Julie von Bechtolsheim (1751-1847) - Liebesgedichte

 



Julie von Bechtolsheim
(1751-1847)



Der Sprung vom Felsen

Was seufzet so schaurig im einsamen Thal?
Was wandelt dort unter Cypressen?
Wer stieg, beleuchtet vom Mondenstrahl,
Den steilen Pfad so vermessen? -
Es rauschen die Wellen, es duftet der See,
Und perlender Thau entsinkt der Höh'.

Maria beschritt die felsige Bahn,
Sie folgte dem schmerzlichsten Triebe;
Umdüstert von sanft melancholischem Wahn,
Und blaß wie die schmachtende Liebe;
Die Wehmuth über entschwundenes Glück
Umflorte den immer freundlichen Blick.

Es hatte der Liebe süße Magie
Sie schmeichelnd mit Rosen umwunden,
Und traulich zu schwärmender Sympathie
Zwei fühlende Herzen verbunden;
Doch leicht, wie die Rosen des Lenzes verblüh'n,
Die schönen Gefühle der Liebe verglüh'n!

Dem Jüngling ward das wandelnde Herz
Zu fremder Liebe gelenket -
In namenlosen unendlichen Schmerz
Die Treue, die Holde versenket;
Es trieb sie ein träumender Irrsinn fort,
Und hin zum einsam schaurigen Ort.

Hier wandelt am Abend keiner den Gang,
Daß ihm der Fuß nicht entgleite;
Es tönt so furchtbar am Felsenhang
Der Wind, wie Trauergeläute,
Und stürzend in Abgrund zum ewigen Raub
Verliert sich des Wasserfalls leuchtender Staub.

Sie stieg und stieg, vom Mondglanz umringt,
Die Locken vom Winde umsäuselt,
Zum Ort, wo leise der Quell entspringt,
In lieblichen Wellen sich kräuselt;
Hier schien ihr im trauten Immergrün
Die Hoffnung noch einmal aufzublüh'n.

Sie sank in Träumen auf weiches Moos
Und schaute hinab in die Fluthen,
Andächtig die Hände gefaltet im Schoß,
Das Auge voll himmlischer Gluthen;
Und sanft wie des Silberquells spielender Klang
Ertönte melodisch ihr Schwanengesang:

"Brich, o Herz! dein Sträuben wird gerochen!
'nunter von des Abgrunds steilem Rand!
Die Palme winkt. Mein Engel hat's gesprochen,
Es fällt des Lebens morsche Wand.

Liebe? Leben? alles ist zerronnen,
Jede Wonne aus der Brust gescherzt:
Der falsche Mann hat mir das Herz umsponnen -
Hinab! daß ihn kein Meineid schmerzt.

Mir versiegen jeder Hoffnung Quellen,
Selig war ich - ach, und liebereich!
Maria schlummert in dem Schoß der Wellen -
Hinab! hinab in's Schattenreich!

Faßt auch ihn der Todesflügel Rauschen,
Schwebt sein Schatten zur Vollendung hin,
Da will ich an der dunkeln Pforte lauschen,
Da soll der Theure nicht entflieh'n.

Kühn will ich mit ihm empor mich schwingen,
Ihn umfassen, der mir alles war;
Vereint mit ihm zum hohen Himmel dringen,
Wo Liebe thronet frei und klar.

Dort will ich die heil'gen Rechte nennen,
Die er mir, der Süßerwählten, gab;
Und büßend ihm den wilden Schmerz bekennen,
Der mich versenkte in der Wellen Grab.

Nichtig sind der Erde schönste Gaben;
Lieb' und Treue raubt die falsche Zeit!
Auf ihren Trümmern hoffend mich begraben -
Mir bleibt nur diese Seligkeit!

... Still, still!
Daß der Freund mich nicht erspähe,
Daß mein Schmerz ihn nicht umwehe:
Unter süßer Träume Kosen
Ruht er weich auf zarten Rosen,
Still, still!

Merkt ihr wohl der Träume Kosen?
Atmet ihr den Duft der Rosen?
Seht! dort liegt er wonnetrunken
Tief in Zauberschlaf versunken.

Wiegt ihn, sanfte Abendlüfte,
Spendet alle Blumendüfte,
Daß der letzte Hauch der Liebe
Seinen Schlummer nicht betrübe!

Welch ein sehnlich süßes Bangen?
Rasch! - ihn schlummernd zu umfangen -
Seinen Namen auf der Lippe,
Von des steilen Abgrunds Klippe!"

Da sprang sie vom jähen Felsenhang
Hinab in die rauschenden Fluthen,
Zu enden des Herzens verzehrenden Drang,
Zu kühlen die flammenden Gluthen;
Wild schäumte die Brandung, wild brauste der See,
Doch blickt sie gelassen zur Sternenhöh'.

Sie stürzt auf die silberne Fläche hinab,
Wo schützende Wellen sie heben;
Lang währte der Kampf, lang droht' ihr das Grab,
Kein Schauder macht muthlos sie beben;
Bis endlich, von harrender Sehnsucht krank,
Im stillen Ermatten sie lächelnd versank. -

Und wenn nun der Mond beim nächtlichen Grau
Die schaurige Gegend beleuchtet,
Im Duft der Blüthen ein perlender Thau,
Wie Thränen, Cypressen befeuchtet:
Da hebt sich ihr Geist, da webet und wallt
Er freundlich in schimmernder Engelsgestalt.

Die Palme des Friedens reichet sie hin,
Und reget ihr lichtes Gefieder;
Den Augen entstrahlt ihr liebender Sinn,
Verstummt sind Klagen und Lieder;
Doch ähnlich der flötenden Nachtigall
Stirbt seufzend ihr Ton im Widerhall.

aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 14-15)
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Frühlingslied

Seh' ich dich wieder, du freundliches Blau?
Fühl' ich dich, glühende Sonne?
Trink' ich des Lenzes erquickenden Thau,
Strömend aus Quellen der Wonne?
Seh' ich der ewigen Liebe Spuren
Neu sich verkünden in allen Naturen?

Heimlich entwunden der Erde Schooß,
Drängen hervor sich die Keime;
Uns auch erwachen nach freundlichem Loos
Sehnsucht und Hoffnung und Träume.
Alles vereinend zu kräftigem Streben,
Regt sich des Frühlings unendliches Leben.

"Liebend neiget die Blüthe sich"
Hin zu der liebenden Blüthe.
Also erkennen sich schwesterlich
Seelen mit zartem Gemüthe.
Magisch erhöhend des Daseins Empfinden
Muß zu dem Gleichen das Gleiche sich finden.

Wunderbar rühret mit ewiger Macht
Göttlicher Odem die Tiefen,
Wecket zum Leben aus schlummernder Nacht
Kräfte, die scheinbar entschliefen;
Wallt durch den Aether, und feurige Gluthen
Füllen den Erdkreis in segnenden Fluthen.

Frühling, du Bote der schöneren Welt!
Bild des erneuerten Lebens!
Selig, wer tröstend durch dich erhellt,
Träumt nicht und hofft nicht vergebens;
Der aus dem Samen, gestreuet mit Thränen,
Erntet die Frucht von dem ewigen Sehnen!

Auf denn, entschwinge dich, Geist! mit Kraft
Ueber der Sterblichkeit Trauer;
Der uns dies Schmachten nach Höherm erschafft,
Schenkt uns Vollendung und Dauer;
Der uns die Furcht vor Vernichtung gegeben,
Der auch gewährt uns unsterbliches Leben.

Darum, o laß in ambrosischen Duft,
Frühling, du Holder, mich tauchen!
Laß mich genießen die himmlische Luft,
Möge das Ird'sche verhauchen!
Möge sie flieh'n, die vergängliche Welle,
Nährest mich aus der göttlichen Quelle.

aus: Deutschlands Dichterinnen
in chronologischer Folge
herausgegeben von Abraham Voß
Düsseldorf 1847 (S. 154-155)
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Die süßesten Gaben der Götter

Die Blumen
Wir duften so süß und lächeln so mild,
Wir haben ein hohes Bedeuten;
Wir schmücken die Liebe, der Freundschaft Bild,
Bekränzen den Becher der Freuden,
Das hohe Gemälde der Sinnenwelt,
Wird magisch durch ihren Zauber erhellt.


Die Gefühle
Was wäret ihr, o Blumen, mehr als - Spiele,
Beseelten nicht den Menschen die Gefühle?
Wir sind das Höchste, was ein Gott gegeben,
Des Herzens Leben.


Die Thränen
Und wir sind der Schmerzen kühlender Thau,
Der Balsam blutender Wunden;
Wir zeigen verschönert des Himmels Blau
Nach lang' umdüsterten Stunden,
Und wenn der Gefühle Worte verklingen,
Sind wir es, die tief in's Innerste dringen.


Der Mensch
Liebliche Blumen!
Zarte Gefühle!
Rührende Thränen!
Mir nur auf Erden gehöret ihr ganz.
Reize des Lebens!
Himmlische Regung!
Perlen der Seele!
Bleibet verbunden im magischen Kranz!

aus: Deutschlands Dichterinnen
in chronologischer Folge
herausgegeben von Abraham Voß
Düsseldorf 1847 (S. 156)
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Biographie:

Julie Freifrau von Bechtolsheim, geb. Gräfin von Keller (* 21. Juni 1751 auf dem Gut Stedten bei Erfurt; † 12. Juli 1847 in Eisenach) war eine deutsche Dichterin und ist bekannt wegen ihrer Freundschaft zu Johann Wolfgang von Goethe und Christoph Martin Wieland.

1774 arrangierte ihre Mutter, die Witwe Gräfin Auguste von Keller, die Heirat mit Julies Onkel Johann Ludwig Freiherr von Bechtolsheim, dem älteren Bruder ihrer Mutter. Als dieser zum Vizekanzler von Sachsen-Weimar-Eisenach ernannt wurde, zog das Ehepaar nach Eisenach.

In der Zeit von 1777 bis 1795 war Johann Wolfgang von Goethe mehrfach in ihrem Eisenacher Palais am Jakobsplan zu Gast. Durch Julies geistreiches, erfrischendes Wesen war sie eine angenehme Gesprächspartnerin für Goethe, die er oft nach ihrer Meinung zu seinen Werken befragte. Er nannte Julie eine Seelenverwandte, sein "Seelchen".

Eine enge Freundschaft verband Julie auch mit dem Dichter Christoph Martin Wieland, der sie seine "Psyche" nannte.

Julie verfasste selbst als Dichterin Beiträge zum Vossischen Musenalmanach von 1788, zu Beckers "Erholungen" und zur "Urania".

Viele Jahre leitete sie einen Literaturzirkel in Eisenach. Einige ihrer Freundinnen aus diesem Literaturzirkel kamen bei einer Explosion 1810 ums Leben. Napoleonische Truppen zogen durch Eisenach. In der Nähe des Marktplatzes explodierte ein Pulverfass und zerstörte das Gebäude, in welchem der Literaturzirkel stattfand. Julie war an diesem Tag wegen einer Krankheit nicht anwesend.

Johann Ludwig Freiherr von Bechtolsheim verstarb im Jahre 1806, Julie lebte noch bis 1847. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem alten Friedhof am Schlossberg in Eisenach, nahe der Kreuzkirche. Dort ruht sie neben vielen anderen Persönlichkeiten wie, den Eltern von Johann Sebastian Bach und Dorothea Grimm, der Ehefrau des Märchendichters Wilhelm Grimm.

Julies Grabstätte ist noch erhalten und mit einer Gedenktafel versehen.

aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Julie_von_Bechtolsheim

 



 

 


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