Rudolf Borchardt (1877-1945) - Liebesgedichte



Rudolf Borchardt
(1877-1945)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Schlechter Tag

Wir lachten laut am Tage;
Wir winkten uns und sahn uns an -
Was ward mir angetan?
Nun, nachts, im Innern, fühl ich eine Klage,

Und eine Klage spürst du,
Spürst sie so sehr, und sagst sie nicht!
Aufhebend dein Gesicht,
Mit jeder Hand an deine Augen rührst du.

Es ist nicht aufgeschrieben
Gebot, doch haben wirs gefehlt:
Wir haben nichts beseelt,
Was eine Seele will, weil wir uns lieben, -

Wir sprachen viel zu lange,
O wohl! Wir spotteten zu laut.
Mit all dem eitlen Klange,
O sprich, was haben wir uns anvertraut?

Und war uns denn nicht klarer,
Als einer wir dem andern sind,
Am Wege jedes Kind?
Wohl ärmer; aber wieviel wunderbarer!

Nun kann dein Mund nicht schenken
Wie einen Tropfen, was mich stillt:
Ein Mund ist, der mich schilt;
Ich kann auf keine leichte Antwort denken.

Der Mond befängt die Erde:
Groß staunt hinauf ihr still Gesicht;
Er ist ein großes Licht
In großer Nacht, und weiß nichts von Gebärde!
(S. 52-53)
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Mit Narzissen

Dies sind Blumen der freundlichen Frühjahrserde; sie blühen
Hoch an Hängen, und tief wandert im Tale der Strom.
Da ich sie brach, verdämmerte Licht, erdunkelte Abend,
Und meinem nächtlichen Blick, da ich in Garten und Haus
Wiedergekehrt nach deinem Gesicht, nach deines Gewandes
Schein und dem schwimmenden Blau unserer Beete gesucht,
War statt aller geliebten Gestalt der eiserne Lorbeer
Streng entgegen gehäuft. Aber er blühte, und mir.
(S. 54)
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Saturnische Elegie

Außen an Gärten führt ein schmaler Weg
Auf dreien Brücken über Bäche hin,
Hügel hinauf und ab, wo dunkle Sitze

Den süßen Schatten sammeln, und ein Steg
Sehnsüchtig durch den Duft der Büsche hin
Führt die Versunknen zu den adler-nahen Spitzen.

Innen in Gärten sind an allen Büschen,
Wie Blut und zartgefärbt, geliebte Blüten
Für deine Augen, oh! für deine Augen! aufgetan

Und immer frischen
Hauch atmend geht der tagelange Wind
Hin, her und hin, und wo die Lippen glühten
Der edlen jungen Sonne, fliehn durch Wind

Die Falter und die vielen goldnen Fliegen,
Wie Sehnsucht, die von Mund zu Munde will -
Ein Jahr klingt auf. Dies ist nicht mehr April.

In allen Gärten aber, bei den Tannen
Und durch den Zug der Kirschenbäume hin,
Und wo Magnolien wundervoll ausspannen

Den bleichen Flor von riesenhaften Rosen,
Und wo auf lichten Wiesen hart und dunkelnd
Die Hyazinthen stehn, die seelenlosen

Göttlich, und fremd, und wie aus einem Traume;
In allen Gärten ist, im Heißen funkelnd,
Magie lebendig, und aus jedem Baume

Blickt ein Gesicht, mit Wunder überladen -
Beseelten Auges in den Schatten dunkelnd
Des hingewehten Laubes, wie Dryaden. -

Ich will von nichts mehr wissen als Musik,
Und die gehörnten Götter, die im Tale,
Und die auf Bergen die gehöhlte Schale

An wilden Bornen füllen, sollen mir
Mit einem fernen Chore dumpf antworten,
Denn in die Haare habe ich die Zier

Von dichten Apfelzweigen eingewunden,
Lieder des Mittags sinnend, und aus Worten
Der Hirten fügen will ich Melodie

Für jeden Ton der unbewegten Stunden;

Ich habe Wächter ausgestellt, mit Speeren,
An den Gemarkungen, und mit Posaunen,
Daß sie den Wolken der Dämonen wehren,

Die dich und mich bedräuen, und Magie
Behütet uns vor unglücksvollem Raunen -
- Die Welt ist voll Verwirrung - aber nie -

Und nicht so lang als sich dein Lid bewegt -
Berühre uns die Schwermut und der Laut,
Der mir wie wilder Wein das Blut aufregt -

Dies war - was sonst war, weiß ich nicht - es graut
Ein fernes trübes ungewiß herein,
Und dunkle Stimme, die zu kommen zaudert.

Und bebt und schweigt, verliert sich in den Schein
Des Gartenwassers, das verloren plaudert - -
Blast! Blast! Musik! Ich kann nicht länger sein,

Wie Tote sind, denn dies ist eine Welt,
Die wundervoller als die selge lebt
Saturnischer Gestalten - schwach verstellt

Ein weißer Strauch von Amseln überschwebt
Die Magische, die hier in einem Zelt,
In einem Hag von hellen Dornen steht -

Die Blust ist wie das Feld von Avalun,
Feld, über dem die milden Leuchten brennen,
Und jede Blüte glüht und atmet bunter;

So komm! Wir tun, wie die Unschuldigen tun,
Die hellgebornen, die ihr Herz nicht kennen,
O! hier! wir ruhen einer bei dem andern,

Ich biege einen Rosenbaum zu uns hinunter,
Der uns befängt mit schattenhaftem Kühlen,
Ich sehe leicht auf deinen Wangen wandern

Die Wolken und den Schatten von Gefühlen,
Kein Atem deiner Seele ist mir stumm,
Ich spüre Ton von deinem tiefsten Beben

So nah, wie eines Vogels nahes Rufen,
Und deine Hand, die in den Locken streicht,
Ist mir so heilig, wie dein edles Schreiten,

Als schrittest du auf goldenen Rund-Stufen
Mit Schwestern hin, wo jede jeder gleicht,
Stumme Musik in unbewegten Händen -

So sah ich sie durch meine Träume gleiten,
Und leicht
Absteigen neben den kristallnen Wänden.

Farbe der Rosenknospe! o! Gesicht!
Mund, leidenvoller blutend, als Narzissen,
So süß in Träumen wußte ich dich nicht!

Aus welcher hohen Welt bist du gerissen?
Und stiegst zu mir, Fuß neben meinem Fuße?
Und ruhst, ein Licht in meinen Finsternissen?

Und bogst dich gnadenvoll zu meinem Gruße,
Der ich den Sturm in meinem Mantel trage,
Und kaum verwischte Träne, späte Buße

Graunvoller Stunden, noch an diesem Tage
In Augen, übermüdeten, mir hängt,
Und jedes meiner Worte noch von Klage

Strömt, wie die Blume, voll von Tau gedrängt!
Mehr! Mehr! Ich dürste!! Trunkenheit von dir,
Auf meinen Mund hinfließend, überhängt

Mir jeden Hauch, im Blute singt es mir,
Und ist wie Sonne schwer auf den Gewanden,
Und atmet stark, als atmeten nur wir.

Wer bist du? Wer hat dich als Kind geküßt?
Wo standen deiner Jugend Häuser, standen
Die Häuser, drinnen du geschritten bist

Mit leichten Füßen, Hohe unter Hohen,
Den Adel eines Halbgotts auf den Scheiteln,
Und unbewegten Auges, wie Heroen?

Nein, schweige, nichts! o! nichts! ich will nur fühlen,
Wie sehr du meinen Lippen nahe bist.
Und nichts als dies und nichts mehr will ich fühlen!

Was war, ist irgendwo tot, und es blühen
Hinter dem Vorhang mir die dunklen Blumen
Der Kindheit, grauenhaft, im Land der Mühen,

Im Eisen-Lande, fern von Heiligtumen.
Der Tag ist unser, den wir süß hinleben,
Brot bricht sich frisch mit immer frischen Krumen,

Und unser ist die Nacht mit ihrem Beben
Hinrollender Musik aus Liebes-Fernen,
Und unser all die Unruh, all dies Schweben,

Heratmend, überselig, Herz aus Sternen.
(S. 55-60)
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Mit Margriten

Diese starrten im Heißen, wo Pan anhielt seine hohe
Schwirrende Stimme; ich stand und ich vertraute mir nicht.
Zwischen den Steinen riß ich sie los, an dorrenden Hängen
Kniend, als kniet ich bei dir, nahm ich die Kindlichen fort.
Hier! Und hier! O Schlanke, du kommst! Und o die Verwegne!
Über dem Sturze! Du machst mich zum Verwegeneren!
Brechen die Wiesen mit Sternen, und winken die Himmel mit Blumen?
Daß ich euch nehme, o bleibt, Blumen und Sterne mir nah,
Daß ihr mir nicht wie im Traume zerfallt, nicht zwischen den Händen
Rinnt, und ich hätt euer nie, wie ich auch seufzte, genug!
Sind es genug? Genug? Die Fülle und doch nicht genugsam!
Hält sich die Seele doch nicht, die sich verlöre - wie gern
Ihrer begäbe und stumm am Dunkeln trinkend ertränke!
Hält doch ein winziges Band noch die Vergeudende fest!
Aber es sei, und genug, und fort! Als griff ich in Wälder,
Trug ich, mit stürzendem Arm hielt ich die schaukelnde Last,
Die sich am Kinn mir bog und das Haar nahm über die Schläfen -
Fort! Und es brach mir Gesang unter den Füßen hervor.
Also kam ich den Berg mit Musen und Bienen hinunter,
Dicht in die Blüte gedrängt, daß sie mir nickte im Takt,
Fremde Musik von Wonnen und Zorn bezwingend, im innern
Maße die bäumende Flut, und ich bezwang sie schon nicht,
Etwas zerriß mir den Mund und wallte mir über den Aufblick -
Zwischen Entzücken und Pein schrie mir das zitternde Herz.
(S. 61)
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Sestine der Sehnsucht

Aus einem Fenster bog ich mich hinaus
Auf Nacht und Gärten, wo kein Vogel singt;
Ich fing den schweren Ton, der in mir schwingt
Bei allem Wunder, das schön träumen macht;
Bei mir war Nacht und über dir war Nacht,
Mein Haus weiß jeden Stern von deinem Haus.

So schön wie schwere Träume ist mein Haus,
Auf ewige Gärten legt es sich hinaus,
Von grauem Mondlicht trunken und von Nacht
Saugt es den Ton, den es sich selber singt,
Und Büsche, die der Wind melodisch macht,
Und Wind, der durch die finsteren Fenster schwingt.

Von dir den Ton, der durch den Wind hin schwingt,
Mein Herz weiß ihn, und so weiß ihn mein Haus:
Was schwellen macht und was aufschreien macht,
Schwirrt durch ihn hin und reißt mich so hinaus,
Wie nichts hinreißen kann, was dunkel singt,
Schluchzend und tief jubelnd durch die Nacht.

Also voll ist mein Haus von dir bei Nacht:
Mit Tanz von dir, der durch die Kammern schwingt
Mit einer Geige, die sich lang aussingt -
Auf die Nachtwiesen wirft mein schweres Haus
Ausbrechende Musik von dir hinaus,
Und weiß vom Morgen nicht, der schauern macht.

Nacht über Nacht! Und Dunkel, das sie macht!
So schlief mein Herz im runden Busch der Nacht!
So, sternendurstig, wagt es sich hinaus
Und faßt sich nicht, und zittert noch, und schwingt
Sich dunkel rufend vor dein fremdes Haus
Und singt in allen Schall, der drinnen singt -

O um ein Lied, das sich in Worten singt!
Nur Melodie, die Seele zu sich macht,
Weinen und Lachen wandert durch Dein Haus!
Und wirft sich her, Antwort durch dunkle Nacht -
Nichts als ein Flügel, der aufhebt und schwingt,
Nichts als "Hinaus!" und "Hin!" und nur "Hinaus!"

Süße, dies Lied will über sich hinaus
Ein Kind ist so, das sich die Angst fortsingt -
Durch schwere Nacht verschollener Gärten schwingt
So tödliches Wirbeln, das die Luft stehen macht!
Ein wonniger Vogel singt in deine Nacht,
Ein Kind fällt hin, und schläft vor deinem Haus.

Urlaub: Vor deinem Haus
Ist stumm die tiefste Nacht
Die schlafen macht,
Was sonst den Flügel schwingt
Horch wie es singt;
Mein Herz sehnt sich hinaus.
(S. 62-63)
_____



Ja und Nein

Sterne! Schwaches Licht,
Eh gedacht -
Bald o bald, und du mußt gehn;
Geh noch nicht!
Sieh mich nicht so an!
Gut Nacht!
Alles schweigen, nie gestehn!
O denk dran!

O und nichts gesagt
Nur gefühlt!
Denk, daß du's errungen hast
Eh es tagt!
Sag, daß dus verstehst,
Wie es kühlt,
Mich zu lassen ohne Last,
Wenn du gehst!

Denn du willst es so:
Alles ist,
Seit dein Finger-Wink gebeut,
Groß und froh.
Abgetan und fern
Lust und List,
Steigen wir mit jedem Heut,
Stern und Stern,

Über Meer und Plan
Deutlich auf,
Und ich weiß, weil du sie schreibst
Meine Bahn;
Weil du sicherlich
Einen Lauf
Läufst und bist, solang du bleibst,
Treibst du mich.

Weiß ich noch von einst?
Ich bin nun
Nur noch ganz soviel von mir,
Als du meinst:
So nur laß mich sein,
Dies nur tun,
Mit Gesetz, wie Gott und Tier,
Stiel und Stein.

Hast du michs gelehrt?
Fährt mit Eid
Nicht die Blume sonder Mal
Wie ein Schwert
Zwischen mich und dich
Dich, gefeit
In Gerechtigkeit wie Stahl
Ritterlich?

Herr, und also seis,
Ja und Dank!
Und ich küss' auf beiden Knien
Dein Geheiß!
Glüh sein Eisen rot,
Zück es blank,
Triff: ich dulde ohne Fliehn
Jeden Tod,

Jede Märtrer-Qual
Tausendfach,
Jede Wunde, die du gibst,
Tausend mal
Gerner, als den Hauch,
Heiß und schwach,
Der zerschleudert, was du schriebst,
Wie Wind Rauch.

Denk, wenn ich je säh,
Daß du Glut
Und dein Weinen niederschluckst -
Was geschäh!
Denke, mich erhält
Deine Hut!
Denk, o denke, wenn du zuckst
Stürzt die Welt!

(Denn sie hängt an dir
Immerfort,
Jeder Atem, der dich hebt,
Trifft in ihr
Bis in mich hinein
Diesen Ort,
Wo der härne Faden bebt
Dran sie mein -)

Da! du bist wie stets:
Leib und Sinn
Eingefaltet wie im Zwang
Des Gebets:
Nimm, so nimm den Mund
Dies Mal hin,
Eines Odems Länge lang
Fühl den Bund.

Diese Strähne drang
Jüngste Nacht
Fast gewaltig mir vom Haupt -
Fühl, wie lang;
Hart mit einem Schnitt,
Aufgewacht,
Hab ich mir sie selbst geraubt.
Nimm sie mit.

Sie ist ganz gewandt
Wie mein Leib -
Es ist dunkel. Taste sie
Mit der Hand.
Alles was ich bin,
Bild und Weib,
Hand und Neige, Kinn und Knie
Ist darin,

Und der schmale Schwung
Den am Tanz,
An der Schreitenden du lobst,
Bleibt hier jung;
Stolz und Schmerz und Schmelz,
Einen Glanz
Meiner Spur, die du erhobst,
Denk, sie hälts,

Wenn du dieses Haars
Schlankstem Zug
Nicht mehr lächelst, sondern sagst:
"Diese wars!"
Wenn der Locke einst
Du den Bug
Nach vergrabnem Lächeln fragst
Und verneinst -

Mond! - ein großes Licht
Aufgewacht!
Und ich weiß, du mußt nun gehn,
Säume nicht.
Sieh mich, sieh mich an!
Gutnacht.
Nichts und nichts darf ich verstehn,
O denk dran!
(S. 68-73)
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Auf der Rückseite eines Handspiegels

Spiegel, wenn dich ihre Augen streifen,
Flüstr' ihr zu und immer zu:
"Niemals stand ein Wunder so wie du
Eingefaßt von diesem bleichen Reifen."

Hauch ihr, daß er nur durch ihre Miene
Seinen Inbegriff enthält;
Daß gleich einer Wildnis in ihn fällt,
Was von ihr zu ihr nicht wiederschiene.

Blink ihr unser Glück, in uns zu fassen
Alle Strahlen, die sie warf:
Dunkl' ihr des, der nie behalten darf,
Unergründlich trübes Gleitenlassen.

Aber schweig ihr, wenn sie vor dir trauert:
Zeig ihr, wenn sie zu dir kehrt,
Das Gedicht, das danken mich gelehrt
Der Minute Fülle, die nicht dauert.
(S. 74)
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Das Mädchen liest das Buch und spricht

Dies ist nicht so laut zu sagen
Was von so Berauschtem dein ist -
Solch ein Glühen ob es mein ist, -
Stumm! nur stumm! wenn sie dich fragen,

Denn es war im zu Verwirrten,
Daß es uns so überblühte,
Daß es aus den Nächten sprühte
Mit den Sternen wie sie schwirrten, -

Daß es stand in jeder Stunde,
Uns umfing wie ein Vertrautes!
Aber nun, wie fremde schaut es!
Nun wie spricht's, mit welchem Munde:

Nun dus wie mit Händen fingest,
Stumm, wie stumm ist meine Seele!
Auf und ab durch meine Kehle
Übermannt michs, daß du singest!

Ja mit Worten, die wir wagen,
Nur geheimnisvoller scheint es:
Dunkel lacht es, dunkel weint es,
Keinem dürfen wir es sagen!
(S. 75)
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Letzte Rosen

Dies sind die letzten; suche nicht nach mehr;
Ich suchte, doch ich fand nicht; Wind bricht ein,
Und Regen droht; der Himmel trüb und schwer
Hängt übers Land und löscht den letzten Schein.

Dies sind die letzten; voller Dornen hing,
Da ich sie nahm, mein Haar, doch nahm ich sie:
So riß ich Glück, ein hochauf rankend Ding
Aus Dornen, und ich bog vor dir das Knie,

Und bots hinauf, Duft für Minuten; o,
Vergiß das nicht: dies sind die letzten, heut
Schwermut der letzten Stunden duftet so,
Wie diese Kelche hängt, was uns gefreut,

Balsamisch bleich am überschwerten Stiel
Und gibt sich aufgetan im Tode preis
Dem ersten Blitz, der aus der Wolke fiel,
Entbunden, wie die Mutter ihres Schreis.

Frühling ist tot, und Sommer fährt herauf,
Mein Herz bleibt stehn, ich habe keine Luft;
Es muß geschehn, daß ohne mich sein Lauf
Sich schließt, wie er begann, mit diesem Duft.
(S. 76)
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Abschied

Wir haben nicht wie Knecht und Magd am Zaun
Gelegenheit; und nicht wie Brautgesellen
Den Trost, ein heimlich Scheiden zu bestellen:
Wo aller Augen wartend auf uns schaun,
Soll dieses Schwert durch unsre Seele haun:
Kein Baum, den zwanzig an der Wurzel fällen,
Stirbt allgemein besudelter im Grellen:
Nur noch verachten gilt, und sich vertraun,

Und, wie Ermordete im alten Stück
Noch schwatzen, vorwärts du und ich zurück,
Im Griff das schwarze Eingeweide tragend,
Fortsteigen, gleichen Fußes und Gesichts;
Und erst wo keins mehr zusieht, in das Nichts
Quer treten, ohne Laut vornüberschlagend.
(S. 77)
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Der Mann und die Liebe
Bremse

Der Mann:
Ah nicht weiter, mit der Gewalt nicht - ah nicht
Mit dem Hieb mir über den Scheiteln, Liebe!
Ich vermags nicht, unter dem Hundstag, hier das
Steile zu stürmen!

Ich bin Blut und Strieme den ganzen Leib lang,
Rasten laß mich; gönne dies Blatt, wie herb sichs
Malme, mir im Schlunde Verlechzten! Gönne mir
zu vergessen!

Zu vergessen, was ich verlangte - ah mir
Zu vergessen, daß ich es nicht mehr, was ich
Noch verlange, daß ich es nicht mehr liebe, was
ich verachte!

Gnade, in mich Hauendes - Gnade, Wahnsinn!
Wilde Bremse, erzen im Blau, die nackten
Feuer schwenkend! Ende mein Leiden, daß ich
nur wieder lebe!


Der Dämon:
Wer berief mich? Schlummernd in Glockenblumen
Schaukelt ich. Wer weckte mich auf? Ich stellte
Dir nicht nach. Unbärtige treff ich, denen Wunden
ein Spiel sind.

Vorwärts oder stirb, wo du stehst. Entbunden
Ward ich - her und bändige mich. In ihn, der
Welt erregt, und will ihr nichts antun - rächend
fahren die Keile.
(S. 157-158)
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Nachklang

Dich lieben müssen ist die letzte Schule,
Drin mich die Welt am hohen Maße richtet:
Drin mich, sobald ich um Bequemes buhle
Und mir zu sehr gefiel, ein Blick vernichtet;
Drin was ich sonst getrachtet und gedichtet
Nicht gilt: Besteh ich nicht vor diesem Stuhle,
Verwirk ich endlich noch mein ganzes Heil:
Ich sage nur noch: "werde mir zuteil!"
Dich lieben müssen ist die letzte Schule.
(S. 159)
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Der Mann und die Liebe
Versagung

Laß meinen Sinn mit deinem schalten:
So wird er unser Sinn.
Du wirst von selbst ihm widerhalten
Und beugst ihn halb und halb und nach und
nach dahin. -

Die Welt ist halb und halb; die Traube
Berauscht sich nach und nach.
Spät erst zu Hoffnung wird der Glaube,
Zu Liebe sie; und noch machst du den Glauben
schwach.

Gib nichts darauf, daß du, gewunden
Um deine lange Faust,
Gleich einem Koppelseil von Hunden
All meine Stränge Bluts regierst und drinnen
zaust -

Ich lehr dich sonst, wie man das Auge,
Das ärgert oder trutzt,
Ausreißt und wildem Fleisch die Lauge
Für Balsam reicht, und Schnitt, und Brand, wenn
sie nicht nutzt.

Ich werbe lange; eh zum Buhlen
Gradhin du mich erzwingst,
Magst du mir aus dem Leibe spulen
Die Adern, dran du meinst, daß du mich heut
schon fingst.

Weh uns, wenn mir der Nerv verschwindet,
Weil ihn dein Mund verbrennt.
Hoffe von meiner Kraft, was bindet;
Von meiner Schwäche nur das Schale, das uns
trennt.
(S. 183-184)
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Der Mann und die Liebe
Venus im Fenster

Stern, blick auf meine Marter
Durch diesen armen Fensterspalt:
In Tränen lieg ich Harter
Die zweite Stunde bald.

Der Stern der Wonnen heißt du
Und ihrer Herzen Meisterin -
Was denn die Nacht zerreißt du,
Da ich der Ärmste bin!

Lockt dichs zu sehn ein Bette,
Auf dem man dich von je entbehrt?
Du bist zur rechten Stätte:
Wann hätt ich dein begehrt?

Und da dus bist, so wandre.
(Der Spalt und klafft er denn so breit? -)
Sahst du genugsam Andre?
Verweilt dich so mein Leid?

Ward dir von Mann und Frauen
Der treue Knoten zu gemein?
Zieht dichs, in Pein zu schauen
Die trotzten deiner Pein?

Du bist zur rechten Stelle
Denn abermals, verklärter Gast -
Hier liebt ein Schlafgeselle
Verzweifelnd, was er haßt,

Begehrt, was ihm verleidet,
Zerschwelgt die Lippe, die ihm lügt -
All seine Ader weidet
Wehlust unzugefügt.

Die Lieblichste der Schlechten,
Die je vom Besten Reiz geliehn,
Längst zwischen Herrn und Knechten
Verfochten und verschrien,

Heillos in jeder Fiber
Und unverschmerzlich jeder Zoll -
Geh, Stern - sie ist mir lieber,
Als wär sie, wie sie soll.

Der Mund, den ich ihr weigre -
Die Härte, die sie von mir haut -
Die Proben, die ich steigre -
Der Frost, den sie nicht taut -

Hier brichts in seine Stücke
Und scheitert die gestrenge Brust
Und stürzt sich von der Brücke
Ins Herzleid ihrer Lust. -

Vorbei - der Keusche taubt mir,
Der längst erhabener entstieg.
Unausgesprochen glaubt mir
Die Nacht, was ich verschwieg.
(S. 192-194)
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Der Mann und die Liebe
Nacht vor Settignano

Nur noch bis hier, und dann Gutnacht.
Von hier, bis wo ich dich gebracht.
Nach Haus, ich bitt dich, geh das Stück.
Ich spring indes bergab zurück.
Du siehst die ganze Straßenrampe
Im Mond, wie unter einer Lampe
Das Tischtuch, scharf der kleinste Strich.

Ja, wirf in meine Arme dich.
So wollt ich - ah. Nein, lieber stumm.
Und wiederum. Und wiederum.

Nicht hier. Wenn eine Bank hier wäre;
Zurück? Gut, bis zur ersten Kehre.

So meinst du, könnt es werden? Sag
Nichts Hastiges! - Dieser eine Tag
Tun, was durch all das Jahr nicht ward? -
Sturm aus der Stadt - der Braus, die Fahrt,
Die Meile staubiger Niederungen,
Dorf hinter Dorf, im Schluß verschlungen,
Talauf, zur recht und linken Quell,
Brücke nach Brücke, das Mugell!
Das Grün noch heiß, doch immer grüner,
Dann - herzversetzt - verlangsamt - kühner

Und kühner - hinter uns versunken,
Vorn steil - den Weg ans Rad getrunken,
Fast ohne Wort, zurückgeschmiegt,
Hinangeschwenkt, emporgewiegt -
Ein wenig planer, wieder steiler -:
Voll brauner Mienen Sonntagsweiler,
Sich um den stehenden Wagen Schiebende,
Freimütig höflich in ihn lugend.
Und mit dem Unschuldsstolz der Jugend
Uns preisend, fast uns dankend - "Liebende!"
Dich macht es blässer, mich verbrennts.

Und so hinauf nach San Lorènz.
Und wieder Dank in tiefen Mienen
Und Freude Ehrfurcht in dem Dienen,
Und aufgetan der kühlste Saal
Und frische Rosen um das Mahl
In ganzen Armen statt der welken,
Und ältern Wein, betäubt von Nelken -
Erkühlung, dessen Amaranth
Die Tochter schenkt, und unverwandt
Mit Augen, die sich sanft befeuren,
Dich grüßend, zutrinkt: "Eurem Teuren!"

Hinaus, den Pfad, der bergauf streicht,
Durchs mitte Volk; die Menge weicht.
Die steinige Kuppe; weiß der Paß;
Ledern Gestrüpp; verglühtes Gras
Um toter Disteln Silbersterne.

Bitter das Nahe, süß die Ferne.
Und du und ich, umsonst vereinigt,
Starr wider starr, erloschen, steinigt -
Die Distel ich, der Lorbeer du,
Seit Monden ohne Naß nicht treibend -
Wenn Wind es spielt, einander reibend -
Gut; wieder auf; dem Flecken zu.
Wohl macht dein Prunkschuh ungelenk,
Doch Arm in Arm bleibt leer Gehenk,
Als hakte man ein Boot zum Steg;
Nun aber fehlen wir den Weg
In Cytisus und Felsenbrocken;
Stocken, und Ausweg, wieder Stocken -
Und aus dem Halt, den ich dir wähle,
Und aus der Hand, nach der du langst,
Und meinem Trost und deiner Angst
Und dann, am Bachriß, dem Befehle,
Der dich in meine Arme hebt,
Und aus dem Dank, der überschwebt,
Wird in der Stunde eine Seele.
Zu schwach noch für ein Wort; zu leer
Von mehr als sich; von sich schon schwer,
Und eben dem, was du verlachst,
Und kühl von allem, was du fachst,
Und langsam, wie sich Waagen neigen,
Gewicht aus deinem in mein Schweigen
Abziehend, daß du dir entschweben
Empfindest, was mich um dich mehrt,
Und daß Geliebtsein, nicht Begehrt,
Dir mächtig scheint und eine Kraft,
Und ein geheimnisvolles Leben.
Und dunkel, eine Leidenschaft.
Das geht, bis wir auf Straßen sind.
Du lachst und jubelst wie ein Kind.

Nicht also? ging es anders zu?
Wenns anders zuging, sag mirs du.

Oh!
Oder wärs, wenn dies nicht ward,
Gekommen so zur Niederfahrt
Und diesem Weg und dieser Stunde
Und so gelübdeschwerem Munde,
Wie hier? Und hier?

Und fühlst es nun,
Wie Liebe nur vorbeizuschreiten,
Nichts weiter, braucht, - und wie vor Zeiten
Vor Göttern, tritt man aus den Schuhn?
Und, wie der Vorzeit Urgemüt
Die Stellen, drein der Blitz geglüht,
Elysisch hieß und scheu umschritt,
Also, wo heut dein Wagen glitt -
Nur weil man ahnte, daß du liebst,
Du aller Erde Leid vertriebst,
O Leidvertreib, und wolltst dus werden?
Hast dus gefühlt, wie gern zur Erden
Für dich, und Ihn, der dich erschuf,
All Die, - nur selig unser Beider, -
Geworfen hätten ihre Kleider
Wie Teppich untern Huf?
Und womit überbeut
Dir einen einzigen Blick aus diesem Heut
Der Babelturm aus Gier und Angst,
Nach dem du immer noch verlangst -
Geld - das dich anderm Gelde gleicht,
Macht - die vor andern Mächten weicht
Und längst schon keinen mehr ermächtigt,
Geltung, - die dich nur mitberechtigt,
Und, was vom Preise, der dran stickt
- Und wer ihn aufbringt, mag es kaufen -,
Entleert ist und bescholten blickt?
Was rettet dich aus diesem Haufen
Und macht dich einmal ohnegleichen
Reich, oder frei ob eignen Reichen -
Am Steuer reich und frei von Zoll - -
Als daß du aller Welt ein Wesen
Erscheinest, dessen Bild sie lesen,
Unkäuflich und geheimnisvoll?
Unnahbar, wie Gestirn, den Mächten,
Weil ganz hinein begriffen in die Kraft,
Die ohne drum zu rechten
Sich das Geringste dienstbar schafft,
Und deren keines, das da lebt,
Sich ungeschändet überhebt?
Und was ist Wesen, als was handelt,
Weil es dem Mächtigen Stetigkeit
Entgegenwirft und erst im Streit
Sich unbewußt durch Liebe wandelt? -
Ist dir dies Werben nicht Verdruß,
Noch unwert armumschlungner Werber,
Und fühlst nicht härter und nicht herber
Als Riß an dir und auf dir Kuß,
So bitt ich eins, daß du mirs gibst,
Von Eides Lippen ein Versprechen -
Nicht dies - kein Wort so leicht zu brechen
Wie dies, daß du mich liebst -
Nicht mich - zwar mich wohl, könnt es sein!
Doch nicht so kahl - keins von den zwein:
"Mich oder nichts" - nein, treib mich aus,
Doch so, daß Keil den Nagel triebe:
Was gilts, um was er geht, der Strauß -
- "Mich oder andres!" - aber liebe!
Andres - und dann in nichts mir günstiger,
Als daß du dies je herzinbrünstiger,
Je selbstentwandter, weltvermeßner,
Vollkommen liebst und deinvergeßner,
Je minder mich - o schweig, es ist
Ein Gleichnis, weder Spiel noch List.
Und dennoch: listig dürft ichs nennen
Im Schmerze: wenn um mich nicht brennen -
Um was es sei, - -  doch also loh,
Daß nicht ein Halm sei, nicht ein Stroh
In aller Welt, das dir vergibt
Um dieses Einen willen,
Vor dir zu stehen ungeliebt,
Denn Liebe meint das Ganze:
Versprich mirs, und ich will stillen
Mein Herz und leicht mit stehn an diesem Tanze!

Sagst du mirs stumm, ich nehm es stumm.
Und wiederum. Und wiederum.
(S. 198-204)
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Der Mann und die Liebe
Nigella hispanica atropurpurea

Längst herangeharrte Gestalt, im krausen
Wuchergrün geahnete, bitter knospend,
Bittersüß erblüht zur erloschen dunkelglockigen Blume -

Welch ein Wort, dem Gärtener, aus dem Hades
Steigend, bringst du in seinen wilden Juli?
Leise sprichs, ein Einsamer hörts; doch deutlich, denn
ein Verstörter

Hört halb hin; er wartet auf andres; frag nicht,
Was? er sagts nicht. Jeglichen Nachmittag hier
Stäupt ihn die erbitterte Sonne, fahrend längs seine Tore. -

Traurende Hochzeiterin, welche fremde
Hochzeit rüstet dieser Altar des Selbstmords?
Wulstig krausts und haderig, krallts, nach einwärts
schlagen die Küsse. -

Langsam sprichs, bedenke dich; Zeit genug hat
Er, des Zeit die seine nicht ist. Es hat sie
Die Entfernte - wie einen Blumenstock, des zwar
sie nicht wartet,

Im versperrten Saal gegen Mitternacht: der
Regen stürzt - es steigen in Röhren schluckend
Haus empor und Flure entlang die Wasser -
gehn ihm in Kannen
Tür vorbei - man badet und sprengt - es schwenken
Dienende die Zeit, die er hat zu leben
Blank aus Fenster: eben wie diesen, also hat sie
mich bei sich. -

Überhört ich, was du gehaucht? du sprichst nicht
Zweimal. Einmal deuten die Götter, blitzt das
Ingewissen, zittert die Braut, entscheiden Zeiten die Blume.

Vieles hat der ärmere Mensch. Für einen
Brief, der ausblieb, Bote auf Bote läuft ihm.
Fürstlich schenkt er. Selber sich unkund, Namen
holt er Geschöpfen

Aus den Lebens Schmerzen herauf; denn ihm ist
Eines not und ist ihm versagt: Und was drum?
Was mich höhnt, je mehr es mich höhnt, wie nenn ichs?
eine Geliebte.

Dein auch eben hatt ich nicht acht. Die Botschaft
Ging vorbei. Viel schuldiger sind wir, als der
Zorn sich wähnt, der immer nach Antwort fiebert:
Siehe, ich schenke

Dir mein Herz, das Eine nicht will: sie will mich
Herzlos. Herzgeschenke sind Namen: Deiner,
Düstrer Schoß voll Folter und Irrsinn, heißt
"Unglückliche Liebe".

Unglücklich, - nicht weil unerhört: es hörten
Dich die Untren: Farbe bekennen darfst du,
Stygische, - im Schilde sie führen, offen, all deine Zeichen.

Unglücklich, - nicht weil unerfüllt: dein Tanzplatz
Steht, schon ist in Haken und Horn dein sanfter
Schoß verkehrt, entartet in schlimmen Schranken
kriechen die Paare.

Unglücklich im giftigen Keim; unglücklich
Wartende; unglücklicher, sich erfahrend;
Ganz unglücklich, wenn sie sich aufentfaltet,
aus dem verirrten

Herzgespinste, so wie die Braut aus Schleiern,
Hertritt mit der endlichen Gabe - Taumel
Hier wie dort. Sie blüht, wo sie fällt; sie blüht,
wo einer sie säte.
(S. 207-209)
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Der Mann und die Liebe
Abetone

Wer der Unsterblichen hier oder Halbgott
Forsten wahre und Firnes walte,
Dem nach Leiden der Staubgebornen halb noch
zögre der Trieb -
Ihm befehl ich den ausgestandenen Berg und nenn
ihn ihm Halt nach Halte,
Daß er sie schirme, wenn ihr zulieb nicht, immer
noch mir zulieb.

Wo die Geleise durch Schwarzwald aufgehn, taglang
Steigend aus Tusker Tälern,
Bis an die Landscheid, die der Lombarde steilrecht
über sich schaut -
Paß dran Wässer und Volk sich zweigen, heilig
blieben mir Vorzeit Mälern,
Hinwärts Herbergshallen und herwärts, aufrecht
Maut wider Maut -

Weiht mir dort im Getös des Tanns, Agyieus, und
in der Schmelzflut Tosen,
Ernstere Nymphe, die Wagenspur, die sie neben
mir fuhr -
Müd ihr spielendes Herz erlösend, Hand auf Rosen
und Mund in Rosen:
Ich verneige mich, herzandächtig ihrer und der
Natur.
Keusche Dryade, schirme die Mulde, weiß am Rande
der Mondwildnisse,
Wo sie den Stilleren reinaufbrausend weh in die
Arme sich schmolz -
Sterbe dem Fußbreit, wo wir die Stunden dauerten,
nimmer die Bergnarzisse,
Daure mit Rausch, der den Kuß mitseufzte, das
mit ihr bebte, das Holz.

Leiser nun, doch meidender nicht, umschwebt mir und
sühnet den heiligen Jammer -
Bannplatz will wie der Dank auf Erden Kümmernis,
ehe sie ruht -
Welcherlei Liebe auch trug ein Bette, welcherlei Laut
nachhallte die Kammer,
Ungut tu sie und ungut treibe sies, Liebe am End
ist gut.

Ehe dir Junius wieder die Scheibe, und wann nicht mehr,
und wann er sie runde -
Bringst du sie, Trivia, wieder, die dreifach unver-
schmerzliche Nacht -
Zittre ins Haus, ob ein hingerißner Mund vielleicht
an vergöttertem Munde,
Was an Munde dort Mund verwirkt hat, wieder zu
Lauterem macht.

Einzige, die du der Fehlbaren Hausungen nahst,
o Lautere, in der verworrnen
Finsternisse Verhängnis Hälften, und dein unsterblicher
Schein
Blüht das Irre zu Urzeit Irrsal, Traufe zu mehr
denn musischen Bornen,
Und deine Laufbahn läßt nichts hinten, daß es noch
blicke gemein -

Dort die Stätte unbräutlichen Brands, wo ein Fluchgeist
haust und Geister der Schmählust,
Stehe gefeit von dem unnahbaren Trost, mit dem du
uns feist,
Zieh von dannen wie Dampf vom Teiche herz-
bewölkende Wohl- und Wehlust,
Daß einem Geist, der im Traum dort einblickt, lächle
ein lieblicher Geist.

Mädchengeschlecht, Geschwister der Oreas, sehnige
Bräute des Wests, aus Halmen
Lauernde, ob euch der Buhle erspäht und neckt
mit dem kollernden Fels,
Heißet ihns schlichten zum Mal - ihr wißt wo -, streut
drum Flor der stiebenden Almen,
Unbegütigte sahen ihn prangen, Unachtsame
des Quells - -,
Undankbaren umrauschten die Tritte Wälder und
schlichteten selige Pfade -
Ach ein schwärendes Blut, wo rechnets frei vom
Hader den Dank!
Glätte die Tapfen der letzten Wandrung, geistre im
Laubigen, Hamadryade,
Wo mir umsonst um ein Wort vom erznen Munde
die Biegsame rang.

Wohl umsonst; oh lausche aus Dickichten, spähe zur
Schluchtnacht nieder vom Ranfte,
Wo, im Kühl der Najade gediehn, verschollener
Waldschaum blüht;
Heget ihn beiden uns Ärmsten ein Weihtum, ewig
schimmre der veilchensanfte,
Der uns nicht gab, was keines mehr gäbe, aber
gereut im Gemüt:

Nymphe, wie du jetzt sah die Entzückte, traurend
Neckende - mir in die Seele
Greifend der Blick, als heischt er den Dienst, und
tief zu den Blumen den Arm -
Rührende List zur bitteren Unzeit; trüb erst ward
dem trüben Befehle
Kaltes Gehör; ich klomm in die Tiefen, brachte den
Glanz und den Harm,
Und einen Abschied, ihr auf Knien das Haupt in Schoß.
Euch weih ich die Böschung,
Wo uns die scharf ausklärenden Tränen, ersten und
letzten, geschahn,
Fieber und Fackel zugleich verlosch; drum wir wohl
auch nach solcher Verlöschung
Götter verzeiht, was Leides uns taten! aber uns nicht
mehr sahn.
(S. 232-236)
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Nachklang

Zu dem, was bleibt, so wahr ich in dir daure,
Zähl ich umsonst dies tiefbegrabne Feuer,
Mit dem ich hinter deinem Munde traure
Nach Lebewohl, und weiß nichts ungetreuer
Als Zeit, die flieht: doch sieh! sie ließ ein teuer
Geschenk mir nach - ich lächle und ich schaure:
Sie warf mir Silber durch die vollen Scheitel
Und lenkt die Leidenschaft von dem, was eitel,
Zu dem, was bleibt, so wahr ich in dir daure.
(S. 237)
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Der Mann und die Liebe
Absage

Verlangst du nach dem Wort "verzeih"?
Verlangst du nach dem Wort "vergib"?
Ist dirs vielleicht gar einerlei,
Wie "diesen lieb" und "jenen lieb"? -

Kein Himmel fragt, was wir versahn;
Was wir gewollt, kein Ebenchrist;
Dir wird verziehn, was du getan;
Vergeben wird dir, was du bist.

Was du getan, wird dir verziehn,
Klagst du und wolltests ungeschehn:
Du strahlst, es sei dir wohlgediehn,
Und ich solls nehmen für Versehn?

"Nicht zürnen", heißt dirs? - Deine Schuld
Rollt wie ein Wechsel durch die Welt.
Mir zahlst du nicht - jedoch, Geduld,
Er lebt, der dich beim Worte hält.

Denn du bist du, so nach wie vor;
Der Rächer folgt nicht auf dem Fuß:
Er öffnet fern von hier ein Tor,
Dran du gepocht, und lacht den Gruß.

Dir wird vergeben, was du bist,
Wenn, was du bist, von hinnen wich;
Ich bin nicht mehr, der sichs vermißt,
Zu treten zwischen dich und dich.

Schweig und verehre meinen Schmerz.
Es geht um mehr als deins und meins;
Nicht mich, du schlägst das Menschenherz:
Die ganze Geisterwelt ist Eins.

Nicht was du eben tust - laß ab!
Daß du die bist, der dies beliebt:
Denk, ich verzieh und ich vergab,
Wenn dir dein Leben dies vergibt.
(S. 240-241)
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Nachklang

Ein Teil von dir ist allem beigemischt,
Was ich zu nächst gewahre und in der Ferne:
Ein Teil von meinem früheren Blick erlischt,
Seit ich in dir die Welt aufs neu erlerne,
Du lachst mir aus dem Glück der Morgensterne,
Und noch die Neblung, die sie nun verwischt,
Enthält an ihrem Rande dein Verschweben -
Schön ist der Alltag. Einfach ist das Leben:
Ein Teil von dir ist allem beigemischt.
(S. 242)
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In ein Buch geschrieben

Wenn du, o Jammervolle,
Von der ich schied in Grolle -
Ah nicht in Grolle, nein,
In Pein -

Wenn du, die nie verziehst,
Und, wenn du heut mich siehst,
Mich fliehst, -
Um alter Liebe willen
In diesen Zeilen liest -

Denke dann im Stillen,
Daß ich die bittern Schanden,
Die du auf dich gebracht,
In vieler Herren Landen
Und, endlich, in der Schlacht -

Daß ich den Hohn der Schelme
In mancher langen Nacht
Und endlich unterm Helme
Überwunden, überstanden.

Das überwind auch du:
Sieh zu,
Und wage noch zu leben.
Hab Mut, und habe lieb.
Vergib.
Ich habe dir vergeben.
(S. 243)
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Die Schöpfung aus Liebe


Mit einer Stutzuhr

Bin ichs wirklich, der ich diese Uhr
Zu den Gaben deines Festes füge?
Stell ich wirklich neben dich, Natur,
Unnatur, die dir die Stunden schlüge?

Der ich jedem Zifferblatte feind,
Jeden wilden Pendel lieber hielte, -
Dem an allem Mäßigen nur erscheint,
Was den Tod in unser Leben zielte -

Stelle nun, ich selbst, die Weltvergessnen,
Denen Raum zerfiel und Frist verscholl,
Zu dem armen Volke der Bemessnen?
Willst du, daß ichs kann, und daß ichs soll?

Nein und nein, ich solls nicht, solls und mags nicht,
Trags noch fort, das Unbild, eh dus sahst -
Werde du durch mich Geschöpf des Tags nicht,
Dem du Tag und Stunde neu bemaßt,

Dem du das Geweb der Zeit zerrissen
Und zur Ewigkeit die Masche schlugst, -
Goldner Lichtbefehl aus Finsternissen
Meines Kampfs, drin du mich nicht ertrugst, -

Mutberauschter Unschuldsblick der Fernen,
Deiner Neuzeit strahlender Tumult. -
Nicht von mir sollst du die arme Weisheit lernen,
Ungeduldige, der Geduld und Schuld!

Gnuge sind, die offen und verstohlen
All ihr Werk in diese Felder schicken,
Sich die Zeit aus jedem Turme holen,
Und ersticken, wenn sie nicht drauf blicken,

Nie wie wir im übervollen Blute
Herbergen die Glocken und den Zeiger,
Die verkünden, ob nicht die Minute
Tapfrer sei und nicht die Stunde feiger,

Nicht der Tag die Jahre überdehnte,
Nicht das große Herz, ein Element,
In sein Nichts zurücke die Jahrzehnte
Herrscht, und Zeit die Beute läßt, und rennt -

Oh, und die nicht wissen, was dein Blick
Mich gelehrt hat, seit er mich durchschossen:
Wir ererbten göttliches Geschick,
Vor und hinter uns ist nichts verflossen,

Weil wir selber durch einander stürzen,
Mit der Leiden und der Liebe Willen,
Nichts zu sparen oder abzukürzen,
Nichts, was sich heranbewegt, zu stillen,

Sondern ungebeugt und unbelehrt
Von entseelten und entleibten Jahren
Nichts gewillt sind, als den ewigen Wert
Des Geschöpfs erschaffend zu erfahren.

Du beherrschst mit diesen Augensternen
Meines Tages End und Anbeginn,
Nur in deinen Armen will ich lernen
Welches Maßes ich am Ende bin, -

Wo du aufgehst, wird mein Osten gelb,
Wo du strahlst, erspringt mein Licht den Scheitel,
Wo du in mich einkehrst, werd ich selb,
Und nur wo du dich vereitelst, eitel, -

Und der Puls der Welt, wo ich Dich fülle,
Und der Dinge Maß, wo ich dich regle,
Daß die Sonne nackend sich enthülle
Vom Gewölk, das feierlich versegle,

Und ein neuer Tag und neue Nacht
Schlichtend durch das immer gleiche schlage,
Und ein jeder deiner Übermacht
Tausendteil schon täglich in sich trage. -

Und ich trags schon in mir selbst, wie immer
Eifernd meine Hand den Zeiger packt:
Mitten durch die Blendung und den Flimmer
Dieser Tage braust dein neuer Takt,

Mißt sich das Gebrochne neu zu Maßen,
Kreist der süße Wirrwarr zu Figur, -
Mut und Liebe sind sich selber Straßen,
Tritt und Puls schon wieder eine Uhr,

Du und ich von neuem des Geschlechtes
Dieser Jugend Erde die Gewähr,
Born nun der Gestalt und nun des Rechtes, - -
Aber du die Göttin aus dem Meer,

Die du aus dem alten Flutgewimmel
Aufwärts gegen die Gewölbe eilst,
Mit dem neu entdeckten, unserm Himmel
Nicht nur Licht und nicht nur Wolke teilst,

Und mit dem Gestirn nicht nur die Wonne,
Die du aushauchst und durch die du bist,
Sondern alles Recht von Mond und Sonne
Einzuteilen der Geschöpfe Frist.

Nimm sie denn, die dennoch dir verwandte,
Gnädig an wie Götter das Emblem:
Weil ich das Geschenk nach dir benannte,
Dir verglich, sei dirs nicht ungenehm, -

Und wenn sich das schönste Auge wundert,
Daß ich stocke, schlägt sie nun so still, - -
Ja, sie schlägt, und schlägt schon dem Jahrhundert,
Das ich deinen Namen lehren will.
(S. 249-252)
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Die gelbe Kaiserkrone

Sieh sie an und sag wie ich -
- Nein sag gar nichts. Blick in dich
Oder wie ich in mich sah,
Hauch aus in dir ein ahnend "ja".
Von den Glocken, die sie neigt,
Zu dem Busch, der übersteigt
Urwaldfremd und urzeitreich,
Einer Urwelt Kronen gleich,
Unbegreiflich wild und edel,
Tanzschmuck, oder Palmenwedel
Wie von Tropenwassers Ranfte, - -
Bis hinab, wo diese sanfte
Blödigkeit der riesenhaften,
Dieser schuldlos wiesenhaften
Opfer gleich gesenkten Schellen, -
Gelb, wie Gelb nicht gelb ist, - quellen,
Wie nur das gewachsene quillt -
Dem Schaft entblüht, - sieh, dieses Bild!
Solche Milde solcher Wildnis!
So reiche Leidenschaft im Bildnis
Dieser stillsten Welt!
Und siehe! eine Träne fällt
Oder was wie Tränen scheint:
Hast du sie so süß geweint?
Weil durch dich ein feierstündlich,
Ein trunkenes Sehnen unergründlich
Mit der feinsten Schneide glitt
Und wo es dich so heiß durchschnitt,
Und die bestürzten Adern klopfen,
Hing und fiel dein tiefster Tropfen?
Nein, du lachst durch diesen Tau
Der Augen nun erst doppelt blau,
Und mit dem Nagel hebst du bloß
Die Glocken an, aus deren Schoß
Sich die wilde Perle löste:
Denn es hegt der keusch entblößte,
Eingewachsen um den Stempel,
Der allerheiligste, der Tempel
Ihrer Lust, der goldbestäubte,
Soviel wie Samen-Stiel und Häupte,
Gleichnisse der Liebes-Schmerzen,
Von ihm tropfend wie von Kerzen.
Laß in Stand zurück sie schnellen
Und uns nicht mit Tag erhellen
Dies Geheimnis ihrer jung
Aufgeblühten Dämmerung.
Zähle dies Geheimnis du
Ihrem größern Rätsel zu,
Das dich bittersüß berührend,
Halb berauschend, halb verführend,
Halb mit Anhauch groß und rein,
In ein brünstigeres Sein
Fremd und sanft zu sich begehrt
Und beseligt, wenn auch zehrt,
Wie der Träne dieser Rand
Deines Nagels, halb verwandt,
Nur perlmutterhafter blinkt,
Dem nun der Glockenrand entsinkt,
Also bist du ihr verschwistert
Durch dein Blut, das ihr geflüstert,
Was durch seine Gänge klagt,
Wenn, was uns die Welt versagt,
Plötzlich wortlos, kaum gestehbar,
Unbemeßbar, unabsehbar,
Heiß und rein, unwiderstehlich,
Über alle Worte selig,
Ein Erbteil und ein Königreich -
Heiligen Paradiesen gleich,
Durch die Lücken uns erscheint:
Das Herz versagt, als ob es weint
Und begreift nicht, was es schlug -
Eine Blume ist genug.
(S. 253-255)
_____



Mit den Schuhen

Was man will, kann man nicht geben,
Und man gibt nur, was man muß,
Also gibt man einen Kuß
Und man gäbe gern das Leben.

Also gibt man einen Strauß
Statt des Gartens um ein Haus,
Gibt das Buch als den Entgelt
Für die Weisheit aller Welt,

Drängt den Ring an einen Finger,
Schlingt die Kette um den Hals, -
Alles nur ein wie geringer
Abschlag auf die Schuld des Alls!

Jenes Alls, in dem man ist,
Wenn man eine liebt, -
Wer der Gabe Sinn vergißt,
Was hat er, was er gibt?

Alle Gabe ist nur Sinn
Und Bild in einer Hülle.
Seit ich fühle alle Fülle,
Weiß ich erst, wie arm ich bin!

Mach mich du, geliebtes Kind,
Zum reichsten von den Leuten!
Sieh nicht an, was Gaben sind,
Nur an, was sie bedeuten!

Für das ganze Feld die Ähre,
Für den Himmel nimm den Stern,
Und mich selbst für was ich gern
Um Deinetwillen wäre!

Diese Hände mit den Schuhn -
Fühle, was sie nur vertreten,
Sieh nicht, was sie eben tun,
Nur was sie lieber täten!

Nimm sie so, wie ich sie sende
Denn sie meinen, Süße -
Lieber legt ich beide Hände
Unter deine Füße!

Zwar sie stehn für keine Gabe
- Dennoch sei das Spiel verziehn!
Alles ist ja nur geliehn
Solang ich dich nicht habe.
(S. 256-257)
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Mit einer griechischen Kette

Für dies verzauberte Gewinde
Hat sich ein Altertum bewegt,
Der Grieche seiner Angebinde
Fast leichtestes um dich gelegt:

Da hängts nun, deinem süßen Hals
So rührend wirklich angegossen,
Wie es im schönsten Ehemals
Vergötterteres nicht umschlossen.

Da hängts; ich wollt, ich könnt umfangen
Dich halb so leicht! und zwischenein
Spürt ich dein geisterhaft Verlangen,
Nicht ganz so leicht gefaßt zu sein. -

Nimms hin: Du nimmst nichts weiter an;
Mehr als dirs ist, will dirs nicht heißen.
Die Herzen hängen wir nicht dran:
Die zarte Kette könnte reißen.

Befolge nur die kluge Leitung
Und tu mir nach, wie du mich siehst,
So bleibt es ohne Vorbedeutung
Du Engel, daß sie noch nicht schließt. -

Ein zarter Faden sie noch knüpft,
Und wieder anknüpft, nach dem Schnitte;
Genug, wenn sie dir nicht entschlüpft!
Es ist das Einzige, was ich bitte.

Sonst nicht ein Pfand, und kein Versprechen,
Genug, wenn du des Sinnes bist,
Dies Spiel nicht eben drum zu brechen,
Weils ja so leicht zu brechen ist!

Sonst bleib es immer, fort und fort,
Ein Teil von dir, geliebtes Hoffen,
Wie deine Hand, dein Blick, dein Wort,
Und wie dein schönster Kuß, halboffen -

Ein Pfand für all dein frei Belieben
In dir und ihm, den du entzückst, -
Er hat nicht viel dran fortzuschieben,
Wenn er, den du nun an dich drückst.

Der sonst, zum mindsten in der Seele,
Den kleinsten Vorbehalt verflucht -
Die schluchzende, die Vogelkehle,
Mit seines Mundes Feuern sucht.
(S. 258-259)
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Mit einer andern Kette

Die erste hast du nicht verargt,
Und dich verdrösse diese zweite?
Weil ich aufs neu, was eingesargt,
Aus seiner Ahnengruft entweihte?
Des Abgrunds schleierhaftes Gold,
Des Schmelzes Feuerblau,
Sind sie denn Helena gesollt,
Und nicht der wärmsten Frau?

Blick auf, bekenne den Verdruß!
Schilt, wenn dus mußt, mein Unterwinden:
Die erste war noch kein Beschluß,
Doch diese, fühlst du, soll dich binden.
Wohl ists im Grund nur eine Zier,
Die andern ähnlich sieht,
Doch Kett an Kette, ahndet dir,
Wird leicht zu Glied an Glied.

Und Glied an Glied, bin ichs denn schuld?
Daß du die freien Locken rüttelst
Und aufgebraust in Ungeduld
Die Kälte dir vom Nacken schüttelst?
Hier denn für kalt fühl mich so warm!
Doch du gewinnst nichts groß:
Läßt denn den Hals mein Arm um Arm,
Mein Mund den Mund dir los?

Bist dus nicht, die mich an dich reißt?
Bin ich noch frei, dich frei zu lassen?
Was wär es denn, das dir beweist,
Gefaßt sein wärs und nicht ein Fassen?
Wer fühlt, ob dieser Kuß den Kuß
Erpreßte oder litt?
Die Kette schließt, und in den Schluß
Wo schöbe sich der Schnitt?

Erhebe dein entzückt Gesicht,
Nur so entzückender, je nasser!
Sieh hin, es regnet durch das Licht,
Es leuchtet durch das hohe Wasser.
Im Sonnenrauche steigt Natur
Hinunter und empor,
Und nichts bemißt die eigne Spur
Im wandelbaren Chor -,

Und nirgend merkt das eine Ding,
Obs vor dem andern Freiheit hätte -
Es unterhält sich Ring in Ring
Hinauf, hinab die größere Kette.
Die Allgewalt aus Halt in Halt -
Da Glied das Glied nicht zählt -
Und frei durch seine Tausendfalt
Und selig, weil vermählt.
(S. 260-261)
_____



Gleichnis

Daß du mich bezwungen hast,
Ward schon eine Sage;
Wie du mich durchdrungen hast,
Wächst mit meinem Tage.

Täglich laß ich so dein Haus
Mit verwandter Miene,
Wie aus der Gewalt des Baus
Nie sich reißt die Biene.

So begreift in allem Raum,
Den sie fährt zu Seime,
Nur die Bahn, die wie im Traum
Rückwärts stürzt nach Heime.

Also bleib ich dein gewiß:
Was auch Tage häuften, -
Du durchschießt mir Finsternis
Mit genauen Läuften,

Und den übermächtigen Bann,
Kein Gedanke stört ihn,
Jeder Gruß erkennt ihn an,
Jeder Abschied schwört ihn.

Ja, weil du mir nach verfließt,
Kehr ich stets der Selbe,
Nur daß du mich in dich ziehst,
Steigert mein Gewölbe.

Wende dich von Träumerein,
Daß Erleuchtung werde:
Völlig hingerissen sein
Tilgt die Schuld der Erde.
(S. 262-263)
_____



Arie

Schließt euch, geliebte Blicke,
Nach der Umarmung zu,
Fühllos Gefühl erquicke
Dein Blut im Schoß der Ruh.

Löst euch, geliebte Glieder,
Reizendes Haupt, sink hin,
Ein fächelndes Gefieder
Besänftige jeden Sinn.

Dämmrung vor dich zu schatten
Heb ich die Hand ins Licht:
Fühls nicht, und fühl nur matten
Den Tag vor dem Gesicht.

Fühls nicht, und mich laß fühlen,
Wie die mich nun noch preßt,
Die leichte Hand, vom Kühlen
Entseelt, mich halb entläßt -

Und wie ein Traum die feuchten
Lippen dir halb entschließt -
Schließt euch, geliebte Leuchten.
Auch wer euch träumt, genießt.
(S. 264)
_____



Ständchen

Morgen, Morgen, bist du da,
Dem mein Herz entgegenlachte:
Rosenbrünstig stehst du da,
Eh ichs selber recht bedachte!

Eh ich hin die Straßen mag
Eilen, glühst du wolkenbrausend
Strahlenschleudernd, starker Tag,
Über trägen Hunderttausend.

Oh, beschäme du mich nicht
Über leeren Straßengleisen
Schatten werfend, leibhaft Licht, -
Laß mich hin, mich mit dir reisen,

Nimm die Pulse meines Bluts,
Nimm die reinsten Überflüsse
Meiner Demut wie des Muts,
Wünsche, Angedenken, Küsse,

Daß sie vor mir her zu ihr
Sich die langen Zeilen stürzen,
Glühnde Vorgefühle mir
So wie ihr die Ferne kürzen,

Und die Stunden, welche du
Uns nicht gönnst, und die uns trennen,
Heiße meinen Boten zu
Und zurück mit ihnen rennen, -

Daß ich jetzt schon um sie sei,
Hundertfältig hingerissen
Als ein Schwarm von Schwärmerei
Tanze über ihren Kissen.

Sie begegne vor dem Spalt
Ihrer Tür, die sich entriegelt,
Nur noch Spiegeln der Gestalt
Und dem Dank, den alles spiegelt, -

Jedes Auge sage: "Dein",
Jedes Antlitz steh entfaltet,
Das Vermischte sei ihr rein,
Und erwärmt, was immer kaltet,

Im Bescheidnen sei der Blick,
Ders Erhabenstem verbrüdert,
Und das frevelste Genick
Fühle sich durch sie erniedert;

Und sie stehe vor der Macht
Ihrer hingestrahlten Fülle,
Wie, wer weint und wie wer lacht,
Ahnend, wie viel er noch hülle,

Sie erblicke durch den Hauch
Also süß gewobner Schleier
Wie das Blau durch Morgenhauch -
Oh, noch nicht mich armen Freier,

Oh, noch nicht die Leidenschaft,
Die noch bebt, das Haus zu hüten,
Sondern jugendliche Kraft
Dieser ihr verwandten Blüten:

Wenn sie flüstern: "Welche gleicht
Ihr am nächsten?" meine Kelche, -
"Kühn wie sie und stark und leicht?"
Und die Glöckchen seufzen: "Welche?"

Wenn der Goldenlack sich müht,
Auszusehn wie ihre Locken,
Rosenprimel wie sie glüht,
Wie sie prangen Osterglocken -

Wenn die Tulpe sich bemalt,
Daß sie uns wie Du erfreue,
Und der Blaustern golden strahlt
Aus dem Augenstern der Bläue.

Und sie lächelt ihres Bilds
Aufgeblüht auf jedem Stengel,
Und ein wenig in sich schmilzt -
Dann erst, sehe mich der Engel,

Dann mein Abgott ferne knien
An dem Rande seiner Reiche,
Still beschämt, daß ich nur ihn
Nicht erreiche, noch ihm gleiche!
(S. 265-267)
_____



Tausend Freuden

Vor tausend Freuden
Muß ich es singen,
Vor tausend Freuden
Muß mirs gelingen, -

Ich wollte es schweigen,
Ich wollts ersticken,
Da mußt ichs zeigen,
Mit tausend Blicken;

Ich wollts gefalten
Zur Brust verschließen,
Die Füße halten,
Daß sie nicht schießen,

Da kommt michs holen,
Mir fliegts entgegen,
Mit tausend Sohlen
Auf tausend Wegen;

Vor Freudenbrechen
Müßt ich zerspringen,
Sollt ichs nur sprechen
Und dürfts nicht singen,

Sollt ichs verstopfen,
Und dürfts nicht segnen,
Mit tausend Tropfen
Nicht nieder regnen -

Und müßts beteuern
Und dürfts nicht flammen,
Mit tausend Feuern
Der Welt zusammen.

Statt es im Ganzen,
Statt es im Vollen
Nur her zu tanzen
Nur hin zu tollen, -

Sie zu bewachen,
Die tausend Wonnen,
Ist all mein Lachen
Zu unbesonnen -

Ich muß verschwenden,
Ich muß vergeuden,
Mit tausend Händen
Vor tausend Freuden, -

Daß ich vergelte,
Was in mich kommen, -
Kein Herz mich schelte,
Dem ichs genommen,

Und keins mehr kranke,
Noch einsam bliebe,
Es komm und danke
Es fühl' es liebe! -

Ich bin begonnen,
Und weiß kein Ende,
Ich bin entronnen
Durch tausend Wände,

Bin abgerungen
Dem tauben Stolze,
Ich bin entsprungen
Wie Grün an Holze! -

Soll ichs nicht blühen,
So werd ichs schallen, -
Darf ichs nicht glühen, -
So werd ichs wallen,

So ström ich Welten
Und sprüh sie spielend
Zu Sterngezelten
Ins Blinde zielend,

Und schlöß ein Zwinger
Mir tausend Poren,
Mir wird vom Finger
Die Welt geboren,

Und trotz dem Wächter,
Gehn, wo ich sitze,
Mir Mutgeschlechter
Hervor wie Blitze. -

Vor tausend Freuden,
Und müßt ich zagen,
Mit tausend Freuden
Will ich es wagen -

Durch tausend Fährden
Muß mir geraten
Der Mut der Erden
Zu tausend Taten.

Es will sich ründen
Das nie Geballte,
Empor sich gründen
Das Ungestalte,

Zu Wohngebäuden
Der Fels sich rahmen
Vor tausend Freuden
Und einem Namen,

Der grün und grüner
Das Erdreich schmückend,
Mir kühn und kühner
Das Herz entzückend,

Mir Kraft vergütend
Mit Kräften tausend,
Nun himmlisch wütend
Nun holder brausend

Außer mir groß wird
Zu tausend Samen, -
Mir namenlos wird
Vor tausend Namen.
(S. 268-272)
_____



Furchtbarer Frühling

Mir, mir, die neue Welt -
Ja mir du, wie du auch seist,
O Ungestalt,
Aller Gestalten schrecklicher Schoß, Entstehung,
Ich liebe dich!
Mir, hier, noch mitten in Sündflut,
Mir, jetzt, unter Vormorgens
Wilden Dämmrungen, Regen gegeißelt,
Wind vermischt, allumarmt
Schon aufwärts Dringende, abwärts wimmelnde,
Nach aller Seite begehrend
Nicht wissend, wohin mit dir -
Mir, mir, o März, o Jugend, deine Erschaffung!

Gegen und gegen mich an,
Mir den Jubel aus jeder gekrausten
Nerve reißend, mir Musik,
Quer zur Straße, Stoß um Stoß,
Ruckweis, Ringerschar,
Heerbreit berennt mich der Wind:
Komm an, so komm doch,
Gib nach, so gib dich, -
Was begehr ich denn,
Als dir vollster, regnender Neubraus,
Du Massenhafter, vorangestemmt,
Abgedrängt von neuem vor,
Gewachsen sein!
Um Kraft mit dir
Wie um Liebe mit der Geliebten,
Brust in Brust gelehnt zu spielen!
Tausendfach, Element wie du,
In jedem Tropfen ein Andrer,
Jedes sausenden Sprühns
Nadelspitzem Hagel im heißen Gesicht
Allüberallhin zerstoben entgegen zu stürzen,
Du zu werden, dich mir ähnelnd
In ein gleiches
Unanfänglicher Wandlungen
Mich zu mischen!

Wer verböte mir
Meine Wandlung?
Wer die Heimkehr
Hinter die Dinge?
Aus Städten floh ich -
Und was sind Städte denn noch?
Aus Zeiten trat ich,
Was ist aus Zeiten geworden,
Wer hätte zu fordern an mich?
Um geborstene Götzen liegt
Bei ungerechtem Richter,
Bestochnem Zeugen,
Gleicherweis verraten und Verräter,
Von Göttern und Menschen verworfen
Alles sterbliche Geschlecht:
Wem sollt ich sterben helfen?
Mit wessen pestgeschlagener
Schelmenzunge Spottgebet
Vor den Himmel Zorn begleiten?
Mit wessen Leidensmiene
Schon nach Zufallfreude schielen?
Wer heißt mich sein, wie ich war,
Wagt zu hassen, was ich werde,
Wer beschilt mein einzig Gut,
Mir verbliebnes
Zu unermeßlichem Reichtum, -
Wer verklagt Unsterblichkeit?

Altar nenn ich dich,
Schauerwüster Morgenrauch,
Halb auf Anhöhn über den Wald weg
Auf mich zu!
Mächte suchst du, mein Bruder,
Hinter der eisengegossenen
Himmelsfestung Finsternis,
Deiner kindgestalten Unmacht
Dich nicht schämend.
Oh, lieber wie du in tausend
Fetzen Hoffnung selbstzerrissen
Aufgehn, - Wärmeblick,
Hauch, Ahnung, Götterhand,
Morgenrührung, Glauben herzutasten - -
Als an der gestrigen Lachen
Froschklage gebannt, den Hinfall
Ekler Körper, Körper selbst
Sich noch lügend
Wie ihr Schatte zu bequäken.
Aller Gott ist ungewiß, ein Wagnis,
Aller Aufgang Untergang,
Alles Heilige Begegnung in einer Wildnis.

Wem begegnen wir Alle, o Wind und Wolkengestalt,
Wem, o Flug und Sturz, o Abgrund,
Zuerst und welchem zuletzt?
Was fehlt noch uns zu ergreifen,
Da aller Boden, gefurcht
Wie von der Runzel des Säuglings,
Von Leben nach oben birst,
Und jede Furche voll Lerchenschrei und Keimbrut
Bebt, und, wie an Himmeln sonst
Sternstäubigen, - die Gassen des Grunds
Und die Bahnen durch den Menschen
Milchstraßen des Lebens geworden
Sich mit Seligkeiten füllen,
Schöpfungs Unmaß unabsehbar?
Wie lange noch sollen uns Krusten
Zuklemmen in Winterform,
Wie lange noch sollen wir denn
Mit dem jüngsten, was wir vermögen,
Mit kindisch zarten Trieben,
Nestlingen, gebogen sanften
Knospe schützenden Keimungen
Das widrige Feste, trägen Tod
Milliarden Male sprengen?
Erbarmt Euch, leichternde, Heilige droben
Der heiligen Riesen Mühsal,
Blickt endlich, blicket den Segen
Auf allen den Dampf und Kampf, den Aufblick
Der Titanen Leidenschaft!

Aufwärts ringt es ihn,
Niederwärts, Krampf wider Krampf,
Packt er Schollen Fruchtbarkeit
Mit Wandlungskräften
Alles Irdische markerschütternd,
Baumborstig, felsenhändig,
Den heidigen Rücken gesträubt,
Wie der Erbebende an, wie Vesuv, sein Bruder:
Aus Hölzern bricht er tobend und grünend hervor,
Bricht blutrot durch die verschlammende Haut
Dieses Feldwegs, dessen Leben
Unter der Fersen mir spritzt:
Ja so wahr mir Gott,
Ja die Erde bebt, -
Um sich hauend
Erknirscht der rasende Wald;
Nicht aus Lüften ist er
Dieser Ansturm,
Keine Winde beugen
Diese Stämme, -
Nicht vorm Auge, nicht vorm Nerve
Erblinzt mir und zittert der Scheinblick
Aller Vesten und Schein des Menschengebilds, -
Der Lebendige ists,
Der neu anhebt,
Dieser Furchtbare
Will entstehn -
Von ihm gehn wie von dem Ambos Funken,
Hochgeschleudert neue Vogelschwärme,
Stöße Dampfes, Klänge Lautes,
Geht die Wut des Laubs,
Geht der Schrei der Gruft, -
Mein eigner Schritt
Schlägt das Maß ihm,
Meine Ader
Schickt ihm Schrei,
Halb den holden Schrei der Freiheit,
Das bittere Schreien der halb
Noch mit Halbem zugewachsnen
Ungöttlichen dumpfen Gestalt, -
Mein eigen Blut, sein Teil in mir,
Donnern gegen die Türen seiner Gefängnis.

Sollen in Banden wir hier,
Hier in dem finsteren Kot
Verzweifeln müssen?
Reißen mit Odem umsonst
Unsere Winde am Bau
Ungeführter träger Himmel?
Bringt das Blut, bringts nicht, aufgebäumt
Keinerlei Blütenschein
Und keine Verführung in euch,
Ihr farbelosen
Schiefergrauen Dämmrungsgötter?
Ist aller der Himmel uns stumm?
Kämpft sich unser Kampf zunichte?

Da springen, - - da -
Da - und wieder
Klüfte droben
Von Geburt!
Sie kommt, - sie kommt, -
Die ungeheuer entfernten Stufen
Mit Purpur herunter getanzt:
Ganz Begeistrungsblick, -
Ganz Kußhand, -
Glühend das lachende Antlitz,
Mit Gnaden bringt sie, mit Locken wirft sie,
Mit Rosen stürzt sie sich her.
Von ihr gehen, kommt, seht,
Breite Gassen Zitterstrahls,
Sternbrunnen entspringen von ihr - -
Flieh nicht wieder,
Morgenrot Entzücken
Nicht hinter die Wolke zurück!
Viel zu kühle Spötterin,
Widersteh nicht
Unsrer Inbrunst -
Aufgestanden ist
Von den erdebreiten Sitzen
Dir entgegen aller Geist des Alls, -
Jung in deiner Beglänzung
Stehn die schweren
Die schuldgebeugten, Unschuldgläubigen
Tausend Schultern seiner Erde!

Himmlische, siehe, oh sieh
Es ist, es ist dir umsonst!
Er zerreißt mit Morgenstürmen
Die Abwehr deines Gewölks.
Schon liegst du, goldenäugig,
Schon Blitz mit Blitzen erwidernd,
Kuß in allen seinen Tropfen,
Er braust dir auf mit tausend seiner Lerchen:
Leichtfüßig, glitzerhändig
Zauberst du über all seine Schöpfungen hin -
Wohin, wohin denn
Entflöhst du ihm,
In welche kalten Himmelsöden,
Da sich keiner
Der immer noch schlafenden Götter
Dir kühnstgeborener Wonnegestalt
Zu vermählen Blick noch Herz hat?

Wir bedürfen dein,
Himmelskind!
Da, die Blume
Sieh die Erste,
Die dein Anblick
Uns entriß!

Funken raubte der Vater
Unser aller dem Himmel,
Im eignen Herd
Ihn zur Flamme zu siedeln.

In die Himmel greift
Immer wieder die Erde,
In dem Ringen
Vor dem Brautfest,
Und erneuert die Welt
Aus der furchtbaren Frist,
Wenn dem Tage die Nacht
Gleich geworden das Bild der Welt vernichtet.

Mir
Durch dich, -
Mir, mir die neue Welt!
Nichts mehr scheu ich,
Von künftiger nicht,
Noch vermiß ich,
Nichts hält von der alten mich fest.
Ich entsprang
Wie der Schoß am Holze,
Ich zerbarst
Wie vom Keime der Stein:
Ein Sprung, so steh ich im Wagen
Phöbus', des noch nie Gewesnen,
Dessen Räder ich höre,
Dessen Bahn ich nicht weiß -
Doch dich vor mir, vor Rossen und Geißeln tanzend, -
- Zügel her, o Tänzerin,
Und steil in den Mittag, es wird noch ein Tag aus Morgen!
(S. 273-281)
_____



Das Entzücken

Die Sterne haben dich mein gewollt,
Dich Strahlengabe mir zugerollt,
Dich um mich verhundertfältigt,
Die Bläuen haben dich hergewettert,
Dich Lerchenstimme mir zugeschmettert,
Und mich mit dir überwältigt.
Lenz ging über, da wardst du ergossen;
Ein Fels bricht auf, draus kommst du geschossen,
Armdick, ein Bogen der Lust, -
Eiskalt über die Haut mir glühend,
Bänder der Frischung wider mich sprühend,
So rennst du mir über die Brust.
Renn ich dir nach, mit der bäumenden Schnelle
Um die Wette, so staust du die Welle
Zum Bad, und daraus tauchst du -
Ehe die endlichen Arme dich packten,
Drückst du die Augen mit beiden, den nackten,
Den sanften Zehen mir zu, -
Und Husch am Kinne, und Streif am Munde,
Schwingst du dich, Äther, mit Wind im Bunde
Empor und vergehst im Nu.

Ich schwang dir nach dem Wind, ich hab dich,
Entzücken fing dich, Entrücken gab dich, -
Ein Rausch, da schwingst du dich frei: -
Eben noch Lippe getreu der Lippe
Höhnst du mich schon von der leichtesten Klippe
Mit des seligen Vogels Schrei:
Falk noch eben, und Stimme der Wildnis,
Tauchst du schon wieder in Menschenbildnis,
Als wärs ein neu Element -
Da bebst du den Mai, da lachst du Geplauder
Des Bachs, da rührst du mit zartestem Schauder
Des Laubs, das der Wind kaum kennt:
Da wächst du neu wie der Wald, und neuer,
Ein Aufruhr brausend, und setzest wie Feuer
Im Sturm ein jedes Atom -
Mit Augen geizend, wie Lohe blühend,
Mit Lippen reizend, wie Erde glühend,
- Ein Glück, ein Wunder, ein Strom,
Brichst du um dich, was wider Natur ist,
Bis unter dir nichts mehr als Urzeit-Flur ist,
Und über dir Urzeit-Dom.

Du trägst die Welt in den tausend Falten
Deiner Gebärde und deiner Gestalten
Und strahlst sie begeisternd aus -
Immer dich ein um die andere liebend,
Immer dich Himmlische find ich zerstiebend
In alle die Schöpfung hinaus.
Liebend und halb mit Lachen dich hassend,
Wonnevoll fehlend und wiederum fassend,
Ein Nie und Immer und Nie, -
Den tausendsten Kuß vom Munde dir streitend,
Im tausendsten leer die Arme noch breitend,
So jagend so sink ich ins Knie:
So brichst du, kühl nach aller Erwarmung,
Unumarmt von der großen Umarmung,
Wie Sonne durch Ostens Tor,
Gestriges und der Geschicke vergessen,
Unerfahren, unermessen,
- Geboren, hervor und empor,
Und in mir die Sphäre lacht dir und wankt dir,
Dehnt sich und steigt zu dir, atmet, und dankt dir,
Und aller mein Staub tanzt Chor.

Ich neide dem Tage der Vorzeit nichts
Noch die Morgenschönste des Rosengesichts
Und was sie dem Halbgott gab,
Wenn er im Frühduft Sternegewimmels
Steilauf den Safran-Hügel des Himmels
Erstürmte ihr nach und hinab;
Ich kenne des unersättlichen Werbers
Unduldsame Seele, ich kenne des Sperbers
Jagdruf und Stoß aus dem Blaun,
Ich brenne im Kuß des im Fliehn Umschlungnen,
Ich weiß, wie sie waren bei ihren Bezwungnen,
Den jungen unsterblichen Fraun!
Mir wie ihnen die Jagd und den Hader,
Begehr, und Wehr in Begehr, und die Ader
Trinken, daraus du sprangst -
Ich liebe dich, wie du mich dir nach neuerst,
 Ich liebe dich, wie du mir gießest und feuerst
Und wehst und fruchtest und prangst. -
Ich liebe dich, wie über tiefem Gewitter,
Durch Millionen Tränen Gezitter
Du, siebenmal Wunder, du hangst -
Vorwärts über die ewigen Brücken.
Und fiele die Welt, und fiele zu Stücken -
Entzücken, mir ist nicht angst!
(S. 282-285)
_____



Wüsst ich von Dir nichts weiter als die Art . . .

Wüsst ich von Dir nichts weiter als die Art
Mit der Dein Haupt sich neigt auf Deinem Hals
Was frommte alle tiefre Wissbegier
So viel als wie sich Kelch und Stengel paart
Alsdann, soviel als untern Füssen hier
Vom ebnen Schwung des starken Wasserfalls
wüsst ich von Dir.

Geh hin und her, sprich her und hin doch zücke
Hierher nicht, wo ich Tanz und Stimmenschall
Einsauge, Deine Blicke nicht nach mir!
Ich wollte sonst geborsten wär die Brücke
Auf der Du hertrugst Deine bleiche Zier
Und nicht soviel als Deines Namens Hall,
wüsst ich von Dir!
(S. 303)
_____



Amaryllis
Februar in Berlin

Jede Ahnung süßer Weste,
Jeder Hauch von dir!
Hier im bitterlichen Winterreste,
Im Gefangnen hier!

Ohne Duft und ohne Himmel,
Ohn ein wirkliches Entzücken,
Wo wir uns, Vermummte, drücken
Durch das niedrige Gewimmel -

Hochhinein die Wände,
Hundert Fenster leer -
Bruch der Gegenstände
Berstend um uns her -

Schollen unter Sohlen knirrend,
Um die Ecken Wind,
Staub und Schlack und Ruß verwirrend
Beizt das Auge blind.

Aber aus dem pelzigen Neste
Blaust du mir und blühst -
Jede Ahnung süßer Weste
Taut schon, wo du glühst:

Zwischen Wimpern und der Braue
Treibst du bunt; wohin ich schaue,
Um die Lippen und die Lieder
Da, und hier schon wieder -

Rosig braun und gold,
Schmelz darin sich kündet,
Wie ein schlummernd Tausendhold
Bald, wie bald, in vierlei Purpur mündet,

Schüttelst du wie ein Verheißen
Zauber ins Revier:
In ein Frühjahr will mich reißen
Jeder Hauch von dir.

Sterbe um mich immerzu
Alles ab, Getroste du,
Im Verhängnis allen Lichts
Du bist Leben, anders nichts.

Aus dem Pflaster, wo dus trittst,
Müssen Veilchen quellen,
Und mich sollte, wo er blitzt,
Blick nicht augenblicks erhellen?

Jede Ahnung neuer Tage
Im Betrübten bunt -
Schließe mir die kurze Klage,
Ewig blühender Mund.
(S. 326-327)
_____



Amaryllis
Bild der Geliebten

Und so sag doch schon, wie sie ist,
Über der du alles vergißt,
Die Nächte wachst, bei Tage träumst,
Alles doppelt tust oder halb versäumst:
Ein Mädchen - will noch nicht viel sagen;
Schöne gibt es genug;
Jede zweite ist lieb, jede zehnte klug,
Die meisten können sich betragen.
Gib was Gewisses, einen echten Zug,
So will ich dich nicht mehr plagen,
Und sagen, es wohnt noch was unterm Mond,
Darum sichs Narr zu werden lohnt.
B. Narr zu werden!
A. Warum so störrisch?
Im Paradies, meinthalb, ist selig sein gescheit:
Mir scheint, wir sind noch nicht so weit.
Hier sind die Seligen all ein wenig närrisch. -
B. Gib mir kein anderes Paradies
Als hier der Selige zu werden - -
A. Wol, und einstweilen hier auf der Erden,
Die keins von euch beiden bisher verließ,
Zeig wer du bist, zum Teufel, sei Mann
Und stell sie mit drei Worten auf zwei Beine.
Ich halte etwas vom Augenscheine,
Und mich bedünkt, auch noch das Ungemeine
Fängt bei dem Allgemeinen an.
Wenn du nicht weißt, woran sie halten,
So nimm das Erste, womit sie dich hält:
Denn so wie ein Hand in Hand gefalten
Begreift sich alles auf der Welt.
B. Halten, - und wie denn und wann?
Halte die Windsbraut an!
Zwischen Sonnblick und Guß
Halte den Schatten im Fluß,
Zwischen dem Baum, den du kennst
Und der nun, im Mond, ein Gespenst,
Steht, und nun wieder ganz gemein,
Stelle dich, wenn du kannst, hinein!
Greif zu, und sieh was du gewannst
An dem was du halten kannst,
Von Kaumanfängen, von Übergängen,
Von ewig jungen Erschütterungen,
Von der Gewalt ohne Halt,
Von dem Hinriß ohne Spur,
Von Blitz nach Blitz ohne Aufenthalt,
Spiel das sich löscht im Spiel das sich malt,
Im Unendlichen der Natur.
Mich hält? Und womit denn hielte?
Die nie mehr als vor mir über spielte,
Wie ein Strahl, der den Waldgrund fleckt,
Mir das Auge neckt,
Wie der Quell, der über mein Antlitz spült,
Verfließt, unahnend die eigene Kühle,
Wie das Licht im Tropfen, das ich fühle,
Mich drum nicht fühlt,
Und all der Geist, der um mich handelt,
Mit tausend Pfeilen scheinbar nach mir zielt
Und doch nur mit sich selber spielt,
Mich wandelt, und  schon von mir wandelt!
Was besteht, das magst du erreichen.
Es ist mit Lot und Zirkel leicht umzirkt:
Was um dich webt, was auf dich wirkt -
Da fragst du nur: "Wem kann ich dich vergleichen?"
Lebendiges! und nicht ein Ding!
Wer's erfuhr, wie's zuerst anfing!
Wer's erfahren, wie's weiter fuhr!
Alle Worte sind gering,
Außer eins - Natur!

A. Und das alles, vergib,
Ist so neu wie weiße Bärte.
Hat wo eins das andre lieb,
Seit Adam Even begehrte,
Spürts immerfort auf dieser Fährte:
Wild und Wilders so fest im Bund,
Wie mit dem Hasen der Hund.
Sollen immer denn Liebesleute
Bleiben wie Meute nach Beute?
All die Erschütterung
Immer nur Witterung,
Ob sichs eins nun im andern vergißt
Oder eins das andre frißt?
Bist du Natur oder Geist?
Bist die Welt oder der ihr gebeut?
Sie muß heißen wie du sie heißt,
Obs dir leidet oder dich freut!
Eh du sie nicht aus der Wildnis reißt,
Aus Glitzer und Glimmer und Wetter
Und Spiel der Blätter
Und Wirr und Wirk
Und deinen hunderttausend Tropfen -
In Eins, ein Einziges, den Bezirk,
Wo Herz regiert, wo Pulse klopfen,
Wo Leib und Geist sich entzweit,
Und, ihm paarweis nach, der Streit
Der Links und Rechts, von Unten bis Oben,
Im Gleichgewicht aus einander geschoben,
Im Gegensatz wider einander bestellt,
Zur Sicherheit verkoppelt
Oder einander zur Aufsicht verdoppelt -
Menschheit, Welt über der Welt, -
Und solang dirs nicht gelang,
Sie der Menschheit wieder zu entreißen
Im Blitz, der ihn sieht,
Den unverfehlbaren Unterschied -
Was will der ganze Überschwang,
Was will die ganze Liebe heißen?

B. Und du hast Recht, weißt selber nicht wie sehr!
Es waren Worte, laut und leer,
Ich weiß, ich muß mich ihrer schämen.
Doch hast du selbst fast meine Schuld bezahlt:
Du hast sie so genau gemalt,
Daß deine Striche mir die meinen lähmen!
A. Ich sie gemalt? der sie nie sah?
B. Sie war in deinen Worten da,
Mir, dem ein Wort genügt, sie zu gewahren,
Und dem sie tausend noch nicht offenbaren.
Und so laß mich, noch eben ungemein,
Der Biene gleich, die in den Kelch versinkt
Aus dem sie ihren Honig trinkt,
In dir verschwunden und bescheiden sein.
Ja, sie ist, wie du sagst, genau:
Ein Mensch, ein Mädchen, eine Frau,
Ein Herz, ein heftiges Geblüt,
Ein Rechts und Links, so im Gemüt
Wie in zwei Händen, in zwei Augen,
- Nein, laß mich bienenhafter summen noch und saugen -,
Sie ist im Kleinen Welt ob aller Welt,
Im Kleinsten Mensch mit ihres Gleichen,
Und wenn mich dünkt, ich säh an ihr das Zeichen,
Das sie Unsterblichem gesellt -
Ich solls nicht deuten:
Ihr ists nicht Not, es sucht nicht Ruhm
Mein Wissen um das Heiligtum,
Und Gott braucht keinen Hermeneuten,
Wenn er, im ungeheuren Schalten
Mit Mitteln, welche um ihn sind,
Durch sein hervorgezogen Kind
Erscheinen will, mein Herz zu spalten:
So unterbricht mir nicht den Strahl,
Mit dem er in mich regnet -
Sie ist mit keinem Zug noch Mal
Als dem allein gesegnet -:
- In ihr Gesicht
Mal ich ihrs nicht,
Daß Himmel und Erd mein eigener Saal
Vom Tag an, da sie mir zuerst begegnet.
(S. 328-332)
_____



Amaryllis
Als er von ihr getrennt war

Du bist nicht da, und füllst mich aus.
Ich bin das mietvergebene Haus,
Das jedem Fremden sich verwehrt,
Und drein sein Herr, wer weiß wie lange noch, nicht kehrt.

So schleichts in mir bei Mitternacht,
So springts, bei Sonnenschein, die Kammern lüften.
Mein Herzschlag horcht sich voll Verdacht,
Es steigt aus mir, bis zu den Hüften,
Als wärs aus Söllern, vorgebeugt,
Zu spüren, ob noch nichts von Ankunft zeugt -
Es sinkt zurück, der Laden schließt,
Leer ist die schwarze Nacht, es gießt.

Manchmal in mir wird aberwitzig
Dies Spukverlangen, fingerdünn und spitzig
Zu forschen, ob du mich denn gar so ganz besitzt?
Ists denn verbrieft? Bin ich denn dein allein?
Wo ist dein Name in mich hinein geritzt?
Entfuhr nicht gar der Gott? Deckt ihn der Stein?
Und wie der Hüter überm Grabe sitz ich.

Nicht in mir du? Wol, aber allerorten
Um mich: die Luft, die Wand, das aufgeschlagene Buch,
Ein Wurm, das Angedenken, der Geruch
Geht auf mich aus mit hunderttausend Pforten,
Draus, mit dem Auge, wie kein andres blitzt,
Du ahnst, und wirst, und eben trittst -
Und in den Geisterkreis der Näherungen
Mein Herz, der Ägatnadel gleich, verschlungen,
Und vorbestimmt nach Einer hinzuweisen,
Es ist kein Wunder, wenn es immer bebt.
Es zittert auf dich zu in allem das da lebt,
Wie  sie all durch die Welt nach einer Spur von Eisen.

Denn es ist dies, Magnet, die bittersüße Ehe,
Wie meine, dein: gehörig sein, nicht Eins, -
Ewige Trennung; zitternde Bussole,
Du einzig kennst mein Los: die Kluft des Seins,
Von Wittrung überschwebt, paart und entzweit die Pole.
Es faßt, es läßt. Ich habe nicht, ich hole. -
Nur wenn du in mich fliegst, wird Deins ein Meins.

Ich sollte sprechen: Was verschlägts,
Mehr oder minder? Nah war die Ferne,
Sobald das Wunder wollte. - Herr der Sterne,
Der du uns schufst, - wer, der da liebt, erträgts,
Daß Nah auch Fern ist. Dieser überlegts,
Jener verlachts; wer's aushielt, stürbe gerne -

Daß Ja auch Nein ist, - Nein auch Ja.
Du füllst mich aus, du bist nicht da.
(S. 333-334)
_____



Amaryllis
Jeder Mann der Seinen

Dass wir ein Ganzes worden sind,
Mit Schmerzen werd ichs inn - -
Nicht Haus und Hof, Gesind und Kind -
Du bist was ich nicht bin.

Bists wol, und dennoch nicht sogleich,
Doch endlich bist du's ganz.
Vom Nochnicht blickst du mir so bleich,
Vom Endlich voller Glanz.

Was ich nicht hab, und hast dus nicht,
Aus dir nur wirds ergehn,
Indes es dir das Herz durchbricht,
In Jammer solln wir stehn.

Und werd ich wissen meinen Wank,
In dich bring ich ihn ein,
Und stehn wir dann zu zweien krank,
Heil werden wir zu zwein.

Wenn Ewigkeit mich nie verlor
Und Zeit mich nie gewann
Und mich die Wächtrin vor dem Tor
Nicht riefe dann und wann,

Du wärest nicht die Gott gewollt
Und ich nach ihm benannt,
Als ich, verloren in Sein Gold,
Blind in dein Licht gerannt.

Er gab uns nicht den Rat der Welt:
"Du nimm, und du laß gehn",
Er überwand uns wie ein Held
Und hieß uns überstehn.

Und grimm wie manche Stunde war, -
"Vorüber" sagten wir,
Weil Ewigkeit im Bunde war
Mit Zeit, und ich mit dir.
(S. 335-336)
_____



Amaryllis
Amulett

Zerrisse dies gefeite Band
Und das darein geknüpfte Leben,
Es liegt in keines Geistes Hand
Die Macht, mir wieder eins zu geben.

So hat Gestirn mich wollen mengen:
Ich habs vor aller Welt voraus:
Die Würde, von dir abzuhangen,
Macht all mein Recht auf Dasein aus;

Die Sicherheit, die dich gewahrt,
Die, kaum gewahrt, sich nach dir richtet
Und, kaum gerecht, sich so dir paart,
Wie Lippe nichts von Lippe schlichtet,

Ich habe sie wie angeboren,
Sie stellt sich ohne Willkür ein;
Ein Tun und Lassen wird beschworen,
Doch ein Gesetztes ist das Sein.

Und steht in allen Geisterreichen
Kein Sein in immer gleicher Ruh -
Denk des Geheimworts auf dem Zeichen:
"Verwandle dich dir selber zu."
(S. 337)
_____



Amaryllis
Vollkommenes Wesen, das mein Leben teilt . . .

Vollkommenes Wesen, das mein Leben teilt,
Und über mich gebeugt mir jeden Schatten,
Damit der Welt Gebrechen nach mir zielt,
Benimmt; weil er auf dir nicht zu Verfinstrung
Mehr würde,  nur zu Stufen deines Lichts:
Wär ich so reich wie ich nicht bin, - so weise
Wie ichs nicht werde, - so genehm vor Gott
Wie er, der mir dies heftige Blut erschuf,
Mirs heut nicht frömmer mischte, oder wiedrum
So arm wie ers am liebsten sich erwählt
Zu Vollgefäße all seines Überflusses:
Noch wär ich nicht gemacht das Wort zu finden,
Im Armen reich, daß ichs mit einem Blick
Auf dich nicht bald verwürfe. Staunen ist,
Vor bloßem Stammeln, schön. Ein Glück ist Schweigen
Wie Sprechen, auch, wenn wir so eingefaßt
In uns das Herz der Welt, Begeisterung,
Daß mit dem Wurf der Arme auseinander
Die Ängstigung entweicht, der Mut uns groß wird,
Das Aug sich ausgießt, und der Mund nicht gilt.

Ein Bube singt sein Herz, zwingt Mond und Sonne
Unter die Liebste, - Fink etwa und Drossel,
Der ganze Frühling, nicht? Die Nachtigall
Nimmt ihr erschüttertes Geschäft für ewig,
Doch Juli brütet stumm, was übertrieben
Der Werber März und was April gepaart,
Und schwül und nüchtern über Erden Kindern
Wird Sommertag zu Herbst. Nicht zu verkehren
Den Gang gemeiner Zeit, heiß ich durch dich
Mich ausgenommen vom Geschick; ich habe
Nichts stillgestellt: Dich heut wie immer lieben, -
Mehr lieben - minder lieben, Zeit und Raum
In Anschlag bringen, auch den Traum vergänglich
Wie Wirklichkeiten schelten: Lästerung,
Eins wie das andre, wärs. In deinen Reichen
Sind Jahre nicht gesetzt, ist Lauf nicht Ablauf
Noch Wiederkehr des Sterblichen ein Trost:
Es hat der Segnerwille, der gewollt
Vollenden dich, dir seine eigne Anstalt
Verliehn: sie nahm mich labyrinthisch auf
Wie die verschlungene Welt; sie fördert mich
Geheim, wo sie mich aufhält. Vorwärts ahn ich,
Indes ich umzukehren scheine, Licht
Am Eingang meiner Bahn. Fern ist der Tag,
An dem michs nach dem Ziel verlangte. Lieben
Ist immerfort beginnend wie die Welt,
- Enden damit mag der, der's nie begonnen -
Vollkommenheit, die gleiche um und um,
Und gleich der seligen Kugel, - was sie soll,
Ein Vorbehalt des ungesehenen Schützen -,
Spricht sich nicht, denkt sich nicht, erlöst sich nie:
Erfährt sich, lernt sich langsam: lebenlanges
Raunen mit Gott - der Muschel wie des Meers.
(S. 338-339)
_____



Beim Tode von . . .
An . . .

Eine Ewigkeit wird sein,
Zu begreifen,
Das, warum in solcher Pein
Beide wir nur streifen:

Daß ein Sternenname bricht
Aus Gefunkel -
Anders sieht sichs an im Licht,
Anders tief im Dunkel.

Ein Geheimnis ist Besitz,
Eins: Verlieren;
Unsern Augen flieht als Blitz
Sternenglanz der Ihren.

Ein Geheimnis ist Ersatz,
Eins: Untröstlich
Blick im West der goldne Schatz.
Schicke denn dich östlich.

Einen Zauber weiß der Geist:
Mehr aus minder;
Vor dem Heilgen, ders beweist,
Alle sind wir Kinder.

Ich ermaß den ganzen Raum
Meiner Gabe,
Seit ich meinen höchsten Traum
Wehe, nicht mehr habe!

In uns selber unversehrt
Schwebt die Gänze:
Fragst Du, was die Heimat wert?
Frag es an der Grenze.

Frag ich, was ich denn verlor,
Du erklärst mirs:
Nie gewährtest Du's zuvor;
Heute, Du gewährst mirs.

Heute, daß ich diesen Harm
Fühlend endige:
Fasse Dich in meinem Arm,
Weinende Lebendige.
(S. 340-341)
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Entfernte, deren grosses Herz ich ehre . . .

Entfernte, deren grosses Herz ich ehre
Seit mir sein Schlag zu nah trat, und im Rausch
Des Waldbaums und der jugendlichen Meere
Mir Bürge ward für Ewigkeit im Tausch

Und Wandel der verunglückten Gezeiten -
Ungern vernehm ich, Saitenspielerin,
Von den gereimten Lippen und geweihten
Den Hader mit der Botschaft und dem Sinn.

Ungern nicht lieblos, Mädchen, Unbekanntes
Zu kennen nie bestimmtes Kind; nicht gern
Fand sich mein Herz darein, jedoch benannt' es
Weil es Dich liebt, Dein Lied nach seinem Stern.

Unstern beschiesst uns Alle, zielt mit gelben
Beirrungen auf Dich und wirft Dich schief,
Sobald Du aufbegehrst: es sind die selben
Gestirne nicht mehr, drinnen Phoebus lief

Nicht mehr seit diesem; nur das selbe - aber
Das immerher noch selbe stärker als
Des Pols voll Stern gehäufte Kandelaber
Der Überleber alles Zeitenfalls

In uns, das heilige Wesen Herz, begeistert
Von Gottheit und von seinem Fluss geflösst,
Die das Gestirn des Fluches, eh' es uns meistert,
Nicht kennend unter seinen Schemel stösst.

Du bist die Welt, sie ist nicht ausser Deiner,
Sobald Du bist: Du bist, sobald Dein Thor
Springt von Geschöpf. Geschaffen hat Dich keiner.
Wer dasein wolle bringe sich hervor.

Und leide, wer nicht dasein kann, verschlungen
Ins Labyrinth aus Hunger und aus Satt
Aus Gallen und aus Honig, Wut nach Jungen
Und Angst vor Alters Nachbarschaft, aus Matt

Vor Lust und Matt vor Worten, aus Gebären
Des neuen Rings am Alten, und Verbruch
Des Alten Stückwerks: trage Samt und hären
Bis er zerfällt in seinen Widerspruch.

Lass Fallen Du, Ergänzerin, im Schleier
Der Fassung, was der Welt und was sich gleicht,
Lass ab Dir stürzen die verlebten Freier
Des Feiernden Tags: wo wär er, der Dir reicht?

Verwinde deinen Zufall im Gesetze
Wie Königen ansteht, deren Schrift ins Erz
Der Künftigen es gräbt: verschmäh die Schätze,
Du darfst, die Dir geworden, schönes Herz,

Doch denen, die zu Roste gehn, und deren
Du heilig mangeln sollst, das Auge nach
Zu drehn, verleiden mögen Dirs die Zähren
Der Stunde bitterlichsten, da Du Schmach


Von Dir zu wenden, griffest nach dem Leide
Das Dir nicht zustand: doch Du wusstest auch
Nur gegen das Entsetzen seiner Schneide
Zerfloss Dein Sterbliches, und wurde Hauch.
(S. 356-358)
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Herz, Herz, das nicht gesundet . . .

Herz, Herz, das nicht gesundet, -
Schlag in Dir auf, und lies:
Das Waffen, das verwundet,
Es heilt, nur eben dies;
Der Zeit Gesetz und Raumes
Prägt nur aus Minder Mehr:
Trag sie, des Edlen Baumes
Einschneidende Beschwer.

Die Härte wird ihn biegen
Vom Lot, da nach er brennt;
Im Blau soll er nicht wiegen
Den Flor, den sie nicht kennt -
Es kennt nur Frucht und Kelter
Des Ewigen Jahrs Gelag, -
Der Herrlichkeit Behälter
Erdrückt Dich für Ertrag.

Die Welt ist nicht des Bösen
Noch Guten: Beider Quell
Schwillst DU. Vom Trübsten lösen
Nur Blitz und Schlag Dein Hell.
Erschütternd erst erkiesen
Erschaffende Dich zum Gast:
Sei, was Du wardst, gepriesen
Für das, was Du nicht hast!
(S. 358)
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Bellosguardo degli Amanti

Geh nicht, wenn Dir das Herz
Um die Freundin schwer ist, -
Oder, wenn sie Dir nahm
Was sie gestern gab -

Nicht bergan geh,
Hinter der Dämmerung her,
Den Weg nach Bellosguardo
Der Liebenden.

Denn Du gewahrst sie dann,
Die Dich nicht gewahren, -
Nichts mehr gewahren die Un-
Anrührbaren,

Über deren verschlungner
Gefangenschaft
Des Kuss, die Falle
Eines Jägers, zuschlug. -

Aufwärts die unzählbare Rampe
Der Kehrenstrasse,
Wo die Mauer den Hang
Gegen Abgrund stürzt,

Wo, gen Berg auf, Gitter und Hag
Und ein stolz Gemäur
Goldne Wohnungen
Gegen den Einblick wahren -

Winterlich, wenn alles zumal
Was da lieblos, friert und einkriecht,
Oder im März, noch lange
Vor der erschütterten Nachtigall,

Der Bötin des von Neuem
Unglaublichen,
Die das ausgestorbene Herz
Mit Schlägen ruft, zu leben, -

Wenn der Regen der Wärme
Die Glut noch abschlägt,
Und warten heisst, was ohne ihn
Schon stürzte gegen den Sommer,

Hängen sie da, die Mauren,
Voller erstickten Gelübds
Das Mund auf Mund den einzigen
Des Lebens werten, wildesten Honig sammelt:

Wie voll Bienen ein Busch
Noch vor die Nacht fällt -:
Die höchste Blume am Zweig
Füllt sich zitternd mit Besuch, -

Aber, der untern auch,
Am Boden streifend
Entbehrt der Dringlichkeit
Nicht ein enterbterer Mund, -

Also lebt er, der Weg,
Von Hingerissner
Dunkel brennendem Geschäft,
Und Du fährst vorbei:

Hart in der Kehre
Röcheln die Wagen der Welt
Bei der Flüsterstunde
Der Unweltlichen

Deren verschlossene Unschuld
Geisteräugig
Den schamlosen Lichtern der Fahrt
Ihren Stoss verzeiht, -

Denn schon vorbei sind
Die Gnadenlosen,
Bei dem Eide
Des Gnadenstands.

Geh bei Mitternacht nicht,
So Du sehend wärest,
Den Weg nach Bellosguardo
Der Liebenden

Wenn in die Bogenlampen
Geklommen die Liebe rächend
Dem Licht die Augen zerschlägt
Und die Scheibe klirrt,

Dass ein vergötterter Blick
Erst aufgehn dürfe
Und die Verzweiflung selbst
Ihrer Küsse sich nicht schäme -

Unvernommen
Weint das "Sag Ja" "Sag Nein".
Wie, - sag, - überleb ichs?
Unaufhörlich, unvernommner

Über die Mauer weg, aus den höchsten,
Den Gärten der Königs-Buhlin
Der verlassene Vogel
Sagt "Nie" - sagt "Nie".
(S. 360-363)
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Oh sag es nicht so leichthin . . .

Oh sag es nicht so leichthin,
Nicht um die Welt so schnellhin,
Bezaubernde Gesellin,
Erscheinung aus dem Dort,

Dass die Gewähr der Zeiten
Hin sei und schon beim Gestern
Und von der Grazie Schwestern
Nur Du nicht ganz noch fort!

Ich weiss es, Deines Gleichen,
Die Wunder aus den Bäumen,
Die sich bei uns versäumen
Im langen Glück des Munds,

Sie liebens, halb zu schenken
Und schenkend halb zu necken,
Dass wir erst recht im Schrecken
Versichern uns des Bunds, -

Dass die Begehr nicht lasse,
Der Mut je heisser dringe
Unlösbarer umschlinge
Der Arm den goldenen Duft,

Dass der Verklärte endlich
Der Unglaubhaften wert sei, -
Dass nie mehr heimgekehrt sei
Wie aus der Luft, in Luft.

Was war und ist, wird wieder, -
Was einzig, ists für Viele,
Und Du ein Ziel der Ziele,
Vollkommenes Gefäss -

Steh hin, mit diesen Augen
Die Dumpfheit zu berücken -
Ein Lahmer wirft die Krücken,
Ein Blindgeborner sähs,

Dem Tauben ders vernommen
Nachjubeln kommts der Stumme
Mit Zungen sprichts der Dumme,
Ja, fast der Blöde spricht -

Der Höchste der Entzückten,
Das weiss die Welt, ich bin es, -
Lass mich nur meines Sinnes -
Der letzte bin ich nicht!
(S. 366-367)
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Aus: Rudolf Borchardt Gedichte
Textkritisch revidierte Neuedition der Ausgabe 1957
Herausgegeben von Gerhard Schuster und Lars Korten
Verlag Klett-Cotta Stuttgart 2003

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Borchardt


 

 


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