deinem Blick
Und geht in meinem unter.
So schenkst Du mir den schönen Tag,
Ein mildes Sternenwunder.

So hast Du meinen dunklen Traum
Durchleuchtet aller Enden
Und wo ich immer schreiten mag,
Begegn' ich Deinen Händen.
(S. 118)
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Im Garten

Gehn wir morgens durch den Garten
Wandeln wir durch lauter Licht.
Reifer Früchte weiche Schatten
Malen sich auf dein Gesicht.

Wipfel neigen grün die Zweige
Tief in den erfüllten Grund
Wanderselig, wundertrunken
Uebt ein Vogel seinen Mund.

Sieh, es hat die schöne Sonne
Sich in deinem Haar verfangen.
Deiner Augen blaue Sterne
Sind schon in mein Lied gegangen.
(S. 121)
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Die Linde

Dieses will die Sommerlinde
Blüten in die Nächte regnen.
Streut mein Herz in alle Winde,
Nur vergesst nicht, es zu segnen.

Meinen Mund will ich verschenken,
Meine Augen nicht versagen,
Aufgelöst in den Gelenken
Mögen mich die Nächte tragen.

Ausgestreut in alle Flüsse
Will ich treiben, will ich singen,
Und mit allen Regengüssen
In die tiefen Gräber dringen.

Hingegeben jedem Spiele
Und bewegt von jeder Welle,
Fasse mich die Gottesmühle,
Ganz zerstäubt zu Licht und Helle.

Will ich fallen und verwehen,
Um zu steigen und zu sinken,
Will das Eine nur erflehen:
Die Unendlichkeit zu trinken.
(S. 122)
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Schmücke dich, Liebste, der Abend sinkt.
Winde dir Ketten ins leuchtende Haar.
Siehe, die Sonne will sich verneigen.
Tiefer noch will sich die Stille verschweigen.
Kerze flammt am Altar.

Wisse, die Seele liebt sich zu verschwenden.
Brennende Feier und wehe Musik.
Leiser noch will ihr Geheimnis lallen,
Goldener Tropfen, zögerndes Fallen
Ist ihr unsägliches Glück.

Hülle dich, Liebste, in Prunkgewänder,
Ehe die Saite zerspringt.
Lächle im Saale der Engel und Rosen,
Laß dir die kindliche Stirne kosen,
Ehe das Echo verklingt.

Sei mir ein Fest und ein zärtliches Wunder.
Milder noch blühe dein Schein.
Wenn wir die magischen Worte tauschen,
Geht durch die Seele ein Flügelrauschen,
Dem wir uns weihn.

Schmücke dich, Liebste. Oh süßes Verwehen!
Rasch war der Sommer versungen.
Über den Hügeln welken die Kränze,
Doch in die Höhen der himmlischen Tänze
Sind wir entrückt und verschlungen.
(S. 125)
_____


 

Noch mischt sich das Gold unsrer Augen
Noch fällt ein scheuer Strahl
Auf die lächelnde Madonna
Im sanften Saal.

Noch öffnen sich unsere Arme
Beim Kommen und Gehen weit
Und unsere leuchtenden Herzen
Tragen wir über dem Kleid.

Und alle Liebesglocken
Hängen uns noch im Ohr.
Es fallen und steigen die Locken
Im Engelchor.

Und im tiefgrünen Raume,
Da tanzet unser Kind.
Es wiegt sich auf den Zehen
Und hebet sein Röcklein lind.

Und über unserem Garten
Glänzet der Lilienschnee
Es spiegeln die weißen Flammen
Sich zart im blauen See ...

Noch sind unsere Hände verschlungen
Noch schluchzen die Vögel leis
Und mit den seligsten Tränen
Füllt sich der Zauberkreis ...
(S. 126)
_____



Ach, die Wiege,
Drin ich liege,
Tönt wie eine Gambe!
Über mir
Ein Saphir
Schwingt die ewige Lampe.

Deine Brüste,
Ach, du süßeste
Aller Fraun, Marie,
Reichst du, daß das Herz gesunde,
Meinem armen Kindermunde,
Und ich weiß nicht, wie

Mir geschieht, daß deine Arme,
Unberührt von allem Harme,
Sich gleich Engelschwingen
Um die Wiege,
Drin ich liege,
Und sich um mich selber schlingen.

Deiner Augen
Sterne saugen
Meine Seele ein.
Und so tränkest du mich trunken
Und verschenkest dich versunken,
Und so bin ich dein ...
(S. 127)
_____



Abschied

Sag mir, daß du dich im Föhnwind sehnst
Und daß du trauern würdest,
Wenn ich ginge.
Sag mir, daß diese Tage schön sind
Und daß du weinen wirst,
Wenn ich nicht singe.

Sag mir, daß du dem Leben gut bist.
Sag meiner Stimme, daß sie nie verwehe ...
Sag, daß du heiter und voll frohen Muts bist,
Auch wenn ich lange Zeit dich nicht mehr sehe ...

Sag mir, daß ich ein töricht Kind bin,
Und streichle mich, wie eine junge Meise.
Sag mir, daß ich zu dir zurückfind,
Auch wenn die Nächte dunkel sind,
Durch die ich reise ...
(S. 129)
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Entrückt und nah

Entrückt und nah, belebend und doch Schein,
So seh ich, Liebste, Dich vor mir errichtet.
Ein Umriß, der vor meinen Blicken flüchtet
Und dem es doch bestimmt ist, Bild zu sein.

Die Hände haben längst darauf verzichtet,
Zu fassen nach Gestalt von Fleisch und Bein.
Genug zu wissen, daß Du Brot und Wein
Und zartes Feuer bist, das mich belichtet.

Die Augen werden einst in Moder fallen.
Was war ich ohne Dich? Ein irres Lallen,
Ein Dunkel und ein Rausch der Bitternisse.

Laß wehen durch mein Wort die lichten Küsse.
Laß sinken in mein dämmerndes Gedicht
Vom Brunnenrande her Dein Angesicht.
(S. 132)
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Noch Eines, Emmy ...

Wenn je ich still und ganz mich zu dir kehre
Dann mußt du groß und schweigend mich empfangen
Aus irrer Dunkelheit kam ich gegangen
Besorgt, daß ich dein lichtes Bild verzehre.

Wenn ich zu forschen lächelnd dir verwehre
Nach Lust und Leid, die doch auch mir erklangen,
Nach Stern und Freund, die mir am Wege sangen,
So wisse, daß ich tiefer dir gehöre.

Nur eines wars, das mich bewegte,
Hervorzugehn aus vielem Ungemach,
Das eine nur, das fiebernd mich erregte,

Und das mich schützte, daß ich nicht erlag:
Den Kindesglanz in deinem Seelengrunde:
Ihn laß mich trinken mit berauschtem Munde ...
(S. 147)
_____


 

Aus: Hugo Ball Sämtliche Werke und Briefe
Herausgegeben von der Hugo-Ball-Gesellschaft Pirmasens
Band 1: Gedichte
Herausgegeben von Eckhard Faul
Wallstein Verlag

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Hugo_Ball

 

 


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